Die US-Außenpolitik nimmt enormen Einfluss auf die gesamte Welt. Die Wahl des neuen Präsidenten Joe Biden weckte die Hoffnung, dass sich vieles in der US-Außenpolitik ändert. Diese Hoffnung wird in vielerlei Hinsicht enttäuscht werden.
Von Adam Baltner
Seit Monaten schwärmen Journalist_ innen in den USA vom doch nicht so zentristischen Präsidenten Joe Biden. Dieser möge laut der LA Times zwar einen gemäßigten Ton anschlagen, doch treibe er »ein ehrgeiziges, progressives Programm voran«. Inzwischen ist dieser Diskurs vom großen Reformer-Präsidenten auch in den deutschsprachigen Medien angekommen. Hier lesen sich Analysen der US-Politik oft so, als wären sie von US-amerikanischen Zeitungen abgeschrieben, doch vor wenigen Monaten hat Der Spiegel mit einer Schlagzeile über »Genosse Biden« noch eins draufgesetzt.
Wenn Mainstream-Meinungsmacher_ innen unisono ein Loblied auf einen Politiker singen, sollten bei Linken die Alarmglocken läuten, und zwar erst recht, wenn dieser einer der mächtigsten Politiker der Welt ist. Umso verdächtiger ist die begeisterte Berichterstattung über den angeblichen Linksruck Amerikas unter Biden angesichts der Tatsache, dass sie auf Medienkanälen erscheint, die in der Regel linke Politik eher angreifen als befürworten. Und auch wenn an dieser Erzählung von einem Kurswechsel ein Körnchen Wahrheit dran ist – Bidens 1,9-Billionen-Dollar schweres Konjunkturpaket stellt gewiss einen Bruch mit der herrschenden Sparpolitik dar –, bricht sie in sich zusammen, wenn man Bidens Außenpolitik in Betracht zieht. Denn diese, wie der linke Historiker Daniel Bessner feststellt, ist strukturell identisch mit der Außenpolitik aller US-Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg, einschließlich der von Donald Trump.
Strategische Kontinuität: Unterstützung von Autokratien
Viele atmen zwar auf, weil Trump weg ist. Nun gebe es wieder einen US-Präsidenten, so die herrschende Meinung innerhalb der »transatlantischen« Expert_innenblase, der sich zur Demokratie bekennt und keinen Kuschelkurs mit Autokrat_innen fährt. Da sich diese Analyse jedoch in erster Linie auf die rhetorischen Unterschiede zwischen Biden und Trump konzentriert, geht sie an einer unbequemen Realität vorbei: die USA haben immer schon Autokratien unterstützt, wenn diese ihrer wirtschaftlichen und militärischen Vormachtstellung gedient haben – und sie haben in der Regel nur diejenigen Länder als antidemokratisch kritisiert, die für den US-Imperialismus ein Hindernis dargestellt haben. Von dieser Linie weicht Bidens Außenpolitik in keiner Weise ab.
Es ist schwer, Joe Biden ernst zu nehmen, wenn er etwa China Menschenrechtsverletzungen vorwirft, während er weiterhin Waffen an autokratische Regime in Saudi-Arabien oder Ägypten verkauft. Oder wenn er seine Solidarität mit prodemokratischen Demonstrationen in Kuba twittert, während er im selben Monat seinen CIA-Direktor William J. Burns zu einem geheimen Treffen mit Brasiliens rechtsextremem Präsidenten Jair Bolsonaro schickt. Da Bolsonaro derzeit offen über einen Militärputsch fantasiert, sollte er 2022 nicht wiedergewählt werden, kann man sich nur fragen, was er und Burns wohl besprochen haben. Wem solche Spekulation zu sehr nach Verschwörungstheorie klingt, der sollte sich ein paar Zahlen vor Augen führen, die aus einer Studie der Politikwissenschafterin Lindsey A. O’Rourke von 2019 stammen: Während des Kalten Krieges unternahmen die USA 64 verdeckte Versuche, ausländische Regierungen zu stürzen, und in 44 von diesen Fällen unterstützten sie autoritäre Kräfte.
