Es bedarf guter Argumente, die Mythen der Immobilienbranche zu entlarven. Mit ihrer Studie haben Andrej Holm und Claus Schreer uns eine ganze Menge in die Hand gegeben – nutzen wir sie, meint KARL REITTER.
Der folgende Artikel beruht auf der umfangreichen und sorgfältig recherchierten Studie Mietpreis-Explosion und Wohnungsnotstand von Andrej Holm und Claus Schreer.1 Ihre Untersuchung basiert auf den Verhältnissen in Deutschland, ihre grundlegenden Erkenntnisse gelten grundsätzlich auch hierzulande. Ihre Ergebnisse zeigen, dass viele Behauptungen der Immobilienwirtschaft bloße Mythen darstellen. Kommen wir sogleich zur Sache:
Mythos: Hohe Grundstückspreise führen notwendig zu hohen Baukosten und hohen Mieten
Wahr ist hingegen das Gegenteil. Nicht hohe Grundstückspreise führen zu hohen Mieten, sondern hohe Mieten führen zu hohen Grundstückspreisen. Der bloße Grund und Boden, die Oberfläche der Erde hat marxistisch gesprochen gar keinen Wert, wohl aber einen Preis und oft einen sehr hohen. Wert kommt nur Arbeitsprodukten zu und die Erdoberfläche ist kein Produkt der Arbeit. Wie kommt nur der Boden zu seinem fiktiven Wert, gibt es da ökonomische Gesetzmäßigkeiten? Ja, die gibt es sehr wohl. Um sie zu erkennen, müssen wir die Sichtweise der Verwertung von Eigentum einnehmen. Im gemeinen Alltagsverstand werden periodische Einkünfte aus einer »Sache« als »Ertrag« bezeichnet. Woher nun dieser Ertrag kommen mag, ob aus produktiver Tätigkeit, Vermietung und Verpachtung, aus Aktienbesitz oder Börsengeschäften, aus Handelsgewinnen oder aus Bankguthaben, ist für den kapitalistischen Hausverstand einerlei. Ertrag ist Ertrag, nur möglichst hoch soll er sein.
Nichts interessiert den »Hirnkasten« (Marx) der Kapitaleigner mehr, als die Frage, wo und unter welchen Bedingungen die meiste Rendite zu bekommen sei. Stets wird die zu investierende Summe mit dem Gewinn prozentual in Verbindung gebracht, anders gesagt, die Frage, um wie viel Prozent vermehrt sich mein Geld, ist die entscheidende. Und so kommt auch der fiktive Wert für Grundstücke zustande. Wenn ich ein Grundstück um 20 Millionen erwerben kann und es mir pro Jahr eine Million einbringt, dann vermehrt sich mein Geld jedes Jahr um 5 Prozent. Eine solide Rendite insbesondere in Zeiten ökonomischer Flaute. Daher gilt: Der Kaufpreis für das Grundstück wird durch die Rendite bestimmt, nicht umgekehrt. Je höher die Mieten, je höher der jährliche Gewinn aus der Vermietung, desto höher auch der Preis für das Grundstück. Wir haben es mit einer Spirale zu tun: jede Erhöhung der Mieten führt zur Preissteigerung des Bodens, in Folge zu weiteren Preiserhöhungen der Miete und der Wohnkosten.
Spekulation kommt dann ins Spiel, wenn massive Gewinnsteigerungen erwartet werden. Wenn angenommen der »Ertrag« eines Grundstückes von einer auf drei Millionen gesteigert werden könnte, etwa durch Abriss des alten Hauses und der Errichtung von Luxuswohnungen auf diesem Grundstück, dann wird man für dieses Grundstück bei gleichbleibender 5-Prozent-Rendite statt 20 schon 60 Millionen hinblättern müssen. Das erklärt auch das scheinbar seltsame Phänomen, dass unbebaute Grundstücke in zentralen Lagen mehr »wert« sind als bebaute. »Überall dort, wo die aktuelle Rendite deutlich unter der potentiell möglichen liegt, besteht aus der Eigentümerperspektive ein erheblicher ökonomischer Anreiz für die Verdrängung der BestandsbewohnerInnen« so Holm und Schreer. Die Bestandsfreimachung, also die Vertreibung der eingesessenen MieterInnen, zählt zu den abscheulichsten Praxen der Immobilienwirtschaft.
