Heide Hammer im Gespräch mit Natascha Wanek über Kontinuitäten und Brüche der unabhängigen Kinder- und Elternorganisation
Was ist das Kinderland? In welchem Verhältnis steht der Verein zur KPÖ? In welchen Bundesländern gibt es eigenständige Kinderland-Organisationen?
NATASCHA WANEK: Kinderland ist seit der Gründung 1946 eine eigenständige Kinder- und Eltern-Organisation. Der Anspruch blieb über die Jahre erhalten: die Gestaltung einer besseren Lebensrealität für alle Kinder und Jugendlichen in Österreich und auf der Welt. Auch wenn wir uns nie die Zeit genommen haben, für die alten Begriffe neue zu finden, ist dieses bessere Leben für alle Kinder ein großes Ziel. Der Gründungsgedanke war einerseits pragmatisch, es ging um Erholung von der Not in und nach den Kriegsjahren, z. B. auch um die Verteilung von Nahrungsmitteln aus UNICEF-Spenden. Zugleich wurde aus der Tradition des Widerstands ein ideologischer Anspruch formuliert: Wenn wir es ernst meinen mit dem »Niemals wieder«, dann müssen wir bei den Kindern beginnen.
Zwischen KPÖ und Kinderland gibt es personelle Überschneidungen, statutarisch sind wir unabhängig und verstehen uns auch so. Es gibt noch zwei Vereine: Steiermark und Wien.
Es gibt eine schöne Darstellung der KPÖ Steiermark zu 50 Jahre Kinderland, die 2010 aktualisiert wurde. Am Beginn dieser Chronologie von Max Korp steht anstelle eines Vorworts ein »Bekenntnis zu Österreich« von Arthur West. Das klingt zwar in der Zeit schlüssig, aber wie ging’s weiter?
NATASCHA WANEK: Extrem schlüssig. Es ging bei der Gründung von Kinderland auch um die Gestaltung eines demokratischen, freien und unabhängigen Österreich – um das zuvor im Widerstand gegen den NS gekämpft worden war.
In den 70er Jahren beginnen die Friedensbewegung und Fragen der antiautoritären Erziehung stark in die Kinderland-Organisation einzuwirken. Bis Anfang der 90er Jahren war Kinderland ein Ganzjahresprogramm, also Heimabende, Bastelnachmittage, Liederabende, Wanderungen. Es gab Oster-, Pfingst-, Schiwochen und die Sommerferien – wenn man wollte, konnte man das ganze Jahr mit Kinderland verbringen. Die Kinder waren sehr fest in diesen Rahmen eingebunden.
Wie bist du zu Kinderland gekommen? Was hast du davon erlebt?
NATASCHA WANEK: Ich bin sicher schon mein ganzes Leben bei Kinderland. Ich erinnere mich an Familiensonntage – für die Eltern gab es Kaffee und Kuchen und für die Kinder verschiedene Stationen, mit Spielen, Sport, Malen, Basteln, … Ich war bei Schikursen, im Sommerlager, auf Familienturnussen, Osterlagern und ich erinnere mich an ein einziges Pfingstlager. Denn das hieß, im Zelt schlafen, und meine Mutter, die auch Mitarbeiterin und Funktionärin bei Kinderland war und ist, war davon nicht so begeistert. Meine Mutter war mit acht Jahren das erste Mal dabei, auch mein Großvater war Funktionär bei Kinderland. Also ich bin ein Kinderland-Kind, und Kinderland ist (familiär) sehr ansteckend.
Was wurde aus der Jungen Garde? Was wurde aus den Sturmvögeln? Gibt es noch ein Mitgliedsbuch? Liederbücher? Fahne (den Fahnen-Gruß)? Wimpel? Das Blauhemd?
NATASCHA WANEK: Natürlich kann man bei Kinderland immer noch Mitglied werden. Wir sind ein Verein und freuen uns auch über Fördermitglieder. In den 70er Jahren wurden die Blauhemden abgelegt. Sich vom Blauhemd befreien hieß, sich von einem autoritären Gestus zu befreien. Das war nach ‘68 ein wichtiger Schritt, das bedeutete wohl auch ein Stück Distanz zu den realsozialistischen Staaten.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 hat auch Kinderland stark getroffen. Kinderland war bis dahin eine Pionier organisation. Das 3. Gesetz der Jungen Garde, »Wir halten Freundschaft mit den Kindern aller Welt«, hatte auch eine praktische Entsprechung. Es gab Pionierlager in allen sozialistischen Staaten, das berühmteste war in der UdSSR, »Artek« am Schwarzen Meer. Kinderland Kärnten fuhr z. B. immer gemeinsam mit der Schwesterorganisation in Slowenien ans Meer.
