Aissata Soumaoro ist Aktivistin im Netzwerk Afrique Europe Interact und Gründungs mitglied von Musow Lafia, einem Kollektiv für die Verarbeitung von Lebensmitteln.
Das Interview führte Rouby Traoré
Weshalb engagierst du dich bei Afrique Europe Interact und was ist Musow Lafia?
AISSATA SOUMAORO: Das Netzwerk Afrique Europe Interact kenne ich schon sehr lange, nämlich seit der Bamako-Dakar Karawane 2011 anlässlich des Weltsozial forums in Dakar, in Senegal. Dort waren viele Leute, die für soziale Gerechtigkeit und Bewegungsfreiheit kämpften. Da habe ich gemerkt: Das ist auch ein Kampf für mich! Also habe ich sie kontaktiert und seither kämpfen wir zusammen. Musow Lafia ist Bambara, eine unserer nationalen Sprachen in Mali. Musow bedeutet Frau und Lafia Frieden. Wir wollen, dass die Frauen in Frieden sein können. Deshalb haben wir diesen Namen gewählt. Wir sind eine Organisation zur Unterstützung von Frauen und zur Herstellung von Lebensmitteln. Wir haben Musow Lafia gegründet, damit die Frauen zu uns kommen können, um gemeinsam Lebensmittel zu verarbeiten. Das hilft uns auch bei unseren politischen Kämpfen einerseits für Bewegungsfreiheit und andererseits für die Rechte von Migrant*innen sowie gegen Landgrabbing. Ich werde das kurz erklären: Afrique Europe Interact betreibt ein soziales Zentrum in Bamako. In der Vergangenheit sind immer wieder Frauen zu uns gekommen, deren Kinder in die Migration gegangen sind. Seitdem sind sie die ganze Zeit zu Hause und haben keine Arbeit. Sie haben uns gefragt, was wir für sie tun können. Also haben wir die Initiative ergriffen und ein Kollektiv gegründet, um gemeinsam Lebensmittel herzustellen. Denn das sind Produkte, die die Frauen kennen, da wir sie hier in Mali tagtäglich konsumieren. So ist das Projekt entstanden.
Welche Produkte stellt ihr her?
AISSATA SOUMAORO: Wir haben mehrere Produkte. Aber die Grundprodukte, die wir verarbeiten, sind Erdnüsse und Fonio. Die Erdnüsse verarbeiten wir zu Erdnuss paste, die bei uns sehr viel gegessen wird. Die Leute kochen Soßen damit oder schmieren sie sich aufs Brot. Fonio ist ein lokales Getreide, das wie Couscous zubereitet werden kann. Reines Fonio ist sehr gut für Menschen mit Diabetes oder Bluthochdruck, die keinen Zucker und nur wenig Salz essen können. Djouka ist auch eine Art von Fonio, aber mit zermahlenen Erdnüssen gemischt. Es wird auch wie Couscous zubereitet und man kann es mit einer einfachen Soße, Fisch, Fleisch oder mit Spinat essen.
Nun wollt ihr eure Erdnusspaste auch in Deutschland verkaufen. Wie ist es dazu gekommen?
AISSATA SOUMAORO: Wenn du in Afrika lebst, ist es nicht einfach, mit dem Verkauf lokaler Produkte ein Einkommen zu erzielen. Es gibt viele Organisationen, die die gleichen Produkte herstellen wie wir. Und über Afrique Europe Interact haben wir Mitstreiter*innen in Europa. Die Sache ist die: Viele junge Menschen gehen hier in die Migration auf der Suche nach Brot. Damit will ich sagen, dass es für sie keine freie Entscheidung ist zu migrieren, sondern eine Frage des Überlebens. Ihre Angehörigen, und besonders die Frauen, bleiben zurück in Afrika, um auf sie zu warten. Sie sind die meiste Zeit zu Hause und haben keine Arbeit. Wenn die Frauen nun mit ihrer Arbeit bei Musow Lafia zufrieden sind, sollten wir die Chance nutzen und unsere Produkte ins Ausland schicken, um sie auch dort zu verkaufen. Das wird uns auch helfen, weiter hier vor Ort zu produzieren.
Wie läuft der Verkauf der Produkte in Deutschland bisher, den ihr ja erst vor Kurzem angefangen habt?
