Ein Gespräch zwischen Gabu Heindl und Andrej Holm über die Besonderheiten des Wohnungsmarktes und seiner Kritiker*innen in Wien und Berlin. Für die Volksstimme fragten HEIDE HAMMER und HOLGER VAN DORDRECHT.
Was macht Berlin so attraktiv für Immobilien-Kapital und somit auch so schwierig für arme Leute?
ANDREJ HOLM: Konflikte um Mietsteigerungen und Verdrängung sind in Berlin seit Anfang der 90er Jahre ein Dauerthema. Geändert haben sich aber die geografischen, politischen und ökonomischen Kontexte der Wohnungsfrage. Seit knapp zehn Jahren macht eine Gentrification-Analyse kaum noch Sinn, denn die Dynamik der inzwischen finanzmarktgetriebenen Ertragserwartungsspekulation hat Miet steigerungen und Verdrängungsdruck in fast allen Bezirken zur Folge. Der angespannte Wohnungsmarkt ist dabei nicht einfach nur ein Reflex auf demographische Veränderungen und Bevölkerungswachstum, wie es die Baulobby gerne erklärt, sondern geht ganz wesentlich auf eine veränderte Eigentümer*innenstruktur und eine über viele Jahre neoliberale Wohnungspolitik zurück. Mit der Privatisierung von mehr als 220.000 öffentlichen Wohnungen wurde nicht nur der Bestand der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften fast halbiert, sondern institutionellen Anlegern Tür und Tor geöffnet. Mit der Deutschen Wohnen, Vonovia und anderen Firmen werden inzwischen knapp 250.000 Wohnungen von privaten und zum Teil börsennotierten Großkonzernen verwaltet. Angetrieben durch die hohen Kaufpreise steigt zudem der Anteil von Immobilienfonds und Kapitalgesellschaften, die Bestände von Einzelpersonen oder aus dem Familienbesitz übernehmen. Das Wohnen in Berlin hat sich so zu einer Anlagestrategie für finanzwirtschaftliche Investments entwickelt. Die Ertragserwartungen sind dabei deutlich gestiegen und werden direkt an die Mieter*innen weitergegeben. Die schnellsten Wege zu hohen Erträgen sind Neuvermietungen und der Verkauf als Eigentumswohnungen – in beiden Fällen wird die Verdrängung der bisherigen Bewohner*innenschaft zum Geschäftsmodell. Verschärft wird die Situation durch das dramatische Abschmelzen des Sozialwohnungsbestandes, weil in der (west) deutschen Fördersystematik des Sozialen Wohnungsbaus Mietpreis- und Belegungsbindungen immer nur als soziale Zwischennutzung angelegt waren. Seit der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit gelten am Ende der Förderphase für die ehemaligen Sozialwohnungen die üblichen Marktbedingungen. Daher sind viele Auseinandersetzungen mit den Eigentümer* um das Recht auf Wohnen. innen und Hausverwaltungen existenzielle Kämpfe
Läuft in Wien einfach alles langsamer und Berlin zeigt uns nur ein mögliches Zukunftsszenario, oder sind die Verhältnisse doch gänzlich andere?
GABU HEINDL: Auf Basis der sozialdemokratischen Umverteilungspolitik des Roten Wien und der anhaltenden Aktivität Wiens im Sozialen Wohnbau wurde eine einzigartige Situation geschaffen – und doch ist es nötig, den Finger auf all das zu legen, was für immer mehr Leute in Wien nicht funktioniert. Kurz gesagt, ist ein großer Teil der Bevölkerung noch relativ gut mit Wohnraum versorgt, aber ein prozentuell dazu steigender anderer Teil lebt in derselben Unsicherheit, Verdrängungsgefahr, Wohnungsnot, Unleistbarkeit wie etwa in Berlin. Generell steigt der Anteil des Einkommens, den Leute fürs Wohnen aufwenden müssen. (Im Schnitt werden private Neubauwohnungen heute um über zwölf Euro/m2 vermietet, 70 Prozent davon sind befristet.)
