Der Begriff des »Ortstafelsturms« bzw. das damit umschriebene Geschehen im Oktober 1972 ist ein halbes Jahrhundert her. Dennoch wirkt der damalige Auftrieb der Kärntner Post- und Neonazis in Kärnten bis heute nach. Von Mirko Messner
Was im Oktober 1972 geschah, ist schnell erzählt: Auf Beschluss der Regierung Kreisky wurden im September in ausgewählten Südkärntner Ortschaften erste zweisprachige Aufschriften aufgestellt. 205 an der Zahl sollten es werden. Kaum standen die ersten, rollte ein zentral organisierter rechtsextremer Mob in Autokolonnen durchs Land, unter fürsorglicher Begleitung der österreichischen Exekutive, und räumte sie wieder ab. Einige landeten in der Drau, andere wurden als Trophäe privat angeeignet, wieder andere im Landhaushof in Klagenfurt auf einen Haufen geworfen. Unter den Kärntner Slowenen und Sloweninnen, vor allem unter jenen, die den Naziterror selbst erlebt hatten, griff Angst um sich. Widerstand regte sich nicht. Die österreichische Öffentlichkeit rieb sich die Augen, die ausländische Presse auch. Der Kärntner Heimatdienst, die einschlägige Organisation für »Volk-steh-auf-Sturm-brich-los«-Events, hatte damit natürlich überhaupt nichts zu tun, im Gegenteil: Sein Ex-Obmann Feldner leugnet dies bis auf den heutigen Tag; er hätte nämlich in weiser Voraussicht mittels einer Protestkundgebung am 15. Oktober im Landhaushof lediglich den Unmut im »Volk« kanalisiert.
Die Vorgeschichte
Dem Beschluss der Kreisky-Regierung waren zwei turbulente Jahre vorangegangen. Die Kärntner Landesregierung hatte zum 50. Jahrestag des Plebiszits in Kärnten – 1920 stimmte die Mehrheit der Südkärntner Bevölkerung für einen Anschluss des Landesteils an Österreich – den Ex-Nazi Koschier zum Gestalter der Feierlichkeiten ernannt; dieser konzipierte den Festzug wie schon die vergangenen Jahre als Abklatsch der nationalsozialistischen Festkultur bzw. im Sinne der deutschnationalen Volks -gemeinschafts-Tradition. Das animierte die damalige slowenische studentische Generation – ausgehend von der Zeitschrift Kladivo – zu Protesten, die in Aufschriftenaktionen mündeten, d. h.: einsprachige Ortstafeln, die laut Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags von 1955 zwei sprachig sein müssten, es aber nicht waren, wurden in mehreren Anläufen mit den slowenischen Bezeichnungen vervollständigt. Ein Entrüstungssturm in den Kärntner Medien folgte, vor allem auch im damaligen Zentralorgan des Kärntner Deutschnationalismus, in der Kleinen Zeitung; rühmliche Ausnahme in der deutschsprachigen medialen Szene: das KP-Organ Volkswille mit dem Hinweis, dass die um zweisprachige Ortstafeln Bemühten verfassungstreu gehandelt hätten. Polizeiliche Ermittlungen und gerichtliche Verfolgung der slowenischen Aktivistinnen und Aktivisten erregten internationales Aufsehen und Proteste in Slowenien; sie bzw. der damit verbundene Wirbel wurden zur Peinlichkeit für die Kreisky-Regierung – immerhin war diese gerade auch in die Verhandlungsprozesse der KSZE-Schlussakte einbezogen. Die österreichischen Regierungen hatten seit 17 Jahren keinen Finger für die Erfüllung einer völkerrechtlichen Verpflichtung gerührt.