AISSATA SOUMAORO: Zuerst einmal haben wir eine große Menge Erdnusspaste hier in Mali hergestellt. Leute aus unserem Netzwerk, die diesen Sommer nach Europa gereist sind, konnten sie dann mitnehmen. Dort haben wir sie in Gläser abgefüllt und auf Spendenbasis verkauft, und die Leute sind äußerst zufrieden mit unserem Produkt!
Du sagst, dass die Frauen, die die Produkte herstellen, auf Neuigkeiten von ihren Söhnen warten, die in die Migration gegangen sind. Wie hilft ihnen die Arbeit bei Musow Lafia in dieser Situation? Inwiefern könnt ihr verhindern, dass weitere junge Männer in die Migration gehen?
AISSATA SOUMAORO: Es geht uns nicht darum, Migration zu verhindern, denn wir kämpfen für eine Welt ohne Grenzen. Also können wir den jungen Leuten nicht sagen: Geht nicht in die Migration! Denn wir alle haben das Recht zu gehen und zu bleiben. Aber wenn die jungen Männer weggehen, sind es ihre Mütter, ihre Tanten, ihre Frauen, die zurückbleiben ohne Neuigkeiten. Deshalb machen wir Sensibilisierungsarbeit. Wir gehen von Tür zu Tür und sagen den Frauen: Auch wenn eure Kinder in die Migration gegangen sind, ist das nicht das Ende der Welt. Denn sie sind irgendwo, vielleicht auf dem Weg durch die Wüste oder über das Mittelmeer. Oder sie haben die Grenze überwunden und sind in Europa, aber können keine Papiere bekommen. Denn es gibt keine Möglichkeit zur zirkulären Migration zwischen Afrika und Europa. Das ist das Grundproblem. Die jungen Leute können nicht einfach nach Europa kommen, dort eine Arbeit finden, Papiere bekommen und wieder zurückkehren. Wenn wir diese Art von Sensibilisierung machen, können die Frauen auch zu uns kommen, um mit uns zu arbeiten. Dann verteilen wir die Produkte unter den Frauen, damit sie diese in Boutiquen oder auf dem großen Markt verkaufen können. So haben sie ein geringes Einkommen und können kleine persönliche Ausgaben tätigen.
Inwiefern hilft diese Arbeit den Frauen, autonom zu sein? Was ich verstanden habe, ist, dass ihr zusammen arbeitet und die Einnahmen untereinander aufteilt. Aber was bedeutet das konkret für den Alltag der Frauen?
AISSATA SOUMAORO: Alleine die Tatsache, dass sie früh das Haus verlassen und zu uns kommen und hier Zeit zusammen verbringen, hat eine große Wirkung. Und die Frauen sind sehr zufrieden mit dieser Initiative von Afrique Europe Interact. Das sagen sie mir immer wieder, was mich sehr freut. Manchmal gibt es auch Tage, wo es keine Arbeit gibt. Dann sind die Frauen unzufrieden. Oder wenn ich ihnen mitteilen muss, dass wir leider erst mal nicht weiterarbeiten können, weil uns das Geld fehlt für eine neue Produktion. Sie sind nicht einverstanden damit und wollen trotzdem weitermachen, auch wenn gerade kein Geld da ist, um sie zu bezahlen.
Lass uns auf ein anderes Thema zurückkommen, und zwar dein Engagement für Bewegungsfreiheit. Denn einerseits bist du aktiv im politischen Kampf gegen Grenzen und für freie Migration, andererseits bist du selbst Opfer des Grenz regimes: Vor kurzem wurdest du u. a. für eine Konferenz nach Deutschland eingeladen, aber dein Visum wurde abgelehnt. Was ging dir da durch den Kopf als Aktivistin für Bewegungsfreiheit?
AISSATA SOUMAORO: Als mein Visum abgelehnt wurde, war ich schockiert. Das war wirklich, wirklich entmutigend für mich. Denn für die Konferenz hatte ich einen Workshop zum Thema zirkuläre Migration und Bewegungsfreiheit mit vorbereitet. Und jetzt werde ich selbst meines Rechts auf Bewegungsfreiheit beraubt! Aber andererseits motiviert mich diese Erfahrung, mein Engagement fortzusetzen. Denn ich schwöre, eines Tages werde ich dieses Visum bekommen, um nach Europa zu reisen und wieder zurückzukommen. Denn die Europäer müssen eine Sache verstehen: Hier bei uns in Afrika wollen nicht alle nach Europa, um dort zu bleiben. Gleichzeitig sehen wir, dass Leute aus Europa grundlos zu uns kommen. Also wollen auch wir zu ihnen kommen. Ich zum Beispiel hatte geplant, für meine Konferenz nach Europa zu kommen, dort einen Monat zu bleiben und wieder zurückzukommen. Denn ich habe gar keine Zeit, in Europa zu bleiben. Ich habe hier mein eigenes Projekt. Es gibt Arbeit, die mich erwartet.
