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Um ein Zusammenleben trotz Trauer und tiefgehender Spaltungen zu ermöglichen, bedarf es konkreter Versöhnung und materieller Hilfe. Thomas Schmidinger über das Projekt HIRO in Nord- und Ostsyrien

Nach über elf Jahren Krieg ist in Syrien nicht nur die Wirtschaft und Infra-struktur in vielen Teilen des Landes verwüstet. Nicht nur rund sieben Millionen SyrerInnen sind im Exil und noch einmal so viele als intern Vertriebene von einem Eck des Landes in ein anderes geflohen. Eines der größten Probleme Syriens ist, dass mit dem fortdauernden Krieg eine zunehmende Konfessionalisierung der Konflikte begonnen hat – teils als Folge des von einer religiösen Minderheit getragenen Regimes, das bewusst mit den Ängsten der religiösen Minderheiten zwecks Machterhalt spielt, teils als Folge der Ideologisierung und Verhärtung verschiedener sunnitisch-islamistischer Gruppierungen innerhalb der Opposition. Und dabei geht es nicht einmal primär oder gar allein um die offen jihadistischen Gruppen, wie den »Islamischen Staat« oder die Hayat Tahrir ash-Sham in Idlib, sondern auch um viele Teile der ehemaligen Freien Syrischen Armee, die nun zu Milizen in türkischem Sold geworden sind. Zu viele der Hegemonialmächte in der Region, die in Syrien eine der Seiten unterstützen, arbeiten eben auch mit konfessioneller Regionalpolitik, verwenden also Religion für imperialistische Machtpolitik, sei es der schiitische Iran oder die sunnitische Türkei.

Auch in den Gebieten der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens, die von den Syrischen Demokratischen Kräften kontrolliert werden, gibt es das Problem zunehmender ethno-konfessioneller Konflikte, die zwar von der inklusiven Selbstverwaltung abgeschwächt werden, die aber auch hier die Gesellschaft vergiften.

Hier versucht nun eine bemerkenswerte Initiative des Dichters, Malers, Journalisten und Intellektuellen Taha Khalil einzuhaken. Taha Khalil ist so etwas wie das kritische Gewissen der kurdischen Selbstverwaltung. Selbst einer der ersten Anhänger der PKK in Syrien, ging er früh auf Distanz, nachdem ihn während der stramm leninistischen Phase der Partei in den 1980er-Jahren der Bruder Abdullah Öcalans, Osman Öcalan, am liebsten wegen trotzkistischer Abweichung erschießen hätte lassen. Seither blieb er ein kritischer Beobachter aber auch Freund der Bewegung, der auch die ideologische Öffnung und die Gründung der Demokratischen Unionspartei (PYD) 2003 begleitete. Selbst ging er nicht mehr in eine Partei, die Revolution in Rojava war ihm aber seit Beginn ein Anliegen und so beteiligt er sich als Publizist und im Rahmen eines Forschungsinstitutes am Aufbau einer anderen Gesellschaft.

Auch seine Tochter Halabja, benannt nach jener kurdischen Stadt, die 1988 von Saddam Husseins Truppen im Irak mit Giftgas vernichtet wurde, war in der Selbstverwaltung aktiv. Als sie 2014 durch ein Selbstmordattentat des »Islamischen Staates« getötet wurde, war sie gerade mit Taha Khalils erstem Enkel schwanger.

Recht auf Frieden und Koexistenz

Taha Khalil brachte seine Trauer in einer Vielzahl von Gedichten zum Ausdruck. Die militärische Niederlage des »Islamischen Staates« 2019 konnte ihm seine Tochter nicht zurückbringen. Die vielen Frauen, die sich dem »Islamischen Staat« angeschlossen hatten, darunter auch viele Syrerinnen, ließen ihn überlegen, wie mit diesen in Zukunft zusammengelebt werden soll. Taha Khalil gelangte zur Überzeugung, dass Versöhnung notwendig ist. »Wir müssen hier in Zukunft gemeinsam leben«, setzte er mir bei einem unserer Treffen in Qamishli auseinander, »also müssen wir auch irgendwie an einer Versöhnung arbeiten. Das bin ich meiner Tochter schuldig.«

Taha gründete mit »HIRO – Zentrum für Dialog und Rehabilitation« eine bemerkenswerte Basisinitiative, die sich genau dieser Versöhnungsarbeit widmet. Die InitiatorInnen von HIRO glauben, dass die Menschen das Recht haben, in Frieden und Koexistenz mit allen Menschen und ohne Diskriminierung zwischen Religionen, Nationalitäten und Sekten zu leben. Sie arbeiten dabei auch mit den TäterInnen, denn sie sind zur Erkenntnis gelangt, dass diese Menschen psychologische Betreuung und eine Ausbildung benötigen, um sie wieder zu rehabilitieren, damit sie in ihr Leben zurückkehren können, weit weg von den Auswirkungen des Krieges, der die Bande der Gesellschaft zerrissen hat. HIRO versteht sich deshalb als zivilgesellschaftliche Organisation und arbeitet daran, eine Kultur der Toleranz, der Menschenrechte, der Gleichberechtigung der Geschlechter zu verbreiten.

Im Lager al-Hol

Seit Frühling 2022 führt HIRO Aktivitäten im Lager al-Hol durch, wo Tausende von IS-Frauen und -Familien festgehalten werden. Das Lager al-Hol ist das größte und schwierigste dieser Lager. Die Syrischen Demokra-tischen Kräfte, also die Militäreinheiten der Autonomen Verwaltung, schaffen es zwar, das Lager irgendwie unter Kontrolle zu halten. Zumindest gelingt es nur wenigen zu fliehen. Die internen Strukturen des Lagers werden aber de facto weiter vom IS kontrolliert. Viele der dort internierten Frauen sind noch hochgradig ideologisiert. Abtrünnige werden immer wieder ermordet. Noch vor wenigen Tagen wurde ein jesidisches Mädchen in al-Hol gefunden, das 2014 vom IS verschleppt und bisher nicht entdeckt wurde. Kaum eines der Opfer wagte es, den Wacheinheiten des Lagers zu sagen, dass sie eigentlich Opfer und nicht TäterInnen sind – so total ist weiterhin die Kontrolle des IS innerhalb des Lagers. Die extremistischen Frauen hätten solche Opfer vielleicht schneller ermordet als die Syrischen Demokratischen Kräfte sie retten könnten.

Auch die Versorgungslage in al-Hol ist schlecht. Fehlt es schon für die ZivilistInnen in Syrien an allen Ecken und Enden, so ist z. B. die medizinische Versorgung in al-Hol natürlich nicht besser als in den Städten der Region.

HIRO ist hier ein kleiner Akt der Versöhnung, eine ausgestreckte Hand des Dialogs unter sehr schwierigen Bedingungen. Die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen von HIRO suchen in Workshops das Gespräch mit diesen Frauen, versuchen ihnen ihre Sicht und ihre Geschichten nahezubringen, hören aber auch ihnen zu. HIRO versucht letztlich die Frauen in al-Hol mit allem zu versorgen, was ihnen hilft, von der extremistischen Ideologie des IS Abstand zu nehmen, sich in ihre jeweilige Gesellschaft zu re-integrieren und ein menschenwürdiges Leben fernab von Extremismus und Terrorismus zu führen.

Dies ist allerdings erst ein Anfang. HIRO will nicht nur mit den IS-Frauen in al-Hol arbeiten, sondern auch Veranstaltungen mit intern Vertriebenen und Angehörigen verschiedener religiöser und ethnischer Communities in der Region machen, die dazu beitragen sollen, dass es eine gemeinsame Zukunft in Syrien gibt.

Um dies zu unterstützen bittet die kleine österreichische NGO LeEZA (Liga für emanzipatorische Entwicklungs zusammen arbeit), der Autor und die Volksstimme um Spenden unter dem Kennwort »HIRO«, der Betrag wird ohne irgendwelche Abzüge an das Projekt übergeben.

LeEZA: IBAN: AT4432 0000 0006 955355

BIC: RLNWATWW, Kennwort: »HIRO«

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Thomas Schmidinger schrieb zuletzt in der Volksstimme im Sommer 2021 über den Friedhof in Erbil.

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Die klassische Zwei-Meter-Bank verschwindet zunehmend aus dem Stadtbild. An ihre Stelle treten immer öfter wenig gemütliche Designlösungen. Der Soziologe Lukas Pascher erläutert das Phänomen hostile design und plädiert für eine lebhafte Diskussion über unbequeme Sitzgelegenheiten

Der öffentliche Raum wandelt sich permanent. Egal ob große Veränderungen wie die eben erfolgte Neugestaltung des Wiener Pratersterns, oder kleine Adaptionen in Parks und auf Plätzen, Schritt für Schritt wird die Stadt modernisiert. Dabei weisen die einzelnen Projekte viele Gemeinsamkeiten auf. Von Seiten vieler Kommunen zeigt sich ein ehrliches Bemühen den öffentlichen Raum fußgänger*innenfreundlicher zu gestalten und für Abkühlung zu sorgen. Gleichzeitig lässt sich seit vielen Jahren eine gestalterische Entwicklung beobachten, die weit kritischer zu sehen ist: Sitzgelegenheiten verschwinden oder werden ungemütlicher. Warum ist das so?

Sitzmöbel sind seit jeher ein bei Designer*innen und Künstler*innen beliebtes Objekt. Die Suche nach Innovationen und einer eigenen künstlerischen Ausdrucksform können dabei auch manchmal auf Kosten der Funktionalität gehen. In der Regel folgt das Design, vor allem jenes von Alltagsgegenständen, aber der Prämisse form follows function, zu Deutsch in etwa: die Funktion bestimmt die Gestaltung. Davon ausgehend, dass Design ein bewusster und durchdachter Prozess ist, stellt sich die Frage, warum sind manche Sitzgelegen heiten absichtlich ungemütlich?

Unsichtbare Agent*innen

Die Erklärung ist ein Phänomen, das als defensive, beziehungsweise kritischer als hostile design, als feindseliges Design, bezeichnet wird. Dem Konzept des defensive designs liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Gestaltung des öffentlichen Raums dazu beitragen kann, für Sicherheit zu sorgen, indem manche Handlungen ermöglicht werden und andere nicht. Beispiele dafür sind Mistkübel, die so gestaltet sind, dass nichts darin versteckt werden kann (Bombengefahr) oder große Blumentöpfe an Einkaufsstraßen die terroristischen Anschläge oder Amokfahrten mit Autos verhindern sollen. Die Dinge im öffentlichen Raum können also so gestaltet werden, dass sie wie unsichtbare Agent*innen Gefahren verhindern, ohne den Nutzer*innen des öffentlichen Raums aufzufallen.

Diese Idee, Handlungen durch die Gestaltung zu steuern, hat längst den Sicherheitskontext verlassen, weshalb diese Form der Gestaltung kritisch als hostile design bezeichnet wird. Durch Design lassen sich nicht nur »gefährliche« Handlungen unterbinden, sondern eine Vielzahl von Hand-lungsmöglichkeiten können gegeben oder genommen werden. Erwünschte Handlungen werden ermöglicht, unerwünschte Handlungen werden unterbunden oder sanktioniert. Dadurch üben die Objekte unsichtbar soziale Kontrolle aus. Als hostile design wird diese Gestaltungsform vor allem deshalb bezeichnet, weil nur bestimmte Personen und Gruppen davon betroffen sind und dadurch verdrängt werden. Zwar könnte hostile design praktisch überall auftreten, tatsächlich findet es sich aber vor allem in innerstädtischen öffentlichen Räumen und vor allem in Bezug auf die Sitzgelegenheiten.

