Rainer Hackauf hat Michael Graber zur KPÖ und ihrem Verhältnis zum Nahostkonflikt, Zionismus und antikolonialem Befreiungskampf befragt. Hier der gekürzte und etwas bearbeitete Text, der zuerst auf der zentralen Website der KPÖ erschienen ist
RAINER HACKAUF: Der Zionismus wurde Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich in Österreich miterfunden. Theodor Herzls Idee eines eigenen »Judenstaates« war eine Antwort auf den grassierenden Antisemitismus in Europa, speziell auch in Wien unter Bürgermeister Lueger. Als die KPÖ im November 1918 gegründet wird, gibt es somit schon Anhänger:innen einer zionistischen Idee. In welchem Verhältnis standen die Gründer:innen der KPÖ zum Zionismus?
MICHAEL GRABER: In der traditionellen Arbeiterbewegung hatte der Zionismus wenig Widerhall. Es dominierte die Auffassung, dass jüdisch geprägte Arbeiter:innen sich in der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung assimilieren sollten, was viele auch taten – siehe etwa Rosa Luxemburg. Das war auch der Standpunkt der KPÖ. Diejenigen, die sich nicht assimilieren wollten, bildeten eigene Arbeiterparteien, wie zum Beispiel Poale Zion, die aber bis zur Verschmelzung eng mit der KPÖ zusammen arbeitete. Ein rechter Flügel lehnte sich an die Sozialdemokratie an.
RAINER HACKAUF: 1933 wird die KPÖ von den Austrofaschisten nach deren Machtübernahme sofort verboten. In der Illegalität steigt die KPÖ nach den Februarkämpfen 1934 zu einer Massenpartei auf, die den Kampf gegen den Faschismus in Österreich federführend organisiert. Wie erklärst du dir das?
MICHAEL GRABER: Die KPÖ hatte schon früh den aufkommenden Faschismus als gefährlichsten Feind der Arbeiterbewegung der Demokratie erkannt. Im Unterschied zur Sozialdemokratie, die die faschistische Gefahr in Österreich lange bagatellisierte – frei nach dem Motto »wir werden sie mit nassen Fetzen davonjagen«. Entscheidendes Motiv der KPÖ im Widerstand im In- und Ausland und in den Konzentrationslagern war die Überzeugung, dass die Zerschlagung des Faschismus die Voraussetzung einer späteren sozialistischen Entwicklung in Österreich wäre. Dazu gehörte natürlich auch, Beweismittel gegen die Nazis zu sammeln. So wie z. B. Hermann Langbein, der als österreichischer Kommunist die Kampfgruppe Auschwitz mitgründete. Ziel der illegalen Widerstandsgruppe war es unter anderem, Unterlagen zu sichern, die den Massenmord an jüdischen Menschen dokumentieren sollten. Nach 1945 ermöglichten diese die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen und dienten zur Verurteilung einiger Kriegsverbrecher.
RAINER HACKAUF: Aufgrund ihrer herausragenden Bedeutung im Kampf für ein freies Österreich gehört die KPÖ zu einer der Gründungsparteien der Republik Österreich. Nach 1945 sind es dann auch speziell KPÖ-Politiker:innen, die sich dafür einsetzen, jüdische Menschen zurück nach Österreich zu holen – die Bemühungen des Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka sind dafür ein Beispiel. SPÖ und ÖVP waren hingegen bemüht, »die Sache in die Länge zu ziehen«, wie der sozialdemokratische Innenminister Oskar Helmer z. B. in Hinblick auf Entschädigungen für jüdische Menschen in einem Ministerrat meinte.
RAINER HACKAUF: Für die meisten KPÖ-Mitglieder in der Emigration, ob jüdisch oder nicht, war es selbstverständlich, am Aufbau eines neuen demokratischen Österreichs teilzunehmen, mit der Hoffnung auf eine sozialistische Perspektive. Von der emigrierten und geflüchteten wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz kehrten nur wenige zurück, nämlich die Kommunist:innen und ihnen nahestehende Personen wie beispielsweise Mischa Rappaport, Thomas Schönfeld, Engelbert Broda, Otto Taussig, Karl Parylla, das Ehepaar Schütte, Georg Eisler, Axel Leskoschek, Walter Hollitscher.