Andrej hat die Massenprivatisierung ehemals kommunaler Wohnungen angesprochen: Leider gibt es diese Tendenz in langsameren, unsichtbareren Schritten auch in Wien: Schon 1994 hat die SPÖ-ÖVP-Koalition die Mietkaufoption bei Gemeinnützigen eingeführt, übrigens neben der Befristungsmöglichkeit und dem Lagezuschlag, auch die gab es davor nicht; und jetzt, kurz nach Ende der nationalkonservativen Regierung, wurde eine Novelle umgesetzt, die noch von dieser vorbereitet wurde, der zufolge Mietkaufoption für geförderte Wohnungen verpflichtend bereits nach fünf Jahren gilt. Dieselbe Novelle wurde von ihren Autor* innen dafür gelobt, dass sie gemeinnützige Wohnbauvereinigungen besser davor schützt, an Investor*innen ausverkauft zu werden (was in den letzten Jahren mehrfach passiert ist). Ein eklatanter Widerspruch. Kritik ist hier dringend nötig. Kritik auch an den Anfängen im Roten Wien, etwa an dessen Ausschlusskriterien: Wie heute erhielten schon damals Wiener* innen mehr Zugangspunkte. Auch den Paternalismus ist das Wiener System nie losgeworden.
Tastet der wiedergefundene Begriff der »Enteignung« die Eigentumsverhältnisse an?
GABU HEINDL: Die neue Wiener Widmungskategorie »Geförderter Wohnbau« ist eine Maßnahme, die einige Grundstücksbesitzende hierzulande auch »Quasi-Enteignung« nennen, weil sie durch sie um einen großen Teil des bereits vor-spekulierten Widmungsgewinns umfallen würden. Wenn so gewidmet wird, muss ein »überwiegender Teil« des Grundstücks (im Regelfall 75 Prozent) als geförderter Wohnbau ausgewiesen werden, d. h. Grundstückskosten sind hierfür begrenzt mit bis zu einem Zehntel dessen, was derzeit im Verkauf von städtischem Grund und Boden lukriert wird. Ab sofort sollten alle Umwidmungen oder größere Widmungsänderungen in diese Kategorie fallen. Das hieße, dass in Neubaugebieten im Schnitt 75 Prozent geförderter Wohnbau entstehen würde. Allerdings hängt alles davon ab, ob diese neue Bauordnung auch tatsächlich umgesetzt wird – und das sieht derzeit nicht so aus. Christoph Chorherr (bis 2018 grüner Planungssprecher) hat gleich beim ersten Fall – Umwidmung für ein Hochhaus, Kreuzung Wagramer Straße/Donaustadtstraße – eine Ausnahme gemacht: Dort werden 0 Prozent geförderte Wohnungen entstehen.
Im Grunde gibt es in Wien keine breite politische Diskussion über Enteignung, außer die erwähnte in Form der neuen Widmungskategorie. Es gibt aber auch noch keine ähnlich großen und identifizierbaren Gegner wie Deutsche Wohnen & Co (vielleicht füllt ein Tojner oder ein Benko hierzulande diese Stelle), obwohl natürlich auch stets vonseiten des Kapitals enteignet wird – oft mit Unterstützung der Politik.
Enteignung besteht als mögliches Instrument nicht nur in Wien, sondern auch in den anderen Bundesländern, wird allerdings fast nur für Infrastrukturmaßnah men (Straßenbau) angewandt. Durch das Bodenbeschaffungsgesetz und die Wiener Bauordnung könnte Grund und Boden enteignet werden, das wird aber nicht gemacht. An sich wäre Enteignung durch besonderes öffentliches Interesse begründet. Derzeit ist es beim Menschenrecht auf Wohnen offensichtlich nicht gegeben. Woran wir also gemeinsam arbeiten müssen, ist dieses öffentliche Interesse, Vergesellschaftung, Enteignung für eine breite Öffentlichkeit denkbar zu machen, also nicht nur in der Blase.