Hostile design funktioniert am besten, wenn es unbemerkt wirken kann, wenn Parkbänke zwar vorhanden sind, aber durch ihre Form und das verwendete Material langes Sitzen unbequem machen oder Liegen verhindern. Die gewünschte Verwendung, kurzes Verweilen, wird ermöglicht, die unerwünschte Verwendung, langer Aufenthalt oder Schlafen, wird unterbunden. Extremere Beispiele, wie Anti-homeless spikes, also am Boden angebrachte Stacheln in Hauswinkeln oder unter Brücken, die verhindern, dass obdachlose Personen dort schlafen, haben zu einem großen Medienecho und viel Kritik geführt. Neben diesen offensichtlich menschenfeindlichen Gestaltungsmaßnahmen darf man den Effekt, den subtilere Formen haben, aber keinesfalls unterschätzen.

Gemütliche Konsumbereiche

Die klassische Zwei-Meter-Parkbank verschwindet aus dem innerstädtischen öffentlichen Raum und an ihre Stelle tritt eine Vielzahl von verschiedenen Designlösungen. Kurze Bänke, Sitzobjekte aus Stein, mit abgerundeten Kanten, Metallbeschlägen oder kurzen Sitzflächen. So vielfältig das Design ist, die Formen und Materialien haben einen ähnlichen Effekt und verändern die Nutzungsbedingungen des Raums. Nicht alle öffentlichen Räume in der Stadt sind durch hostile design geprägt und nicht alle modernen Sitzmöglichkeiten sind unbequem. Die regionale Verteilung, wo hostile design zu finden ist und wo nicht, verstärkt die verdrängende Wirkung noch weiter.

In innerstädtischen Räumen, in denen der Fokus auf Konsum und Tourismus liegt, finden sich oft wenige und unbequeme Sitzgelegenheiten. Wer dort länger verweilen will, muss sich wohl oder übel in ein Café oder einen Schanigarten setzten und etwas konsumieren. Um nur ein konkretes Beispiel zu nennen: die einzigen Sitzgelegenheiten des Wiener Grabens finden sich an der Ecke zum Kohlmarkt und sind durch die Position der Lehne so gestaltet, dass Liegen verhindert wird. Alle anderen Sitzgelegenheiten sind direkt mit Konsum verbunden. Konsumschwache und marginalisierte Personen werden dadurch aus dem Stadtbild verdrängt.

Augen aufmachen

Parkbänke sind nicht zufällig unbequem, sondern erfüllen dadurch eine konkrete Funktion, sie verdrängen bestimmte Personen. Wie das Beispiel der Spikes zeigt, funktioniert das am besten subtil und wird, wenn es den Personen bewusst ist, kritisch gesehen. Um hostile design entgegentreten zu können und einen demokratischen, inklusiven öffentlichen Raum zu schaffen, der einer Vielzahl von Nutzer*innen die Chance zur Partizipation gibt, müssen wir mit offenen Augen durch die Stadt gehen und uns kritisch mit der Gestaltung auseinandersetzen! Design ist nicht zufällig, Parkbänke müssen nicht unbequem sein!

Lukas Pascher ist Soziologe mit dem Schwerpunkt soziale Ungleichheit und Ausgrenzung im öffentlichen städtischen Raum. Befasst sich seit Jahren mit der Gestaltung des öffentlichen Raums und der Auswirkung auf marginalisierte Gruppen. Schreibt derzeit seine Masterarbeit zum Thema Obdachlosigkeit und Privatheit.

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Von Heinz Gärtner

Enttäuschte Nichtnuklearwaffenstaaten

Zwei internationale Konferenzen hatten im Sommer Nuklearwaffen zu Gegenstand. In Wien fand Ende Juni 2022 die Staatenkonferenz zum Verbot von Nuklearwaffen (TPNW) statt [siehe Bericht in der Septemberausgabe, Anm. d. Red]. Der Vertrag drückt Besorgnis über die humanitären Konsequenzen eines Nuklearwaffeneinsatzes aus und fordert die völlige Vernichtung von Nuklearwaffen. Er trat im Jänner 2021 in Kraft und erreichte bis zur Konferenz 65 Ratifikationen. Die Konferenz nahm die »Wiener Erklärung« an und legte einen 50 Punkte Aktionsplan fest. Es gab eine starke Präsenz der Zivilgesellschaft. Doch kein Nuklearwaffenstaat und kein mit ihnen verbündeter Staat unterstützen den TPNW. Da sich die NATO als Bündnis basierend auf nuklearer Abschreckung versteht, ist Europa der Kontinent, in dem es die geringste Anzahl von Mitgliedstaaten gibt.

Ende August ging die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (NPT) von 1970 in New York zu Ende. Es gab kein Abschlussdokument, weil Russland die Formulierung von der »schwerwiegenden Besorgnis über die militärischen Aktivitäten beim Atomkraftwerk« bei Saporischschja nicht akzeptierte. Tatsächlich gibt es ein tiefes Misstrauen zwischen Nuklearwaffenstaaten und Nichtnuklearwaffenstaaten.

Die letzteren haben ihre Nuklearwaffen aufgegeben, als sie dem NPT beigetreten sind. Sie dachten, das wäre ein Weg, zu vermeiden, dass sie ein primäres Ziel bei einer nuklearen Auseinandersetzung werden. Nun haben sie das Gefühl, betrogen worden zu sein: die Nuklearwaffenstaaten haben ihre Verpflichtung, ernsthaft über komplette Abrüstung zu verhandeln, wie in Artikel VI des Sperrvertrags gefordert, nicht eingehalten. Deshalb forderten sie ein rechtlich verpflichtendes Verbot, das der TPNW nunmehr darstellt.

Nukleare Abschreckung und nukleare Kriegführung

Es gibt zwei gegensätzliche Auffassungen von Sicherheit. Die Atommächte fühlen sich geschützt, wenn sie Nuklearwaffen besitzen, die anderen Staaten fühlen sich von ihnen bedroht und fühlen sich sicherer ohne sie. Das Prinzip der nuklearen Abschreckung steht gegen die Norm der nuklearen Abrüstung. Ein nuklearwaffenfreies Europa kann es nur geben, wenn das Dogma der nuklearen Abschreckung aufgebeben wird. Es gibt keinen Beweis, dass nukleare Abschreckung den Krieg verhindert. Man kann nicht beweisen, warum etwas nicht passiert. Der Abschreckungslogik liegt eine eigenartige Paradoxie zugrunde. Man nimmt an, dass der Gegner sich rational an diese Logik hält, unterstellt ihm aber die Irrationalität einer Angriffs absicht. Konventionelle Kriege haben Nuklearwaffen jedenfalls nicht verhindert, vielleicht sogar ermuntert. In Korea, Vietnam, Falkland, Indien-Pakistan, in der Ukraine wurden Kriege gegen Nuklear waffenstaaten geführt.

Wohl gab es seit Ende des Kalten Krieges eine Reduktion der Anzahl der Nuklearwaffen. Es wird kritisiert, dass durch permanente Modernisierung der Nuklearwaffen Artikel VI des NPT verletzt wird. Diese Modernisierung entspricht durchaus der Sicherheitslogik der Nuklearwaffen. Wenn Nuklearwaffen Sinn haben sollen, müssen sie auch einsetzbar sein. Wenn sie nicht einsatzbar sind, schrecken sie auch nicht glaubwürdig ab. Glaubwürdig einsetzbar sind sie allerdings nur, wenn sie klein genug sind, dass sie lediglich »begrenzten« Schaden anrichten können und sich der:die Gegner:in – wenn auch beschämt – zurückziehen kann. Damit werden Nuklearwaffen auch zwangsläufig zu Kriegsführungswaffen. Kleinere Nuklearwaffen machen zwar die Abschreckung glaubwürdiger, ihren Einsatz aber auch wahrscheinlicher. Dieses Prinzip galt schon bei der NATO-Strategie der »Flexible Response« in den 1970er Jahren, als man sah, dass eine Drohung mit massiver gegenseitiger Zerstörung nicht glaubwürdig war. Zu glauben, dass eine nukleare Auseinandersetzung begrenzt werden könne, ist eine verführerische, aber unwirkliche Annahme. Es gibt keine Studie, die beweisen kann, dass ein Nuklearkrieg begrenzt werden kann.

Nuklearwaffen machen die sie besitzenden Staaten und deren Verbündete nicht notwendigerweise sicherer, wie diese annehmen. Im Gegenteil, sie sind erste Zielländer anderer Nuklearwaffenstaaten. Schon wie im Kalten Krieg könnten das die europäischen Länder sein. Die großen Nuklearwaffenstaaten, die USA und Russland, könnten versuchen, ihre großen Städte im Falle eines Nuklearkrieges zu verschonen, und den Krieg mit kleineren Nuklearwaffen auf Europa zu begrenzen. Dem sollte der Mittelstreckenvertrag von 1987 vorbeugen, der aber 2018 von Präsident Trump gekündigt wurde. Eine Eskalation des Krieges in der Ukraine birgt diese Gefahr wieder in sich, falls eine Seite ihre Existenz gefährdet sieht.

Nuklearmacht Europa oder negative Sicherheitsgarantien

Eine Schlussfolgerung kann sein, dass Europa selbst eine Nuklearwaffenmacht wird, um sich unabhängiger von US-Interessen zu machen. Die Forderung nach einer Europaarmee bereitet dieses Argument vor. Das würde zuallererst das Ende des Atomwaffensperrvertrages bedeuten. Jedes EU-Mitglied würde Nuklearstaat werden, einschließlich Österreich. Dann würde jeder Staat in Europa Zielgebiet von Nuklearwaffen sein.

Die Alternative zum Szenario, in dem Europa ein potentielles nukleares Schlacht

Schlachtfeld werden könnte, ist, dass Europa keine Nuklearwaffen besitzt, beherbergt oder stationiert, also nuklearwaffenfrei wird. Der polnische Außenminister Rapacki hatte mit dem Plan einer neutralen Zone ohne Nuklearwaffen in Mitteleuropa 1957 eine derartige Vision vorgegeben. Wegen der entstehenden Nuklearblöcke und dem Widerstand des Kanzlers der Bundes republik Deutschland Konrad Adenauer wurde dieser Plan aber nicht umgesetzt.

Man wird auf absehbare Zeit nicht zur vollständigen Abrüstung schreiten. Der TPNW wird also sein Ziel der vollständigen Abrüstung auf absehbare Zeit nicht erreichen, wenn auch seine Unterstützer:innen Optimismus ausstrahlen. Gibt es Annäherungsschritte an ein nuklearwaffenfreies Europa? Sie könnten in negativen Sicherheitsgarantien (NSA) bestehen, also der rechtlich verbindlichen Zusage, keine Nuklearwaffen gegen Nichtnuklearwaffenstaaten einzusetzen. Diese Forderung ist leichter zu erfüllen als ein Ersteinsatzverbot von Nuklearwaffen, weil sie nur Nichtnuklearwaffenbesitzer und nicht andere Nuklearwaffenstaaten betrifft. Protokolle zu Nuklearwaffenfreien Zonen enthalten schon diese rechtlichen Verpflichtungen.

