Kinder und Jugendliche, Heranwachsende sind durch Corona-Maßnahmen in einem besonderen Umfang betroffen. STEFAN JUNKER versucht zu erkunden, wo die besonderen Herausforderungen für sie liegen.
Am heftigsten trifft es immer die Schwachen, und das sind im Zusammenhang mit dem Virenstamm SARS-CoV-2 die Kinder. Besonders Kinder von Familien, die in der Corona-Krise stark belastet sind, sei es wegen der Überlastung von Homeoffice und Homeschooling oder aufgrund von Existenzängsten ihrer Eltern, erleben nun eine gefährliche Extremsituation, die sich in einer posttraumatischen Belastungsstörung äußern kann. Ähnlich ergeht es Einzelkindern, die stark unter der Einsamkeit leiden. Trotz dieser offenkundigen Problemlagen gibt es bis dato keine Untersuchungen über die Auswirkungen der beschönigend so genannten Hygieneregeln auf Kinder, weder zu den körperlichen noch zu den möglicherweise gravierenderen seelischen Folgen.
Der besondere Druck, unter dem Kinder stehen, wurde mir mit einer eigentlich harmlosen Szene in der U-Bahn bewusst. Ein wohl fünf Jahre altes Mädchen schrie: »Ich will nicht älter werden, ich will keine Maske«, während ihr die Mutter eine Maske überzog und sie dabei nicht laut, aber bestimmt anherrschte: »Gewöhn dich schon mal dran!« Dies zu einer Zeit als von einem zweiten Lockdown noch nicht die Rede war. Der Vorfall prägte sich mir ein und ich dachte, was hier geschehe, da meine Freunde und ich in diesem Alter immer älter sein wollten, als wir waren. Im Internet fand ich den Brief eines Kindes, worin es sich entschuldigt, die Maske abgenommen zu haben, es wollte nur Luft holen.
Jede und jeder kann bestätigen, wie viel schwerer es sich hinter einer Maske atmet, weshalb es geringer Vorstellungskraft bedarf, sich die größere Anstrengung bei Kindern auszumalen. Bei ihnen ist die Atemmuskulatur noch nicht fertig ausgebildet und Kinder haben an ihrer Größe gemessen einen höheren Atembedarf als Erwachsene. Gerade bei den verbreiteten Stoffmasken gibt es große Unterschiede im Atemwiderstand und ich fürchte, dass nicht wenige Eltern aus Unwissenheit bei ihrer Kaufentscheidung nicht darauf achten. Inzwischen gibt es eine Reihe von Hinweisen, die als Symptome längeren Maskentragens zu gelten haben, unter denen vor allem Kinder leiden. Dazu zählen vermehrte Kopfschmerzen, Schwindel, Bauchschmerzen, Müdigkeit, behinderte Lernfähigkeit, Sehstörungen (Flimmern), Rauschen in den Ohren, Herzklopfen, Schweißattacken, Orientierungslosigkeit, hoher Puls, eine häufige Beschwerde bei Kindern ist der Ausruf: »Ich krieg keine Luft!« Mehrfach nachgewiesen ist, dass der CO2-Gehalt unter der Maske die arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen überschreitet.
Nicht wenige Schulen verlangen, die Maske auch während des Unterrichts zu tragen. Dabei erkranken Kinder und Jugendliche weitaus seltener an Covid-19, weshalb die Corona-Regeln bei ihnen am wenigsten Sinn ergeben. Im Gegenteil, diese Vorschriften, die zum Teil sehr rigide ausgelegt werden, untersagen den Kindern, was für ihre Entwicklung am Wichtigsten ist: körper licher Kontakt und soziale Erfahrungen. Hinzu kommt der Dauerstress, dem sie in den Schulen nicht erst seit Covid-19 ausgesetzt sind, der aber insbesondere durch das Maskentragen massiv verstärkt wird. Übereifrige SchuldirektorInnen und LehrerInnen überschütten Mädchen und Jungen mit zahlreichen strengen Verhaltensregeln in Schulen und Kindergärten. SchülerInnen wird verboten, sich ins eigene Gesicht zu fassen – machen wir uns nur die Störung eines einfachen Juckreizes bewusst – oder Gegenstände mit anderen zu teilen. Soldatisch diszipliniert sollen sie unter ihren Masken in markierten Bahnen durchs Schulgebäude marschieren, während die LehrerInnen über das Einhalten der Regeln wachen. Die Kinder müssen feststellen, dass es in ihrer gesamten Schulzeit noch nie so wenig um Lerninhalte ging wie jetzt – stattdessen stehen Verhaltenskontrolle und autoritäre Rollenmuster im Vordergrund. Sicherlich, diese Beschreibungen treffen nicht auf alle schulischen Einrichtungen zu und SchuldirektorInnen wie LehrerInnen haben gegen die Bestimmungen demonstriert, trotzdem geben diese Berichte Grund zur Sorge.
