VON MIRKO MESSNER
Plebiszit
Die KPÖ war noch in den Windeln, da musste sie in Kärnten bereits auf schwankendem Boden gehen lernen. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bzw. nach dem Zerfall der Monarchie war nicht nur geprägt von bitterer sozialer Not, sondern in Kärnten auch durch Auseinandersetzungen um die Grenze; der slowenische Nationalrat reklamierte den überwiegend von Slowenischsprechenden bewohnten Süden des Landes für sich, d. h. für den neuen Staat der Serben, Kroaten und Slowenen. Die – ohne jede slowenische Vertretung konstituierte – Kärntner Landesversammlung tat ihrerseits desgleichen und erklärte ihren Beitritt zum Staat Deutschösterreich. Die folgenden Grenzscharmützel (von den einen als »Abwehrkampf«, den anderen als »Kampf um die Nordgrenze« bezeichnet) endeten mit einer Besetzung Klagenfurts durch serbische Truppen und mit der Terminisierung einer Volksabstimmung am 10. Oktober 1920.
Von einer eigenständigen Nationalitätenpolitik konnte in dieser Frühphase der KPÖ keine Rede sein. Dazu fehlten das Wissen, die organisatorische und vor allem in Südkärnten die personelle Substanz – auch wenn die zentrale Persönlichkeit der jungen Kärntner KPÖ, der überaus agile Gregor Kersche, selbst aus einem Südkärntner slowenischen Dorf stammte (Sveče/Suetschach) und die slowenische Sprache beherrschte. Die Arbeiterklasse in Kärnten, und das heißt auch die im slowenisch- oder zweisprachigen Gebiet, war politisch fest im Griff der (österreichischen) Sozialdemokratie. Diese wiederum segelte unter deutschnationaler Flagge, die slowenischen Industrie- und LandarbeiterInnen mit im Boot. Genau das war dann entscheidend für den Ausgang des Plebiszits; denn nur sie, die Sozialdemokratie, hatte den organisatorischen und politischen Einfluss auf den besitzlosen Teil der Bevölkerung und somit die Fähigkeit, diesen für die Sicherung des Besitzstands anderer zu mobilisieren. Was sie denn auch tat: sie verband in ihrer plebiszitären Propaganda das Schicksal der sozialen Reformen in Österreich mit dem Schicksal des deutschen Charakters des Landes. Auf diese Weise ermöglichte sie nicht nur den Ausgang des Plebizits zugunsten Österreichs, sondern legte einen Grundstein für die parteiübergreifende kulturelle und politische Dominanz des Deutschnationalismus im Lande. Also einigte sich die KPÖ (oder einigte sich Kersche) in dieser Situation bezüglich Plebiszit mit den slowenischen Genossen auf jugoslawischer Kärntner Seite (sprich im Mießtal) und mit der KP Jugoslawiens auf die Losung vom Boykott der Volksabstimmung. Das hatte zwar keine sichtbaren Folgen für die Beteiligung des Proletariats am Plebiszit, und es war auch kein Ausdruck einer strategisch angelegten Nationalitätenpolitik. Für jene allerdings, die es damals wahrnehmen konnten und wollten, und aus heutiger Sicht war es ein mutiger selbständiger Standpunkt, eine Gehorsamverweigerung den nationalistischen Kärntner Spießern, ihren Korpssoldaten, dem Kartoffel- und Landadel gegenüber.
Erste Ansätze und Widerstand
Der erste ernsthafte Anlauf zu einer strategisch überlegten Nationalitätenpolitik war die im Jahre 1934 beschlossene gemeinsame Erklärung der italienischen, der jugoslawischen und der österreichischen KP zum Selbstbestimmungsrecht der Slowenen. Sie wurde von der Kommunistischen Internationale angeregt, sprach den in drei (bzw. vier, zählt man Ungarn dazu) Staaten lebenden Slowenen das Recht auf Lostrennung sowie auf ihre Vereinigung in einem gemeinsamen Staat zu. Darüber hinaus verpflichte sie die unterzeichnenden Parteien, sich dafür einzusetzen. Vermutlich war bei den Beratungen zu dieser Erklärung Gregor Kersche für die österreichische Partei eingebunden. Auf die konkrete Politik der KPÖ in Kärnten, die zu diesem Zeitpunkt bereits verboten war, hatte sie keine Auswirkung. Sie wurde nicht einmal in deutscher Sprache veröffentlicht.
