Im Bundesland Kärnten startet im Herbst eine Kampagne zur Einführung eines »Energie-Tickets«. Bei entsprechender Resonanz soll damit ein Landesvolksbegehren angestoßen werden.
Eine Zusammenfassung von Mirko Messner
Österreich war eines der ersten Länder Europas, das seinen Strommarkt vor 20 Jahren liberalisiert und damit der freien Gewinnmaximierung der Konzerne überantwortet hat; die Energiepreise sind bereits nach oben gewandert, bevor es diesen Ukraine-Krieg gegeben hat. Darum haben andere europäische Länder bereits im Sommer 2021 begonnen, auf die Teuerung zu reagieren und gegenzusteuern: Durch Senkung der Mehrwertsteuer, Transferleistungen, Preisobergrenzen, Aufträge an Staatsunternehmen für Rabattaktionen (Zypern, Griechenland) oder Reduktion und Abschaffung der Netzkosten (Italien und Portugal); aber auch mit Fördergeldern für Sanierungs maßnahmen zugunsten energiearmer Haushalte, um so den Bedarf nachhaltig zu senken (Irland). Widerstand gegen Energiearmut rührt sich auch in der Bevölkerung: Die Kampagne »Don’t pay UK« z. B. droht mit einem Zahlungsboykott der Energierechnungen ab dem 1. Oktober und will dafür eine Million Unterschriften sammeln. Hunderttausend sollen bereits unterschrieben haben.
Die Verantwortlichen vom österreichischen Kanzler abwärts tun derzeit erstaunt, dass Kapitalismus nach kapitalistischen Gesetzen funktioniert. Wird Nordstream 2 wegen des Wirtschaftskriegs gegen Russland nicht in Betrieb genommen, wird teureres Gas aus den USA oder von sonstwo bezogen (wetten: über Umwege von Zwischenhändlern auch aus Russland); und alles, was diesen fossilen Brennstoff im Herstellungsprozess benötigt, eben auch die Erzeugung von Elektrizität, wird teurer (auch bei uns, obwohl der weitaus meiste Strom hier aus Wasserkraft gewonnen wird), und lässt die Gewinne der Energiekonzerne in den Himmel schießen. Zwischendurch empören sich jene, die das Gewinnspiel politisch konzertieren, an sogenannten Übergewinnen; gemeint sind damit die derzeitigen maß losen Gewinne der Energiekonzerne. Mehrere europäische Staaten haben auf diese bereits reagiert und sie fallweise kräftig besteuert, um die am meisten betroffenen Bevölkerungsteile zumindest vorübergehend zu entlasten.
Pilotprojekt
Kärnten hat von allen österreichischen Bundesländern den höchsten Kilowatt stunden-Preis. Und auch eine Art Pilotprojekt des Widerstands, anknüpfend an dem vor Jahren vom Bundesvorstand der KPÖ ent wickelten Konzept der Energiegrund sicherung: KPÖplus, Gewerkschaftlicher Linksblock und Zentralverband der PensionistInnen starten im Herbst die Kampagne »Energie-Ticket jetzt!«. Vorerst handelt es sich dabei um eine Sammlung von Unterschriften für eine Petition an die Kärntner Landesregierung. Darin fordern die Kärntner AkteurInnen die Landesregierung und die Energiewirtschaft auf, ein »Energie-Ticket einzuführen für alle, die in Kärnten wohnen.« Damit, so heißt es auf der Website energie-ticket.at, sollen der »jährliche Energie-Grundbedarf in Höhe von 2.000 kWh pro Person und zusätzlich 1.200 kWh pro Haushalt für jeden und jede entgelt- und netzgebührenfrei gesichert werden.« Indem die Forderung an die Landesregierung gerichtet wird, landet sie an der richtigen Adresse, nämlich beim Land als Haupteigentümer der Kärntner Energieholding und gemeinsam mit dem Bund Haupteigentümer der KELAG: »Wir wollen als Wählerinnen und Wähler wahrnehmen, was mit unseren Stimmen passiert, die wir für die Landtags- und Regierungsparteien abgegeben haben. Wir wollen, dass unser mehrheitlich gesellschaftliches Eigentum, die Energiewirtschaft, in gesellschaftlicher Verantwortung für die Bewohner und Bewohnerinnen des Landes wirkt und ihnen eine Energie-Grundsicherung gewährleistet«. Und was die Eigentums struktur der Energieholding und der KELAG betrifft, heißt es: »Das Land Kärnten hat sich seinerzeit politisch entschieden, 49 % am Eigentum der Energieholding und rund 37 % Anteile an der KELAG dem Energiekonzern RWE zu verscherbeln, sie auf weitere Jahre hinaus diesem zu überlassen (…). Das Land Kärnten kann sich auch politisch entscheiden, es nicht länger zu tun und die Partnerschaft mit dem privaten Konzern wieder loszuwerden«.
