Unterschiede aushandeln  und sich über Gemeinsamkeiten kollektivieren bilderbüchi (li), marlene rahmann (re)
12 März

Unterschiede aushandeln und sich über Gemeinsamkeiten kollektivieren

von

Sichtbarkeit, Sprache und #MeToo. Zwei Feministinnen unterschiedlicher Generationen sprachen mit Leonore Beranek über Ansätze, Herausforderungen und Fortschritte. Claudia Krieglsteiner, Bezirksrätin für die KPÖ auf der Liste LINKS-KPÖ in Margareten und Christin Spormann, Bezirksrätin von LINKS in Penzing sehen viel Gemeinsames, manche Widersprüche und einen offenen Raum für solidarische Diskurse.

Was sind eure Schwerpunkte in der Bezirkspolitik?

CLAUDIA KRIEGLSTEINER: Ich bin erst 2022 in die Bezirksvertretung nachgerückt, aber schon sehr lange in Margareten aktiv. Aus meiner politischen Arbeit, aber auch als ehemalige Sozialarbeiterin stehen für mich die Themen Frauen und Soziales im Vordergrund.

CHRISTIN SPORMANN: Mein Einstieg in die Bezirkspolitik war nach der letzten Wienwahl im Jahr 2020. Seitdem gibt es für mich den Anspruch sowohl queer-feministische Anträge einzubringen als auch alle Themen aus feministischer Perspektive in der Bezirksvertretung zu diskutieren.

Jetzt sind gleich drei Stichworte gefallen, bei denen ich nachfragen möchte: Frauenpolitik, Queer-Feminismus und Feminismus. Das sind ja unterschiedliche Ansätze, die sich nicht entgegenstehen müssen. Wie seht ihr diese Debatte?

CHRISTIN SPORMANN: Zum einen hat sich LINKS für den FLINTA*-Begriff entschieden. Es wurde also ein Begriff gewählt, der Frauen, Lesben, intersex Personen, nicht-binäre Personen, trans und agender Personen umfasst. Somit werden verschiedene Geschlechtsidentitäten einbezogen. Das ist nicht unumstritten. Aber in erster Linie wird damit die ungleiche Verteilung der Möglichkeiten von Partizipation und selbstbestimmtem Leben in patriarchalen Machtstrukturen ins Blickfeld gerückt. Zum anderen ist der FLINTA*-Begriff Ausdruck meines Zugangs zu Feminismus als antipatriarchal und das bedeutet in der Folge die Kollektivierung aller nicht-cis-männlichen Personen im Kampf gegen das Patriarchat und den Kapitalismus, die beide eng zusammengehören.

CLAUDIA KRIEGLSTEINER: Es besteht Einigkeit darüber, dass jede Form der Unterdrückung auf Grund geschlechtlicher Identität oder Orientierung abzulehnen und zu bekämpfen ist. Auch klar ist, dass Frau an sich noch kein Kriterium für Kampfgenossinnenschaft ist. Frauen leben über Klassenlagen, über ihre Herkunft, soziale Stellung und politische Zugänge in Widersprüchen, die nicht einfach in einer Bewegung überwindbar sind. Ob der FLINTA*-Begriff gut gewählt ist, wird sich zeigen. Es gab und gibt einen lang andauernden Kampf der Feministinnen gegen das Mitgemeint sein. Und Feministinnen der älteren Generation sind irritiert, denn ihr Kampf geht darum, selbst zu bestimmen und auch zu definieren, wer wir sind und mit wem wir uns gemein machen wollen. Dieser zentrale Anspruch wird mit dem FLINTA*-Begriff etwas überdeckt und da gibt es aus meiner Sicht zu Recht Debatten.

CHRISTIN SPORMANN: Dieses Argument sehe ich und kann ich auch nachvollziehen. In meiner Auffassung ist FLINTA* meine Haltung zu antipatriarchaler Politik. Aber ich verstehe, dass dieses Mitmeinen in diesem Zusammenhang problematisch für Frauen sein kann. In meiner Idee steht der gemeinsame Kampf im Vordergrund. Das setzt voraus, FLINTA* links bzw. marxistisch zu interpretieren und damit den solidarischen, kollektivistischen Ansatz zu betonen.