Mit welchen Herausforderungen seid ihr aktuell in der Produktion konfrontiert?
AISSATA SOUMAORO: Aktuell ist es sehr schwierig für uns. Die Grundprodukte, die wir verarbeiten, sind teurer geworden. Und nicht nur die Grundprodukte: Überall steigen die Preise. Mittlerweile können wir es gar nicht mehr verstehen, denn alles wird immer noch teurer. Seit wir 2017 mit der Produktion angefangen haben, haben wir so etwas noch nicht erlebt.
Und trotzdem versucht ihr, irgendwie weiterzumachen. Du hast die Produkte von Musow Lafia bereits auf verschiedenen Veranstaltungen und Messen in Westafrika ausgestellt.
AISSATA SOUMAORO: Genau. Auch wenn alles teurer wird, können wir nicht einfach aufhören. Erst kürzlich war ich auf einer internationalen Messe in Dakar, Senegal, wo wir unsere Produkte ausgestellt haben. Außerdem war ich schon auf Veranstaltungen in der Elfenbeinküste, in Guinea und in Togo.
Die Sahel Region und besonders Mali ist Kristallisationspunkt verschiedener Krisen. Im Zentrum und Norden des Landes sind verschiedene dschihadistische Terrorgruppen aktiv, die immer wieder Anschläge verüben, jüngst auch unweit der Hauptstadt. Wie beeinflusst das eure Arbeit? Und inwiefern sind besonders die Frauen davon betroffen?
AISSATA SOUMAORO: Das ist wirklich eine gute Frage. Der Krieg in unserem Land betrifft vor allem ländliche Regionen. Viele Menschen müssen ihre Dörfer und damit auch ihre Felder verlassen und viele von ihnen kommen in die Hauptstadt. Aber hier können sie kein Land kultivieren. Die Auswirkungen der Krise sehen wir u.a. in der Versorgung mit bestimmten landwirtschaftlichen Produkten. Hiervon ist auch Fonio betroffen, das meist in der Region Timbuktu im Norden des Landes oder im Zentrum angebaut wird. Aber vor allem ist der Krieg entmutigend für uns als Frauen.
Denn wir sind die ersten Opfer! Seit 2012 bis heute herrscht Krieg in unserem Land. Zuerst die Rebellion der Tuareg im Norden, später Konflikte zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen im Zentrum des Landes. Dann gab es einen Militärputsch und schließlich eine Übergangsregierung. Und dann kamen die Sanktionen und das Handelsembargo. Und bei all dem sind zuallererst die Frauen die Leidtragenden. Deshalb sage ich den Frauen von Musow Lafia immer wieder: Wir dürfen jetzt nicht aufgeben! Stattdessen sollten die Männer uns Frauen zuhören, was wir zu sagen haben. Wir treffen uns zur gemeinsamen Arbeit, aber auch zum politischen Austausch, um Lösungen zu finden für unsere Probleme. Denn es sind unsere Ehemänner, unsere Väter, die sich gegenseitig töten. Dort, wo Krieg ist, werden vor allem die Männer getötet. Also fragen wir uns: Was können wir als Frauen tun?
Gibt es noch etwas, das du uns, den Leserinnen und Lesern, mitteilen möchtest?
AISSATA SOUMAORO: Zum Schluss habe ich folgenden Appell: Für uns ist es sehr wichtig, Partner*innen in Europa zu finden, die unsere Produkte kaufen und weiterverkaufen. Denn das hilft uns als Afrikaner* innen, sodass wir bei uns bleiben und hier gut arbeiten können. Gemeinsam werden wir weiter kämpfen!
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Aus dem Französischen übersetzt und bearbeitet von Lars Springfeld.
Rouby Traoré ist Journalist bei Our Voice (Radio Dreyecksland)
Spenden an Musow Lafia können über das Spendenkonto von Afrique Europe Interact getätigt werden. Verwendungszweck: Musow Lafia.
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