Trostpflaster
Dass die Kampagne zum richtigen Zeitpunkt kommt, liegt auf der Hand. Ganz schlechte Laune macht sich breit, in allen Bundesländern, und das macht bereits der Staatsspitze Sorgen. Die leidet auch an Energiearmut, allerdings nicht an derselben.
Die 150-Euro-Gutschrift auf die Strom- Jahresabrechnung, die sich die Regierung vor Monaten ausgedacht hat, ist selbst in seiner Billigkeit für viele, die auch auf ein Trostpflaster nicht verzichten wollen oder können, aufgrund seiner Konstruktion nicht einlösbar, »zu bürokratisch und kompliziert«, »ein Chaos«, so die Stimmen z. B. aus der Arbeiterkammer.
Doch jetzt, nach der Sitzung des Energie-Krisenkabinetts, bestehend aus Kanzler, Vizekanzler, Finanzminister, Energieministerin und Wirtschaftsminister sowie Experten der Energiewirtschaft, LändervertreterInnen sowie Sozialpartnern, soll die Diskussion an Ernsthaftigkeit zunehmen. Unter anderem werde das Modell für die »Strompreisbremse« erarbeitet. Die Koalition hat, so scheint es, den Vorschlag des Chefs des Wirtschaftsforschungsinstituts Gabriel Felbermayr zur Vorlage für ihre Pläne genommen und ihn weiterentwickelt. Laut Standard soll jeder Haushalt unabhängig von seiner Größe ein einheitliches Stromkontingent zu günstigerem, weil gedeckeltem Preis erhalten, quasi als Grundversorgung. Um dieses Konzept halbwegs sozial gerecht umzusetzen und so voraussehbaren Kalamitäten aus dem Weg zu gehen, also »den Rabatt je nach Haushaltseinkommen unterschiedlich zu bemessen«, fehlen laut Standard »schlicht die zugriffsbereiten Daten.« Ähnlich sieht es mit dem Strompreisdeckel von SPÖ und Gewerkschaftsbund aus. Dies gilt auch für die Vorschläge von SPÖ (die von den Rundfunkgebühren Befreiten sollen einen Extranachlass erhalten, über die Höchstbeitragsgrundlage Verdienende sollen gar nicht entlastet werden), außerdem wären sie mit viel teurem Aufwand und Antragswirtschaft verbunden. Und zur »Übergewinn«-Steuer, die sowohl Bundeskanzler Nehammer als auch SPÖ und ÖGB ins Spiel bringen, gibt es auch den Gegenvorschlag von FreundInnen der Energie konzerne, denen die »Einnahmensausfälle, die ihnen aus dem Deckel entstehen, ... erst einmal voll ersetzt werden sollen.« Zusammengefasst ein ziemlich konfuses und widersprüchliches Bild von Vorschlägen, denen eines gemeinsam ist: Im günstigsten Fall handelt es sich um Ideen für zeitlich begrenzte Überbrü ckungs maßnahmen ohne Nachhaltigkeit.