Eine völlig neue Situation ergab sich im Kampf gegen die Nazis, im opferreichen Widerstand der Kärntner KommunistInnen, im Kampf der slowenischen Partisanen und PartisanInnen, der Befreiungsfront, der slowenischen Antifaschistischen Frauenfront, der Jugendlichen und Frauen, die ihren Widerstand zu hunderten mit dem Leben bezahlten; hier soll in diesem Zusammenhang allerdings nur der Aspekt der »Nationalitätenpolitik« benannt werden. Einige slowenische KärntnerInnen, geübt im Widerstand gegen den Deutschnationalismus, waren bereits vor dem Krieg zur KPÖ (Karl Prušnik, Blaž Kordež im Eisenkappler Gebiet) oder zur KP Sloweniens gestoßen (Matija Verdnik im Rosental); sie wurden gemeinsam mit anderen slowenischen AktivistInnen zu OrganisatorInnen des slowenischen antifaschistischen Widerstands und Volksbefreiungskampfes – jedoch unter der politischen Führung der slowenischen, nicht der österreichischen KP. Sie stützten sich dabei auf bereits vorhandene slowenische kulturelle Netze, die die längste Zeit unter klerikal-christlicher politischer Dominanz gewirkt hatten. Nun gerieten diese aufgrund der Tätigkeit der Befreiungsfront – als Bauern, Keuschler, Mägde, Arbeiterinnen – in neue ideologische Fahrwasser und entfremdeten sich den alten »nationalen«, auch antikommunistischen und den Nazis gegenüber abwartenden Führern so weit, dass von einem Bruch in der slowenischen politischen Kultur gesprochen werden kann.
Die slowenische KP verband den Kampf um die Befreiung von den deutschen Okkupanten mit dem Ziel der Vereinigung der slowenisch besiedelten Territorien in einem neuen, föderativen und volksdemokratischen bzw. sozialistischen Staat. Das würde die Angliederung Unterkärntens an den neuen sozialistischen Staat bedeuten, und von der slowenischen Befreiungsfront (OF) wurde das nach dem Krieg auch eine Zeitlang so betrieben. Doch auch die KPÖ hatte jetzt ihr antideutsches, österreichisch-nationales Programm, und ihre Orientierung auf die Wiederherstellung Österreichs in seinen Grenzen vor dem »Anschluss« – entsprechend der Moskauer Deklaration – stand im Widerspruch zur Orientierung der KPS bzw. der OF; das führte gegen Ende des Krieges zwar zu Reibereien, konnte aber überbrückt werden, indem die gemeinsame Orientierung auf den Kampf gegen die Hitlerei in den Vordergrund gerückt wurde. Nach dem Krieg teilte die KPÖ zwar nicht den Standpunkt der Befreiungsfront, duldete jedoch stillschweigend das diesbezügliche Engagement hunderter slowenischer Mitglieder, die der Partei beigetreten waren. Der Widerspruch in den nationalen Orientierungen wurde auf diese Weise gemanagt – aber nicht aufgehoben.
