Interventionen der Universalkünstlerin Marianne Maderna.
Interview von EVA BRENNER.
In zahlreichen Medien – von Zeichnung, Skulptur und Installation, über Video, Performance und Musik bis hin zu Texten – befasst sich Marianne Maderna (* 1944 Wien) kritisch mit gesellschaftsrelevanten Fragestellungen, insbesondere mit hierarchischen Macht- und Gewaltstrukturen sowie dem Verhältnis der Geschlechter. 2005 versah sie in einer abenteuerlichen Kletter-Performance einen Wiener Flakturm mit den Graffitis
HISTORYSTERIA, WA(R)S YOU, TIE(D) WORLD. 2013 präsentierte sie in der Dominikanerkirche Krems ihr Weltentheater HUMANIMALS, eine Groß Installation mit tausenden nachtleuchtenden Skulpturen, die an Schnüren hängend im Raum schweben. 2015 positionierte sie im Arkadenhof und der Aula der Universität Wien die Installation RADICAL BUSTS.
Die Künstlerin lebt in Wien sowie in einer Kartause aus dem 14. Jahrhundert in Aggsbach-Dorf, Niederösterreich, wo sie als »freiwillige Einsiedlerin« wohnt und (zumeist) im Freien arbeitet. Inmitten des weitläufigen Geländes sind Schüttböden mit ihren Skulpturen und Installationen eingerichtet, die auf Voranmeldung besichtigt werden können. Ihr Werk ist in mehreren öffentlichen Sammlungen vertreten.
»Sie kommen in der Dunkelheit – den Rest übernimmt die Zeit.«
HUMANIMALS (2013) heißt die fantastische multimediale Installation, die die Künstlerin 2013 für Zeit Kunst Niederösterreich in der romanischen Dominikanerkirche Krems schuf. Hier verdichtet Maderna ihre radikal-feministische Kritik an hierarchischen Gesellschaftsstrukturen und mobilisiert gegen die Übermacht aktueller und vergangener »Phalloider«, »Krawattituden« oder »Web-Freaks«. In ihrem 2019 bei sonderzahl erschienenen Buch HUMANIMALS or the INVENTRESS of wheel Acts entwirft sie ein Welttheater, in dem ihr alter ego der INVENTRESS zusammen mit von ihr bemalten Fighterinnen den Kampf gegen die »Big-Rulers« dieser Welt aufnimmt. Dieses DaDa-eske Dramolett verbindet Animationsfilm mit totemistischer Live-Bemalung weiblicher Modelle und einer Tonspur aus Sprachfragmenten, primitiven Lauten und mythologischen Zitaten. Durch die Intervention der INVENTRESS endet das grotesk-düstere Polit-Spektakel der »Gemächtler« schließlich in einem befreienden Trance-Ritual. »Auch das Rad wurde einst von Frauen erfunden. Die Rettung der Welt kommt von den Frauen«, sagt Maderna mit voller Überzeugung.
2013 schritt die Künstlerin mit selbstkonstruierten Wasserschuhen als »Päpstin« über die Donau.
2015 stellte Maderna erstmals anlässlich der 650-Jahr-Feier der Universität Wien 36 vergoldete Büsten berühmter Frauen den permanent installierten 153 Büsten und Gedenktafeln männlicher Honoratioren in der Aula der Universität gegenüber.
Handschriftlich versah sie deren Podeste mit den jeweiligen, von ihr verfassten poetischen Biographien.
Wenn ich deine Arbeit betrachte, so fällt nicht nur die radikal feministische Grundhaltung, sondern auch die ungeheure Vielfalt an Medien auf, die du verwendest.
MARIANNE MADERNA: Interdisziplinarität ist selbstverständlich für mich. Ich habe mit Zeichnungen begonnen, mich aber sehr bald der Skulptur und der Performance zugewendet, in der ich meinen eigenen Körper einsetze. Ich lasse mich nicht einengen, je nach Thema und Anforderung ist als Ausdrucksform ein anderes Medium notwendig – Zeichnung, Fotografie, Malerei, Skulptur, Video, Film, Musik, Poesie …
Manche deiner Arbeiten sind sehr räumlich konzipiert, gewagt, kritisch und humorvoll. Sie erinnern mich an das amerikanische Happening, aber auch an das europäische DaDa.