Mythos: freie Mietvereinbarungen führen zu einem marktgerechten Angebot an Wohnraum
Was bedeutet eigentlich marktgerecht? Bei normalen Waren bedeutet marktgerecht schlichtweg, dass der übliche Profit beim Warenverkauf realisiert werden kann. Das gilt auch für den Wohnbau. Ein Wohnhaus ist erstmals eine Ware wie jede andere. Produziert durch Lohnarbeit bringt sie dem investierten Kapital Profit. Dieser soll möglichst hoch sein, aber wie Marx im Kapital zeigt, pendelt sich die Profitrate durch Konkurrenz und das Spiel der Marktkräfte auf einen Durchschnittsprofit ein, der von marxistischen Ökonom Innen auch berechnet werden kann. Beim Verkauf oder der Vermietung von Wohnungen bezahlten die KonsumentInnen wie bei jeder Ware auch diesen Durchschnittsprofit. Beim Immobiliensektor kommt aber noch ein weiterer Preisanteil hinzu: die Grundrente. Wohnraum ist an Grund und Boden gebunden, dieser unterscheidet sich jedoch durch seine Lage und Position. Einfach gesagt: Eine völlig vergleichbare Wohnung (Größe, Ausstattung, Komfort usw.) wird im Zentrum einer Großstadt oder in besonders schönen Lagen weitaus höhere Preise erzielen, als haargenau dieselbe Wohnung in einer niedergehenden Provinz mit Dreck und Armut.
Es ist also die Lage selbst, die kein Bauherr produzieren oder verändern kann, die es aber dem Grundbesitzer erlaubt, einen mehr oder minder hohen zusätzlichen Tribut zu verrechnen, der auf die MieterInnen abgewälzt wird. Marx nennt dies die Differentialrente, die die GrundbesitzerInnen kassieren. Differentialrente deshalb, weil sie durch die Differenzen, den Unterschieden des Bodens und seiner Lage, bestimmt wird. Dieser Zuschlag, die Grundrente, hat mit den Kosten für Errichtung und Erhaltung von Gebäuden absolut nichts zu tun. Zum üblichen Profit tritt also eine mehr oder minder hohe Grundrente, die die MieterInnen und KäuferInnen von Eigentumswohnungen zusätzlich zu bezahlen haben. Am Preiszettel selbst scheint sie eben so wenig auf wie der Profit. Nur eine marxistische ökonomische Analyse kann sie entschlüsseln. Diese Grundrente resultiert ausschließlich aus dem Eigentumstitel selbst, keine BesitzerIn von Grund und Boden muss dafür eine einzige Arbeitsstunde leisten oder in Auftrag geben. »Ein Teil der Gesellschaft verlangt hier von den andern einen Tribut für das Recht, die Erde bewohnen zu dürfen, wie überhaupt im Grundeigentum das Recht der Eigentümer eingeschlossen ist, den Erdkörper, die Eingeweide der Erde, die Luft und damit die Erhaltung und Entwicklung des Lebens zu exploitieren.« (Marx, Kapital Bd. III, S. 782) Es ist also das bloße Eigentum an sich, das ohne jede Arbeitsleistung zur Quelle des Einkommens wird und je nach Lage Wohnraum massiv verteuert.