Der FLINTA*-Begriff ist mit dem Queer-Begriff eng verbunden. Der ist sehr breit angelegt. Das bedeutet, dass es Widersprüche und Deutungsbedarf gibt. Welche Schritte können da gesetzt werden?

CHRISTIN SPORMANN: LINKS steht für Queer-Feminismus, verbindet beides somit untrennbar. Das bedeutet gleichzeitig die Rolle der Männer im Kampf um eine geschlechtergerechte Gesellschaft aufzuzeigen. Daher die Abgrenzung zu cis-Männern, die sich in den patriarchalen Strukturen gut eingerichtet haben und sie nutzen können. In meinem Verständnis müssen wir immer über das Patriarchat reden, über die Systemfragen im Kapitalismus und wie diese beiden Konzepte zusammenhängen oder sich gegenseitig verstärken.

CLAUDIA KRIEGLSTEINER: Diese Fragen der grundsätzlichen Strukturierung der Gesellschaft sind immer– mit Frigga Haug – als Herrschaftsknoten zu betrachten, weil wir sonst nicht zu einer ausreichenden Analyse der Situation kommen. Es gibt Faschist*innen, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, mit denen ich keinerlei Berührungspunkte für etwas Gemeinsames finden werde. Es gibt Feministinnen, die klassenmäßig so weit weg sind, dass ich mich in keiner Bewegung mit ihnen wiederfinde, selbst wenn es punktuell zu Annäherungen kommen kann.

Auf der einen Seite gibt es die unterschiedlichen Konzepte und einen internen Diskurs dazu. Auf der anderen Seite steht die politische Praxis in der Bezirksvertretung.

Wie sind da euere Erfahrungen als zwei Bezirksrätinnen mit explizit feministischen Positionen?

CHRISTIN SPORMANN: Den FLINTA*-Begriff in der Bezirksvertretung zu benutzen, ist komplex. Er bietet anderen Fraktionen die Möglichkeit von den Inhalten der Anträge abzulenken und über Begrifflichkeiten zu diskutieren. Bei Anträgen zu Frauenthemen ist diese Verschiebung zumindest für manche Fraktionen deutlich schwieriger. Trotzdem ist meine Erfahrung, wenn ich in der Bezirksvertretung über Frauen rede, unabhängig davon, ob bei so genannten Frauenthemen oder wenn ich die Genderaspekte bei anderen Themen benenne, kommt sofort Gegenwind. Egal ob es um Betroffenheit von Gewalt geht oder um Solidarität mit den kämpfenden Frauen im Iran. Kontextualisierte Zugänge werden dadurch fast reflexartig aus dem Kontext gerissen und umgedeutet. Dann geht es plötzlich wieder nicht um die Inhalte und Forderungen der Anträge, sondern um Männer.

CLAUDIA KRIEGLSTEINER: Das ist ein weit verbreitetes Phänomen in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt, natürlich bleibt es in der politischen Debatte nicht aus. Es gibt aber Unterschiede in den Kulturen der jeweiligen Bezirksvertretungen. In einigen ist die Zusammenarbeit sehr schwierig und in anderen gibt es ein gutes, professionelles Gesprächsklima.

In feministischen Bewegungen oder im Rahmen von #MeToo geht es immer auch um das Sprechen, Sichtbarkeit und das Einnehmen von Raum. Gibt es da aus eurer Sicht Entwicklungen?

CHRISTIN SPORMANN: Es ist spürbar, dass FLINTA*-Personen häufig nicht zum Sprechen sozialisiert sind. Egal in welchem Kontext ist Zurückhaltung und Unsicherheit zu spüren. In der Bezirksvertretung erlebe ich bei bestimmten Themen eine Dynamik der gewaltvollen Sprache von Männern. Das schreckt FLINTA*-Personen ab und in manchen Situationen denke ich selbst daran, nicht auf diese Provokationen und Umdeutungen einzugehen, um den Rahmen ruhiger zu gestalten. Etwa wenn bei einer Resolution, die sich mit den kämpfenden Frauen im Iran solidarisch erklärt, die FPÖ eine Kopftuchdebatte beginnt. Aber es nicht meine Idee von Politik, diesen Raum aus Überlegungen zur Debattenkultur zuzulassen, auch wenn es sehr anstrengend ist und mich mitunter da ziemlich allein gelassen fühle.