Die Betriebskrankenkasse Pronova BKK befragte 150 niedergelassene Kinderärzt Innen zu den körperlichen und seelischen Folgen der Corona-Maßnahmen. 89 Prozent der KinderärztInnen beobachten vermehrt psychische Probleme, 37 Prozent diagnostizieren eine Zunahme körperlicher Beschwerden. Jede_r zweite Kinderarzt/-ärztin berichtet von zunehmenden Verhaltensänderungen wie Antriebslosigkeit, Reizbarkeit und Angststörungen. Der Lockdown könnte demnach auch langfristige Folgen haben: Knapp 40 Prozent der Ärzte und Ärztinnen erkannten Anzeichen für motorische und geistige Entwicklungsverzögerungen bei ihren PatientInnen zwischen drei und 13 Jahren. All diese Berichte nähren die Vermutung, dass eine ganze Generation traumatischen Erfahrungen ausgesetzt wird. Die Masken bedeuten eine Störung der sozialen Entwicklung, da Kinder an der Mimik der Erwachsenen lernen, die sie nicht mehr interpretieren können. Soziale Erfahrungen wie Würde, Respekt, Mitgefühl oder Anstand werden durch maskierte Kontakte mit fehlender Mimik massiv behindert. Es stellen sich Angststörungen ein und Überforderung durch die ihnen aufgebürdeten Verhaltensregeln. Weiter sind Schlafstörungen und Verhaltensstörungen wie Waschzwänge zu nennen. Eine menschliche Berührung ist für viele zur Bedrohung geworden! Das hat verheerende Folgen für die gesamte Beziehungsentwicklung und das Beziehungsverständnis der Kinder und Jugendlichen. Bindungsstörungen liegen auf der Hand, aber auch das gesamte psychoimmunologische System ist davon betroffen. In diesem Zusammenhang berichtet Prof. Dr. Christian Schubert: »Das verpflichtende Tragen von Atemschutzmasken in der Schule steht symbolisch für die Gefahr einer tödlichen Virusinfektion. Daher ist die MNS mit ständiger Angst verbunden, sein eigenes Leben wie auch das der anderen zu gefährden. Kinder und Jugendliche laufen Gefahr, in ihrer ganzheitlichen Entwicklung behindert, Angst und Stress ausgesetzt und traumatisiert zu werden, sie können später an schweren Folgeerkrankungen erkranken.« Laut einer Studie fanden ForscherInnen bei etwa 30 Prozent der Kinder aus Familien, die im Zuge anderer Viren wie zum Beispiel der Schweinegrippe in Quarantäne gehen mussten, Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Noch eine weitere Folge darf nicht übersehen werden: Die Lockdowns und andere Corona-Maßnahmen haben in der häuslichen Enge gewalttätige und sexuelle Übergriffe gegen Jungen und Mädchen verstärkt. So berichtet der Kinderarzt Dr. Oliver Berthold aus dem Nachbarland: »Wir werden teilweise wegen Verletzungen kontaktiert, die sonst nur bei Zusammenstößen mit Autos auftreten. Da geht es um Knochenbrüche oder Schütteltraumata.« Im Mai vervierfachten sich die Anrufe bei der Kinderschutzhotline. Betroffen sind vor allem Kleinstkinder. Dass häusliche Gewalt in Krisensituationen zunimmt, ist durch eine Vielzahl an Studien längst belegt und bekannt. Auch ohne Corona stand dieses Thema zu wenig im Vordergrund. Wir sprechen von geschätzt mehreren 100.000 Kindern, die alljährlich in Deutschland schwerer und wiederholter physischer, seelischer und sexueller Gewalt ausgesetzt sind, eine Situation, welche die Corona-Maßnahmen massiv verschärft hat.
Stefan Junker ist Politikwissenschaftler und arbeitet an einem Buch zur Marxschen Staatstheorie.