Zum Thema 100 Jahre KPÖ passt auch das vor einiger Zeit erschienene Buch von Susanne Sohn »Als der Kommunismus stürzte und mir nichts mehr heilig war«.
Buchkritik von BÄRBEL DANNEBERG
In ihren protokollarischen Aufzeichnungen beschreibt Susanne Sohn ihre persönliche Parteigeschichte, ihren Aufstieg und freigewählten Fall als führende Funktionärin und zuletzt Chefin im Führungsduo der KPÖ. Der Buchtitel legt einen recht gläubigen Zugang zur politischen Arbeit nahe im Sinne von »Glaube, Liebe, Hoffnung«. So gelesen, werden mir der moralische Impetus und die zornige Abkehr verständlicher. Vieles, was Susanne Sohn anhand von Protokollen, persönlichen Erinnerungen und umfangreicher Literatur zusammengetragen hat, kommt mir und vermutliche all jenen, die in und mit der Partei zu tun hatten, bekannt vor.
Parteiliches Hochamt
In der »Stimme der Frau« habe ich mit Susanne Sohn journalistisch zusammengearbeitet und sie als Kollegin geschätzt. Sie war als studierte Politikwissenschaftlerin »die Intellektuelle« in meinem Arbeitsumfeld, sie wurde bewundert und sprach manch »heiße Eisen« in der sog. Frauenfrage an. Dennoch habe ich sie als besonders »linientreu« erlebt, als eine, die ZK-Beschlüsse nach außen hin loyal vertrat, selbst wenn wir über so manche welt- und frauenpolitischen Ansichten einer männerdominierten Funktionärsebene frauenintern den Kopf schüttelten.
Susanne Sohn war eine Hoffnungsträgerin für eine zu erneuernde Partei. Sie stieg gegen die Skepsis manch dogmatischer, altgedienter Funktionäre, aber mit Unterstützung von feministisch gesinnten Genossinnen und von Irma Schwager, die lange Zeit einziges weibliches Politbüromitglied und Autorität in der parteiinternen Frauenpolitik war, zu höheren Weihen auf: Gemeinsam mit Walter Silbermayr wurde sie 1990 zur KPÖ-Vorsitzenden gewählt und verließ die Partei Hals über Kopf ein Jahr später nach 20-jähriger Mitgliedschaft und dem Zusammenbruch der realsozialistischen Länder. Eine Flucht, die sich wie ein hastiger Kirchenaustritt und eine Befreiung von einem Sündenregister liest, das nach Absolution verlangt. In diesem Selbstverständnis lässt sie auch ihre Aufzeichnungen ausklingen: »Schließlich frage ich: warum nicht dem Beispiel der Katholiken folgen? Die müssen aufrichtig bereuen und Buße tun, dann erhalten sie die Absolution.« (S. 330) Von wem hat Sohn sich diese erwartet? Von ihren ehemaligen Genoss*innen? Oder von einer Öffentlichkeit, die nach wie vor antikommunistische Reflexe pflegt? Vermutlich war ihr Wunsch nach Absolution eher dem eigenen Dogmatismus geschuldet.
Zusammengebrochene Illusionen
Für viele Genoss*innen war die weltweite Entwicklung wie auch die in der Partei »an einem Knotenpunkt der Geschichte« angekommen: der Zusammenbruch des Realsozialismus traf ins Mark kommunistischen Selbstverständnisses; ungläubiges Staunen darüber, dass das Parteivermögen der KPÖ-Firmen, von dem Parteikader wie Susanne Sohn jahrelang gut bezahlt wurden und die nach ihrem Abgang gute Abfertigungen, Sozialpläne und Bildungsfinanzierungen von der KPÖ erhielten, von der deutschen Treuhandgesellschaft liquidiert wurde; die Fassungslosigkeit über gehässig ausgetragene parteiinterne Fraktionskämpfe – das hat vielen gereicht. Zusammengebrochene Illusionen von einer besseren Welt, um die Genoss*innen mit großem Einsatz – auch ihres Lebens in Zeiten des Faschismus – gekämpft hatten, ohne dass dies durch Wahlergebnisse »von den Menschen da draußen« belohnt wurde, brachten die KPÖ in den 1990er Jahren an den Rand ihrer Existenz. 1991 war sie mit dem Untergang der Sowjetunion, der Liquidierung des Parteivermögens und dem Abgang von Silbermayr & Sohn führerlos.
