Von Leonore Beranek
Mit geschickter Semantik wird von den eigentlichen Herausforderungen für Lohnabhängige abgelenkt und kräftig moralisiert.
Erstmal bleibt festzuhalten, dass der Arbeitskräftemangel eine geringe Verbesserung der Verhandlungspositionen für Arbeitnehmer*innen bestimmter Berufsgruppen gebracht hat. Aber kaum setzt diese Entwicklung ein, kommt die massive Gegenbewegung in Form einer Debatte, die kein Mensch gebraucht hat. Dies trifft vor allem auf die Darstellung der sogenannten Generation Feierabend, die keine Lust auf Vollzeitarbeit hätte, zu. Hier wird auf gut qualifizierte Arbeitskräfte abgezielt, die in der Lage sind, die Knappheit an Fachkräften für eine Verbesserung ihrer Bedingungen zu nutzen. Es bleibt abzuwarten, wie lange dieses Zeitfenster offen ist.
Doch wie in politischer Agitation üblich und wohlbekannt, wird bewusst verkürzt und verallgemeinert. Das Gros der Lohnabhängigen ist noch gar nicht in dieser vielleicht verbesserten Position angekommen und wird bereits vorsorglich zurückgepfiffen.
Was wird transportiert?
Die Verbindung der Teilzeitdebatte mit der Finanzierung des Pensionssystems, deren inhaltlicher Zusammenhang bezweifelt werden darf, zielt auf jene Lohnabhängigen ab, die ohnehin im Bereich der niedrigen Einkommen angesiedelt sind. Niemand wird ernsthaft annehmen, dass z. B. in den öffentlich finanzierten sozialen Dienstleistungen die Spielräume groß wären. Niemand wird wirklich glauben, dass die vielbeschworene Freiwilligkeit oder auch Wahlfreiheit in Bezug auf Arbeitszeit hier gilt. In diesem Zusammenhang scheint die Frage im Ö1-Radiokolleg an die Ökonomin Katharina Mader, ob sich denn die Frauen ihrer lebenslangen ökonomischen Schlechterstellung durch Teilzeit bewusst seien, beinahe zynisch.
Der Hintergrund der Debatte ist ein anderer. Durch die Darstellung, es sei unsolidarisch weniger zu arbeiten, wird einer drin gend notwendigen Arbeitszeitverkürzung und der Verbesserung von Rahmenbedingungen vorgebaut. Die Logik der Argumentation passt in das Auseinanderdividieren der Bevölkerung. Dabei ist erstmal völlig gleichgültig, ob gut ausgebildete Junge mit hohem sozialem und kulturellem Kapital weniger und anders arbeiten wollen als ihre Vorgänger* innen-Generationen, die noch in den Traum »sich etwas leisten und aufbauen zu können«, hineingetrieben wurden. Bestenfalls haben die Jungen das durchschaut und verweigern sich.
Diesen Jungen stehen Gruppen anderer Lohnabhängiger gegenüber, deren Einkommen niedrig und deren Verhandlungsposition schlecht ist, und das ist an sich nicht neu. Gleichzeitig wird bereits erneut das leidige Thema von der Schere zwischen Erwerbsarbeitseinkommen und Sozialleistungen, die größer werden müsste, strapaziert. Der Bundeskanzler garniert dies in seiner Zukunftsrede noch damit, dass Leistungen von Menschen mit einer anderen Staatsbürger*innenschaft als der österreichischen, gekürzt werden müssten. Es ist davon auszugehen, dass ihm die rechtlichen Hürden in einem Versicherungssystem und auch in der Sozialhilfe in diesem Punkt durchaus bewusst sind.
Damit geht es im Endeffekt darum, den Niedriglohnsektor als solchen abzusichern und die Rahmenbedingungen nicht zu ver bessern. Unterstützt und transportiert wird dies in einer Scheindebatte, inklusive einem Wettbewerb um ausgrenzende und rassistische Slogans. Vergeblich suchen wir dabei nach den Konzepten, alle Einkommensgruppen breit abzusichern und so in eine gute Verhandlungsposition zu bringen, die ihnen ein Arbeitskräftemangel unter Umständen verschaffen könnte. Ein ersten Schritt dazu könnte sein, dass die Lohnverhandlungen der Gewerkschaften über die Branchen solidarischer und enger verknüpft geführt werden. Ein derartiger Ansatz ist allerdings nicht in Sicht.