Leonore Beranek über die notwendige Gegenbewegung
Im ersten Moment wirkt der Versuch von Karl Mahrer (ehemaliger Wr. Polizeikommandant und Obmann der ÖVP Wien), den Brunnenmarkt für seinesgleichen zu erobern, ja fast witzig in seiner Unbeholfenheit. Unterlegt mit martialischer Trommelmusik wird gegen den Verlust eines Wiener Wahrzeichens gewettert, das aus Sicht Mahrers fest in der Hand von falschen Leuten ist. Eingebettet in eine Kampagne über weitere Orte, die zu »Unsicherheitszonen« erklärt werden. Die Aussagen Mahrers sind inzwischen widerlegt. Ein peinliches Video, viel Aufregung und Gegenstimmen. Alles gut, könnte der Eindruck sein. Ist es aber leider nicht.
Die ÖVP hat jede Mitte hinter sich gelassen und ist beim offenen Rassismus angekommen. Mahrer reiht sich mit seinen Ausritten ein. Bei ihm traf es im ersten Aufschlag einen gentrifizierten Ort, demgemäß gab es viel Kritik. Es ist nur einer von vielen Orten in Wien, die aus Sicht von Mahrer »No-Go-Zonen« sind. Es ist aber auch nur ein Beispiel dafür, dass die ÖVP sich für einen Weg der Hetze und Ausgrenzung entschieden hat, der eigentlich von der FPÖ bekannt ist.
Argumentiert wird der Weg mit einer nicht näher erklärten »schweigenden Mitte«, der angeblich Gehör verschafft werden müsse und damit, dieses Feld eben nicht der FPÖ zu überlassen. Ohne die einzelnen Sager und teilweise rechtswidrigen Maßnahmenankündigungen hier zu wiederholen, es geht um die Spaltung der Gesellschaft, um Schuldzuweisungen und Diffamierungen.
Die Umdeutung von Flüchtlingen zu »Migranten«, die Illegalisierung der Asyl suche und die Abschottungspolitik der EU an ihren Außengrenzen, die von der der zeitigen Bundesregierung vorangetrieben wird, ist ein Beispiel dafür, wie schnell sich Sprache und Erzählung verändert, wird sie nur oft genug wiederholt. Die gleiche Vorgehensweise wird nun hier angewandt. Ungeachtet der Fakten werden Szenarien gezeichnet, die im Endeffekt Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielen sollen. Die geballten Angriffe zielen auch hier auf die Umdeutung ab, die Menschen vorwirft, etwas in Anspruch zu nehmen, das sie nicht verdient hätten oder an einem Platz zu sein, wo sie nicht hingehören würden. Wenn Nehammer davon spricht, die Fehler der 70er-Jahre bei der Anwerbung von »Gastarbeitern« nicht zu wiederholen, geht es beispielsweise um nichts anderes, als Bevölkerungsgruppen als nicht zugehörig zu diffamieren. Das macht sie angreifbar.
Steuern zahlen, keine Ansprüche stellen
In dem der Bundeskanzler diese Thematik in dieser speziellen Form aufnimmt, sendet Nehammer Signale an den Wirtschaftsflügel der ÖVP, der nach Zuwanderung ruft. Kommen sollen offenbar Arbeitskräfte zu günstigen Löhnen, die, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, wieder verschwinden. Dazwischen Steuern zahlen und möglichst keine Ansprüche stellen. Das verstetigt das Auseinanderdividieren der Beschäftigten, die mit unterschiedlichen Rechten nebeneinander arbeiten. Es wirkt dämpfend auf das Lohnniveau und hält die Profite hoch. Der Druck auf alle Lohnabhängigen wird höher. Hier wird das Wort Integration gar nicht erst in den Mund genommen. Zahlt sich nicht aus und ist auch nicht erwünscht, sie gehen ja wieder. Damit, so die implizite Rechnung der ÖVP, könnte der aktuelle Arbeitskräftemangel vermindert werden, ohne die Position aller Beschäftigten nachhaltig zu verbessern.
