Seit ich 1973 nach Wien gezogen bin, war ich auf jedem Volksstimmefest. Was ist in meinen Erinnerungen besonders hängen geblieben?
Essay von Bärbel Danneberg
Früher fand das Volksstimmefest im Juni statt. Wegen des oftmals schlechten Wetters wurde es auf das Wochenende vor Schulbeginn im September verlegt, was wettermäßig keinen so großen Unterschied macht. Dieses Fest ist ein Lichtblick nach der Sommerpause, sagen viele, dort trifft man Bekannte und politische Weggefährt*innen, und der Start in den Schul- und Alltagstrott wird dadurch versüßt.
Leckerlis und Frauentreffpunkt
In den 1970er Jahren war ich in meinem »Gebiet« im KPÖ-Grätzel Schiffamtsgasse eingeteilt. Das hieß: Kaum aus dem Urlaub zurück, am Wochenende vor Schulbeginn den Lastwagen mit den Festsachen wie Bänke, Tische, Gaskocher, Bierkisten beladen (Männersache); und Essgeschirr, Küchenfetzen, Lebensmittel herrichten, Kuchen backen (Frauensache). »Auf der Wies’n« dann wie am Campingplatz um Schattenplätze feilschen. Meine Kinder liefen irgendwo in dem Trubel mit. Meine Aufgabe war es, die für den 2. Bezirk legendären Schnitzel mit Kartoffelsalat zu servieren und zu kassieren.
Eine Zeitlang war ich auch Losverkäuferin, »Tombolalose, Arbeitslose« skandierten wir jungen Verkäufer*innen spaßhalber im Chor, fast jeder Treffer eine Niete und alle hofften auf das Ausstellungsprachtstück Skoda. Nur wer eine Festschleife gekauft und beim VS-Zentralstand eingeworfen hatte, besaß eine Chance. Die im großen Zelt ausgestellten Preise, viele aus den damals noch existierenden sozialistischen Ländern, warteten auf ihre Gewinner*innen. Ich gewann einmal ein Bügeleisen und 2007 den Hauptpreis: 50 österreichische Filmraritäten aus dem Filmarchiv Austria. Ein Leckerbissen.
Als ich mich von meinem damaligen Lebensgefährten trennte, hieß das auch Trennung von meinem Bezirk. Das Private ist politisch. Ein paarmal kochte ich riesige Waschkessel voll mit russischem Borschtsch für den 3. Bezirk, auch ein Renner, und dann war ich am »Frauenstand« gut aufgehoben. Irma Schwager brachte jedes Jahr ihren sagenhaften Zwetschgenkuchen, nicht nur umschwärmt von den Wespen, und Maria Lautischer, verantwortlich für den »Klub der politisch interessierten Frau« vom Bund Demokratischer Frauen, organisierte die tollsten politischen Diskussionen zu den damals noch heiß (und heute wieder) umstrittenen Themen wie »Schwangerschaftsabbruch«, »Selbstbestimmungsrecht der Frau« oder »Putzfrau – ja oder nein?«
Ein heißer Renner war auch die lebensgroße Foto-Attrappe von Clara Zetkin, durch deren ausgeschnittenes Gesicht der eigene Kopf geschoben und ein Polaroid-Foto erstanden werden konnte. Einmal hat Christine Nöstlinger aus ihren Büchern gelesen, und auch Johanna Dohnal besuchte unseren Frauenstand.
Unsere Kinder am Frauenstand waren damit beschäftigt, auf dem alten Baumstamm ihre Rutschkünste zu beweisen, wir Mütter verarzteten die geschundenen Knie, die Väter waren politisch wichtig irgendwo anders. Der Frauenstand war ein »Muss«, Bücher, Broschüren und Sangria, von Margit Niederhuber eingeführt, waren ebenso begehrt wie unsere Diskussionen. Unser politischer Elan war rührend, mit Eifer argumentierten wir gegen den NATO-Doppelbeschluss und für das friedliebende sozialistische Lager an unserer östlichen Grenze. Mit der Zeit nahm das Picasso-Gesicht auf den begehrten BDF-Leiberln Pausbackenform in Brusthöhe an, wir wurden älter und abgeklärter.
