Ein Mieter*innensyndikat in Österreich? Ein Dauerthema: steigende Mieten in und um die Ballungsräume. Der österreichweite Dachverbund »habiTAT« gibt darauf eine praktische Antwort: Immobilien werden dem Markt entzogen und in Gemeineigentum überführt.
Von Rainer Hackauf
Die Grundidee dafür ist in Freiburg in der Hausbesetzer*innenszene der 1980er Jahre entstanden. Im Mittelpunkt stand die Idee, Häuser kollektiv zu verwalten und unabhängig von Staat und Immobilienmarkt langfristig abzusichern. Selbstbestimmtes Wohnen sollte so für alle möglich sein. Heute gibt es rund 170 Wohnprojekte, die im gemeinsamen »Mietshäuser Syndikat« zusammengeschlossen sind. Der politische Anspruch dahinter: Wohnraum ist keine Ware, keine Profite mit der Miete!
Baugruppen-Boom in Österreich
Nach einer langen Pause kam es in den letzten Jahren zu einem regelrechten Baugruppen-Boom in Österreich. Dabei ist das Syndikats-Modell nur eines unter zahlreichen anderen Modellen, das in den letzten Jahren zur Anwendung kommt. Denn Baugruppe ist nicht gleich Baugruppe. Viele der aktuellen Projekte funktionieren auf Basis von Privateigentum oder sind an genossenschaftliche Modelle angelehnt. Das spiegelt sich hier auch in der sozialen Zusammensetzung der Bewohner*innen wider, die oft einen hohen Bildungsabschluss haben und finanziell gut abgesichert sind.
Doch es gibt auch eine Vielfalt alternativer Modelle dazu. Die »Wohnprojekte-Genossenschaft« (Die WoGen) etwa ist bewusst einen anderen Weg gegangen. Selbstverwaltete Wohngruppen können mit Unterstützung der Genossenschaft, die auch als Bauträger auftritt, ihr Wohnprojekt realisieren. Das zusammen mit den Bewohner*innen gebaute Objekt bleibt jedoch im Besitz der Genossenschaft. Die Bewohner*innen sind dort zwar Mitglieder, ihr Haus mieten sie jedoch über einen Verein von der Genossenschaft nur an. Auch hier wird versucht, Wohneigentum von der Nutzung zu trennen. Eigenmittel der Bewohner*innen sind dennoch vonnöten.
Andere Projekte funktionieren nach dem Modell des »Vermögenspools«. Der Pool setzt auf eine spezielle Art des Crowdfundings. Geldgeber*innen haben zwar kein Nutzungsrecht, werden jedoch zur Absicherung ins Grundbuch aufgenommen.
Das Syndikats-Modell kurz vorgestellt
Einen Schritt weiter geht das Syndikats-Modell. Das »habiTAT«, wie das Mietshäuser Syndikat in Österreich heißt, wurde vor rund sieben Jahren von den Initiator*innen des selbstverwalteten Hausprojekts »Willy*Fred« in Linz gegründet. Zurzeit gibt es sechs weitere Hausprojekte im gemeinsamen Verbund. Wie in Deutschland werden auch in Österreich Häuser mit einem speziellen Rechtsmodell aus dem Immobilienmarkt »freigekauft«, um zukünftige Spekulation zu verhindern.
Im Zentrum des Modells steht dabei eine Gesellschaft mit begrenzter Haftung (GmbH) als Grundstückseigentümerin. An dieser sind je Immobilie zwei Gesellschafter beteiligt: einerseits der Dachverbund »habiTAT«, andererseits der jeweilige Hausverein. Diese Konstruktion ist notwendig, um dem Hausverein ein 100-prozentiges Nutzungsrecht einzuräumen. Der gemeinsame Dachverbund bekommt jedoch ein Mitspracherecht bei einem drohenden Verkauf der Immobilie. Und kann diesen verhindern.
Lieber 1000 Freund*innen im Rücken als eine Bank im Nacken
Finanziert werden die Immobilien dabei aus einer Mischung aus Bankkredit und Direktkrediten. Direktkredite sind Darlehen von Privatpersonen, die dafür einen Zinssatz zwischen null und 1,5 Prozent selbst wählen können. Die Darlehen können jederzeit wieder gekündigt und damit zurückgefordert werden. Eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Geldgeber*innen bekommen so mehr Zinsen als am Sparbuch. Zusätzlich wissen diese, was mit ihrem Geld passiert, statt das Geld einfach einer Bank zu überlassen. Wohnprojekte können so wiederum ihre Kreditzinsen minimieren.
Durch diese spezielle Form des Crowdfundings wird es möglich, Immobilien unabhängig von den finanziellen Eigenmitteln zu kaufen. Die Nutzung wird somit komplett vom Eigentum der Immobilie getrennt. Nutzer*innen sind weder Eigentümer*innen noch Miteigentümer*innen einer Immobilie. Geldgeber*innen haben wiederum kein Mitspracherecht bei der Nutzung. Der Immobilienbesitz ist im Netzwerk verteilt (»neutralisiert«) und wird so zum Gemeineigentum.