Marktgerechte Mieten bedeuten also im Klartext: zu den üblichen Profiterwartungen addiert sich die Grundrente. In besonders angesagten Städten explodieren daher die Wohnkosten, Berlin (+ 104 %) und München (+ 61 %) weisen in Deutschland die höchsten Mietpreissteigerungen der letzten zehn Jahre auf. Zudem kommt: Das Kapital hat auf der Suche nach profitablen Anlagesphären längst das Geschäft mit Boden und Immobilien entdeckt. Inzwischen agieren milliardenschwere Investoren aus der Finanzwelt in diesem Wirtschaftssektor. »In Berlin hat sich das Volumen der Immobilienverkäufe zwischen 2009 (6,5 Milliarden Euro) und 2017 (18,1 Milliarden Euro) fast verdreifacht.« Interessen von MieterInnen sind da nur lästig. Mietpreisbeschränkungen und unkündbare Mietverträge führen daher zu kaum verhüllten Wutausbrüchen der Immobilienwirtschaft, sind sie doch ein Hemmnis für Spekulation und Preiserhöhungen. Gibt es keinen politischen Widerstand oder gesetzliche Beschränkungen, sitzen die besitzenden Klassen auf dem längeren Hebel. Aus der Sicht der Lohnabhängigen sind zwei Märkte besonders prekär. Der Arbeitsmarkt – die eigene Arbeitskraft muss verkauft werden, koste es was es wolle; und der Wohnungsmarkt – wir alle benötigen eine Behausung, wollen wir dem Schicksal der Obdachlosigkeit entgehen. Was ein entfesselter freier Wohnungsmarkt bewirkt, zeigen unter anderem die Verhältnisse in den USA. Jeder 90. in den USA lebende Mensch wohnt auf der Straße2, darunter 2,5 Millionen Kinder.3 Bei kaum einem andren Konsumgut sind die Menschen so erpressbar wie beim Wohnraum. Weltweit zeigen alle Erfahrungen, dass ein entfesselter Immobilienmarkt zu exorbitanten Steigerungen der Wohnkosten führt – aber was schert die Geschäftemacher mit dem Wohnen die Existenzsituation der Menschen.
Steuerbegünstigung für den Wohnbau und Mietbeihilfen sind keine Lösungen
Holm und Schreer weisen anhand der Fakten überzeugend auf, dass Steuerbegünstigungen und Wohnbeihilfen letztlich nur der Immobilienwirtschaft zugutekommen. Nach deutschem Steuerrecht bringt ein im Jahre 1950 errichtetes Wohnhaus den Besitzerinnen bis zum Jahre 2019 eine Steuerersparnis bis zum »Fünffachen der ursprünglichen Baukosten«. Auch in Österreich existieren zahlreiche steuerliche Begünstigungen für den Wohnbau. Nicht zu unterschätzen sind auch die Transfergelder durch die Mietzinsbeihilfen durch Hartz IV in Deutschland und die Mietzinsbeihilfe (Finanzamt) und die Wohnbeihilfe (in Wien Magistratsabteilung 40) in Österreich. Letztlich profitiert nur die Immobilienwirtschaft: »Je höher der Staat die teuren Mieten subventioniert, umso größer ist der Spielraum für noch höhere Mietforderungen – was wiederum noch höhere Mietforderungen zur Folge hätte.«
Mietzinsgrenzen, sozialer Wohnbau und Grund und Boden in gesellschaftliches Eigentum
Die Autoren der Studie schlagen gegen den grassierenden Wohnungsnotstand drei Maßnahmen vor:
1.Sofortiger Mietstopp und Mietpreis begrenzung, ohne diese Maßnahme sei »das Problem der immer höher steigenden Mieten auf Dauer nicht zu lösen«.
2.Sozialer Wohnbau mit dauerhaft bezahlbaren Mieten.
3.Grund und Boden in gesellschaftliches Eigentum. »Grund und Boden müssen der privaten Verfügungsgewalt und der Profispekulation entzogen und in demokratisch kontrolliertes gesellschaftliches Eigentum überführt werden.« Klarerweise müssen die Besitzer Innen von Eigenheimen und Eigentumswohnungen davon ausgenommen werden. »Diese bekommen die Nutzung des Grundstückes in Form von Erbbaurechtsverträgen garantiert.«
Um diese Forderungen durchzusetzen, bedarf es auch guter Argumente, Holm und Schreer haben uns eine ganze Menge in die Hand gegeben – nutzen wir sie.
1 Diese Studie ist als isw-report Nr. 116/117 erschienen und kann gegen eine Schutzgebühr von 5,– Euro unter www.isw-muenchen.de angefordert werden.
2 Quelle: https://www.suedwind-magazin.at/obdachlosigkeit-zahlen-und-fakten
3 Quelle: https://www.tt.com/panorama/gesellschaft/9280297/2-5-millionen-obdachlose-kinder-in-usa