Die KPÖ war in der provisorischen Regierung und danach die treibende Kraft für die Verfolgung der Kriegsverbrecher und die Beseitigung des restlichen nazistischen Einflusses, darunter für die Einrichtung der Volksgerichtshöfe. Manfred Mugrauer hat das in seinem Buch Die Politik der KPÖ in der provisorischen Regierung nachgezeichnet. Kommunist:innen waren wesentlich an der Wiederher-stellung der Israelitischen Kultusgemeinde beteiligt, wie Mugrauer beschreibt. Schon 1945 wurde der überparteiliche KZ-Verband der Opfer des Faschismus gegründet. Mit Beginn des Kalten Krieges verließen diesen die SPÖ und die ÖVP. Vom damaligen SP-Innenminister Helmer wurde der KZ-Verband sogar zeitweilig verboten. Wichtig für die KPÖ war unmittelbar nach 1945 auch die Aufklärung über die Verbrechen der Nationalsozialisten in einer breiten Öffentlichkeit. Auf Initiative des kommunistischen Wiener Kulturstadtrats Viktor Matejka, selbst KZ-Überlebender, wurde ab 1945 mit der Wanderausstellung »Niemals vergessen!« die Bevölkerung aller Bundesländer breit über den Mord an jüdischen Menschen aufgeklärt. Später wurde von KPÖ-Mitgliedern maßgeblich der Aufbau von Gedenkstätten an Orten der Vernichtung initiiert und vorangetrieben. Auch das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands wurde als überparteiliche Institution vom Kommunisten Herbert Steiner initiiert.
RAINER HACKAUF: 1948 wird der Staat Israel gegründet. Wie wurde die Staatsgründung in der KPÖ diskutiert? Wie war das Bild auf Israel in den ersten zwei Jahrzehnten seines Bestehens?
MICHAEL GRABER: Meines Wissens hat die Gründung des Staates Israel – im Unterschied zum Sechstagekrieg 1967 – kein großes Echo in der KPÖ hervorgerufen. Man teilte die von der Sowjetunion vorgegebene Zustimmung zum UNO-Teilungsplan Palästinas und auch die sofortige Anerkennung Israels. Zwar dominierte diesbezüglich selbstverständlich die Anerkennung des Leids der jüdischen Bevölkerung in Europa, aber es war klar, dass es auch um die Zurückdrängung des britischen Einflusses im Mittelmeer ging. Die Sicht der KPÖ auf Israel war also von Anfang an vom Kalten Krieg geprägt. Da die israelische Regierung ziemlich rasch auf die USA als wichtigste politische, ökonomische und militärische Stütze orientierte, war damit vorgegeben, wie Israel in der Weltpolitik einzuordnen war. Die kommunistische Weltbewegung und daher auch die KPÖ beharrten aber am Selbstbestim-mungsrecht beider Volksgruppen in Palästina und ihrem Recht auf eigene staatliche Existenz – durchaus auch im Gegensatz zu den arabischen Ländern, für die der jüdische Staat ein Fremdkörper im arabischen Raum war.
Die arabischen Länder waren damals durchwegs reaktionäre Monarchien. In den 1950er und 1960er Jahren kamen dann in einigen arabischen Ländern Regierungen mit antiimperialistischem Anspruch, meist durch Putsche von Militärs, an die Macht. In Ägypten etwa der Offizier und spätere Präsident Gamal Abdel Nasser, in Syrien und Irak die Baathpartei, die sich auch als sozialistisch verstand. Für sie war Israel der verlängerte Arm der USA im Nahen Osten. Höhepunkt dieser Wende war die Verstaat -lichung des Suezkanals 1956, der unter britischer Kontrolle stand, durch Nasser. Daraufhin inszenierten Großbritannien, Frankreich und Israel einen Überfall auf Ägypten. Auch dieser Aggressionsakt bestärkte die österreichischen Kommunist:innen in ihrer Ansicht: die meisten arabischen Länder rund um Israel mit der Sowjetunion auf der einen, Israel und die USA mit dem Westen auf der anderen Seite. Aus heutiger Sicht muss man aber kritisch sehen: die arabischen Länder mit antikolonialem Anspruch waren weit mehr nationalistisch als ihre sozialistischen Einsprengsel vermuten ließen. Im kommunistischen Mainstream war allein schon die Tatsache, dass diese Länder ökonomische und militärische Hilfe Moskaus in Anspruch nahmen, ein Beweis ihrer Fortschrittlichkeit. Das böse Erwachen auch für die arabischen Kommunisten und Kommunistinnen kam, als Nasser sie einsperrte, während die Sowjetunion den Assuanstaudamm baute. Im Sudan hängte der Macht haber Numeri von einem Tag auf den anderen Kommunist:innen auf – die sudanesische KP war bis dahin die stärkste im arabischen Raum –, und Iraks Hussein liquidierte alle kommunistischen Offiziere.