MARIANNE MADERNA: Ich habe in den 60er-Jahren in Amerika gelebt, allerdings nicht lange, aber ja, der Einfluss ist da – genauso wie von der feministischen Theorie und dem Aktionismus. Aber ich muss nicht in die USA blicken. Wir haben in Österreich ganz hervorragende KünstlerInnen-Persönlichkeiten. Sie werden international zu wenig wahrgenommen.
Würdest du deine Arbeit als politisch bezeichnen?
MARIANNE MADERNA: Ja, durchaus. In meinen Augen ist jede/r KünstlerIn politisch! Wir alle suchen nach der Überwindung von Grenzen, des Leidens in der Welt, des Mediums, wir suchen etwas Neues. In der Bildenden Kunst hat sich das Politische in den letzten Jahren verstärkt. Für mich geht es allerdings um Verschlüsselung von Botschaften – jedes neue Werk verlangt nach einem anderen »Schlüssel«, den ich dazu erfinden muss. Das Rätsel in der Kunst muss bewahrt werden.
In der Skulpturengruppe RADICAL BUSTS (2013) konfrontierst du die Übermacht männlicher Büsten – von Professoren, Rektoren, Wissenschaftlern, – in der Aula der Universität Wien mit Porträts berühmter Frauen aus der Geschichte. Nach welchen Kriterien hast du die Frauen ausgesucht?
MARIANNE MADERNA: Ich ging nicht nur von biografischen Daten aus. Ich trage diese Frauen in mir. Sie müssen mich »beseelen«, bevor ich sie gestalten und formen kann. Es geht also um »Darstellung«, das ist ein »schauspielerischer« Akt. Die in Handschrift auf die Sockel geschriebenen Texte nenne ich poetische Biografien. Alle Büsten stellen Erfinderinnen, Tabubrecherinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen dar: Olympe de Gouge, Madame Curie, Marie Jahoda, Meret Oppenheim, Lise Meitner, Ingeborg Bachmann oder Maria Lassnig. 36 an der Zahl. Mit RADICAL BUSTS positionierte ich somit erstmals beim 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien die skulpturalen Portraits bedeutender Frauen vis-á-vis der ausschließlich männlichen Büsten.
Deine Installation HUMANIMALS in der Dominikanerkirche Krems gestaltet ein großes Weltentheater mit Skulptur, Performance, Video, Live-Malerei und Musik. Wie kam es dazu?
MARIANNE MADERNA: Ich beobachte das Weltgeschehen, nehme Strömungen auf. Hier habe ich meine Beobachtungen und Erkenntnisse vieler Jahre zusammenfließen lassen.
Deine Gesellschaftskritik ist implizit. Nur finde ich die avantgardistische Gestaltung und die sehr herausfordernden Film- und Tonspuren nicht leicht zu rezipieren. Wie reagieren die Menschen darauf?
MARIANNE MADERNA: Man muss in die Skulpturen-Installation hineingehen, sich umhüllen lassen. Die Raumskulptur besteht aus 6000 kleinen handgeformten Figuren aus Draht, die mit Leuchtfarbe bestrichen sind und im Dunkel leuchten. Als Pyramide patriarchaler Hierarchien in unserer schönen neuen Welt hängen sie an unsichtbaren Fäden von der Decke. Die vis-à-vis platzierte 3-D Raumprojektion projiziert die Figuren dann nochmals in den Raum – es sind bizarre, Quallen-artige Figuren, PC-Gesichter, Web-Freaks, Krawattenträger ohne Kopf, die den/die BesucherIn virtuell »bespielen«.