ANDREJ HOLM: Da unterscheiden sich die Enteignungsdiskussionen in Berlin deutlich. Bei der Initiative für das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« geht es nicht einfach nur um den kommunalen Erwerb von einzelnen Grundstücken oder Häusern. Mit Verweis auf Artikel 15 des Grundgesetzes wird die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Immobilienkonzerne gefordert. Es geht um eine Enteignung zum Zwecke der Sozialisierung. Da der Zweck der Sozialisierung in der dauerhaften Bereitstellung von leistbaren Wohnungen liegt, kann die Entschädigung nicht zum Marktpreis erfolgen. Das Grundgesetz sieht da ganz explizit einen Ausgleich zwischen Entschädigungsansprüchen und Sozialisierungszwecken vor. Die Immobilienlobby und die sie unterstützenden Parteien versuchen den Volksentscheid mit Marktpreisargumenten zu schwächen, da es tatsächlich unrealistisch wäre, dass Berlin die ehemals privatisierten Bestände für über 30 Mrd. Euro zurückkauft. Aber auch die meisten Rechtsgutachten sind da eindeutig, wenn das Volksbegehren erfolgreich sein sollte, wird es auf einen politischen Entschädigungspreis hinauslaufen, der deutlich unter den aktuellen Marktwerten liegt. Dass die aktuellen Diskussionen über Enteignung und Mietendeckel in Berlin durchaus ernst genommen werden, zeigt ja auch der Absturz der Börsenwerte der Deutschen Wohnen.
Neben vielfältigen Kämpfen um ein »Recht auf Wohnen« gibt es diverse Projekte, die kollektives und partizipatives Wohnen realisieren. Wie können diese Konzepte auch von Leuten mit weniger Ressourcen an Zeit und Geld (Bsp. SchloR oder Wohnprojekt Wien) genutzt werden?
GABU HEINDL: SchloR ist ein selbstinitiiertes Betriebs-, Kultur- und Wohngelände in Simmering, das als Mitglied zugleich am Aufbau von der Syndikatsstruktur habiTAT beteiligt ist (Anm.: habiTAT ist die österreichische Schwester des deutschen Miets häusersyndikats). Ihr Ziel ist selbstbestimmtes kollektives Leben, zugleich ein Bruch mit kapitalistischen Logiken von Immobilien- und Wohnungs»markt«: Durch Crowdfunding sind sie unabhängig von Eigenkapital und Förderungen, und Grundstück wie Gebäude sind dauerhaft dem Markt entzogen. Das Wohnprojekt Wien ist ein Baugruppenprojekt in einem geförderten Wohnbau – die zwei Projekte spannen schon eine Bandbreite an Möglichkeiten auf. SchloR zeigt, dass auch ohne Förderung die Ressource Geld kein Hinderungsgrund ist, Zeit und Wissen aber sehr wohl – und dort liegt auch der Haken Richtung Breitenwirksamkeit. Als Architektin von SchloR sehe ich direkt, wieviel Zeit die Gruppe in die Projektentwicklung steckt. Zeitgleich schreibe ich grad eine Studie über die Wohnverhältnisse prekarisierter Frauen in Wien, und da kommt die Frage nach der selbstbestimmten Gestaltung ihrer Lebensumgebungen immer am Ende und wird als ein Luxus abgetan für Frauen, die sich doch schon das ganz normale Wohnen nicht leisten können. Genau deshalb arbeiten wir an einem prototypischen Projekt, das beides ermöglichen soll. Solange aber Menschen Tag und Nacht arbeiten müssen für ein Auslangen, also in ihrer prekären Situation kaum freie Minuten für sich selbst haben, wird das Arbeiten an einer kollektiven Wohnungszukunft Luxus für diejenigen bleiben, die Zeit haben.
ANDREJ HOLM: Zum einen erinnern uns einige selbstorganisierte Hausprojekte daran, dass es beim Wohnen um mehr geht als den Mietpreis und zeigen gerade in ihren gemeinschaftlichen Formen das Bauen und Zusammenleben, dass es eine Stadt jenseits von Markt und Staat geben kann. Auf der anderen Seite stehen die Beschränkungen auf ein relativ überschaubares Milieu. Mit tollen Ideen, die nur für wenige passen, kannst du aber die Realität in den Städten nicht verändern.
Es gibt zwei Wege, aus diesem Dilemma herauszukommen. Zum einen die be wusste Öffnung von Hausprojekten für Leute, die eben nicht schon sowieso dazugehören. Das ps wedding-Projekt in Berlin geht diesen Weg und entwickelt das Projekt mit der Selbstverpflichtung, in der künftigen Bewohner*innenschaft die Sozialstruktur der Nachbarschaft zu spiegeln. Ein anderer Weg ist die Adaption von Prinzipien der Kollektivität in bestehende Kontexte. Unter dem Stichwort »kommunal & selbstverwaltet« haben Aktive aus verschiedenen Hausgemeinschaften verschiedene Modelle der Mitbestimmung vom Mieter*innenrat bis zur kompletten Selbstverwaltung entwickelt, die nun mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften diskutiert werden. Die Vorschläge stoßen bisher auf wenig Gegenliebe. Aber in einem Fall – am Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ) – wurde als Pilotprojekt zumindest eine Kooperationsvereinbarung zwischen Wohnungsbaugesellschaft und Mieter*innenrat abgeschlossen.