Die Verbündeten der Atommächte, wie die NATO-Mitglieder, verlassen sich auf die erweiterte Abschreckung (extended deterrence); das ist das Versprechen, dass Nuklearwaffen im Falle eines Angriffes auf Verbündete (umbrella states) eingesetzt werden. Negative Sicherheitsgarantien enthalten das gegenteilige Versprechen, nämlich keine Atomwaffen einzusetzen. Die Atomwaffenstaaten könnten ihre Vorbehalte fallen lassen, Verbündete einer anderen Nuklearmacht mit Nuklearwaffen zu bedrohen und damit auch für diese NSAs möglich machen. Das Beispiel des Krieges in der Ukraine führt drastisch vor Augen, dass Verbündete von Nuklearwaffenstaaten, Gefahr laufen können, Ziele von Nuklearwaffen zu werden. Russland müsste den nicht nuklear bewaffneten NATO-Mitgliedern negative Sicherheitsgarantien geben. Die »nukleare Teilhabe« der NATO müsste allerdings beendet werden; die in verschiedenen NATO-Staaten (Belgien, Deutschland, Italien, Niederlande und Türkei) gelagerten nicht-strategischen Nuklearwaffen müssten abgezogen werden.

Nuklearwaffenfreier Gürtel von der Mongolei bis Afrika

Nuklearwaffenfreie Zonen in Verbindung mit negativen Sicherheitsgarantien können auch in anderen Regionen der Welt ein Beitrag zur Abrüstung sein. Es sind Übereinkommen von einer Gruppe von Staaten, die freiwillig mittels eines Vertrages oder einer Konvention ein bestimmtes Gebiet festlegen, in dem es verboten ist, Nuklearwaffen einzusetzen, zu entwickeln oder zu stationieren. In einigen Regionen der Welt wie Lateinamerika, Afrika, Pazifik, Südostasien und Zentralasien gibt es bereits solchen Zonen, in denen die zusammengeschlossenen Staaten Nuklearwaffen und dazugehöriges Material weder besitzen noch produzieren.

Ein erster Schritt wäre, dass die Nuklearwaffenstaaten, die rechtlich verbindlichen Protokolle der nuklearwaffenfreien Zonen ratifizieren, die NSAs enthalten. Darin verpflichten sich die Nuklearmächte, Nuklearwaffen gegen Staaten in jenen Zonen nicht einzusetzen oder mit ihnen zu drohen. NSAs sind die einzigen Verpflichtungen, die Nuklearwaffenstaaten bei der Umsetzung von nuklearwaffenfreien Zonen eingehen müssen.

Nuklearwaffenfreie Zonen könnten etwa zur Entspannung in der Golfregion führen. Die Idee einer nuklearwaffenfreien Zone im Mittleren Osten gibt es seit 1974 als eine vom Iran und Ägypten eingebrachte Resolution, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen worden war. An dieser Frage ist die NPT-Überprüfungskonferenz 2015 wegen des Widerstandes der USA gescheitert. Die USA wollten verhindern, dass Israels Nuklearwaffen kapazität in Frage gestellt wird. Die NPT-Überprüfungskonferenz 2022 thematisierte die nuklearwaffenfreie Zone im Mittleren Osten zwar, wurde aber von der Kontroverse über Saporischschja überlagert.

Um einer derartigen nuklearwaffenfreien Zone im Mittleren Osten näherzukommen, könnte der Iran anbieten, der nuklear waffenfreien Zone in Zentralasien (Vertrag von Semipalatinsk) beizutreten. Die USA könnten ihre arabischen Verbündeten überzeugen, der nuklearwaffenfreien Zone Afrika (Vertrag von Pelindaba) beizutreten. Dieses Szenario würde Israels Sicherheit deutlich erhöhen, gleichzeitig aber auch die Begründung für seine Nuklearwaffen er heblich reduzieren. Ein Zusammenwachsen dieser nuklearwaffenfreien Zonen könnte zu einem nuklearwaffenfreien Gürtel von der Mongolei über Zentralasien und den Mittleren Osten bis Afrika führen. Der schmale chinesisch-russische Streifen zwischen der Mongolei und Kasachstan könnte leicht durch Verhandlungen mit Russland und China einbezogen oder überbrückt werden. Eine nuklearwaffenfreie Zone im Mittleren Osten mit Einbeziehung Israels wäre damit nicht ausgeschlossen.

Es muss aber betont werden, dass negative Sicherheitsgarantien nicht als Alternative zum Verbot von Nuklearwaffen gedacht sind, sondern nur als weiterer Schritt in diese Richtung, der vorerst leichter umzusetzen ist. Der Verdienst des Vertrages ist, dass er ein neues zum Abschreckungssystem alternatives Normensystem geschaffen hat, das auch eine rechtliche Basis hat.

Abkürzungen:

TPNW - Staatenkonferenz zum Verbot von Nuklear waffen

NPT - Atomwaffen sperrvertrag

NSA - negative Sicherheitsgarantie

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Heinz Gärtner ist Lektor an der Universitäten Wien. Er ist Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) in Wien sowie des Beirates Strategie und Sicherheit der Wissenschaftskommission des Österreichischen Bundesheeres. Heinz Gärtner war langjähriger wissenschaftlicher Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik. Er hatte mehrere internationale Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren u. a. an den Universitäten von Stanford, Oxford, an Johns Hopkins in Washington und in Deutschland. Er publizierte zahlreiche Bücher und Artikel zu Fragen der USA, internationaler Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle. Sein Werk Modelle europäischer Sicherheit: Wie entscheidet Österreich? wurde mit dem »Bruno Kreisky Anerkennungspreis für das politische Buch« ausgezeichnet.

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Es sind die Energiekonzerne, die sowohl von der Klimakrise als auch vom Krieg in der Ukraine und anderswo profitieren. Kriegsgegner:innen und Klimabewegung haben also einen gemeinsamen Gegner. Von Anselm Schindler

Es ist nicht lange her, da haben die Bilder von tausenden Schüler:innen auf der Straße und Protest-Schilder mit brennenden Planeten noch regelmäßig die öffentliche Debatte bestimmt. Dann kamen Corona, der Krieg um die Ukraine und die Inflation. Die zeitweiligen Erfolge und Hoffnungen der Klimagerechtigkeitsbewegung wurden von Problemen, die unmittelbar bedrohlich scheinen, verschluckt. Die Lösung der Klimakrise? Vertagt. Es ist schließlich Krieg. Und verständlich, dass es einen gerade nicht interessiert, ob nächsten Sommer wieder die Wälder brennen, wenn man nicht weiß, wie man im November die Rechnungen bezahlen soll.

Zu »radikaler« Klimaschutz belaste nur weiter die Bevölkerung und sei in Kriegszeiten sowieso unrealistisch, so ungefähr lautet die Argumentationslinie der selbsternannten Realist:innen. Die multiple Krise ermöglicht es Unternehmensvorständen, Regierungen und der politischen Rechten, klimapolitische Forderungen zurückzudrängen. Und leider spielen viele Progressive und vermeintliche Progressive dieses Spiel mit. Von den ex-linken Grünen in der Regierung bis in die Gewerkschaften. Wir würden ja gerne, aber die Ukraine, Sie wissen schon.

Frackingkonzerne wittern ihre Chance

Wer sich heute gegen den Ausbau von »westlicher« Infrastruktur für Gas und Öl stemmt, so wie es das Klimagerechtigkeitsnetzwerk Ende Gelände, das in Deutschland vor einigen Wochen mit Blockaden am Hafen von Hamburg getan hat, läuft Gefahr zum feindlichen Lager gezählt zu werden. Wer unabhängig von russischem Gas werden wolle, der müsse eben in den sauren Apfel beißen und die nötige Infrastruktur schaffen, damit das Gas aus anderen Ländern geliefert werden kann.

Der Krieg um die Ukraine eröffnet für Energiekonzerne die Möglichkeit, sich als Retter des Westens im Kampf gegen den russischen Imperialismus zu inszenieren. Und mit dieser Inszenierung, die von bürgerlichen Medien fleißig reproduziert wird, zeichnet sich ein Rollback in der Klimapolitik ab. Was sich auch daran zeigt, dass für viele Länder in Europa plötzlich wieder denkbar ist, was lange Zeit als Tabu galt: Der Import von US-amerikanischem Fracking-Gas. Beim Fracking (von engl. fracturing, aufbrechen) wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien mit hohem Druck in tiefgelegene Schichten von methanhaltigem Schiefergestein gepresst. Dadurch wird das Gestein aufgebrochen und das Gas entweicht.

Fracking-Gas ist sehr umstritten, diverse Studien aus den USA und Großbritannien kommen zu dem Ergebnis, dass sein Einsatz langfristig mindestens genauso schädlich ist wie andere fossile Energieträger, etwa Braun- oder Steinkohle. Doch mit dem neuen Mantra der Alternativlosigkeit scheint auch das Fracking moralisch geläutert. Auch bei der OMV schielen schon einige auf Profite mit dem Gas, denn auch in Österreich, vor allem in Niederösterreich, gibt es methangashaltiges Schiefergestein und an der Montanuniversität Leoben auch einen Lehrstuhl, der sich damit beschäftigt, wie man es fördern könnte.

Die Förderung von neuer Gas-Infrastruktur ist kein kleineres Übel und keine Brücken-Technologie in ein grüneres Zeitalter, sondern die Fortsetzung einer Energiepolitik, die antisozial ist und die ökologischen Überlebensgrundlagen der Menschheit zerstört. Und nicht zuletzt wird mit jedem Prozent der Energieversorgung, das aus fossilen Energien gewonnen wird, eine Politik fortgesetzt, die die ökonomische Grundlage für weitere Kriege schafft: Öl und Gas sind begrenzte Rohstoffe und allein deshalb schon umkämpft.

Sich gegen den Krieg stellen

Der 1914 ermordete französische Sozialist Jean Jaures, nach dem in Wien-Favoriten ein Gemeindebau benannt ist, rief den Kriegshetzern vor dem ersten Weltkrieg den berühmten Satz »Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen« entgegen. Er hat auch heute noch Recht damit, das zeigt auch der Krieg um die Ukraine, in dem es weder um Entnazifizierung noch um die Verteidigung west licher Werte geht, sondern wie in jedem imperialistischen Krieg um geopolitische Macht und Wirtschaftsinteressen. Der Ukraine-Krieg ist nur ein Vorkrieg für den nächsten großen Konflikt zwischen West und Ost, zwischen der alten Weltmacht in Washington, die um ihre Vorherrschaft ringt, und dem neuen imperialistischen Kontrahenten aus Peking.

Und auch die neuen Kriege werden wieder Gründe liefern, die ökologische Frage hintan zu stellen, sie werden wieder die Reichen reicher und die Armen ärmer machen. Und sie werden wieder zu massiver Naturzerstörung führen und die Treibhausgasemissionen nach oben treiben. Weil das so ist, müssen wir eine konsequente Anti-Kriegs-Position einnehmen, auch wenn das im derzeitigen gesellschaftlichen Klima recht ungemütlich ist. Das gilt auch und gerade für Österreich. Denn Österreich wird in den aktuellen Krisen immer mehr zur Kriegspartei. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn Michael Ludwig nach Ankara fliegt und sich dort mit dem türkischen Regime-Chef Erdogan trifft. Des Friedens in der Ukraine Willen natürlich, und Erdogans Krieg in Kurdistan ignorierend.

