SEXUALITÄTEN: Liebe in Zeiten von Corona

von

Eine erste Annäherung von GERLINDE GRÜNN.

1348 wütet die Pest in Florenz. Sieben junge Damen der Oberschicht fliehen mit drei männlichen Zufallsbekanntschaften aus der Stadt des Todes auf ein Landgut. Um die Angst zu vertreiben erzählen sie sich an zehn aufei­nander folgenden Abenden unter anderem Geschichten über Glück und Unglück in der Liebe. Diese oft erotischen Geschichten zur Überwindung der Angst haben bis heute im Decamerone von Giovanni Boccaccio die Zeit überdauert. Der katholischen Kirche war das Decamerone ein Dorn im Auge. Denn die lustvolle Darstellung der fleischlichen Freu­den und der Doppelmoral der lüsternen Gottesmänner demaskierte die christliche Sexualmoral. Lange Zeit stand das Decame­rone in der Schmuddelecke auf dem Index der verbotenen Bücher. Die Novellensamm­lung im Zeichen der Pest steht aber auch für den Beginn einer neuen Zeit – dem Auf­bruch in den Humanismus.

Anfang 1983 erreichten die ersten Mel­dungen über das Auftauchen einer neuen, durch sexuelle Kontakte übertragbaren, tödlichen Krankheit die Öffentlichkeit. Zunächst als »Schwulenpest« diffamiert und als Problem von Randgruppen abge­kanzelt, erwies sich der Diskurs rund um AIDS durch seine »Safer Sex« Kampagnen als wahrer Aufklärungsturbo. Die Vielfalt von sexuellen Lebensweisen und Praktiken jenseits der heterosexuellen Norm wurde erstmals sichtbar und damit auch enttabui­siert. Klar ist aber auch, dass die unbeküm­merte Libertinage der 1970er Jahre mit AIDS ein jähes Ende fand. Das Kondom zuvor in der Beliebtheit als Verhütungsmit­tel hinter die Pille zurückgefallen, feierte als Bollwerk gegen HIV ein fulminantes Come­back. Interessant in diesem Zusammenhang, dass in Frankreich angesichts von Corona nicht Klopapier gehamstert wird, sondern die Sorge dem ausreichenden Vorrat an Kondo­men gilt. Eine im Übrigen nicht unbegründete Sorge. Der malaysische Kondomproduzent Karex, der jedes fünfte Kondom weltweit pro­duziert, musste wegen der Coronakrise die Produktion bereits drosseln. Die Globalisie­rung erweist sich also auch hier als Bumerang.

»Safer Sex« in Zeiten von verordneten Min­destabständen zwischen nicht im selben Haus­halt Wohnenden erscheint allerdings aus heu­tiger Sicht als unüberwindbare Hürde. Das ist eine Frage, die wohl derzeit besonders Singles plagt. Das flotte Tinderleben ist wohl für Gesundheitsbewusste derzeit keine Alterna­tive bei der PartnerInnensuche. Videocalls und Handbetrieb scheinen das Gebot der Stunde. Angeblich erfreuen sich Sextoys-Pro­duzentInnen über erhöhte Nachfrage. Viel­leicht trägt man zukünftig einen positiven Antikörpertest mit sich, um eine körperliche Annäherung anzubahnen. Ob allerdings die kasernierten fix liierten Paare derzeit besser dran sind, ist offen. Quarantäne in trauter Zweisamkeit gilt manchen als Hölle auf Erden, nicht zu Unrecht rüsten sich Gewaltschutzein­richtungen für den erhöhten Andrang gewalt­betroffener Frauen.

Der Lockdown bringt auch zusätzliche Hür­den für ungewollt Schwangere mit sich. Das ohnehin magere Angebot für die Durchfüh­rung von Schwangerschaftsabbrüchen ver­schärft sich durch eingeschränkte Reisefrei­heit, geschlossene Ordinationen und nur auf Notversorgung eingerichtete Krankenhäuser zusätzlich. Pro Choice AktivistInnen fordern daher die Abgabe der Abtreibungspille in nie­dergelassenen Praxen um dem Engpass entge­gen zu wirken und die Basisversorgung auf­recht zu erhalten. Die kostenlose Abgabe von Verhütungsmitteln gehört als Forderung auch dazu.

Aber es gibt auch Erfreuliches – etwa aus der Zoologie – zu berichten. Nach jahrelanger Sex­pause haben die Pandas Ying-Ying und Li-Li im Hongkonger Zoo in der neu gewonnenen Privatsphäre des Lockdowns die Freuden des Liebeslebens wieder entdeckt. Einem Baby­boom zumindest bei Pandas steht also nichts im Wege.

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Gelesen 5687 mal Letzte Änderung am Montag, 11 Mai 2020 14:56
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