RAINER HACKAUF: Mit der Rede Nikita Chruschtschows 1956 werden auch in der KPÖ die Verbrechen Stalins bekannt, die bis dahin in der KPÖ ignoriert wurden. Noch 1952 wurde in der Tschechoslowakei im Slánský-Prozess der klar antisemitisch konnotierte Vorwurf einer »trotzkistisch-titoistisch-zionistischen Verschwörung« erhoben, elf Mitglieder der KSČ wurden in der Folge hingerichtet. Hat das Bekanntwerden dieser Verbrechen auch einen Einfluss auf den Blick auf Israel/Palästina gehabt?
MICHAEL GRABER: Nein. Die KPÖ-Führung nahm die stalinistischen Prozesse trotz der abstrusen Anklagen ohne Widerspruch zur Kenntnis. Die früheren Beziehungen der damaligen ČSR zu Israel wurden jetzt den jüdischen Angeklagten im Kontext des Kalten Krieges zur Last gelegt. Ihre Rehabilitation nach 1956 kam leider zu spät.
RAINER HACKAUF: Der Sechstagekrieg 1967 stellt eine wichtige Zäsur dar. Du warst zu dieser Zeit schon politisch aktiv. Deiner Erinnerung nach, wie wurde der Krieg in der KPÖ diskutiert? Wer waren wichtige Proponent:innen der Diskussion?
MICHAEL GRABER: Der Sechstagekrieg im Juni 1967 spielte in der KPÖ eine große Rolle. In meiner Wahrnehmung nicht sosehr wegen Differenzen zwischen »jüdischen« und »nichtjüdischen« Mitgliedern in der KPÖ – das natürlich auch –, sondern wegen der weltpolitischen Bedeutung und der verbreiteten Kriegsrhetorik in den Medien. In den 1960er Jahren gab es in Teilen der Linken gewisse Sympathien für Israel, die an der Rolle der Kibbuzim als scheinbar sozialistische Inseln in der israelischen Gesellschaft anknüpften. Auf der anderen Seite stand der damalige Sprecher der Palästinenser, Mufti Mohammed Amin al-Husseini. Der von Großbritannien 1921 eingesetzte Mufti von Jerusalem war wegen seiner Kooperation mit den Nazis schwer diskreditiert.
Die chauvinistische Sprache der arabischen nationalistischen Regime gegenüber Israel rief den Eindruck hervor, die Existenz Israels stehe auf dem Spiel. Diesen Eindruck teilten auch manche Mitglieder der KPÖ, obwohl die ökonomische und militärische Überlegenheit Israels klar erkennbar war – die 6. US-Flotte wurde im Mittelmeer stationiert –, was sich ja auch im Präventivschlag des israelischen Militärs gegen Ägypten und Syrien am 5. Juni 1967 äußerte. Es gab im Juni 1967 zwei Parteikonferenzen der KPÖ, eine offene der Wiener Stadtleitung und eine statutarische Parteikonferenz. Ich kann mich nur daran erinnern, dass der bekannte kommunistische Journalist Bruno Frei die Verurteilung des Präventivschlags kritisierte und zwei Mitglieder des ZK, darunter der bekannte Ökonom Teddy Prager, einen Aufruf ähnlichen Inhalts unterschrieben. Die große Mehrheit der Partei – einschließlich Prager – stimmte schließlich einer Resolution zu, in der es u. a. hieß: »Die Kriegshandlungen haben die Lösung der strittigen Fragen keineswegs erleichtert, sondern neue Bitternis und neuen Zündstoff geschaffen ... Nur die Ausschaltung imperialistischer Einflüsse (kann) zu jenen Beziehungen der Völker das Nahen Osten führen ..., die auf der Grundlage der friedlichen Koexistenz und der Souveränität aller Staaten begründet sind.« In der Folge unterstützte die KPÖ die Resolutionen der UNO, die den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten forderte.