Kriege gehören zu den schlimmsten Dingen, die Menschen sich gegenseitig antun. Gleichzeitig waren Kriege aber auch oft von gesellschaftlichen Umbrüchen und revolutionären Momenten geprägt. Die Pariser Kommune war ein Kind des Krieges genau wie die Februar- und Oktoberrevolution in Russland und, um auf jüngere Beispiele zu kommen, die Rojava-Revolution. Jeder Krieg trägt auch die Wut der Massen in sich, die in ihm umkommen oder die verarmen, weil sie die Kosten tragen. Das bedeutet nicht, dass auf den Krieg in der Ukraine und die damit einhergehende Aufrüstung und Verarmung die nächste Revolution folgen muss. Aber es heißt, dass der Krieg Möglichkeiten schafft, dass wir als Linke die gesellschaftliche Unruhe nutzen müssen, um mehr Menschen anzusprechen und gemeinsame Kämpfe zu entwickeln.

Der gemeinsame Gegner

Sowohl bei der Klimakrise als auch im Krieg gibt es Verlierer:innen und Sieger:innen, die sich nicht auf Nationen aufteilen, sondern auf Klassen. Die Profiteur:innen von Krieg und Krise sitzen in den Aufsichtsräten und den Aktiengesellschaften des fossilen Kapitals – in Ost und West. Denn nicht nur die OMV, Frackinggas-Oligarch:innen aus Nordamerika und Millionär:innen am arabischen Golf reiben sich gerade die Hände, sondern auch die Kapitalist:innen beim russischen Energiemonopolisten Gazprom. Sie stehen im Ukraine-Krieg jetzt schon als Sieger:innen fest.

Der Krieg gegen Mensch und Natur ist auch ein Krieg zwischen uns und denen, die von ihm profitieren. Uns das sind alle, die keine Mietshäuser, Raffinerien und Aktien von Waffenkonzernen besitzen. Es gilt einen gemeinsamen Ansatz zu entwickeln, wie wir die Macht der Konzerne brechen, um einem friedlicheren Klima ein Stück näher zu kommen. Und dabei kommen wir an der Eigentumsfrage nicht vorbei. Damit die Energieversorgung künftig dezentraler organisiert ist, auf unseren Bedarf und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, muss sie unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Konkret heißt das: Enteignen. Dass das in den derzeitigen politischen Kräfteverhältnis nicht möglich ist, macht es nicht weniger notwendig dafür zu kämpfen. An dieser Stelle gibt es tatsächlich keine Alternative.

Anselm Schindler ist in der Kurdistan-Solidaritätskampagne Rise Up 4 Rojava und in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv.

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Claudia Krieglsteiner resümiert Erfahrungen und Streitpunkte der österreichischen Friedens- bewegung seit den 1980er Jahren

»Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!« hielt die Generation von Friedensbewegten vor unserer, nun auch schon in die Jahre gekommenen, für die Lehren aus den traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. 1950 wurde mit dem Stockholmer Appell ein Verbot von Atomwaffen gefordert und viele Millionen Unterschriften – in Österreich mehr als 900.000 – gesammelt.

Die »Neue Friedensbewegung« der 1980er Jahre

In den 1960er und 1970er Jahren rief der Vietnamkrieg eine breite Bewegung in den USA und in Europa hervor, die zur Beendigung des »schmutzigen Krieges« und zur Niederlage der USA beigetragen und hunderttausende Jugendliche politisiert hat. Zwischen dem »Why?« des einprägsamen Plakats gegen den Vietnamkrieg, dem »Why not?« der Kriege der 1990er Jahre, bis zum zynischen »So what?« der Kriege in Afrika und Asien und dem aktuell tobenden Krieg der russischen Armee gegen die Ukraine liegen die massenmobilisierenden Höhepunkte der »Neuen Friedensbewegung« in den 1980er Jahren. Sie hat ihr unmittelbares Ziel, die Stationierung neuer NATO-Mittelstreckenraketen in Europa zu verhindern, zunächst verfehlt, aber deutliche Spuren in den Gesellschaften hinterlassen.

Die bis dahin größten Demonstrationen der Nachkriegsgeschichte entzündeten sich – nach vielfältigen kleineren Aktionen – am so genannten NATO-Doppelbeschluss zur Stationierung neuer Atomraketen in Westeuropa. Auch innenpolitische Auseinandersetzungen, wie der Protest gegen Waffengeschäfte mit Chile unter Diktator Pinochet, die erstmalige Anschaffung von Abfangjägern oder die Solidarität mit Wehrdienstverweigerern, prägten das Engagement dieser Bewegung. Ihre Bedeutung dafür, dass sich im ganzen Land Basisstrukturen entwickeln konnten, darf nicht unterschätzt werden.

Die »Neue Friedensbewegung« hat in den Kirchen, den Gewerkschaften, in den Parteien und in den Medien intensive Debatten über Krieg und Frieden, über Zusammenhänge der Weltwirtschaft, soziale und ökologische Widersprüche, Demokratie und Partizipation hervorgerufen. Die Jugendorganisationen der Parteien und der katholischen Kirche hatten in den 1980er Jahren eine andere Bedeutung als heute. Sie hatten Einfluss auf einen bedeutenden Teil der Jugend, waren in der Lage, für große Aktionen zu mobilisieren und führten untereinander – medial wahrgenommen – den Meinungsstreit. Umgekehrt beeinflusste der Diskurs der Friedenbewegungen die Jugendorganisationen.

KPÖ und Friedensbewegung

Streitpunkte in den Friedensbewegungen waren die Einschätzung der Rolle der Warschauer-Vertrags-Staaten, insbesondere der Sowjetunion in der internationalen Politik und innenpolitisch die Beteiligung der Kommunist*innen an den Bewegungen. Positionen zur sowjetischen Beteiligung am Krieg in Afghanistan und zum Kriegsrecht in Polen einerseits und Solidarität und Unterstützung von Befreiungsbewegungen in Lateinamerika und Afrika andererseits, wurden immer wieder in Kompromissformulierungen in »Plattformen« beschlossen, blieben aber umstritten.

Dabei trug die unkritisch loyale Haltung der KPÖ zur sowjetischen Außenpolitik im Kalten Krieg zu Konflikten bei und belastete zeitweise die Zusammenarbeit. Nachhaltiger Konsens der Bewegungen war aber, was Josef Cap (SPÖ) in seiner Rede bei der Großdemonstration am 15. Mai 1982 so formulierte: »Es ist Aufgabe der Friedensbewegung in Ost und West für die Auflösung der NATO und des Warschauer Vertrages einzutreten. Es ist Aufgabe der Friedensbewegung, im Bündnis mit der organisierten Arbeiterbewegung die Scheinlogik der

Arbeitsplatzsicherung durch Rüstungsindustrie zu durchbrechen.« Eine Positionierung, die man sich von Josef Cap in den 1990er Jahre allerdings vergeblich erwartete.

Das ernsthafte Engagement von vielen Kommunist*innen in den Bewegungen trug – trotz der oben genannten problematischen Positionierung – dazu bei, dass die KPÖ ein Stück weit aus der innenpolitischen Isolation trat und führte zur Veränderung des Verhältnisses von Sozialdemokrat*innen und Kommunist*innen, das bis dahin durch die »Eisenstädter Erklärung« der SPÖ tabuisiert war.

»Atomwaffenfrei ins Jahr 2000«

Die westeuropäischen und US-amerikanischen Friedensbewegungen hatten den Höhepunkt ihrer Mobilisierungsfähigkeit bereits überschritten, und die Mittelstreckenraketen zu beiden Seiten der Grenzen des so genannten »eisernen« Vorhangs waren stationiert, als Michael Gorbatschow, der Generalsekretär der KPdSU, in einer Rede am 15. Jänner 1986 den Vorschlag unterbreitete, über einen Stufenplan von Abrüstungsverträgen zwischen USA und Sowjetunion zu einer atomwaffenfreien Welt im Jahr 2000 zu gelangen und das Atom-Test-Moratorium der UdSSR bekräftigte.

Der Versuch aus dem Wettrüsten mit den USA auszusteigen, das neben den gigantischen Profiten für die Rüstungsindustrien auch das ausgewiesene Ziel des ökonomischen Totrüstens der Sowjetunion hatte, gab Friedensbewegten weltweit neue Impulse und Hoffnungen. Seitdem sind viele Jahre vergangen, die Sowjetunion ist an ihren eigenen Problemen und am erzwungenen Wettrüsten gescheitert. Dass die Welt dadurch besser geworden sei, wird heute von immer mehr Menschen bezweifelt.

Seit der Auflösung des Warschauer Vertrags werden die Existenz der NATO und ihre Expansion in den Osten und Südosten Europas mit neuen Bedrohungsbildern gerechtfertigt. Ökologische Probleme, religiöse oder ethnische Widersprüche oder – selektiv wahrgenommene – Menschen- und Frauenrechtsverletzungen werden als Begründung vorgeschoben. Es geht aber nicht nur um ideologische Rechtfertigungen, es wurden und werden auch heiße Kriege geführt, die – je nach innenpolitischer Situation – in den sozialdemokratischen Parteien und bei den Grünen sowohl vorsichtige Bejaher*innen als auch tatkräftige Unterstützer*innen finden. So war es dem österreichischen Grünen Peter Pilz vorbehalten, mit dem »abstrakten Pazifismus aufzuräumen« und 1992 als einer der ersten europäischen Politiker eine Militärintervention gegen Jugoslawien zu fordern, und so letztlich der SPD/ Grünen-Koalition in Deutschland Schützenhilfe für die Bombardierung Belgrads zu leisten.

Die »Anpassung« der Sicherheitspolitik in Österreich

Mit den geopolitischen Veränderungen der 1990er Jahre ist die immerwährende österreichische Neutralität ins Rutschen gekommen, und zu den (ur)alten Gegner*innen kamen neue. Spätestens mit dem Beitritt zur EU haben sich die Voraussetzungen für die Neutralität zweifelsohne geändert. Sie hat aber nicht nur weiterhin ihre wichtige Bedeutung für das staatliche Selbstverständnis Österreichs und seiner Bewohner* innen, sondern birgt auch strategische Möglichkeiten im Kampf gegen die Militarisierung der EU.

Wegen ihrer de facto Aushöhlung durch die Unterschrift von Bundeskanzlern und Außenminister*innen unter Verträge und durch im Parlament beschlossene – der Neutralität widersprechende – Gesetze, dürfen wir den Kampf nicht ein für alle Mal für verloren halten. Solange die EU-Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza, solange die »Petersberger Aufgaben«, der § 23f (das »Kriegsermächtigungsgesetz«), das Militärbefugnis- und Kriegsmaterialiengesetz im klaren Widerspruch zur gültigen Verfassung stehen, vor allem aber, solange die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung meint: »Österreich ist ein neutrales Land – und das ist gut so« können wir an dieser Seite des Widerspruchs anknüpfen und versuchen, die »Verhältnisse zum Tanzen zu bringen«.