CLAUDIA KRIEGLSTEINER: In den öffentlichen Raum treten und sprechen oder präsent zu sein, ist ein klassisches Thema des Feminismus, weil es den Frauen Jahrhunderte lang verwehrt war und in einer globalen Perspektive vielfach noch ist. Ich denke, #MeToo ist eines der Mosaiksteinchen hier etwas zu bewegen. Die aktuellen Bemühungen um gendergerechte Sprache im ORF und anderen öffentlich-rechtlichen Sendern gehören dazu, wie die ganze Auseinandersetzung um gendergerechte Schriftsprache. Die ist ein Beispiel, wie Sprache und Begriffe sich weiterent­wickeln. Das Binnen-I war ein langer Kampf und eine große Errungenschaft für unsere Generation, auch wenn es heute nicht mehr zeitgemäß ist. Gleichzeitig gibt es einen Abbau von Sprachkonzepten aus den 1990er-Jahren, wo es um andere Formen von Sprache und nicht nur um gegenderte Subjektbezeichnungen gegangen ist.

CHRISTIN SPORMANN: Es ist darüber hinaus eine Frage von sicheren Räumen und der Kommunikation untereinander. Es braucht, dort wo nach ihnen gefragt wird oder Bedarf besteht, sichere Räume. Das ist wiederum komplex. Denn: Wer fragt, wer öffnet den Raum, wer liest wen in welcher Art und Weise? Das kann teilweise anmaßend und verletzend sein, daher steht für mich die sichere Umgebung mehr im Vordergrund, als ob es ein Frauenraum oder ein FLINTA*-Raum ist, um bei diesen Beispielen zu bleiben.

CLAUDIA KRIEGLSTEINER: Wenn es nur noch darum geht, wer wo hindarf und wer nicht, dann denke ich, weist das auf andere Probleme hin. Dann müsste zunächst über Ziele gesprochen werden. Selbstverständlich ist die Frage der Räume wichtig, eigene Frauenräume stehen als Anspruch am Beginn der Frauenbewegungen. Im Rahmen einer solidarischen Kommunikation müssen die Bedarfe konkret besprochen werden. Jede Art des Miteinanders zu ermöglichen und immer wieder alle zusammenzuführen, ist eine Aufgabe aller in linken Bewegungen und Parteien.

In den 1990ern gab es den Befund, die Frauenbewegung käme nicht weiter, weil sich jede neue Generation von der vorherigen in Ablösungsprozesse begibt. Wie seht ihr das heute?

CLAUDIA KRIEGLSTEINER: Wir beide müssen uns nicht gegeneinander abgrenzen. Ich glaube, das ist ein ganz tiefes Problem aller Kämpfe von Unterdrückten: Kontiunität herzustellen. Das gilt nicht nur für den Feminismus, sondern genauso für die Arbeiter*innenbewegung. Die Herrschenden haben die Institutionen, die Strukturen der Macht und jede Möglichkeit zur Tradierung ihres Herrschaftswissens. Die Unterdrückten müssen in solidarischen Diskussionen Kontinuität erst bauen und gewährleisten. Das macht es schwierig und spannend. Es öffnet Begegnungen zwischen den Generationen im Diskurs und im gemeinsamen Tun. Und ich sehe die Bereitschaft »der Jungen«, sich mit den Theorien, Erkenntnisse und Erfahrungen der älteren Generationen zu beschäftigen und diese kritisch zu hinterfragen. Das sichert, dass sich in der verändernden Welt auch die Erkenntnisse verändern und ist auf jeden Fall bereichernd.

CHRISTIN SPORMANN: Das sehe ich auch so. Spannend ist für mich, dass aus meiner Perspektive vieles am Anfang steht, bei dem Ältere schon seit langem in den Kampf involviert sind. Vielleicht ist deshalb die Perspektive manchmal ein wenig verschoben, aber das sollte nicht die Gemeinsamkeiten überdecken. Solange es eine Auseinandersetzung damit gibt, die gleichzeitig von den kollektiven Zielen der Abschaffung des Patriarchats und des Kapitalismus getragen ist, können diese Differenzen uns eigentlich nur weiterbringen.

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