Literatur, Musik, Kunst
Meist versäumten wir vom Frauenstand wie auch all jene, die »ihre Bezirksstände« betreuten, das politische und kulturelle Festprogramm. Wir ließen es uns dennoch nicht nehmen, über die salopp geschwungenen Damenbeine beim Auftritt der DDR-Frauen am Neuen Deutschland-Stand zu lästern, uns über die Blasmusik der tschechischen Trachtenkapelle oder das lauthals ausgerufene »Frische Fische aus Simmering« zu amüsieren. Wir wollten lieber die lateinamerikanischen Salsa-Klänge, Stefan Webers »Drahdiwaberl«, Sigi Marons »Leckts mi am Oasch« oder die vielen, damals noch unbekannten Bands auf der Hauptbühne hören. Und ich wollte die Lesungen mit Jelinek, Scharang, Turrini oder den Überbleibseln der Literaturproduzenten eines Lutz Holzinger nicht versäumen und die Auftritte der Literat*innen beim »Linken Wort« aus »meinem Arbeitskreises schreibender Frauen« oder dem »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt« verfolgen. Meist ein frommer Wunsch.
Ein Höhepunkt war für viele die ZB-Galerie der Künstler*innen: Bilder von bekannten Größen wie Alfred Hrdlicka konnten ebenso wie die von weniger Bekannten gekauft oder ersteigert werden, eine Zierde bis heute für so manches linke Wohnzimmer. In meinen Erinnerungssplittern tauchen »Größen« auf, die damals als »Kleine« am Volksstimmefest erste Öffentlichkeit hatten. Viele finden sich im Bildband 100 Jahre KPÖ, der 2018 erschienen ist. Am Festgelände ist immer Gelegenheit, auch darüber Erinnerungen auszutauschen. Gerade die kleinen Kunst- und Kultur schaffenden machen das Volks stimmefest zu einem Platz der vielen (Un-)Möglich keiten. Für meine Kinder und Enkelkinder, mittlerweile dem »Kinderland«-Kasperl entwachsen, ist das erste September wochenende auf der Jesuitenwiese ein Fixpunkt, sie kennen all die neuen Bands, und einer ihrer engsten Kumpels von damals spielt heute bei der Band Kreisky.
Umbrüche und Klogespräche
Den Zusammenbruch der sozialistischen Länder spürten auch die Programmgestalter*innen. Die traditionellen Sportwettbewerbe fielen mehr oder weniger flach, ebenso die Schachturniere und viele Attraktionen aus den befreundeten sozialistischen Organisationen. Es ist dem freiwilligen Engagement vieler Genoss*innen zu verdanken, dass im Laufe der Jahre der Leerraum durch andere, auch internationale Initiativen gefüllt wurde und das Fest seit Jahrzehnten nach wie vor das schönste von Wien ist. Vor allem das Solidorf und die Straße der Initiativen wurden zum Magnet für Besucher*innen.
Unser Frauenstand wurde zum Eingang hin verlegt. Jedes Jahr gelingen uns mit der Plattform 20000frauen und dem Organisationstalent von Heidi Ambrosch interessante politische Diskussionen und künstlerische Auftritte wie zuletzt die Performance Red Silence mit Aiko Kazuko Kurosaki: Die Frauen zogen mit den Trommlerinnen, die Pace-Fahnen schwingend, gegen Gewalt an Frauen übers Festgelände. Damals wie heute sind die Klos Gesprächsstoff – früher mussten Frauen zahlen und Männer nicht, das ist heute vielleicht aufgrund der Frauenproteste nicht mehr so, aber die Warterei ist die gleiche und es sind immer die interessantesten Gespräche in der Klo-Warteschlange.
Gegen Mitternacht dann die letzten Runden zum Kuba-Stand oder zu den Bezirksständen auf einen Abschiedstrunk, und so manche Liebe begann dort. Zu meinen frühen Erinnerungen zählt das Feuerwerk zum Abschluss des Volksstimmefestes, bevor die Wiener Linien verstärkt Straßenbahngaranituren für die Heimtorkelnden einsetzten und das »Aahh« und »Oohh« der müden Kinder, die ihre Schultaschen für den nächsten Tag noch packen mussten, verklungen war.