Kontinuitäten und Brüche

Schwer vorstellbar sind heute die Rituale der Friedensbewegungen der 1980er Jahre: Plena mit mehreren Hunderten Teilnehmer*innen, die – unter Vertreter*innen der Organisationen abgesprochene – Plattformen in langen Abstimmungen Satz für Satz beschlossen. Exakt ausverhandelte Redner*innenlisten, die medial – von allen Seiten parteipolitisch motiviert – kritisiert oder begrüßt wurden. Womöglich war das alles damals schon nicht in diesem Ausmaß zweckmäßig, zumal oft die Interessen »Unorganisierter« (also nicht einer Partei angehörender Personen) nicht ausreichend zum Tragen kamen. Aber die Stimmung bei den großen Demonstrationen und das Gefühl tatsächlich den allgemeinen Diskurs beeinflusst zu haben, hat alle gemeinsam erfasst und ist heute vielleicht schwer nachvollziehbar.

Manche lose Fäden aus den Erfahrungen und Diskussionen aus den 1980ern werden in den Bewegungen heute aufgegriffen und neu geknüpft. Das Verhältnis zu Parteien und großen gesellschaftlichen Verbänden, die Rolle der Medien, die Frage nach den Grenzen der Reformierbarkeit des kapitalistischen Systems, die Suche nach möglichen und realen Träger*innen für gesellschaftliche Veränderungen u. a. beschäftigten auch die Aktivist*innen damals. Entscheidend dafür, ob Perspektiven für die Friedensbewegungen entwickelt werden können ist, ob die inhaltliche Verknüpfung mit den Anliegen und die Kooperation mit Aktivist*innen der neuen ökologischen Bewegungen und den sozialen Interessen und Anliegen großer Teile der Bevölkerungen gelingt.

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Der Begriff des »Ortstafelsturms« bzw. das damit umschriebene Geschehen im Oktober 1972 ist ein halbes Jahrhundert her. Dennoch wirkt der damalige Auftrieb der Kärntner Post- und Neonazis in Kärnten bis heute nach. Von Mirko Messner

Was im Oktober 1972 geschah, ist schnell erzählt: Auf Beschluss der Regierung Kreisky wurden im September in ausgewählten Südkärntner Ortschaften erste zweisprachige Aufschriften aufgestellt. 205 an der Zahl sollten es werden. Kaum standen die ersten, rollte ein zentral organisierter rechtsextremer Mob in Autokolonnen durchs Land, unter fürsorglicher Begleitung der österreichischen Exekutive, und räumte sie wieder ab. Einige landeten in der Drau, andere wurden als Trophäe privat angeeignet, wieder andere im Landhaushof in Klagenfurt auf einen Haufen geworfen. Unter den Kärntner Slowenen und Sloweninnen, vor allem unter jenen, die den Naziterror selbst erlebt hatten, griff Angst um sich. Widerstand regte sich nicht. Die österreichische Öffentlichkeit rieb sich die Augen, die ausländische Presse auch. Der Kärntner Heimatdienst, die einschlägige Organisation für »Volk-steh-auf-Sturm-brich-los«-Events, hatte damit natürlich überhaupt nichts zu tun, im Gegenteil: Sein Ex-Obmann Feldner leugnet dies bis auf den heutigen Tag; er hätte nämlich in weiser Voraussicht mittels einer Protestkundgebung am 15. Oktober im Landhaushof lediglich den Unmut im »Volk« kanalisiert.

Die Vorgeschichte

Dem Beschluss der Kreisky-Regierung waren zwei turbulente Jahre vorangegangen. Die Kärntner Landesregierung hatte zum 50. Jahrestag des Plebiszits in Kärnten – 1920 stimmte die Mehrheit der Südkärntner Bevölkerung für einen Anschluss des Landesteils an Österreich – den Ex-Nazi Koschier zum Gestalter der Feierlichkeiten ernannt; dieser konzipierte den Festzug wie schon die vergangenen Jahre als Abklatsch der nationalsozialistischen Festkultur bzw. im Sinne der deutschnationalen Volks -gemeinschafts-Tradition. Das animierte die damalige slowenische studentische Generation – ausgehend von der Zeitschrift Kladivo – zu Protesten, die in Aufschriftenaktionen mündeten, d. h.: einsprachige Ortstafeln, die laut Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags von 1955 zwei sprachig sein müssten, es aber nicht waren, wurden in mehreren Anläufen mit den slowenischen Bezeichnungen vervollständigt. Ein Entrüstungssturm in den Kärntner Medien folgte, vor allem auch im damaligen Zentralorgan des Kärntner Deutschnationalismus, in der Kleinen Zeitung; rühmliche Ausnahme in der deutschsprachigen medialen Szene: das KP-Organ Volkswille mit dem Hinweis, dass die um zweisprachige Ortstafeln Bemühten verfassungstreu gehandelt hätten. Polizeiliche Ermittlungen und gerichtliche Verfolgung der slowenischen Aktivistinnen und Aktivisten erregten internationales Aufsehen und Proteste in Slowenien; sie bzw. der damit verbundene Wirbel wurden zur Peinlichkeit für die Kreisky-Regierung – immerhin war diese gerade auch in die Verhandlungsprozesse der KSZE-Schlussakte einbezogen. Die österreichischen Regierungen hatten seit 17 Jahren keinen Finger für die Erfüllung einer völkerrechtlichen Verpflichtung gerührt.

Die Vorgeschichte der Vorgeschichte ist die der kontinuierlichen antislowenischen bzw. antislawischen, rassistisch unterfütterten Landespolitik; die nutzte seit vielen Jahrzehnten alle ihr zur Verfügung stehenden sozialen, ökonomischen, politischen, bildungspolitischen Hebel, um slowenische Bestrebungen nach kultureller Gleichberechtigung niederzuhalten. Diese Politik ging dann geschmeidig in die Nazipolitik über, deportierte tausend slowenische Menschen ins deutsche Reich, auf deutsche Bauernhöfe, zu Sklavenarbeit oder auch in Konzentrationslager, und erntete wider Erwarten kollektiven bewaffneten Widerstand. Diesem war es in erster Linie zu verdanken, dass sich nach dem Krieg die Alliierten im Staatsvertrag mit Österreich auf die Minderheitenschutzbestimmungen des Artikels 7 einigten. Darin wurden in fünf Absätzen die Minderheitenrechte festgeschrieben, darunter auch die topographische Zweisprachigkeit des slowenisch- bzw. zweisprachigen Gebiets. Der Artikel 7 ist – neben den gegen die nationalsozialistische Wiederbetätigung gerichteten Bestimmungen – insofern nichts anderes als ein Kern des antifaschistischen Auftrags des Staatsvertrags. Kaum war die Tinte der Unterzeichner unter dem Staatsvertrag trocken, schossen die bis dahin informellen heimatdienstlichen Spezialorganisationen wieder ans Tageslicht, zerstörten mit ausschlaggebender Hilfe der Landtagsparteien und einer gefügigen, von der SPÖ angeführten Landespolitik das nach 1945 eingerichtete zweisprachige Pflichtschulwesen in Südkärnten; sie überzogen Kärnten mit kontinuierlicher antislowenischer Agitation, als ob in den Jahren davor nichts geschehen wäre, und koppelten diese im Sinne des Kalten Krieges mit antijugoslawischer bzw. antikommunistischer Propaganda. Zweisprachige Ortstafeln waren für diese Klientel unvorstellbar, die organisierte und inszenierte Zerstörung derselben die Konsequenz.

Die Folgen

»Kärnten stand am Rande eines Bürgerkrieges«, meint der Historiker Hellwig Valentin im Rückblick auf 1972. Nicht, dass die dafür erforderliche Gewaltbereitschaft bzw. -tätigkeit gefehlt hätte – was sich gegen Ortstafeln richtete, war bereit, sich auch gegen Menschen zu wenden, und tat es auch fallweise –, beschreibt dies die Realität dennoch in ungenügender Weise. Einen aktiven physischen Widerstand gegen den rechtsextremen Mob gab es nicht. Kärnten stand de facto am Rande eines massiven chauvinistischen Pogroms gegen die slowenische Bevölkerung. Und die SP-dominierte Landespolitik vor einem Scherbenhaufen; der traditionelle sozialdemokratische Deutschnationalismus, der sie in Kärnten 1920 in ein Bündnis mit den diversen bürgerlichen Fraktionen geführt hatte, hatte sie ein- und viele SP-Funktionäre abgeholt. Der damalige St. Kanzianer SP-Bürgermeister Vitus Jesse war einer der bekannteren Fahnenträger der antislowenischen Räumkommandos. Der SPÖ-Landeshauptmann Sima mühte sich ab und argumentierte im Sinne der Staatsräson für den Regierungsbeschluss – vergebens. Als er das in der Bezirkshauptstadt Völkermarkt tat, wurden er und seine Frau Lia beim Verlassen der Versammlung verbal und physisch insultiert – wie auch Kreisky selbst zuvor vor der Klagenfurter Arbeiterkammer. »Am Schluss bestand die Parteiorganisation der SPÖ nur mehr auf dem Papier. Die große Stunde von Leopold Wagner war gekommen«, schreibt der ehemalige Kärntner ÖGB-Funktionär Gerhard Hausenblas in seiner 2000 erschienenen Broschüre »Kärnten / Die nationale Frage«.

Die Kärntner SPÖ rückte nach rechts, der Forderung der Heimatdienstler nach einer Zählung bekennender Slowenischsprechender wurde von der Bundesregierung mit einer »Volkszählung besonderer Art« nachgegeben, ein Dreiparteienkonsens zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ wurde zu deren politischen Plattform für die restriktive Behandlung der Minderheitenrechte (»Volksgruppengesetz«). Die Zahl der zweisprachiger Ortstafeln wurde mit der Festlegung auf 25 Prozent bekennender slowenisch Sprechender (auf Altgemeinde-Ebene) als Voraussetzung dafür festgelegt. Erst die private Initiative des slowenischen Rechtsanwalts Rudi Vouk führte zu einem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs, der diesen Satz auf zehn Prozent gesenkt haben wollte; dass der Artikel 7 keinerlei Prozente für das zweisprachige Gebiet vorsieht, wurde auch in diesem Entscheid nicht berücksichtigt. Die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs unter Zugzwang stehenden BZÖ/FPÖ-Landeshauptmann Dörfler und der SP-Staatssekretär Ostermayer einigten sich schließlich auf 17,5 Prozent. Die slowenischen Vereinsvertreter waren als Adabeis bei diesem Basar zugelassen und durften zustimmend dazu murmeln.

Die tonangebende Erzählung, heute landauf landab medial verbreitet, geht anders: ein leidiger Ortstafelstreit wäre durch die Aussöhnung ehemaliger »Gegner« durch einen »Ortstafelkompromiss« beigelegt worden, und das sei Ausdruck eines neuen Kärnten. Abgesehen von einem offeneren medialen Klima und einem freundlicheren Landeshauptmann ist die Situation in den zweisprachigen Gemeinden substanziell im Wesentlichen unverändert (siehe dazu: http://skup.at/ memorandum-de). Die Bestimmungen des Artikels 7 sind nach wie vor nur teilweise erfüllt, dem Naziterroristen Steinacher wird vom Heimatdienst ungehindert eine Gedenktafel errichtet, wichtige Errungenschaften wie z. B. die öffentliche zwei sprachige Volksschule in Klagenfurt wurden nur durch jahrelange kräftezehrende zivilgesellschaftliche Anstrengungen durchgesetzt, was auch für die Ortstafeln gilt: ohne die Aufschriftenaktionen der Jugend- und die breite österreichweite Solidaritätsbewegung gäbe es heute keine einzige zweisprachige.

