12 März

#MeToo und die extreme Rechte

von

Vom gescheiterten Versuch der Aneignung und zu erwartenden Herausforderungen.

Von Leonore Beranek

Im Jahr 2018 haben die Identitären den Versuch unternommen, #MeToo umzudeuten und für sich zu nutzen. Mit der Kampagne »120 Dezibel«, deren Titel sich auf die Lautstärke eines Taschenalarms bezieht, sollten feministische Projekte wie #aufschrei und #MeToo rassistisch umgedeutet werden. Über die Hintergründe und warum diese Kampagne letztendlich als gescheitert anzusehen ist, habe ich mit der Literatur- und Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismusexpertin Judith Goetz von der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU) gesprochen.

Die Erzählung dieser Kampagne kann in wenigen Worten zusammengefasst werden. Das erzeugte Bild von Frauen, die sich aus Angst vor sexualisierter Gewalt von Männern mit Migrationshintergrund nicht mehr auf die Straße trauen, nutzte den unter rassistischen Vorzeichen geführten Diskurs rund um die Vorkommnisse zu Silvester 2015 in Köln. Kampagnenträgerinnen waren Frauen aus dem Umfeld der Identitären, die in YouTube-Videos ihrer vermeintlichen Bedrohung Ausdruck verliehen, wegen derer sie Taschenalarme bei sich tragen würden. Es folgten Aufrufe an Frauen auf Social Media, ihre Erfahrungen mit Übergriffen von Männern, die als Geflüchtete oder Ausländer markiert werden, zu veröffentlichen. Die relative Erfolglosigkeit dieser versuchten Aneignung eines Diskurses führt Judith Goetz unter anderem darauf zurück, dass dieses Thema nicht mehr skandalisiert werden konnte. »Sexualisierte Gewalt durch fremdmarkierte Männer hatte keinen Neuigkeitswert und war in den Medien bereits überrepräsentiert.« Anders als in anderen Kampagnen der extremen Rechten konnte das Instrument des Tabubruchs nicht eingesetzt werden. Auch die mediale Rezeption hielt sich in Grenzen. Darüber hinaus wäre die Resonanz auf den Aufruf, eigene Erfahrungen zu veröffentlichen, überschaubar geblieben.

Sexualisierte Gewalt rassistisch zu wenden, hat in der extremen Rechten eine lange Tradition. Aber auch in konservativen demokratischen Kreisen ist mit dem Begriff der importierten Gewalt eine ähnliche Stoßrichtung zu finden. Judith Goetz betont, dass »konservative Kräfte seit vielen Jahren im Diskurs, das Patriarchat woanders als in der Mehrheitsgesellschaft zu verorten, mitmischen.« Als Beispiel dafür nennt sie den Begriff »Kulturdelikte« und den Versuch, diesen rechtlich zu verankern. Bereits 2008 hat Maria Fekter als Innenministerin einen derartigen Vorstoß gesetzt, seitdem taucht er regelmäßig auf und wird mit so genannter traditionsbedingter Gewalt wie Zwangsheirat in Verbindung gebracht.

In Bezug auf die Identitären bzw. ihre Nachfolgeorganisation Die Österreicher stellt Judith Goetz inzwischen eine neue Ausrichtung und ein neues Wording fest. Der Versuch, sich als »Bürgerbewegung« zu etablieren, sei zwar mäßig erfolgreich. Trotzdem sind sie nicht unbedeutend. Insgesamt bekämen rassistische Diskurse derzeit wieder mehr mediale Aufmerksamkeit, wie nicht zuletzt die Waldhäusl-Debatte zeigt. Davon profitieren auch die Identitären.