RAINER HACKAUF: In den 1970er Jahren hat die Außenpolitik Bruno Kreiskys die Diskussion um Israel/Palästina in Österreich stark geprägt. Kreisky versuchte, die Neutralität Österreichs zu nutzen, um eine aktive Vermittlerrolle einzunehmen. Wie wurde das in der KPÖ gesehen?
MICHAEL GRABER: Das war ein positiver Teil von Kreiskys Außenpolitik, der auch von der KPÖ unterstützt wurde.
RAINER HACKAUF: Die KPÖ tritt für die Zweistaaten-Lösung ein. Anderen Linken schwebt eine Einstaatenlösung in Form einer sozialistischen Föderation vor. Wie siehst du die Diskussion?
MICHAEL GRABER: Die KPÖ hat die Zweistaatenlösung auf dem Gebiet Palästinas nie in Frage gestellt und hat immer wieder auf die entsprechenden Beschlüsse der UNO hingewiesen, in denen von Israel verlangt wird, sich aus allen 1967 besetzten Gebieten zurückzuziehen, und die einen palästinensischen Staat mit der Hauptstadt Ostjerusalem vorsehen. Und was eine sozialistische Föderation betrifft: Zu keiner Zeit gab es – weder in Israel, noch unter der palästinensischen Bevölkerung – starke sozialistische Kräfte, wie sollte da eine sozialistische Föderation oder ein sozialistischer Staat in Palästina entstehen? Nach vier großen Kriegen und mehreren kleineren, und auch nach den jüngsten Ereignissen, ist ein Zusammenleben der beiden Volksgruppen in einem Staat völlig undenkbar und daher auszuschließen. Die Losung vom »Jordan bis zum Meer« bedeutet aktuell nicht gleiche Bürgerrechte in einem gemeinsamen Staat, sondern die Eliminierung entweder der jüdischen oder der arabischen Bevölkerung. Heute geht es darum, den palästinensischen Staat auf der Basis der UNO-Resolutionen auf die internationale politische Agenda zu setzen, dessen Sicherheit, wie auch die des israelische Staates, international garantiert werden muss. Ein Zusammenwachsen – wahrscheinlich über viele Generationen – ist nur denkbar nach Anerkennung der nationalen palästinensischen Souveränität und der Wahrung gleicher Rechte für alle in beiden Staates.
RAINER HACKAUF: Von rechter wie auch liberaler Seite wird Kritik an der israelischen Regierungspolitik aus durchsichtigen Gründen mit Antisemitismus gleichgesetzt. Das ist eine doppelte Herausforderung im Kampf gegen Antisemitismus. Denn antisemitische Argumentationsmuster gibt es nicht nur gegen Juden, sondern tatsächlich auch gegen Israel. Zugleich hat es in den letzten Jahren eine starke Wende gegeben. Selbst Parteien mit einer langen antisemitischen Vergangenheit – in Österreich etwa ÖVP und FPÖ – solidarisieren sich nun mit Israel. Wie erklärst du dir diese Wende?
MICHAEL GRABER: Die FPÖ ist opportunistisch. Heute sind mit antimuslimischer Agitation mehr Stimmen zu gewinnen als mit traditionellem Antisemitismus, den noch der ehemalige FPÖ-Obmann Jörg Haider betrieben hat. Für die ÖVP hat der Außenminister Schallenberg in einem Presseinterview vor wenigen Tagen erklärt, dass diese Regierung die »transatlantischste« seit Jahrzehnten ist. Das erklärt vieles, eben auch die Kritiklosigkeit gegenüber der israelischen Regierung und die Diffamierung jeder Kritik als antisemitisch oder als Relativierung des Terrors der Hamas. Sicherheit und Frieden können auf Dauer eben nicht mit militärischen Mitteln erreicht und aufrechterhalten werden, weil sie nur den fünfundsiebzigjährigen Status Quo, mit Terror und Gegenterror prolongieren. Die Grundlagen einer politischen Lösung liegen seit Jahrzehnten auf dem Tisch.