Desaster
Genau mit diesen aus dem antifaschistischen Widerstand zur KPÖ gestoßenen Menschen wurde 1948 im Kominform-Konflikt (volkstümlich: »Stalin-Tito-Konflikt«) gebrochen. Obwohl die KPÖ kein Mitglied des Kominform-Büros war, stellte sie sich auf den Boden der Bukarester Resolution. Mit dieser wurde die jugoslawische KP aus der kommunistischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Begründungen hatten einen wesentlichen harten Kern: Die selbstbewusste jugoslawische KP wollte die Vormundschaft Stalins bzw. der KPdSU abschütteln. Hier ist nicht der Platz, die Hintergründe auszuleuchten (mehr dazu unter www.kpoe.at/ bund/dokumente/kominform.htm), sondern lediglich, die Folgen für Kärnten anzureißen: Die Befreiungsfront lehnte den Führungsanspruch der KPÖ ab, ihre Mitglieder bezogen – was sonst – den jugoslawischen Standpunkt, wurden deswegen auf bizarre Weise öffentlich diffamiert, repräsentative Persönlichkeiten des slowenischen Widerstands (Karl Prušnik, Milena Gröblacher und andere) wurden ausgeschlossen, Hunderte slowenische Mitglieder traten wieder aus. Was sich unter großen Opfern an solidarischer Beziehung im Widerstandskampf herausgebildet hatte, ging die Drau hinunter. Misstrauen, nationalistische Vorurteile und Vorbehalte griffen auch in der KPÖ wieder um sich (nicht nur in Kärnten, der Kominform-Konflikt wirkte sich auch in anderen Bundesländern aus), in der slowenischen Linken geschah spiegelbildlich Ähnliches.
Die prinzipielle, die Minderheitenschutzbestimmungen des Artikels 7 des Österreichischen Staatsvertrags, der ab 1955 zum Bezugspunkt auch der Kärntner slowenischen Politik wurde, befürwortende Haltung der KPÖ blieb erhalten; die Möglichkeit aber, die sich für sie aufgetan hatte, nämlich als Akteurin vor Ort eine über den »unterstützenden« Standpunkt hinausgehende, selbständige und von beiden nationalen bzw. sprachlichen Gruppen einheitlich getragene Nationalitätenpolitik zu entwickeln, wurde gründlich vertan.
Neue Möglichkeit
Zwanzig Jahre später: eine neue, unerwartete Möglichkeit tut sich auf, verkörpert in der 68-er Generation der slowenischen SchülerInnen des Slowenischen Gymnasiums in Klagenfurt und der slowenischen StudentInnen. Diese rebelliert sowohl gegen die klerikale Dominanz in den Reihen des Lehrkörpers und des Personals in den Heimen, als auch gegen die politische Abstinenz der an ÖVP und SPÖ gebundenen slowenischen Vertretungsorganisationen und gegen die deutschnationale Dominanz im Land. Die in die müde slowenische Szene krachend einbrechende Zeitschrift »Kladivo« organisierte und interpretierte breit angelegte »Aufschriftenaktionen«, d. h. die Verzweisprachlichung von Ortstafeln. Diese ließen zunächst die österreichische und dann – angesichts massiver polizeilicher und gerichtlicher Aktivität gegen slowenische AktivistInnen – auch die internationale Öffentlichkeit aufhorchen; die Regierung Kreisky kam unter Druck und verfügte die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln. Diese wurden umgehend vom deutschnationalen und rechtsextremen Mob unter Leitung des Kärntner Heimatdienstes und unter freundlicher Begleitung durch Polizei & Gendarmerie demontiert oder vernichtet. Unterdessen war die KPÖ mit ihren konsequent mit dem Artikel 7 argumentierenden Standpunkten als einzige parteiliche Unterstützerin ins Blickfeld der slowenischen AktivistInnen geraten. Nach dem »Ortstafelsturm« streute sich ein Teil der Kladivo-Gruppe Asche aufs Haupt – die Aufschriftenaktionen hätten die Kärntner Arbeiterklasse gespalten – und schloss sich aus Buße der maoistischen MLS an. Der