Ich muss zugeben, ich habe eine solche Wahlnacht wie am 26. September noch nicht erlebt.
Von Michael Graber
Erstmals in der Zweiten Republik wird in einer österreichischen Großstadt, in der zweitgrößten Stadt Österreichs mit etwa 300.000 Einwohner*innen, der bürgerliche Langzeitbürgermeister Nagl ab- und die kommunistische Stadträtin Elke Kahr an die erste Stelle gewählt. Die Zahlen sind für Kommunist*innen überwältigend: KPÖ 28,9 (bisher 20,3 %), ÖVP 25,9 (bisher 37,8 %), Grüne 17,3 (bisher 10,5 %), FPÖ 10,6 (bisher 15,9 %), SPÖ 9,5 (bisher 10,0 %), Neos 5,4 Prozent (bisher 3,9 %). Im 48-köpfigen Gemeinderat bedeutet das für die KPÖ einen Mandatszuwachs von 10 auf 15 und im Stadtsenat, der Stadtregierung, von zwei auf drei Sitze. Auf die ÖVP entfallen zwei und auf Grüne und FPÖ je eines.
Die Medien wissen noch nicht genau, wie sie mit dieser Tatsache umgehen sollen. Die Presse beschwert sich bei bürgerlichen Wähler*innen: »Ob jene Bürgerlichen, ob boboesk oder katholisch grundiert, die in Graz nun aus Jux und Tollerei die KPÖ gewählt haben, das wirklich wollten? … Man weiß es nicht genau. Das Kokettieren mit den Kommunisten gehört in Graz jedenfalls seit längerem zum guten Ton.« Desgleichen gibt der Chef der Innenpolitik, der bürgerliche Hans im ORF zitternd zuerst Entwarnung zur Beruhigung: »Die Schaltungen aus Graz« würden vermitteln, dass die Kommunist*innen dort eh nicht »klassisch kommunistisch« operieren, um dies im nächsten Beitrag schon nicht mehr so genau zu wissen: »die Elke Kahr wird auch irgendwann mal definieren müssen, was der Kommunismus in der Kommunistischen Partei genau bedeutet, davor haben relativ viele Leute Angst.« Die Salzburger Nachrichten haben dagegen schon eine Ahnung: »Der Erfolg der von Elke Kahr geführten KPÖ belegt nicht die Faszination von Hammer und Sichel. Er dokumentiert das große Bedürfnis nach Bürgernähe, nach sozialer Wärme, nach einer Politik, die nicht permanent auf Spindoktoren und Umfragen schielt, sondern schlichtweg geerdet und authentisch ist.«
Nicht nur »Kümmererpartei«
Dass ein solches Wahlergebnis zu Redak tionsschluss noch nicht in allen seinen Dimensionen verarbeitet werden kann, versteht sich von selbst. Eines allerdings ist klar: Dieser Erfolg der Grazer KPÖ hat eine lange Vorgeschichte, eine konsequent und unbeirrt verfolgte soziale und populäre Kommunalpolitik, verbunden mit persönlichem Engagement und demonstrativer Selbstbeschränkung bei den in Anspruch genommenen Gehältern, an der sich die bisher herrschenden Parteien in Graz die Zähne ausgebissen haben. Die KPÖ in Graz ist aber nicht nur die »Kümmererpartei«.
Auch die Prestigeprojekte und finanziellen Abenteuer, wie die Olympiabewerbung, die Gondel auf den Plabutsch oder wie zuletzt die Ankündigung einer Grazer Metro, über die sich die Partei Nagls zu profilieren versuchte, wussten die Grazer Kommunist*innen im Interesse sozialer Stabilität der Stadt durch Volksbefragungen und Unterschriftensammlungen zu verhindern. Unvergessen ist auch die Ansage von Kahrs Vorgänger Ernest Kaltenegger als Wohnungsstadtrat anlässlich der »Europäischen Kulturhauptstadt Graz«, dass Kultur bedeute, dass jede Gemeindewohnung ein eigenes Bad haben muss, was er auch umsetzte.
Erinnert werden muss auch an die Tricks, mit denen die schwarz-blaue Stadtregierung nach der letzten Wahl die soziale Kompetenz der KPÖ durch Entzug des Wohnungsreferats zu untergraben versuchte und der zweitplatzierten Elke Kahr die Wahl zur Vizebürgermeisterin verweigerte. Auch für diese Brüskierungen haben die Grazer Wähler*innen offenbar ein empfindliches Gespür und ein Gerechtigkeitsgefühl entwickelt.
Erfolg auch in den Bezirken
Zum Wahlerfolg gehören auch die Wahlergebnisse in den 17 Grazer Bezirken, in denen statt einem die KPÖ nunmehr in neun Bezirken den*die Bezirksvorsteher*in stellt. Die stabile Verankerung der KPÖ in Graz spiegelt die Wähler*innenstrom analyse wider. 80 Prozent der KPÖ-Wähler*innen von 2017 blieben bei ihrer Wahlentscheidung – der höchste Anteil aller Parteien und den relativ größten Zuwachs holte sich die Partei aus dem bisherigen Nichtwähler*innen segment. Und noch etwas: Auch noch so scheinbar festgefügte politische Bastionen – Herrn Nagels Bürgermeisteramt schien noch Stunden vor der Wahl unantastbar – können in kurzer Zeit erodieren.
Die KPÖ ist nunmehr nicht nur wahrscheinliche Bürgermeister*innenpartei in Graz, sondern auch in drei weiteren Landeshauptstädten zum Teil auch in Bündnissen präsent und seit einem Jahr auch in Wien gemeinsam mit »LINKS« in 15 Bezirken mit 23 Mandaten vertreten.
KPÖ-Bundessprecher Tobias Schweiger: »Für uns ist klar, dass das nicht nur ein Sieg in Graz war, sondern auch ein starkes Signal für eine starke Linke in ganz Österreich.«
Ein zweites Mandat im Linzer Gemeinderat
Ein weiteres Signal gab es auch bei der zeitgleich stattgefundenen Linzer Gemeinderatswahl. Das Wahlziel der Linzer KPÖ war die Erringung eines zweiten Mandats im Gemeinderat, das auch mit 3,3 Prozent der Stimmen gewonnen wurde. Damit ist die KPÖ nunmehr neben der langjährigen Gemeinderätin Gerlinde Grünn auch mit dem oberösterreichischen Landes- und Verkehrssprecher Michael Schmida im Linzer Gemeinderat vertreten. Auch in zwei Gemeinden im Innviertel konnten junge KPÖ-Kandidat*innen Gemeinderatsmandate erringen. Bei den Kandidaturen in den oberösterreichischen Gemeinden Wels, Traun, Steyr und Leonding blieben die Signale diesmal noch aus.
Und noch eine Abstimmung vom 26. September ist es wert, gewürdigt zu werden: In Berlin stimmten 56 Prozent der Wähler* innen beim Volksentscheid für die Enteignung der privaten Wohnkonzerne, die das Berliner Wohnungs(un)wesen beherrschen. Es wird der Lackmustest der neu zu bildenden Berliner Stadtregierung sein, wie sie mit diesem klaren politischen Auftrag umgeht.
Die politische Ernte dieses Tages für die Linke wird noch lange nachwirken.