Dein Novum Theatrum Mundi ist ein »schwarzes Theater«, es entwirft ein düsteres Bild der Welt. Die »Ermächtler« sind die Protagonisten deines Szenarios – jene »Pinguine«, die wir täglich im TV sehen, die alle gleich agieren und die Welt beherrschen. Das Oratorium ist unterlegt mit rasend lauter Tonspur aus Sprachfetzen und Musik, die die Sinne verwirren. Wie kreierst du ein Werk wie dieses?
MARIANNE MADERNA: Es ist ein langwieriger Prozess. Ich arbeite meist an mehreren Werkzyklen gleichzeitig. HUMANIMALS nahm acht Jahre in Anspruch, inklusive Film und Musik/Ton. Es geht dabei um Rückkoppelung. – Um die Unmöglichkeit, einen fixierten Blick zu erleben. – Um die Möglichkeit, durch Aktivität in »verurteilter« Rebellion den »Starrsinn« entgegen setzen zu können. – Es geht um Entkleidung. – Dann marschieren und gruppieren die »Pinguine« nicht mehr – Ist TIE(D) WORLD – a ME WORLD again.
Wenn eine kleine Drahtfigur … als Erfinderin des Rades Tätigkeit …, wenn der schauspielerische Akt es ermöglicht, tätig, tätlich zu werden, dann kommt die INVENTRESS of Wheel Acts, die HEUTE oder immer schon Dagewesene. Also gibt es Hoffnung. – Denn SIE kommt – SIE kommen aus der Dunkelheit der HISTORYSTERIA – wo sich die Geschichte noch nicht eingeschrieben hat.
Wo bleibt die positive Metapher? Hast du Hoffnung auf die Zukunft?
MARIANNE MADERNA: Nein, ich habe wenig Hoffnung, aber ich kann diese »meine Arbeit« machen. Es ist ein Ritual. – Gleichbedeutend mit den Erfinderinnen, Schamaninnen – später bezeichnet als Künstlerinnen. Alles »läuft« über die Kunst. In der Live-Performance schwirre ich am Ende als INVENTREESS of Wheel Acts durch den Raum, als Schamanin und Welt-Erretterin, unterstützt von meinen Helferinnen. Das sind Frauen, die sich freiwillig zur Verfügung stellen und deren Gesichter ich in der Performance bemale.
Wie kommst du zu diesen fantastischen Figuren?
MARIANNE MADERNA: Ich schaue mich um in der Geschichte, aber ich erfinde sie. Ich liebe Comics und Science Fiction, vergleichbar mit früheren Sagengestalten. Die Frauen sind hier magische SciFi-Figuren, die den Abwehrzauber gegen die männlichen Horden der »Big Rulers« veranstalten. Das ist ein ritueller Vorgang, sie helfen mir als INVENTRESS im Kampf, das Böse in der Welt auszutreiben. Wenn du in einer dieser Masken auftrittst, bist du jemand anderer, dann bist du zu allem fähig. Die Frauen sind Rebellinnen.
Greifst du auf Theorien zurück, z. B. Canettis Masse und Macht?
MARIANNE MADERNA: Nein, Theorien und Bezüge kann man nachträglich dazufügen. Ich schaue mir die Welt jetzt an. Alle starren auf ihre Smartphones und Screens. Ihre Körper, ihre Sinne verkümmern. Das Horden-Wesen verstümmelt die Menschheit. Das ist heute schon wieder die Stimmung, also nichts dazugelernt aus den Bild-Reportagen über »Big Rulers« Mimik und daraus folgender Manipulierbarkeit der Masse. Nichts dazugelernt für Selbstbestimmung und Verantwortung.
Als Künstlerin und Einzelperson ist mir nur ein Ausweg geblieben, es ist die Erfindung einer Science-Fiction Erzählung, eines Dramoletts. Deren Hauptdarstellerin, eine Sci-Fi-Fighterin, kann Frauen durch Graffiti-Face-Bemalung Macht verleihen, um dann gemeinsam mit ihr wieder eine neue und nicht-kontaminierte Welt erschaffen zu können.