Die Vorgeschichte der Vorgeschichte ist die der kontinuierlichen antislowenischen bzw. antislawischen, rassistisch unterfütterten Landespolitik; die nutzte seit vielen Jahrzehnten alle ihr zur Verfügung stehenden sozialen, ökonomischen, politischen, bildungspolitischen Hebel, um slowenische Bestrebungen nach kultureller Gleichberechtigung niederzuhalten. Diese Politik ging dann geschmeidig in die Nazipolitik über, deportierte tausend slowenische Menschen ins deutsche Reich, auf deutsche Bauernhöfe, zu Sklavenarbeit oder auch in Konzentrationslager, und erntete wider Erwarten kollektiven bewaffneten Widerstand. Diesem war es in erster Linie zu verdanken, dass sich nach dem Krieg die Alliierten im Staatsvertrag mit Österreich auf die Minderheitenschutzbestimmungen des Artikels 7 einigten. Darin wurden in fünf Absätzen die Minderheitenrechte festgeschrieben, darunter auch die topographische Zweisprachigkeit des slowenisch- bzw. zweisprachigen Gebiets. Der Artikel 7 ist – neben den gegen die nationalsozialistische Wiederbetätigung gerichteten Bestimmungen – insofern nichts anderes als ein Kern des antifaschistischen Auftrags des Staatsvertrags. Kaum war die Tinte der Unterzeichner unter dem Staatsvertrag trocken, schossen die bis dahin informellen heimatdienstlichen Spezialorganisationen wieder ans Tageslicht, zerstörten mit ausschlaggebender Hilfe der Landtagsparteien und einer gefügigen, von der SPÖ angeführten Landespolitik das nach 1945 eingerichtete zweisprachige Pflichtschulwesen in Südkärnten; sie überzogen Kärnten mit kontinuierlicher antislowenischer Agitation, als ob in den Jahren davor nichts geschehen wäre, und koppelten diese im Sinne des Kalten Krieges mit antijugoslawischer bzw. antikommunistischer Propaganda. Zweisprachige Ortstafeln waren für diese Klientel unvorstellbar, die organisierte und inszenierte Zerstörung derselben die Konsequenz.
Die Folgen
»Kärnten stand am Rande eines Bürgerkrieges«, meint der Historiker Hellwig Valentin im Rückblick auf 1972. Nicht, dass die dafür erforderliche Gewaltbereitschaft bzw. -tätigkeit gefehlt hätte – was sich gegen Ortstafeln richtete, war bereit, sich auch gegen Menschen zu wenden, und tat es auch fallweise –, beschreibt dies die Realität dennoch in ungenügender Weise. Einen aktiven physischen Widerstand gegen den rechtsextremen Mob gab es nicht. Kärnten stand de facto am Rande eines massiven chauvinistischen Pogroms gegen die slowenische Bevölkerung. Und die SP-dominierte Landespolitik vor einem Scherbenhaufen; der traditionelle sozialdemokratische Deutschnationalismus, der sie in Kärnten 1920 in ein Bündnis mit den diversen bürgerlichen Fraktionen geführt hatte, hatte sie ein- und viele SP-Funktionäre abgeholt. Der damalige St. Kanzianer SP-Bürgermeister Vitus Jesse war einer der bekannteren Fahnenträger der antislowenischen Räumkommandos. Der SPÖ-Landeshauptmann Sima mühte sich ab und argumentierte im Sinne der Staatsräson für den Regierungsbeschluss – vergebens. Als er das in der Bezirkshauptstadt Völkermarkt tat, wurden er und seine Frau Lia beim Verlassen der Versammlung verbal und physisch insultiert – wie auch Kreisky selbst zuvor vor der Klagenfurter Arbeiterkammer. »Am Schluss bestand die Parteiorganisation der SPÖ nur mehr auf dem Papier. Die große Stunde von Leopold Wagner war gekommen«, schreibt der ehemalige Kärntner ÖGB-Funktionär Gerhard Hausenblas in seiner 2000 erschienenen Broschüre »Kärnten / Die nationale Frage«.