Die slowenischen Vertretungsvereine haben mit und nach der von den Kärntner Medien liebevoll »Ortstafelkompromiss« genannten Einigung von Bund und Land politisch abgedankt. Dass ausgerechnet führende Personen der seinerzeit sich in der Nachfolge des antinazistischen Widerstands begreifenden Organisation (Zveza sloven skih organizacij, Zentralverband slowenischer Organisationen) heute mit Heimatdienst, Feldner und neuerdings mit Mölzer Verbrüderung zelebrieren und diesen ermöglichen sich à la Meloni mehr schlecht als recht neu zu kostümieren, ist keine andere Geschichte. Es ist die Fortsetzung einer ganz alten Politik, die den Deutschnationalen unter neuen Umständen die alte Kompetenz zuschreibt, im Namen »der Kärntner« zu definieren, was »den Kärntnern« gut tut. Auch wenn das ganze Konsens-Getue mit dem Heimatdienst so attraktiv ist wie ein Kropf, so passt dieser den-noch hervorragend zu den frischen Exponentinnen des europäischen Rechtsextremismus und der von ihm betriebenen Ethnisierung der Politik. Mölzer kann das. Haider hat sich seinerzeit des antislowenischen Ressentiments bedient und daraus sein Sprungbrett in die österreichische Politik gebastelt. Mölzer nutzt nun die darniederliegende slowenische politische Szene und bedient sich einiger politisch domestizierter slowenischer Exponenten – wohl zum selben Zweck.

Ob die – auch durch die Konsenserei mit den Rechtsextremen vielfach demoralisierte – slowenische Gemeinde die Kraft aufbringt, Widerstand dagegen zu leisten, ist fraglich. Obwohl, Ansätze dazu gibt es. Das darzustellen, wäre aber tatsächlich eine weitere Geschichte.

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Am 25. September wählten die Italiener*innen ein neues Parlament. Die nächste Regierung wird voraussichtlich von einem extrem rechten Block um die postfaschistische Giorgia Meloni gebildet werden. Eine Analyse von Julian Rossmann

Montag Morgen: Im Sitz der Grünen Partei in Bozen treffen allmählich die Kandidat*innen und Wahlkämpfer*innen ein. In der Regel wird die Auszählung bis spät abends live im Büro verfolgt, doch bei der Wahl zum italienischen Parlament ist alles ein wenig anders: Da die Wahllokale lang offen sind und die Auszählung kompli­zierter als normal ist, trudeln die ersten Ergebnisse meist erst am folgenden Morgen ein. Die Stimmung ist gemischt: Zum einen herrscht über das gute Abschneiden in der eigenen Region mit dem neuen Bündnis zwischen Grünen und Linken Freude (um die 8 % in Südtirol, landesweit 3,6 %), zum anderen macht sich Trübsal breit über die kommende Mitte-Rechts-Regierung, die deutlich mehr rechts als in der Mitte ange­siedelt sein wird. Die Wahl von Abgeordne­tenkammer und Senat bescherte der rechten Koalition aus Fratelli d’Italia, Forza Italia und Lega eine solide Mehrheit. Die drei Parteien werden wohl eine Regierung unter Führung der postfaschistischen Fratelli mit Giorgia Meloni an der Spitze eingehen. Doch wie kam es soweit?

Die politische Ausgangslage

Nach der Parlamentswahl im Jahr 2018 wurden die Karten neu gemischt: Der neue Player im politischen Feld, die Movimento 5 Stelle (M5S), war gekommen, um zu blei­ben; so schien es jedenfalls. Die M5S, eine Bewegung um den Komiker Beppe Grillo, wurde 2013 in ihrer ersten Wahl mit über 25 Prozent knapp zur stärksten Kraft im Parlament. 2018 konnte die Bewegung ihren Vorsprung auf über 32 Prozent aus­bauen, die Mitte-Links-Koalition um den Partito Democratico (PD) wurde nach über sechs Jahren an der Regierung auf die Oppositionsbank verdrängt. Für die junge Bewegung, die sich nur ungern Partei nennt, war es nun an der Zeit sich zu beweisen. In zwei verschiedenen Regie­rungskoalitionen versuchte die M5S das politische Schiff zu manövrieren. Auf kurze Koalitionsverhandlungen mit dem Erzfeind PD folgte eine Regierung mit der rechts ­populistischen Lega von Salvini unter Regierungspräsident Giuseppe Conte.

Die größten Würfe der Regierung aus Links- und Rechtspopulist*innen war die Einführung eines Bürger*innengelds (reddito di cittadinanza), das vor allem Menschen im Süden unterstützen sollte. Im Gegenzug dafür durfte Matteo Salvini, Chef der Lega, als Innenminister sogenannte Sicherheitsdekrete erlassen, die zivile Seenotrettung unter absurd hohe Strafen stellte. Als Salvini aufgrund guter Umfra­gewerte die Zusammenarbeit auflöste, raufte sich die M5S mit dem PD zusammen, um Neuwahlen zu verhindern. Im Laufe der Regierung kam es innerhalb des PD’s zu einer Abspaltung von Matteo Renzi und seinen Gefolgsleuten, was wenig später zum Scheitern einer Regierungszusam­menarbeit führte.

Nachdem zwei Regierungen innerhalb dreier Jahre scheiterten, wurde der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi vom Staatspräsidenten beauftragt, eine »Regierung der nationalen Einheit« zu schaffen und das Schiff in ruhiges Gewässer zu lenken. Draghis Job bestand dabei vor allem darin, die Gelder der europäischen »Aufbau- und Resilienz­fazilität« (ARF) zu managen und zu vertei­len. Die Einheitsregierung Draghis umfasste eine Beteiligung aller großen Parteien von links bis rechts, einzige Oppo­sitionspartei bildete nun Fratelli d’Italia. Dadurch, dass die postfaschistische Partei als einzige nicht in der Regierung vertre­ten war, konnte sie sich als Anti-Establish­ment profilieren und enttäuschte Wähler*innen auffangen.

Wahlsystem und Wahlergebnis

Nach 1945 überstand nur eine Regierung die volle Legislaturperiode. Das Land war geprägt von instabilen politischen Verhält­nissen und wechselnden Mehrheiten. Um diese Instabilität zu überwinden, wurde 2017 unter Führung des PD ein neues Wahlgesetz verabschiedet, welches klarere Verhältnisse im Parlament schaffen sollte: Das neue Wahlrecht, das so genannte Rosatellum bis, umfasst dabei eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheits­wahlrecht. Zwei Drittel der Sitze werden im Verhältniswahlrecht verteilt, während ein Drittel der Sitze über Mehrheitswahl­kreise zu gewinnen sind. Die Mehrheitswahlkreise bringen die Parteien dazu, sich vor der Wahl zu Koalitionen zusammen ­zuschließen.

Vor der Wahl im September schlossen sich die Parteien zu Bündnissen zusammen, vor allem, um die Mehrheitswahlkreise zu gewinnen. Während sich die Parteien der Mitte-Rechts-Koalition mit Lega, Forza Italia und Fratelli d’Italia relativ schnell einigen konnten, war die Bildung einer Mitte-Links-Koalition durchaus komplizier­ter. Angeführt vom PD versuchte man eine möglichst breite Koalition aufzustellen, mit dem Ziel, einen Sieg der Rechten zu verhin­dern. Der Versuch der Bildung einer brei­ten Front scheiterte eindrucksvoll auf­grund von Partikularinteressen. Zurück blieb ein geschwächter PD in einer Koali­tion mit der liberalen Partei +Europa und der neuen Allianz von Grünen und Linken (AVS). Daneben formierte sich der »dritte Pol«, ein liberales Bündnis von Carlo Calenda und Matteo Renzi, welches sich in der Mitte verortete und versuchte, sowohl der Linken als auch der Rechten Stimmen abzuknöpfen.

Die Wahl vom 25. September zeichnete sich durch eine große Leere aus: Die Wahl­beteiligung sank auf das niedrigste Niveau seit der Gründung der Republik. Während 2018 27 Prozent der Wähler*innen zu Hause blieben, enthielten sich dieses Mal über 16 Millionen Italiener*innen (36 %) der Stimme. Klare Wahlsiegerin wurde Giorgia Meloni, die mit ihrer Partei Fratelli d’Italia über 26 Prozent auf sich vereinen konnte. Ihre Partner Salvini und Berlusconi erreichten acht bzw. neun Prozent. Damit konnte das Rechtsbündnis 44 Prozent der Stimmen gewinnen und 80 Prozent der Mehrheitswahlkreise. In Kammer und Senat kommt es auf über 50 Prozent der Sitze. Besonders feiern kann dabei Meloni, die es schaffte, ihre Stimmen von 2018 um 400 Prozentpunkte zu steigern und knapp 7,3 Millionen Wähler*innen hinter sich zu vereinen.

Auch wenn die Hoffnung, die Wahl links der Mitte zu gewinnen, von Beginn an gering war, liegt die Linke nun am Boden. Der PD hat mit 18 Prozent eines seiner schlechtesten Ergebnisse eingefahren, zusammen kam die Mitte-Links-Koalition auf knapp 26 Prozent der Stimmen. Die Allianz von Grünen und Linken erreichte rund 3,6 Prozent. Die M5S kam auf gut 15 Prozent und Calenda und Renzi mit

Azione/Italia Viva auf 7,7 Prozent. Ganz links positionierte sich das Bündnis Unione Populare (Volksunion) mit dem Ex-Bürger­meister von Napoli, Luigi de Magistris, welches mit 1,5 Prozent klar den Einzug ins Parlament verfehlte. Das Vorbild dieses Bündnisses, das sich aus Rifondazione Comunista, Potere al Popolo und der Gruppe ManifestA sowie ehemaligen Parla­mentarier*innen der 5-Sterne Bewegung bildete, war Jean-Luc Mèlenchons Neue ökologische und soziale Volksunion (NUPES), die die nun stärkste Oppositions­kraft im französischen Parlament ist. Leider konnte Unione Populare nicht an den Erfolg von NUPES anknüpfen, vielleicht wegen der deutlich schmäleren Aufstel­lung, vielleicht weil das Bündnis Alleanza Verdi e Sinistra Ähnliches versuchte. Das neue Wahlrecht straft konkurrierende Allianzen des gleichen Lagers ab.

Was folgt nun?

Wer arm ist, wird mit großer Wahrschein­lichkeit noch ärmer werden. Die Reichen werden mit großer Wahrscheinlichkeit noch reicher. Das Wahlprogramm wartet sowohl mit liberalen als auch staatswirt­schaftlichen Positionen auf; eine Kombina­tion, die geeignet scheint, Korruptions­indizes nach oben zu treiben.