Afghanistan: Strategische Anpassung statt grundsätzlicher Kurswechsel
Gegen den Vorwurf der strukturellen Kontinuität könnte man auf Bidens Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan verweisen, denn dieser provozierte einen massiven Aufschrei von Teilen des Washington-Establishments. Und Bidens Entscheidung, diese Besatzung nach knapp zwanzig Jahren zu beenden, ist aus linker Perspektive zweifellos zu begrüßen. Trotz der Tatsache, dass Verteidiger_innen des Krieges in Afghanistan sich gern auf einen Diskurs über Menschenrechte und Gleichstellung von Frauen berufen, hatte dieser Krieg verheerende Folgen für die Bevölkerung, darunter 70.000 zivile Todesopfer und 2,9 Millionen Binnenflüchtlinge. Zwischen 2011 und 2017 stieg die Armutsquote von 38 auf 55 Prozent, und allein im Jahr 2020 wurden 3.378 Sicherheitskräfte und 1.468 Zivilist_innen getötet. Angesichts dieser Zahlen gilt der Abzug der US-Streitkräfte und das Ende des Bürgerkriegs als notwendiger erster Schritt zur Erreichung von Stabilität in Afghanistan.
Doch wenn die Besatzung Afghanistans nicht aus humanitären Gründen unternommen wurde, wurde sie auch nicht aus humanitären Gründen beendet. Von Anfang an war es ein Versuch, den Einfluss der USA im Nahen Osten und in Zentralasien auszubauen. Biden und seine Berater_innen waren klug genug zu erkennen, dass dieser Versuch gescheitert war. Dementsprechend wollen sie sich nun auf andere Aspekte des imperialistischen Projekts konzentrieren.
In diesem Sinne nutzte Biden seine Rede über das Ende des Krieges in Afghanistan sogar, um gegen China und Russland zu polemisieren: »Es gibt nichts, was China oder Russland lieber hätten, als dass die Vereinigten Staaten ein weiteres Jahrzehnt in Afghanistan feststecken.«
Inhaltliche Kontinuität in Patent- und Migrationspolitik
Abgesehen von Bidens Unterstützung autoritärer und autokratischer Regierungen, die den Interessen des US-Imperiums dienen, oder seiner Kriegshetze gegen China und Russland, ist seine bisherige Außenpolitik auch in vielerlei anderer Hinsicht katastrophal. Wohl das deutlichste Beispiel hier ist sein Versäumnis, eine Patentschutz-Aussetzung für Covid-Impfstoffe durchzusetzen. Er hat sich zwar im Mai für eine solche Aussetzung ausgesprochen, doch scheint er dieses Ziel in zwischen nicht mehr weiter zu verfolgen – kaum überraschend angesichts der Tat sache, dass die US-Pharmabranche ein wichtiger Geldgeber Bidens ist.
Auch Bidens Flüchtlingspolitik weist inhaltliche Kontinuitäten mit Trump auf: Obwohl Biden keine rassistischen Äußerungen über Flüchtlinge tätigt, hat er die von Trump eingeführte lächerlich niedrige Obergrenze für die Aufnahme von Geflüchteten von 15.000 pro Jahr nicht erhöht. Es bleibt abzuwarten, ob sich dies im Lichte der jüngsten Entwicklungen in Afghanistan ändern wird.
Es ist irgendwie verständlich, dass für Europäer_innen die Vorstellung eines Linksrucks in den USA verlockend ist. Schließlich wissen ja viele, ob bewusst oder unbewusst, dass unter der heutigen imperialen Weltordnung die Folgen der US- Politik uns alle betreffen. Dementsprechend glaubt man gern an die Möglichkeit eines politischen Fortschritts in den USA, klammert sich sogar an alle Anzeichen dafür, dass dies geschieht. Doch wir sollten dabei nicht die verheerende Wirklichkeit des US-Imperialismus ignorieren. Denn echter Fortschritt würde einen Bruch mit dieser Realität erfordern.