Die Lösung
Die Kärntner Kampagne »Energie-Ticket jetzt!« mutet dagegen an wie eine vorweggenommene Antwort auf die Fragen, die auf Regierungsebene nicht geklärt sind oder gar nicht gestellt werden. »Wir haben die Lösung« steht auf den Türhängern der Kampagne. Das hat seine Berechtigung:
Erstens, und das ist das Wesentliche am Kärntner Modell, es handelt sich dabei nicht um Preisdeckelungen oder Rechnungsgutschriften oder Rabatte, die samt und sonders flüchtig sind, sondern um Kilowattstunden, die jedem und jeder Einzelnen bedingungslos und entgeltfrei zur Verfügung gestellt werden sollen, ohne jede Antragswirtschaft.
Zweitens, es ist auf die einzelne Person gebunden, unabhängig vom Haushalt, in dem sie oder er wohnt. Damit wird die variable Größe eines Haushalts berücksichtigt, d. h. soziale Staffelung umgesetzt, und für jeden Haushalt (bzw. für die Vertragsperson) werden unabhängig von der Zahl der im Haushalt Lebenden zusätzliche Kilowattstunden bereitgestellt.
Drittens, die Frage der Refundierung der Kosten an Erzeuger und Netzbetreiber soll mit mehreren sozialen Maßnahmen gesichert werden. Unter anderem auch mit einer Profitabschöpfung der Gewinne bei den Energiekonzernen, die mehrere Milliarden einbringen würde. Die Kärntner Petition rückt zudem die Forderung nach einer (Wieder-)Einführung der Vermögenssteuer in den Vordergrund, für die das Land sich auf Staatsebene einsetzen solle. Die Kurzfassung der Berechnung lautet: Wird das Vermögen der überreichen fünf Prozent der Bevölkerung mit nur einem Prozent besteuert, können die Kosten eines Energie-Tickets (geschätzte sieben Milliarden Euro) für ganz Österreich gedeckt werden – also mit einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von Super reichen zu Nichtreichen und Armen.
Viertens, werden weniger Strom-Kilowattstunden verbraucht als das Energie-Ticket vorsieht, soll dieses auch zur Begleichung von Kosten für Klima-Ticket oder Heizmaterialien (z. B. Holz) oder (Fern-)Wärmelieferanten genutzt werden können, für Dämmmaterial oder Ausrüstung für Heizanlagen usw. – was natürlich entsprechende Verträge der Anbieter mit dem Land voraussetzt. Anders gesagt: Es geht bei der Kärntner Kampagne um ein Energiekontingent, das dem oder der Einzelnen von der Gesellschaft als Recht zur Sicherung seiner oder ihrer individuellen Existenz entgeltfrei zugesprochen wird. Das in unseren Breiten notwendige Basiskontingent an Energie soll nachhaltig entkommodifiziert, d. h. nicht mehr als Ware auf einem von Konzernen und Monopolen beherrschten Markt gehandelt und damit unabhängig werden von Börsenspekulation und finanzmarktgetriebener Energiepolitik. Christiane Maringer, mit Melina Klaus vor Jahren gemeinsam federführend bei der Erarbeitung des Ur-Konzepts der KPÖ für die kostenlose Energiegrundsicherung, dazu: »Energie, also Strom und Wärme, zählen in der UN-Deklaration für Menschenrechte zu den unverzichtbaren Lebensmitteln, zu denen alle gleichen und ungehinderten Zugang haben müssen. Die Forderung nach einem Energie-Ticket entspricht diesem Anliegen.«
Cristina Tamas, Koordinatorin des Kärntner Energie-Ticket-Projekts, ist realistisch, was dessen Ziel betrifft: »Zuerst wollen wir an die 2.000 Unterschriften unter die Petition sammeln. Wenn uns das gelingt, wollen wir im nächsten Schritt die Einleitung eines Landesvolksbegehrens ins Auge fassen, denn so viele in Kärnten Wahlberechtigte müssen dann in den Gemeindeämtern dafür unterschreiben. Das ist ziemlich ambitioniert, aber wir sind zuversichtlich. Mehrere erfolgreiche Testläufe bestärken uns darin.«
https://energie-ticket.at
https://www.kpoe.at/energiegrundsicherung-jetzt/