Möglichkeiten und Grenzen des Modells
In Bezug auf Größe und Form einzelner Projekte ist das Syndikats-Modell sehr flexibel, wie anhand der bestehenden »habiTAT«Projekte in Österreich sichtbar wird. Während das Hausprojekt »Willy*Fred« ein Altbauzinshaus aus dem Immobilienmarkt freigekauft hat, wurde etwa durch das Projekt »SchloR – Schöner leben ohne Rendite« ein 3.100m² großes Gewerbegrundstück in Wien-Simmering gekauft, um dort ein Werkstätten-, Wohn- und Kulturzentrum zu errichten. Das Projekt »Bikes and Rails« im Sonnwendviertel nahe dem Hauptbahnhof hat hingegen auf einem Pachtgrundstück der Stadt Wien neuen Wohnraum geschaffen.
Das Mietshäuser Syndikat in Deutschland ist hier noch einen Schritt weiter. Dort beginnen sich Städte für das Modell zu interessieren, um leistbaren Wohnraum zu schaffen. Zudem sind Immobilien innerhalb des Syndikats nicht in Gefahr, wieder privatisiert zu werden. Nicht ohne Grund wurden in der kürzlich zu Ende gegangenen Ausstellung »Boden für alle« im Architekturzentrum Wien Projekte wie »SchloR – Schöner leben ohne Rendite« auch als mögliche Zukunftsmodelle für einen solidarischen Umgang mit Grund und Boden präsentiert.
Kollektives Wohnen im »Roten Wien«
Wien wird international gerne als Vorbild für kommunalen Wohnbau herangezogen: 43 Prozent der knapp 700.000 Wohnungen sind hier im direkten Besitz der Gemeinde oder einem anderen Träger des sozialen Wohnbaus. Doch die rasanten Mietsteigerungen werden dabei gerne verschwiegen. So hat eine Studie einer privaten Immobilienfirma ergeben, dass 43 Prozent der Wiener*innen mehr als 40 Prozent des monatlichen Haushalts-Nettoeinkommens für ihre Miete ausgeben. Während bei dem hohen Anteil an geförderten Wohnungen rasante Mietsteigerungen abgefedert werden, explodieren diese am freien Wohnungsmarkt dafür in Folge der Finanzkrise.
Dabei wäre die Kombination aus Selbstverwaltung von Mietshäusern und finanzieller Unabhängigkeit durch kommunale Unterstützung auch für Wien ein interessantes Zukunftsmodell. Was leistbaren und ökologischen Wohnraum für die Mehrheit der Bevölkerung angeht, könnte durch das Aufgreifen zumindest einzelner Elemente der Selbstverwaltung an das sozialistische Projekt des »Roten Wiens« der Zwischenkriegszeit angeschlossen werden. Allerdings waren die Selbstverwaltung durch die Bewohner*innen oder gar kollektives Wohnen in der Tradition des sogenannten Austromarxismus kaum Thema – orientierte man sich doch am Konzept der bürgerlichen Kleinfamilie und entsprechenden Wohnformen. Dies änderte sich auch nach 1945 nur langsam. Beispielhafte Wohnprojekte wie der Megablock »Alt Erlaa« wurden der roten Stadtverwaltung zu gefährlich. Selbstverwaltete Bereiche der dortigen Bewohner*innen waren zu wenig kontrollierbar und daher unheimlich.
Wege aus der Krise
Die aktuelle Wohnungskrise ist auch eine Folge verfehlter Bau- und Bodenpolitik sozialdemokratischer Gemeindepolitik in Wien. Während die Gemeinde die eigene Bautätigkeit bald nach der Jahrtausendwende komplett eingestellt hat, kam es in der Folge der globalen Finanzkrise auch in Wien zu einem rasanten Anstieg der Bodenpreise. Diesem Anstieg sah man lange weitgehend tatenlos zu. Erst im März 2019 wurde schließlich eine neue Flächenwidmung beschlossen. Überall, wo Flächen in Wohngebiet umgewandelt werden, sind nun zwei Drittel für den sozialen Wohnbau vorgesehen. Wie sich diese neue Regelung auswirkt, bleibt noch abzuwarten.
Die Bodenpreise sind zurzeit auch das größte Hindernis für Projekte wie das »habiTAT«. So ist es nicht nur in Wien extrem schwierig, ein bestehendes Mietshaus zu kaufen. Auch an finanzierbare Baugrundstücke zu kommen ist kaum möglich. Dies ist aber keine Besonderheit des Syndikats-Modells, betrifft dies doch den sozialen Wohnbau als Ganzes. Denn auch für gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften sind die gestiegenen Bodenpreise ein großes Problem. Hier könnte die Stadt sowohl beim Kauf als auch beim Bau mit billigen Krediten unter die Arme greifen. Letztendlich braucht es aber auch in Wien eine politische Diskussion um den Zugriff auf Grundstücke und Immobilien, wie sie in Berlin etwa durch die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« angestoßen wurde.
Rainer Hackauf ist seit Jahrem im Kontext unterschiedlicher Recht-auf-Stadt-Initiativen aktiv. Zudem ist er Mitinitiator des Projekts »SchloR - Schöner leben ohne Rendite« in Wien-Simmering.