Die Kärntner SPÖ rückte nach rechts, der Forderung der Heimatdienstler nach einer Zählung bekennender Slowenischsprechender wurde von der Bundesregierung mit einer »Volkszählung besonderer Art« nachgegeben, ein Dreiparteienkonsens zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ wurde zu deren politischen Plattform für die restriktive Behandlung der Minderheitenrechte (»Volksgruppengesetz«). Die Zahl der zweisprachiger Ortstafeln wurde mit der Festlegung auf 25 Prozent bekennender slowenisch Sprechender (auf Altgemeinde-Ebene) als Voraussetzung dafür festgelegt. Erst die private Initiative des slowenischen Rechtsanwalts Rudi Vouk führte zu einem Entscheid des Verfassungsgerichtshofs, der diesen Satz auf zehn Prozent gesenkt haben wollte; dass der Artikel 7 keinerlei Prozente für das zweisprachige Gebiet vorsieht, wurde auch in diesem Entscheid nicht berücksichtigt. Die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs unter Zugzwang stehenden BZÖ/FPÖ-Landeshauptmann Dörfler und der SP-Staatssekretär Ostermayer einigten sich schließlich auf 17,5 Prozent. Die slowenischen Vereinsvertreter waren als Adabeis bei diesem Basar zugelassen und durften zustimmend dazu murmeln.
Die tonangebende Erzählung, heute landauf landab medial verbreitet, geht anders: ein leidiger Ortstafelstreit wäre durch die Aussöhnung ehemaliger »Gegner« durch einen »Ortstafelkompromiss« beigelegt worden, und das sei Ausdruck eines neuen Kärnten. Abgesehen von einem offeneren medialen Klima und einem freundlicheren Landeshauptmann ist die Situation in den zweisprachigen Gemeinden substanziell im Wesentlichen unverändert (siehe dazu: http://skup.at/ memorandum-de). Die Bestimmungen des Artikels 7 sind nach wie vor nur teilweise erfüllt, dem Naziterroristen Steinacher wird vom Heimatdienst ungehindert eine Gedenktafel errichtet, wichtige Errungenschaften wie z. B. die öffentliche zwei sprachige Volksschule in Klagenfurt wurden nur durch jahrelange kräftezehrende zivilgesellschaftliche Anstrengungen durchgesetzt, was auch für die Ortstafeln gilt: ohne die Aufschriftenaktionen der Jugend- und die breite österreichweite Solidaritätsbewegung gäbe es heute keine einzige zweisprachige.
Die slowenischen Vertretungsvereine haben mit und nach der von den Kärntner Medien liebevoll »Ortstafelkompromiss« genannten Einigung von Bund und Land politisch abgedankt. Dass ausgerechnet führende Personen der seinerzeit sich in der Nachfolge des antinazistischen Widerstands begreifenden Organisation (Zveza sloven skih organizacij, Zentralverband slowenischer Organisationen) heute mit Heimatdienst, Feldner und neuerdings mit Mölzer Verbrüderung zelebrieren und diesen ermöglichen sich à la Meloni mehr schlecht als recht neu zu kostümieren, ist keine andere Geschichte. Es ist die Fortsetzung einer ganz alten Politik, die den Deutschnationalen unter neuen Umständen die alte Kompetenz zuschreibt, im Namen »der Kärntner« zu definieren, was »den Kärntnern« gut tut. Auch wenn das ganze Konsens-Getue mit dem Heimatdienst so attraktiv ist wie ein Kropf, so passt dieser den-noch hervorragend zu den frischen Exponentinnen des europäischen Rechtsextremismus und der von ihm betriebenen Ethnisierung der Politik. Mölzer kann das. Haider hat sich seinerzeit des antislowenischen Ressentiments bedient und daraus sein Sprungbrett in die österreichische Politik gebastelt. Mölzer nutzt nun die darniederliegende slowenische politische Szene und bedient sich einiger politisch domestizierter slowenischer Exponenten – wohl zum selben Zweck.
Ob die – auch durch die Konsenserei mit den Rechtsextremen vielfach demoralisierte – slowenische Gemeinde die Kraft aufbringt, Widerstand dagegen zu leisten, ist fraglich. Obwohl, Ansätze dazu gibt es. Das darzustellen, wäre aber tatsächlich eine weitere Geschichte.