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Versöhnung im Krieg

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Um ein Zusammenleben trotz Trauer und tiefgehender Spaltungen zu ermöglichen, bedarf es konkreter Versöhnung und materieller Hilfe. Thomas Schmidinger über das Projekt HIRO in Nord- und Ostsyrien

Nach über elf Jahren Krieg ist in Syrien nicht nur die Wirtschaft und Infra-struktur in vielen Teilen des Landes verwüstet. Nicht nur rund sieben Millionen SyrerInnen sind im Exil und noch einmal so viele als intern Vertriebene von einem Eck des Landes in ein anderes geflohen. Eines der größten Probleme Syriens ist, dass mit dem fortdauernden Krieg eine zunehmende Konfessionalisierung der Konflikte begonnen hat – teils als Folge des von einer religiösen Minderheit getragenen Regimes, das bewusst mit den Ängsten der religiösen Minderheiten zwecks Machterhalt spielt, teils als Folge der Ideologisierung und Verhärtung verschiedener sunnitisch-islamistischer Gruppierungen innerhalb der Opposition. Und dabei geht es nicht einmal primär oder gar allein um die offen jihadistischen Gruppen, wie den »Islamischen Staat« oder die Hayat Tahrir ash-Sham in Idlib, sondern auch um viele Teile der ehemaligen Freien Syrischen Armee, die nun zu Milizen in türkischem Sold geworden sind. Zu viele der Hegemonialmächte in der Region, die in Syrien eine der Seiten unterstützen, arbeiten eben auch mit konfessioneller Regionalpolitik, verwenden also Religion für imperialistische Machtpolitik, sei es der schiitische Iran oder die sunnitische Türkei.

Auch in den Gebieten der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens, die von den Syrischen Demokratischen Kräften kontrolliert werden, gibt es das Problem zunehmender ethno-konfessioneller Konflikte, die zwar von der inklusiven Selbstverwaltung abgeschwächt werden, die aber auch hier die Gesellschaft vergiften.

Hier versucht nun eine bemerkenswerte Initiative des Dichters, Malers, Journalisten und Intellektuellen Taha Khalil einzuhaken. Taha Khalil ist so etwas wie das kritische Gewissen der kurdischen Selbstverwaltung. Selbst einer der ersten Anhänger der PKK in Syrien, ging er früh auf Distanz, nachdem ihn während der stramm leninistischen Phase der Partei in den 1980er-Jahren der Bruder Abdullah Öcalans, Osman Öcalan, am liebsten wegen trotzkistischer Abweichung erschießen hätte lassen. Seither blieb er ein kritischer Beobachter aber auch Freund der Bewegung, der auch die ideologische Öffnung und die Gründung der Demokratischen Unionspartei (PYD) 2003 begleitete. Selbst ging er nicht mehr in eine Partei, die Revolution in Rojava war ihm aber seit Beginn ein Anliegen und so beteiligt er sich als Publizist und im Rahmen eines Forschungsinstitutes am Aufbau einer anderen Gesellschaft.

Auch seine Tochter Halabja, benannt nach jener kurdischen Stadt, die 1988 von Saddam Husseins Truppen im Irak mit Giftgas vernichtet wurde, war in der Selbstverwaltung aktiv. Als sie 2014 durch ein Selbstmordattentat des »Islamischen Staates« getötet wurde, war sie gerade mit Taha Khalils erstem Enkel schwanger.

Recht auf Frieden und Koexistenz

Taha Khalil brachte seine Trauer in einer Vielzahl von Gedichten zum Ausdruck. Die militärische Niederlage des »Islamischen Staates« 2019 konnte ihm seine Tochter nicht zurückbringen. Die vielen Frauen, die sich dem »Islamischen Staat« angeschlossen hatten, darunter auch viele Syrerinnen, ließen ihn überlegen, wie mit diesen in Zukunft zusammengelebt werden soll. Taha Khalil gelangte zur Überzeugung, dass Versöhnung notwendig ist. »Wir müssen hier in Zukunft gemeinsam leben«, setzte er mir bei einem unserer Treffen in Qamishli auseinander, »also müssen wir auch irgendwie an einer Versöhnung arbeiten. Das bin ich meiner Tochter schuldig.«