Aber nicht haltungs- und handlungslos, wie sich bis heute zeigt.
Dennoch stellt sich die Frage, was davor war. Vieles, etwa das Terrorregime des Stalinismus mit seinen Verbrechen, dem sich Susanne Sohn dankenswerter Weise ausführlich widmet, war ja nicht erst nach Öffnung der Archive in Moskau bekannt und wurde von der KPÖ u. a. in von ihr finanzierten Forschungsaufträgen aufgearbeitet. Auch das teils antiquierte Verständnis in Gleichberechtigungsfragen, das durch feministische Erkenntnisse nach und nach gebrochen wurde, war nicht neu und veranlasste uns, ein Frauenprogramm der KPÖ zu verfassen, an welchem auch Susanne Sohn in der ersten Fassung mitgearbeitet hat.
Fatalismus und Vatermord
Die Vehemenz der Loslösung von der KPÖ zu einem Zeitpunkt, als die historische Niederlage realsozialistischer Visionen offensichtlich war, macht verdächtig. Geld- und führerlos geworden, blieb die Flucht nach vorne und die Abrechnung mit dem, was, wenn nicht mitverantwortet, so doch mitgetragen wurde. Das animiert zur Frage, für wen das Buch, an dem die Autorin zehn Jahre gearbeitet haben soll, außer für einen kleinen Kreis Betroffener geschrieben wurde. Unmittelbar beteiligte, namentlich genannte, noch lebende Personen wird es verärgern, empören, wütend machen und manche, die wie Sohn geflüchtet sind, werden es mit bestätigendem Kopfnicken lesen. Sohns subjektive Sicht zeigt, dass es verschiedene Wahrheiten gibt. Jene, die mich in einer Passage des Buches betrifft, hat mich verärgert, die Autorin war bei beschriebenem Vorgang gar nicht dabei. Es ging um den NATO-Doppelbeschluss und die von Christa Wolf in einem Buch geforderte einseitige Abrüstung in der DDR. Eine österreichische Schriftstellerin hatte das Buch mit eben dieser Forderung für die »Stimme der Frau« rezensiert. Woraufhin ich als verantwortliche Redakteurin vom KPÖ-Chefideologen »nach oben« zitiert und zurechtgewiesen wurde mit der Aufforderung, die Haltung der KPÖ zur einseitigen Abrüstungsfrage richtigzustellen. In der folgenden Ausgabe habe ich (in meiner Redakteursarbeit einmalig und beschämend genug) den KPÖ-Standpunkt wiedergegeben. Die Rezensentin von Christa Wolfs Buch (bei der ich mich später entschuldigte) kehrte der KPÖ und der Zeitung daraufhin den Rücken. Sohn macht in ihren Aufzeichnungen daraus eine Denunzianten-Geschichte – ich hätte mich beim Chefideologen angedient und gepetzt.
Die Wahrheit ist zumutbar, aber ein Hund, was sich an vielen Passagen des Buches zeigen ließe, auf die hier einzugehen weder der Platz noch der Ort ist. Einleuchtend scheint mir Susanne Sohns Partei- als Familiengeschichte: Der Vater in ihrer Beschreibung ein autoritärer Funktionär, die Mutter eine geschätzte Parteigenossin, die noch im hohen Alter ihren Führerschein machte, forderten von der Autorin selbstauferlegte Loyalität. Der Tod der Eltern wie der des Realsozialismus löste den Konflikt des Verrats. Nun endlich war »nichts mehr heilig«.
Susanne Sohn: »Als der Kommunismus stürzte und mir nichts mehr heilig war«, Löcker Verlag 2017