Derzeit finden sich teilweise noch Aufruhr und breite Gegenbewegungen, zumindest in Wien. Aber wie lange wird sich diese Aufmerksamkeit halten? Die Schlagzahl der rassistischen Entgleisungen der ÖVP ist hoch, die FPÖ muss in ihrem Kernthema nachlegen.
Viele Gegenstimmen haben eine Schlagseite. Reflexartig wird darauf verwiesen, dass die Menschen am Brunnenmarkt ein Beispiel für gelungene Integration sind, ihre Steuern zahlen und Leistung erbringen. Die Guten also. Zum einen macht das die rassistischen Angriffe umso empörender. Zum anderen schwingt da eine Form der Ausgrenzung und Ablehnung mit, die tief in die Debatte eingedrungen ist und spätestens seit dem viel zitierten Köln-Silvester bei eher links der Mitte Einzu stufenden argumentativ verankert wurde. Die Unterscheidung der »Guten« und »Bösen« führt zu einem Weitertragen von Bildern im Kopf, beabsichtigt oder unbeabsichtigt. Ein kleiner Rassismus sozusagen.
Ein kurzer Blick in die Mainstream-Medien bestätigt diese Wahrnehmung. Nun ist es ein Standpunkt, der sicherlich nicht falsch ist, sich schützend vor die Angegriffenen zu stellen und die Aussagen vehement zurückzuweisen. Dabei sollten wir aber nicht in die Falle gehen, unsererseits Teile auszugrenzen. Denn die Unterteilung in jene, die es unschuldig trifft, weil sie integriert sind, und in die Anderen ist eben auch eine Spaltung. Es ist auch eine Zuschreibung, und die Bilder, die damit transportiert werden, sind eben auch rassistisch. Sie folgen einer Ausdeutung von Integration, die mehr Assimilation als Anerkennung zum Ziel hat. Denn es wird ein Unterschied gemacht. Eben zwischen jenen, denen aufgrund der Anpassung ein »Hiersein« zugestanden wird und Anderen, die unter Umständen Regeln verletzen oder ihnen dies zugeschrieben wird. Die notwendige Gegenbewegung ist das Einfordern von Gleichheit, die schon viel zu lange in viel zu vielen Bereichen, sei es das Wahlrecht oder der Arbeitsmarktzugang, bestimmten Menschen verwehrt wird.
Legitimation für Ungleichheit
Aber zurück zur ÖVP. Es ist immer weniger wahrscheinlich, dass ihr Kalkül nur das Abgraben von Stimmen der FPÖ ist. Das geht nicht auf, wie die Umfragen deutlich zeigen. Sie nutzt ihren Rassismus als Legi timation von Ungleichheit. Damit legitimiert sie klassisch Ausbeutung und Ausgrenzung. Insbesondere der Bundeskanzler setzt sich – vermutlich ganz bewusst – immer stärker und in einer beleidigenden Wortwahl mit Halbwahrheiten und Erfundenem in Szene. Weitere folgen, die Beispiele sind zahlreich, seien es eben Mahrer, Raab oder die ÖVP in Niederösterreich. Die Koalitionspartnerin trägt das alles mit, vielleicht zähneknirschend und mit Widerworten, aber die berühmte »rote Linie« ist für sie nicht überschritten. Unter Umständen glauben sie wirklich, dass sie das Schlimmste verhindern können. Sie tragen aber dazu bei, dass die rassistischen Ausritte, die diffamierende Sprache und die immer tiefere Spaltung gesellschaftsfähig werden. Sie tragen es mit, weil sie die Koalition mittragen und gleichzeitig widerständiges Potenzial bei sich bündeln. Die Sozialdemokratie ist mit sich selbst beschäftigt. Ob ihre Mitglieder es schaffen, mit der Wahl der*des Vorsitzenden hier das richtige Zeichen zu setzen, darf im Moment bezweifelt werden.
Es bereitet Unbehagen und tut weh zu schreiben, dass wir wissen, wohin das führen kann. Wie SOS Mitmensch es ausdrückt: »Die Dämme in Richtung Rassismus und Spaltung brechen«. Der Gewöhnungseffekt ist dabei seit Jahren eine zentrale Gefahr. Denn die Spirale dreht sich und die empör te Aufmerksamkeit ist kurzweilig.