Taha gründete mit »HIRO – Zentrum für Dialog und Rehabilitation« eine bemerkenswerte Basisinitiative, die sich genau dieser Versöhnungsarbeit widmet. Die InitiatorInnen von HIRO glauben, dass die Menschen das Recht haben, in Frieden und Koexistenz mit allen Menschen und ohne Diskriminierung zwischen Religionen, Nationalitäten und Sekten zu leben. Sie arbeiten dabei auch mit den TäterInnen, denn sie sind zur Erkenntnis gelangt, dass diese Menschen psychologische Betreuung und eine Ausbildung benötigen, um sie wieder zu rehabilitieren, damit sie in ihr Leben zurückkehren können, weit weg von den Auswirkungen des Krieges, der die Bande der Gesellschaft zerrissen hat. HIRO versteht sich deshalb als zivilgesellschaftliche Organisation und arbeitet daran, eine Kultur der Toleranz, der Menschenrechte, der Gleichberechtigung der Geschlechter zu verbreiten.

Im Lager al-Hol

Seit Frühling 2022 führt HIRO Aktivitäten im Lager al-Hol durch, wo Tausende von IS-Frauen und -Familien festgehalten werden. Das Lager al-Hol ist das größte und schwierigste dieser Lager. Die Syrischen Demokra-tischen Kräfte, also die Militäreinheiten der Autonomen Verwaltung, schaffen es zwar, das Lager irgendwie unter Kontrolle zu halten. Zumindest gelingt es nur wenigen zu fliehen. Die internen Strukturen des Lagers werden aber de facto weiter vom IS kontrolliert. Viele der dort internierten Frauen sind noch hochgradig ideologisiert. Abtrünnige werden immer wieder ermordet. Noch vor wenigen Tagen wurde ein jesidisches Mädchen in al-Hol gefunden, das 2014 vom IS verschleppt und bisher nicht entdeckt wurde. Kaum eines der Opfer wagte es, den Wacheinheiten des Lagers zu sagen, dass sie eigentlich Opfer und nicht TäterInnen sind – so total ist weiterhin die Kontrolle des IS innerhalb des Lagers. Die extremistischen Frauen hätten solche Opfer vielleicht schneller ermordet als die Syrischen Demokratischen Kräfte sie retten könnten.

Auch die Versorgungslage in al-Hol ist schlecht. Fehlt es schon für die ZivilistInnen in Syrien an allen Ecken und Enden, so ist z. B. die medizinische Versorgung in al-Hol natürlich nicht besser als in den Städten der Region.

HIRO ist hier ein kleiner Akt der Versöhnung, eine ausgestreckte Hand des Dialogs unter sehr schwierigen Bedingungen. Die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen von HIRO suchen in Workshops das Gespräch mit diesen Frauen, versuchen ihnen ihre Sicht und ihre Geschichten nahezubringen, hören aber auch ihnen zu. HIRO versucht letztlich die Frauen in al-Hol mit allem zu versorgen, was ihnen hilft, von der extremistischen Ideologie des IS Abstand zu nehmen, sich in ihre jeweilige Gesellschaft zu re-integrieren und ein menschenwürdiges Leben fernab von Extremismus und Terrorismus zu führen.

Dies ist allerdings erst ein Anfang. HIRO will nicht nur mit den IS-Frauen in al-Hol arbeiten, sondern auch Veranstaltungen mit intern Vertriebenen und Angehörigen verschiedener religiöser und ethnischer Communities in der Region machen, die dazu beitragen sollen, dass es eine gemeinsame Zukunft in Syrien gibt.

Um dies zu unterstützen bittet die kleine österreichische NGO LeEZA (Liga für emanzipatorische Entwicklungs zusammen arbeit), der Autor und die Volksstimme um Spenden unter dem Kennwort »HIRO«, der Betrag wird ohne irgendwelche Abzüge an das Projekt übergeben.

LeEZA: IBAN: AT4432 0000 0006 955355

BIC: RLNWATWW, Kennwort: »HIRO«

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Thomas Schmidinger schrieb zuletzt in der Volksstimme im Sommer 2021 über den Friedhof in Erbil.

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Gelesen 2073 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 19 Oktober 2022 17:55
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