Italien ist die zweitgrößte Industrie ­nation der EU, lieferte in den letzten Jahren beständig Haushaltsüberschüsse und betrieb mehr Haushaltskonsolidierung als Deutschland. Seit 2012 wurden ständig mehr Güter exportiert als importiert: Italiener*innen konsumieren weniger als sie produzieren. Trotz positiver Wirt­schaftskennzahlen profitierte die italieni­sche Bevölkerung nicht davon: Italien ist das einzige Land der EU, in dem die Median-Reallöhne in den letzten 20 Jahren gesunken sind. Die staatlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Sozialschutz und Gesundheit sind deutlich unter dem Niveau von Deutschland und Frankreich, und Italien ist eines der Länder, welche am wenigsten für Bildung ausgeben. Die Haushaltskonsoli­dierung ging mehrheitlich zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung. Die neue Regie­rung wird aller Voraussicht nach von Gior­gia Meloni und ihren Fratelli d’Italia geführt. Das Symbol ihrer Partei ist eine brennende Flamme in den Farben der italienischen Flagge, das Bezüge zum faschis­tischen Movimento Sociale Italiano und der Fiamma di Salò aufzeigt. Ihr Slogan ist eine Parole vieler Reaktionäre und Mussolinis: dio, patria e famiglia (Gott, Familie, Vater­land). Das werden wohl auch die Eckpfeiler der zukünftigen italienischen Gesellschafts­politik sein.

Und was macht die Linke?

Diejenigen, die das Trümmerfeld im linken Lager wieder aufbauen wollen, sollten sich die Klassenzusammensetzung der Wähler* innen und der 16 Millionen Menschen, die nicht zur Wahl gegangen sind, vor Augen halten: Besonders bei Gering-und Normal­verdiener*innen wird nur noch wenig links gewählt, wenn überhaupt gewählt wird. Die erste schwierige, aber dringliche Aufgabe besteht darin, eine mit den sozialen Bewe­gungen und Klasseninteressen verbundene Linke aufzubauen, die die pluralistische und vielgestaltige Arbeiter*innenklasse einfängt und ein glaubwürdiges, politisches Bild einer radikalen Transformation schafft.

Die schwierigste Herausforderung aber besteht, insbesondere angesichts einer Regierung, die von einer Postfaschistin angeführt wird, darin, den unterschiedli­chen Formen von Hierarchisierung, Ent­fremdung und Spaltung entgegenzuwirken. Erreicht werden könnte das durch ein soziales Bündnis zwischen den Ausgebeute­ten, zwischen den working poor, aber auch den vermeintlich Bessergestellten, das der diversifizierten Arbeiter*innenklasse Rech­nung trägt. Jeder Tag einer rechten Regie­rung vertieft die Gräben innerhalb der Gesellschaft und verunmöglicht es, eine handlungsfähige Arbeiter*innenschaft herauszubilden, die gemeinsam für ein gutes Leben für alle* kämpft anstatt gegen sich selbst.

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Der Kremser Gemeinderat wurde neu gewählt. Die Kremser Linke Stadtbewegung konnte ihr Wahlergebnis verbessern und stellt nun drei Gemeinderäte. Eine Reportage von Tobias Schweiger

Wahlsonntag in Krems: Viele haben sich am Abend im Lokal der KPÖ-Bezirksleitung versammelt und warten gespannt auf die ersten Auszählungsergebnisse aus dem Rathaus. Erste Meldungen sind vielversprechend und nach ein paar Stunden ist klar: Die Kremser Linke Stadtbewegung (KLS) gewinnt fast zwei Prozent dazu und erzielt damit das beste Ergebnis seit 1962. Die Freude ist riesig. Alle sind sichtlich gerührt. Eine dritte rote Fahne wird aus dem Fenster gehisst. Für jedes Mandat eine. In der Fußgängerzone von Krems wehen sie im Abendlicht.

Wer mit offenen Ohren durch die Stadt geht, hört viel von den Mandataren der KLS. Ein paar junge Menschen gehen am Wahlkampfstand vorbei. Einer nimmt sich im Vorbeigehen ein Feuerzeug mit. Seinen Freund:innen erklärt er: »Das sind die Einzigen, die es wirklich interessiert.« Auch in den Cafés rundherum ist die Kremser Linke Stadtbewegung Gesprächsthema. Viele steuern direkt den Stand an. Nikolaus »Niki« Lackner, Gemeinderat und Koch in einem Restaurant, lädt sie von weitem ein: »Servus! Komm, setz dich kurz her. Heute gibts Käferbohnengulasch. Es ist vegan, nur der Liebstöcklrahm nicht.« Viele herzliche Umarmungen später wird er sagen, dass es sehr schön ist, Politik und Küche zu verbinden. »Weißt du, wenn du jemandem etwas Gutes zu Essen machst, dann gehen auch die Ohren auf. Man schmeckt, dass mir das wichtig ist, und dabei reden wir.« Sein Erkennungsmerkmal: Eine dunkelrote Küchenuniform und eine Kappe. Am Stand treffen sich langjährige Freund:innen, politische Mitbewerber:innen, Tourist:innen, Passant:innen und Einwohner:innen von Krems über alle Klassengrenzen hinweg. Obdachlose und Geflüchtete finden ebenso wie die Mitarbeiter:innen der Stadtverwaltung ihren Weg zum Stand und werden herzlich begrüßt und bewirtet.

Erfolg durch Vertrauen

Das durch die politische Arbeit der letzten Jahre geschaffene Vertrauen ist am Stand erlebbar. Die KLS (damals »Kommunisten und Linkssozialisten«) ist seit 1945 im Kremser Gemeinderat vertreten. Insgesamt 32 Jahre war Franz Kral – lange Zeit als Einzelkämpfer – Gemeinderat. Auf ihn kommt auch immer noch das Gespräch auf der Straße. Dabei ist er seit 2016 nicht mehr im Gemeinderat aktiv. Zwischen 1997 und 2002 war die KLS nicht im Stadtparlament vertreten, doch sie kehrte zurück. Das kurzzeitige Herausfallen war der Startpunkt für Wolfgang Mahrer, den bekannten Gemeinderat und Vorsitzenden des Kontrollausschusses der Stadt. Er war früher Geschäftsführer von Kraus & Co, einer Firma, die auf den Handel mit den sozialistischen Ländern spezialisiert war. Heute lebt er für die Kremser Politik und Kultur und ist ein wichtiger Grund für das stetige Wachstum der KLS in den letzten Perioden.

Zum ersten Mal treffe ich ihn in seinem Heimatbezirk Egelsee. Dieser Teil von Krems liegt schon auf dem Hochplateau über der Donau, Heurige prägen den heimeligen Ort. Dort finden wir einen Tisch, die Wirtin führt unsere Gruppe dorthin. Sie stützt sich auf den Tisch, beugt sich vor und mustert jeden von uns. »Wisst ihr, der Wolfgang, der ist ein Freund. Ich hab wie eine Löwin für meine Tochter gekämpft. So bin ich. Der Wolfgang hat geholfen, dass ich mein Recht auf Unterstützung bekomme. Sonst wäre das nicht gegangen.« Er lächelt und ergänzt knapp: »Das haben wir geschafft.« Die Begrüßung geht ins Bestellen über. Später erzählt er uns von seiner Mutter, die als Kulturstadträtin die ersten Schulen in Krems nach dem Krieg gegründet hat. Dafür hat sie sich eine Kaserne von der Roten Armee organisiert. Zum Kommandeur soll sie gesagt haben: »Wenn ihr Krieg wollt, braucht ihr Kasernen. Wenn ihr Frieden wollt, dann braucht ihr Schulen.« Sein Vater war im Widerstand in der Wehrmacht aktiv. Die Erinnerung an seine Eltern hält Wolfgang Mahrer hoch. Die Geschichte seines Vaters lässt sich in der Erzählung Die Bora nachlesen.

Erfolg durch beharrliche Arbeit

In den letzten Jahren ist der KLS in Krems einiges gelungen. Ein erfolgreicher Antrag zur Verhinderung von Mietenteuerung, zwei Bankomaten in Stein, Gebührenbremse oder der Erhalt von Mieterschutz-wohnungen, die einem Hotel zum Opfer fallen sollten. Dazu gehört auch seit Jahrzehnten die Unterstützung der Kultur Mitte, einem überparteilichen Kulturverein, der in den Räumen der KPÖ-Bezirksleitung regelmäßig Ausstellungen und Veranstaltungen organisiert. Und mit den »Kremser Nachrichten« erhalten alle Kremser Haushalte auch abseits der Wahl Informationen aus dem Gemeinderat. Die KLS hat ihre eigenen Medien, und die werden auch gelesen. »Ist der Wolfgang da? Ich wollt mit ihm über seinen Artikel zur Sache GEDESAG reden. Das war sehr gut.« Die GEDESAG – Gemeinnützige Donau-Ennstaler Siedlungs- Aktiengesellschaft – hält viele Wohnungen in Krems. Die ÖVP hatte sich für ihr Parteilokal dort Sonderrechte herausgeholt, während andere Mieter:innen höhere Kosten als notwendig zu tragen hatten. Das brachte Wolfgang Mahrer ans Licht.

Aber trotz dieser festen Verankerung in der Stadt war unklar, wie die Wahl ausgehen wird. Denn es hat sich viel verändert in den letzten Jahren. 4.000 Wahlberechtigte – das sind 17 Prozent – weniger als 2017 aufgrund einer Wahlrechtsreform, die Zweitwohnsitzbesitzer:innen nicht mehr als Wahlberechtigte führt. Die Wahlbeteiligung sank zusätzlich von 65 Prozent auf 57 Prozent ab. Und die absolute Stimmenverteilung hat es in sich: Die SPÖ verlor in absoluten Stimmen über 35 Prozent ihrer Wäh-ler:innen, die ÖVP sogar 36 Prozent, die FPÖ etwa 30 Prozent und die Grünen jede vierte Wählerin. Die KLS dagegen erhielt fast genauso viele Stimmen wie bei der letzten Wahl. Damit ist sie die einzige bisher im Gemeinderat vertretene Partei, die ihre Wählerbasis halten und erneuern konnte. Im Bezirk Lerchenfeld mit dem stärksten Rückgang der Wahlbeteiligung konnte die KLS ihre Stimmenzahl mehr als verdoppeln. Im traditionellen Kremser Arbeiter:innenbezirk ist das ein großer Erfolg.

Ich war in diesem Wahlkampf oft in Krems. Jedes Gespräch mit Leuten zeigt, dass es der langjährigen Arbeit zu verdanken ist, wieviel Vertrauen der KLS entgegenkommt. Aber hinter einem erfolgreichen Wahlkampf stehen viel mehr Menschen. Ohne die vielen Stunden der KPÖ-Landessprecherin Christiane Maringer wäre vieles nicht so rund gelaufen. Tagelang saß sie über den Artikeln der Kremser Nachrichten, dem Wahlkampfmaterial, den Bestellungen. Und auch viele Aktive der KLS haben neue Ideen eingebracht, neue Orte erschlossen und so erzählen können, auf welcher Arbeit die zukünftigen Ziele der KLS aufbauen. Um die 30 Menschen aus verschiedenen Bundesländern waren zusätzlich da, um mitzuhelfen, diese Geschichte weiterzutragen.