Einzelne Elemente haben sich aber da und dort gehalten. Kinderland Steiermark macht z. B. noch den Fahnengruß. Bei Kinderland Wien werden nach wie vor Arbeiter:innenlieder gesungen, wird antirassistische und antisexistische Arbeit gemacht. Wir treten auch im Ferienalltag gegen Homophobie z. B. in der Sprache auf. Kinderland Steiermark hat in den letzten fünf Jahren einige Re-Politisierungsschritte gesetzt, sie machen zusätzlich formalisiertere politische Arbeit, z. B. im Landes jugendbeirat.
Kinderland bekennt sich zu den Kinderrechten der UNICEF, die seit der UN-Generalversammlung vom 20. November 1989 gelten und weder vom Staat Österreich noch vom Land Wien in der Verfassung verankert wurden. Kinderrechte sind Menschenrechte, die in den Verfassungsrang gehören. Damit geht auch ein Klagerecht einher. Es geht nicht nur um Schutz vor Gewalt – Rechte sind viel weitergehender, etwa das Kindeswohl bei Asylverfahren. Würde man das ernst nehmen, könnten Kindern nicht abgeschoben werden. Kinder haben das Recht, mit anderen Kindern aufzuwachsen. Die Regelungen und der Umgang in der Pandemie treten diese Rechte mit Füßen. Wer wurde im Park als erste belangt? Jene Kinder und Jugendlichen, deren Zuhause beengt ist und die auf den öffentlichen Raum angewiesen sind, um ihre sozialen Beziehungen zu leben.
Was macht ihr in den Sommerferien am Gösselsdorfer See in Südkärnten?
NATASCHA WANEK: Uns ist es ein großes Anliegen, dass die Kinder zwei schöne Ferienwochen verbringen können. Dort gibt es keine Schulaufgaben, stattdessen ganz viel Angebot, einfach zu sein und zu tun, was immer man möchte. Auf dem großen Gelände gibt es viele Sportmöglichkeiten, unglaublich viele Bastelmaterialien, ein vielfältiges Programm mit Klassikern wie Disco und Lagerfeuer und Aktionsspielen – Nachtgeländespiele kommen immer noch sehr gut an. In der Nacht werden auch die Handys eingesammelt, weil die Kreativität der Kinder auch beim Schlafen kaum Grenzen kennt. Wir merken aber im Laufe eines Sommerturnus, wie die Handys zunehmend unwichtig werden. Wenn besorgte Eltern schon anrufen, weil sie ihre Kinder nicht erreichen und die Kinder auch mal die Verpflichtung los sind, ständig verfügbar zu sein. Die meisten Kinder sind unglaublich begeistert, nicht zuletzt seit Corona ist das Bedürfnis riesig, einfach gemeinsam un beschwert Zeit miteinander zu verbringen und innerhalb eines Rahmes viele Freiheiten zu genießen und so angenommen zu werden, wie du bist.
Gibt es ein stabiles Betreuer:innen-Team? Gibt es Kinder, die über mehrere Jahre den Sommer mit euch verbringen? Wer macht heute Kinderland-Ferien?
NATASCHA WANEK: Ab 16 können Jugendliche als Betreuer:innen dabei sein. Die Arbeit bei Kinderland Wien wird ehrenamtlich, ganz ohne Bezahlung gemacht. Im Gegensatz zu früher gibt es in Wien keinerlei Förderungen mehr, weder von der Krankenkasse noch von der Stadt Wien oder dem Jugendamt. Seit 2015 gibt es drei reservierte Plätze für Kinder aus geflüchteten Familien. In der Steiermark ist die Situation anders, hier fördern alle, die in Wien nicht fördern, und es können auch Aufwandsentschädigungen für die Betreuer:innen bezahlt werden.
Das Haus in Gösselsdorf auf einem 6.000 m2 großen Gelände gehört Kinderland Wien, das bedeutet auch die Instandhaltung, Reparaturen, Einkaufen, Essen, Kochen macht alles das Betreuer:innenteam. Und das Essen ist wirklich gut. Es gibt da wie dort viele Kinder, die das erste Mal mit sechs, acht oder zehn Jahren zu Kinderland kommen und dann 30 oder 60 Jahre bleiben. Wir haben in Wien ein sehr stabiles Team, alle sind addicted. Kinderland ist ein bisschen ein magischer Ort, und es bindet sehr eng, wenn du das willst.