GABU HEINDL: »Kommunal und selbstverwaltet« ist ein gutes Stichwort für Wien. Besser gesagt, es sind fast zwei Antipoden bei dem Ausmaß an paternalistischem Regieren, das es im Wiener Gemeindebau und seiner Top-Down- Verwaltung gibt. Galt die Gemeindewohnung historisch doch immer eher als Geschenk quasi direkt vom Bürgermeister, nicht als kommunale Errungenschaft, für die es kollektiven Anspruch ebenso wie Care-Arbeit gäbe, in Form von teilweiser Selbstverwaltung, Hausmeister-Neu-Konzepten, Besiedelungsmanagement seitens der Bewohner*innen selbst, etc.
Was wären eure kühnen Utopien für ein gutes Wohnen für alle?
ANDREJ HOLM: Peter Marcuse und David Madden beschreiben in ihrem Buch »In Defense of Housing« den unter kapitalistischen Bedingungen unauflösbaren Widerspruch zwischen dem »Wohnen als Immobilie« und dem »Wohnen als Zuhause«. Ein soziales Wohnen setzt ganz sicher voraus, dass Wohnen von den Gebrauchswerten her geplant, gestaltet und genutzt wird. Das wird sich nur jenseits der gegenwärtigen Marktbedingungen durchsetzen lassen und setzt – wenn wir gerade keine sozialistische Revolution anzetteln wollen – die öffentliche Verantwortung voraus, Wohnen als soziale Infrastruktur zu organisieren. Zugleich wird das Wohnen auch in der Zukunft eine private Angelegenheit bleiben und es wird eine Vervielfältigung an Wohnwünschen und Lebensformen geben, die mit starren Planungsvorgaben und paternalistischen Verwaltungsapparaten nicht zu erfüllen sind. Hier sind Beteiligungsmodelle gefragt. Kurz auf den Punkt gebracht geht meine Utopie wohl in Richtung des Dreiklangs: Vergesellschaftung des Bodens, gemeinwirtschaftliche Bauträger und Mieter*innenselbstverwaltung. Wie jede Utopie ist sie für ein Realmodell viel zu abstrakt, aber sie kann uns als Kompass dienen.
GABU HEINDL: Ich kann mich dem gut anschließen. Auch im Sinn von Ernst Bloch, der Utopie als ein Aufscheinen von entstehenden Möglichkeiten versteht, nämlich Aufscheinen in historischen Konstellationen, also auch als Hoffnung auf menschliches Glück: aber nicht verträumt, sondern in Opposition zu analysierten realen Verhältnissen. So eine Utopie lautet bedingungsloses Recht auf guten Wohnraum für jede*n. Dazu gehört auch das Konzept Freiheit, etwa in Form von Wahlfreiheit für alle: eine Auswahl zu haben, wo und wie Menschen wohnen, besser noch: wie sie leben möchten – eben nicht in Form der modernistischen Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Aber auch Sicherheit muss Teil des Rechts auf Freiheit sein, nämlich sicher zu sein vor Wohnungsnot, Diskriminierung und Ausbeutung.
Die Langfassung dieses Gesprächs finden Sie auf www.volksstimme.at
Gabu Heindl arbeitet als selbständige Architektin, Stadtplanerin und Stadtforscherin in Wien und unterrichtet an der Akademie der Bildenden Künste in Wien sowie als Visiting Professor an der Sheffield University, UK. Ihre Architekturschwerpunkte sind radikaldemokratische Stadtplanungs- und Wohnbaupolitik, Öffentlicher Raum und Geschichtspolitik.
Andrej Holm arbeitet als Sozialwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Themen sind die Stadt- und Wohnungspolitik sowie die damit verbundenen gesellschaftlichen Konflikte. Daneben engagiert er sich seit über 25 Jahren in Stadtteilinitiativen und Mieterorganisationen und setzt sich aktiv für das Recht auf Wohnen ein.