Rosmarie Thüminger umrahmt von der KPÖ-Frauenvorsitzenden Heidi Ambrosch (li.) und Volksstimme-Redakteurin Bärbel Danneberg (re.). Bärbel Danneberg Rosmarie Thüminger umrahmt von der KPÖ-Frauenvorsitzenden Heidi Ambrosch (li.) und Volksstimme-Redakteurin Bärbel Danneberg (re.). FOTO: KPÖ TIROL
01 Februar

Mädchen können pfeifen

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Die Tiroler Kinder- und Jugendbuchautorin Rosmarie Thüminger pfeift auf große Worte, sie möchte lieber Taten sehen. Von Bärbel Danneberg

Schon immer hat sie sich in ihren Büchern heikler, gesellschaftspolitisch umstrittener Themen angenommen und sie für Kinder und Jugendliche verständlich aufbereitet. Etwa die Erzählung »Ich werde Lokführerin« aus 1981. Heute ist das Thema »Mädchen in technischen Berufen« auch bei den ÖBB nichts Exotisches mehr. Die nun 83-jährige Rosmarie Thüminger war so gesehen Vorreiterin für emanzipatorische Mädchenarbeit. Der Verlag Jugend und Volk hat diesen Prosatext im Buch Mädchen dürfen pfeifen, Buben dürfen weinen veröffentlicht, welches im Zuge des von der damaligen Staatssekretärin Johanna Dohnal ausgeschriebenen Wettbewerbs gegen Rollenklischees entstanden ist.

Geschlechternormen zu hinterfragen, gelingt der Autorin, »ohne die kindliche Perspektive zu verlassen, ohne die Erzählung theoretisch zu überfrachten oder nicht einmal theoretisch zu belasten, ohne zu dozieren oder eine der Figuren dozieren zu lassen«, heißt es u. a. in der Laudatio von Ursula A. Schindler zu Rosmarie Thümingers 80. Geburtstag im Oktober 2019. »Ganz leicht kommt es daher, ganz aus dem Leben gegriffen, mit einem Spannungsbogen vom ersten Satz bis zum letzten. Das gilt für viele Bücher von Rosmarie Thüminger.«

Hinter den Bergen

In dem Buch Die Entscheidung aus 1992 geht es um die späte Schwangerschaft im Leben einer Frau und einen möglichen Abbruch wegen des Risikos, ein gehandycaptes Kind zur Welt zu bringen. Ein Vierteljahrhundert nachdem dieses Buch von Rosmarie Thüminger erschienen ist, wird das Thema Schwangerschaftsabbruch auf Krankenschein in den öffentlichen Spitälern Tirols nach wie vor abgeschmettert. Den kürzlichen Vorstoß von SPÖ-Soziallandesrätin Pawlata hat der Koalitionspartner ÖVP im vergangenen November kurzerhand vom Tisch gewischt.

Woher nimmt die Autorin die Kraft, über Jahrzehnte gegen Windmühlen anzuschreiben? Ob es um die Probleme des Überlebens eines Kriegsheimkehrenden im Nachkriegsösterreich geht (Ein Ort für Morgen), um Arbeitsmigration (Burgl. Ferien sind aufregend), Arbeitslosigkeit (Ab morgen ist Papa zu Hause), um Assimilation oder Selbstbestimmung einer jungen Kurdin (Fidan. Langer Weg in eine neue Zukunft) oder Neonazismus und Fremdenfeindlichkeit (Laura und Simone) – immer ist Thüminger parteilich auf Seiten der Unterdrückten, und das sind in der Mehrzahl Frauen. »Ich habe mir damals die Programme der verschiedenen Parteien besorgt«, sagt sie in unserem Gespräch anlässlich der Ehrung ihrer 50-jährigen KPÖ-Parteimitgliedschaft. »Und da habe ich gesehen, dass sich die KPÖ sehr für Frauenfragen engagiert.«

Ein politisches Leben

Ihr erstes und erfolgreichstes Buch Zehn Tage im Winter wurde zunächst von vielen Verlagen abgelehnt. Erst im so genannten »Bedenkjahr« 1988 erschien es im Dachs-Verlag und wurde in der Folge in viele Sprachen übersetzt. Es thematisiert die Verstrickung einer Familie aus Tirol in die widersprüchlichen Ereignisse zur Zeit des Nationalsozialismus.

Dieses Thema wird in ihrem letzten Buch Mit offenen Augen, Adele Stürzl. Eine Annäherung fortgesetzt. Es erschien 2009 im TAK (Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative) und handelt von einem Frauenleben, beginnend 1892, das 1944 durch das Fallbeil beendet wurde. Die dazwischenliegenden 42 Jahre Lebensgeschichte von Adele Stürzl sind der Stoff, dem sich Rosmarie Thüminger mit großer Empathie annähert. »Thümingers ›Annäherung‹ an Adele Stürzl kann auch als Zeitdokument zwischen den beiden Weltkriegen gelesen werden und als Geschichte der KPÖ Tirols. In akribischer Genauigkeit zeichnet sie die verhängnisvollen Etappen der faschistischen Herrschaftsergreifung und den mutigen Widerstand gegen die NS-Diktatur nach, ergänzt durch ein Glossar zu den historischen Hintergründen. Und das alles in einem leichten, sehr persönlich gehaltenen Erzählstil mit genauem Blick auf die Details des Alltagslebens«, schrieb ich in meiner damaligen Rezension für die Volksstimme. Vor allem die Arbeit im Bund Demokratischer Frauen Österreichs, dessen langjährige Tiroler Landesvorsitzende sie war, die Bewegung gegen den Vietnamkrieg und später die Aktionen gegen Kriegshetze und für aktive Friedenspolitik nennt sie als Motivation für ihr politisches Engagement.

Ehrungen und Preise

Für ihr literarisches Schaffen erhielt die ehemalige Kinderkrankenschwester zahlreiche Auszeichnungen, etwa 1989 den Österreichischen Kinderbuchpreis und 2014 den Otto-Grünmandl-Literaturpreis. Die Landeskonferenz der KPÖ Tirol wählte Rosmarie Thüminger am 30. Juni 2022 zur Ehrenvorsitzenden. Kurz vor Weihnachten feierten die Genoss*innen in ihrem wunderschön renovierten Innsbrucker Parteilokal ihre 50-jährige Mitgliedschaft in der KPÖ. Frauenvorsitzende Heidi Ambrosch und ich hatten die Ehre, die Hochachtung, die der Jubilarin von Jung und Alt entgegengebracht wird, aus der Nähe zu erleben, was Bezirkssekretär Roland Steixner auszudrücken verstand: »Ihren enormen Erfahrungsschatz als Zeitzeugin gab und gibt sie mit besonderer Freude an die jungen Genoss*innen weiter, von denen sie sowohl für ihr profundes Wissen als auch für ihr herzliches und bescheidenes Wesen ebenso geschätzt wird wie von den langjährigen Genoss*innen der Partei.«

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