Und während bei jedem Stand Aktive in der Stadt und in Parkgaragen Material verteilen oder Flyer in Postkästen werfen, hören die beiden zu oder erzählen, was in der Stadtpolitik passiert. »In Egelsee haben wir mehr Stimmen als die FPÖ«, erklärt uns Wolfgang Mahrer sichtlich stolz. Egelsee ist sehr ländlich geprägt, obwohl es zu Krems gehört. Eine Passantin grüßt freundlich zum Stand rüber. Ein paar Minuten später kehrt sie zurück. In der Hand ein Sackerl mit Schokoladenherzen. »Für einen Politiker mit Herz«, sagt sie.

Wahlerfolg

Später am Wahlabend tritt der Bürgermeister im Rathaus vor die wartende Menge. Er verkündet das vorläufige Endergebnis. Nach der Mandatsverteilung gefragt, liest er auch diese vorläufig vor: »KLS: drei bis vier!« Nachrichten werden auf die Wahlfeier geschickt. Niemand kann es richtig fassen. Alle liegen sich in den Armen. Die Freudenrede von Nikolaus Lackner wird von zahlreichen Gratulationsnachrichten unterbrochen. Am Ende sind es drei Mandate geworden. Ein großartiges Ergebnis.

Das dritte Mandat wird an Ronny Weßling gehen, der seit vier Jahren in Krems lebt. Beruflich ist er in der 3D-Branche selbstständig tätig. In seiner Vorstellung nennt er viele Themen, die ihm wichtig sind: soziale Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit, Feminismus und Klima. So kam der parteiunabhängige Aktivist zur KLS. Deren Einsatz für die Kremser:innen hat ihn beeindruckt. Er begann, sich zu engagieren und half mit anderen gemeinsam, den Wahlkampf zu organisieren. Auch dieser neue Schwung hat zum Erfolg beigetragen.

Der Erfolg in Krems zeigt: Langjähriges und ehrliches Engagement trägt Früchte. Verankerung, wo man wohnt, ist ein wichtiger Baustein. Zugänglichkeit und Herzlichkeit können auch antikommunistische Vorurteile überwinden. Der Erfolg der KLS beruht auf dem genauen Zuhören und dem Einsatz gegen individuelle und kollektive Probleme. Die Probleme werden nicht nur benannt, sondern so lange begleitet, bis sich etwas verbessert hat. Der Erfolg beruht aber auch auf der Fähigkeit, mit Menschen zusammenzuarbeiten, wo es geteilte Interessen gibt. Sei es mit der Kultur Mitte, sei es mit Bewegungen wie Fridays for Future in Krems. Die KLS lebt eine Kultur des Miteinanders. Nicht von oben herab, sondern sie macht die Probleme der anderen zu eigenen oder zu gemeinsamen.

Tobias Schweiger ist Bundessprecher der KPÖ.

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Das Institut für Slawistik an der Klagenfurter Universität hat mit 11. Juli 2022 sein Master ­studium Slawistik eingebüßt, bekommt dafür aber im Herbst ein neues Masterstudium Cross-Border Studies. Warum das nicht nur mit dem Uni-Betrieb zu tun hat und warum das traditionelle Studium bleiben soll, obwohl das innovative kommt, wird in Form von fiktiven FAQs dargestellt – von Michaela Gindl

Seit wann gibt es das Institut für Slawistik?

Im Jahr 1973 nimmt die Hochschule der Bildungswissenschaften in Klagenfurt/ Celovec ihren regulären Unterrichtsbetrieb auf, zwei Jahre später wird sie zur Univer sität für Bildungswissenschaften, im Jahr 1993 zur Universität Klagenfurt. Auch die Slawistik gibt es seit 1975, sie ist somit eine Studienrichtung der ersten Stunde.

Wie zeigt die Universität ihren Bezug zur Region?

Den Zusatz Alpen-Adria erhält die Universität laut Zeitleiste ihrer Homepage im Jahr 2004. Allerdings ist es auch notwendig, die auf der Homepage unsichtbare Abkehr vom Alpen-Adria-Geist sichtbar zu machen, die sich etwa durch die Tilgung des Kognomens »Alpen-Adria« aus der Corporate Identity oder die Abschaffung des Lehrstuhls für Mehrsprachigkeit nur drei Jahre nach seiner Einführung ausdrückt. Auch spannend wäre die Antwort auf die Frage, warum die (Alpen-Adria-)Universität zwar Klagenfurt, aber nicht Celovec im Namen trägt. Spannend insofern, als es im Profil unter anderem heißt: »Gelebte Vielfalt und Offenheit machen die Universität Klagenfurt zum kulturellen Mittelpunkt der Region.« Unabhängig davon, wie Region definiert wird, sollte sie Mittelpunkt von Kärnten und Koroška sein.

Was kann man am Institut für Slawistik studieren?

Das Institut für Slawistik bietet unterschiedliche Studienmöglichkeiten in den Fremdsprachenphilologien für Bosnisch/Kroatisch/Montenegrinisch/Serbisch (BKMS), Slowenisch und Russisch. So kann man Bachelor und Masterstudium im Lehramt für Slowenisch studieren, im Süd-Ost-Verbund (gemeinsam mit der Universität Graz) auch für BKMS und Russisch. Dann gibt es das klassische Bachelorstudium Slawistik (mit einer der drei Philologien im Fokus), oder, ganz neu ab Herbst 2022, das Masterstudium Cross-Border Studies. In diesem einzigartigen Studium liegt der Fokus auf Slawistik, im Rahmen von Gebundenen Wahlfächern können aber Schwerpunkte aus anderen Disziplinen gewählt und das Studium somit interdisziplinär und individuell gestaltet werden. Ein Auslandssemester ist ausdrücklich erwünscht, ein – im besten Fall interdisziplinäres – Praktikum ist Pflicht. Was in der Aufzählung allerdings fehlt, ist das klassische Masterstudium Slawistik. Dieses wurde am 11.7.2022 zu Grabe getragen.

Wie kam das Masterstudium Slawistik abhanden?

Am 29. Juni 2022 informierte das Rektorat über die Auflassung des Masterstudiums Slawistik, am 11. Juli, knapp zwei Wochen später, wurde sie vollzogen. Damit setzte sich das Rektorat über die Entscheidung des demokratisch gewählten Senats hinweg, der sich gegen die Abschaffung aussprach. Wie der Rektor betonte, kam das Ende des Masterstudiums nicht über Nacht, es drohte seit Jahren und war sogar Teil der Leistungsvereinbarung zwischen Bundesministerium und Universität. Vielleicht war es blauäugig zu hoffen, dass das kurz zuvor stattgefundene Sondierungstreffen zwischen Delegierten der Universitäten Klagenfurt und Ljubljana einen Aufschub erwirken könnte, wurde bei dem Treffen doch über ein mögliches gemeinsames Masterstudium Slowenistik verhandelt. Doch der Würfel war gefallen, die Entscheidung getroffen, die Leistungsvereinbarung musste halten.

Warum reicht es nicht, ein Masterstudium Cross-Border Studies zu haben?

Geht man von der vorherrschenden neoliberalen Logik aus, ist die Auflassung des Masterstudiums Slawistik durchaus verständlich. Die Universitäten stehen durch die Leistungsvereinbarungen und die Berechnung ihres Wertes nach prüfungsaktiven Studierenden unter enormem Druck. Um attraktiver zu werden, versucht auch die Universität Klagenfurt die wichtigsten Rankings zu erklimmen, mehr Studierende anzulocken. Kleine Studien mit wenigen Studierenden, womöglich auch noch mit unklarem Berufsbild, wie die klassische Slawistik, müssen um ihre Existenz fürchten. Fakt ist: Das Masterstudium Slawistik war ein kleines, die Zahlen an neuzugelassenen Studierenden war in den letzten Jahren rückläufig, wie bei ein paar anderen Studien auch. Dass es gerade dieses Studium getroffen hat, war zu einem großen Teil Mathematik und zu einem kleinen Pech. Oder?

Was hat die slowenischsprachige Volksgruppe damit zu tun?

Abgesehen von den Einzelschicksalen der Studierenden, die dieses Studium nicht mehr inskribieren können, gibt es dabei allerdings einen wichtigen Punkt zu beachten: Die (Alpen-Adria-)Universität Klagenfurt(/Celovec) ist »die größte akademische Bildungsinstitution in Kärnten« – und damit auch in Koroška. Denn die Universität ist auch die größte akademische Bildungsinstitution im zweisprachigen Gebiet. Und hier beginnt es problematisch zu werden. Denn es wurde nicht ein x-beliebiges Studium in einer x-beliebigen Universität aufgelassen, sondern das Masterstudium Slawistik (inklusive Slowenistik) im zweisprachigen Kärnten/Koroška. In dem zweisprachigen Kärnten/Koroška, in dem die slowenische Sprache vor hundert Jahren noch allgegenwärtig war und heute fast auf eine Randerscheinung reduziert wurde, das einen langen Kampf um die Anerkennung der Sprache und der Volksgruppe führte und noch führt, in dem zweisprachige Ortstafeln vom Mob abgerissen und einsprachige von Lokalpolitikern verrückt wurden, um sie nicht zweisprachig machen zu müssen. Das Koroška, in dem in den 90er Jahren Menschen in den Hungerstreik traten, um eine öffentliche zweisprachige Volksschule zuerkannt zu bekommen, in dem es endlich möglich war, Slowenisch vom Kindergarten bis zum Doktoratsstudium zu lernen und zu nutzen (und das trotz der Widrigkeiten der Schulschließungen im ländlichen Gebiet, die einmal mehr zu Ungunsten der slowenischsprachigen Minderheit ausfielen). In diesem Kärnten/Koroška wurde nun das Masterstudium Slawistik und damit auch das Masterstudium Slowenistik abgeschafft, aufgrund von Unrentabilität. An der Universität, die Folgendes auf ihrer Homepage veröffentlicht: »Über ihre Kernaufgaben hinaus ist sie gesellschaftlich offene Dialogplattform, Ort der Begegnung und think tank und ist sich ihrer besonderen Rolle als partizipativer Wissens- und Kulturträger vollauf bewusst.« Bleibt zu hoffen, dass dieses Paradoxon den Zuständigen früher oder später ins Auge springt.

Wie könnte ein alternativer Lösungsansatz aussehen?

Dafür müssten zumindest folgende Punkte umgesetzt werden:

> Das Masterstudium der Slawistik ist aufgrund seiner speziellen Bedeutung für die slowenische Volksgruppe unantastbar, abgekoppelt von der einengenden und unfairen Studienplatzfinanzierung.

> Eine durchgängige zweisprachige Ausbildung vom Kindergarten bis zum Doktoratsstudium ist selbstverständlich.

> Slowenisch verpflichtend als zweite Amtssprache ist flächendeckend im öffentlichen Dienst (mindestens auf dem Niveau A2 nach GERS).

> Slowenisch ist an allen öffentlichen Schulen im Geltungsbereich des zweisprachigen Schulwesens Pflichtfach, außerhalb des Geltungsbereichs Wahlfach.

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Quelle der Zitate: www.aau.at

Michaela Gindl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Slawistik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Celovec. In ihrem Dissertationsprojekt befasst sie sich mit muttersprachlichem Unterricht in Österreich, Mehrsprachigkeit und Kommodifizierung von Sprache.

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