Nicht mit Rechten reden

Die Forschungsgruppe FIPU hat eine klare Position zur öffentlichen und medialen Auseinandersetzung mit rechten und rechtsextremen Positionen. Zu einem Diskurs gehört, dass die Positionen des Gegenübers als Positionen und Argumente anerkannt werden. Judith Goetz macht in diesem Zusammenhang deutlich: »Ideologien, von denen Gewalt ausgeht und in denen Menschen diskriminiert werden, sind keine legitimen Positionen in einem demokratischen Diskurs.« Sie sieht nicht, dass hier mit dem besseren Argument entzaubert werden könnte, weil von Seiten der Rechten nicht mit Argumenten, sondern mit Unwahrheiten, Untergriffigkeit, Emotionalisierung und Feinbildern gearbeitet wird und die Regeln des Diskurses damit verletzt werden. Ein wichtiger Aspekt dabei ist ebenso, dass solche Diskussionen inhaltlich nichts bringen, aber rechten, rassistischen, sexistischen und antisemitischen Positionen einen gewissen Legitimationsschub ermöglichen, wenn sie Teil der öffentlichen und politischen Debatte sind. »Wir müssen uns von der Normalität entwöhnen, dass Rechte verhandeln dürfen, was Rassismus ist und welche Positionen als legitim gelten.« In diesem Sinne sollte der Diskurs darüber, was Rechtextremismus ist, auf diese Ebene verweigert und stattdessen mit Expert*innen geführt werden.

Aktuelle Aneignungen

In den letzten zwei Jahren ist eine Veränderung in den Themen der Rechten zu beobachten. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass Frauenrechte immer wieder entdeckt werden, wenn sich die Gelegenheit ergibt, Rassismus zu verbreiten. Darüber hinaus setzen rechte Gruppierungen und auch die Identitären in den letzten zwei Jahren stärker auf Angriffe gegen LGBTQI, wie die Störaktionen im Pride Month oder bei verschiedenen Veranstaltungen im letzten Jahr zeigen. Judith Goetz schätzt ein, dass die Hintergründe dieser neuen Schwerpunktsetzung zum einen darin liegen, dass LGBTQI ein Thema geworden ist, »bei dem es auch Unbehagen von der Mitte der Gesellschaft gibt.« Eine besondere Entwicklung findet statt, wenn in den Diskussionen rund um Rechte von Transgender-Personen »oldschool Feministinnen« Allianzen mit der extremen Rechten eingehen würden. Homo- und Transfeindlichkeit sind Teil rechter Ideologien, um sie herum werden Bedrohungspotentiale aufgebaut und alles, was nicht in das heteronormative Bild passt, bekämpft.

Ein jüngstes Beispiel für das Nutzen und Aneignen von aktuellen Diskursen ist die Debatte um den Fall Teichtmeister. Zum geplanten Prozessauftakt gab es Demonstrationen vor dem Gericht. Auch wenn z. B. MeinBezirk.at vom 8. Februar 2023 in diesem Zusammenhang von Aktivist*innen spricht, weist Judith Goetz darauf hin, dass diese Demonstrationen unter Beteiligung Rechtsextremer stattfanden. »Das waren Leute aus dem Umfeld der COVID-Maßnahmen-Gegner*innen, unter anderem war auch Gottfried Küssel dort.« Das Thema Kindesmissbrauch aufzugreifen, ist ihrer Beobachtung nach nicht neu. »Die Figur des unschuldigen Kindes wird eingesetzt, um rechtsextremes Gedankengut zu lancieren, sei es bei der Ablehnung einer Pädagogik der Vielfalt oder die Verbreitung von Homophobie.« Hier wird in der Erzählung nicht nur eine angebliche Störung der sexuellen Entwicklung von Kindern durch z. B. die Regenbogenparade strapaziert, sondern auch ein Zusammenhang zwischen Pädophilie und Homosexualität konstruiert. »Ziel ist es, über diese Diskurse zu Pädophilie homosexuelle Menschen abzuwerten und zu bekämpfen«, erklärt Judith Goetz.

Damit scheint ein Thema gefunden, von dem in nächster Zeit noch mehr zu erwarten ist. Allein der Prozess zum Fall Teichtmeister wird eine Menge Aufmerksamkeit mit sich bringen, in deren Windschatten eine neue Chance zur Aneignung von Diskursen gesehen werden kann. Alia Wielens spricht im Zusammenhang mit den Vorfällen in Köln Silvester 2015 und der darauffolgenden Debatte von Gelegenheitsstrukturen. Damit sind, wie Rainer Benthin bereits 2004 anmerkte, Öffentlichkeitsstrategien von Rechten gemeint, die es ihnen ermöglichen, sich Diskurse anzueignen und sie in der Folge umzudeuten.

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