zweite Teil der Gruppe dagegen trat der KPÖ bei und begann gemeinsam mit dem dritten Teil der Gruppe, mit Parteilosen und Links christlichen, am Aufbau des überparteilichen, weltanschaulich bunten »Solidaritätskomitees für die Rechte der Kärntner Slowenen« zu arbeiten. Dieses multiplizierte sich in kurzer Zeit österreichweit und mobilisierte in erster Linie gegen die von den Kärntner Landtagsparteien und dem Heimatdienst geforderte Minderheitenfeststellung sowie für die Umsetzung der Minderheitenschutzbestimmungen und des antifaschistischen Auftrag des Staatsvertrags. Es ist hier kein Platz, die Vielfalt der politischen und kulturellen Tätigkeit in diesem Zusammenhang auch nur ansatzweise zu referieren. Es soll folgende für das Thema entscheidende Feststellung genügen: Die konkrete, von slowenischen – nunmehr auch kommunistischen – AktivistInnen initiierte, aber bald nicht nur von ihnen maßgeblich getragene Bündnispolitik entwickelte eine Dynamik, die den Rahmen traditioneller »Nationalitätenpolitik« sprengte. Die Landesorganisation der KPÖ wurde sehr bald mit dem Anspruch der jungen Mitglieder konfrontiert, eine selbständige Programmatik und Politik in der sogenannten »Minderheitenfrage« zu entwickeln.
»Unterstützung« oder selbständige Politik
Dazu war die Parteiführung in Kärnten und in Wien allerdings nicht bereit; unterschiedliche Positionen wuchsen sich zu Konflikten aus, z. B. in der Schulfrage: die GenossInnen der jüngeren Generation (nicht nur die mit Kladivo-Hintergrund) waren der Meinung, angesichts des sozialen und nationalistischen Drucks auf die Eltern habe die KPÖ zweisprachigen Unterricht für alle Kinder im zweisprachigen Gebiet einzufordern. Im Unterschied dazu verteidigte die Parteiführung die lahme Haltung der slowenischen Verbände und die Beibehaltung des Status quo (Anmeldeoption für zweisprachigen Unterricht an den Volksschulen). Die immer schlimmere und umfassende Formen annehmenden Divergenzen – z. B. auch die innerparteiliche Demokratie, das berüchtigte Denken in »Haupt- und Nebenwidersprüchen« und das Parteiverständnis allgemein betreffend – sollten 1983 auf der Landeskonferenz in Ossiach geklärt werden. Was dann auch geschah, aber unter Zurückweisung der Positionen der Jungen.
Die Folgen waren dramatisch; die KPÖ verlor nicht nur den Großteil der jungen (nicht nur slowenischen) AktivistInnen, die austraten, ihre Mitgliedschaft ruhend stellten, politisch inaktiv oder anderswo aktiv wurden. Die Partei verlor damit auch die Möglichkeit, politisch zu ernten, was sie in den Jahren der Solidaritätsbewegung gesät und gelernt hatte. Voraussetzung dafür allerdings wäre gewesen, dass die Parteiführung bzw. die KPÖ ihren Standpunkt der »Unterstützung« berechtigter Forderungen der slowenischen Organisationen weiterentwickelt und die – ich nenne es hier einmal so – interkulturelle Nationalitätenpolitik in die eigene Agenda übernommen, d. h. zur eigenen Sache, zum Teil des eigenen Programms gemacht hätte. Das wurde erst nach der Erneuerung der KPÖ möglich.
Heute besteht die Herausforderung an die Theorie und die Praxis der Partei, auch die Minderheiten- bzw. Nationalitätenpolitik so wie andere Politikfelder in eine österreichische, europäische und globale Perspektive zu integrieren, die keinerlei Trennnung des Sozialen vom Ökologischen und Menschenrechtlichen zulässt; vor dem Hintergrund des nationalistischen und rassistischen Booms (nicht nur) in Europa ist dieses integrierende Denken und Handeln eine Überlebensfrage der klassenbezogenen, von den Interessen der Werktätigen ausgehenden Politik und Zivilisation.