Gender Studies und der »Genderismus« haben den Feminismus längst als rechtes Feindbild abgelöst. Wird Kritik von links so unmöglich?
BRIGITTE THEISSL
Als ich mich 2007 für das Masterstudium Gender Studies in Wien einschrieb, interessierte sich die Öffentlichkeit kaum noch für den neuen Studiengang. Als Orchideenfach starteten die Gender Studies im Wintersemester 2006/07, mit ein paar Dutzend Kolleg*innen zählte ich zum zweiten Jahrgang am neu gegründeten Referat. Im Vergleich zu den völlig überfüllten Hörsälen an der Publizistik oder der benachbarten Anglistik genossen wir eine fast schon familiäre Atmosphäre. Keine elendslangen Anmeldelisten für Seminare, Raum für Diskussionen und dafür andere Studierende über den Austausch von Mitschriften hinaus kennenzulernen. Wie die Gender Studies überhaupt war auch das Masterstudium in Wien klar geisteswissenschaftlich geprägt. Trotz einiger Seminare zu feministischer Ökonomie oder Politikwissenschaft, die den Studienplan sprenkelten, war der rote Faden die Sprach- und Literaturtheorie, Dekonstruktion die Königsdisziplin.
Themen wie eine Cyborg-Ethik, die wir in den Seminaren diskutieren, konnte ich manchmal tatsächlich kaum mit der Realität außerhalb der Hörsäle in Einklang bringen, wo die Lohnschere von populären Magazinen als vermeintliche Lüge enttarnt wurde. Die Entwicklung von der Frauenforschung hin zu den Gender und Queer Studies, sie wurde in der Einführungsveranstaltung als lineare Fortschrittsgeschichte erzählt: Von der bloßen Erforschung von Frauen und ihren Lebenslagen und -leistungen habe sich die frühe Frauenforschung dahin entwickelt, die Herstellung von Differenz, von Macht- und Herrschaftsachsen zu untersuchen – komplexe gesellschaftliche Prozesse. Aktivistinnen und Denkerinnen der Frauenbewegung – allen voran Differenzfeministinnen – beklagten indes eine Entpolitisierung, die mit dem Shift zur Kategorie Gender und der Institutionalisierung des neuen Wissenschaftszweigs einhergegangen sei.
Unverschämt politisch
Populäre Kritik an den Gender Studies, wie sie gegenwärtig durch die Feuilletons gereicht wird, zielt in die gegenteilige Richtung: Gender Studies seien keine Wissenschaft, sondern ein ideologisches Polit-Programm, das an den Universitäten keinerlei Berechtigung habe. Für das »Addendum«-Magazin begab sich Anna Schneider sogar under cover als Masterstudentin in Gender-Lehrveranstaltungen. »Es schien, als ob die meisten Kolleginnen (...) schon mit einem gewissen vorgefertigten Weltbild in den Lehrsaal gekommen wären. Das bestätigte sich (...), als nicht bloß eine auf die Frage der Lehrveranstaltungsleiterin, was wir denn unter dem Begriff Geschlecht verstünden, wie aus der Pistole geschossen mit: Herrschaftsstruktur! antwortete. So weit, so eigenartig«, berichtet die Journalistin von ihrer Hörsaal-Erfahrung. Die Strategie der Rechtskonservativen ist mehr als durchschaubar: Jene vermeintliche wissenschaftliche Neutralität bzw. Objektivität, die die feministische Theorie als androzentrisches und historisch verortetes Konzept entlarvt hat, wird zur Waffe, um Geschlechterforschung zu delegitimieren. Das von Macht und Ausbeutung geprägte Geschlechterverhältnis müsse »neutral« erforscht werden, fordern die KritikerInnen – wer sich mit stolz geschwellter Brust auf Seite der wissenschaftlichen Objektivität wähnt, verschleiert umso eifriger die eigene ideologische Position.
Katholische Bedrohung
Noch umfassender fällt die Kritik von Rechtsaußen aus. Gender und Queer Studies wären für die »Abschaffung« von Mann und Frau angetreten und würden die traditionelle Familie bedrohen, allerorts hätten sich die »Gender-Ideologen« breitgemacht, die Kinder in pädagogischen Einrichtungen in ideologische Geiselhaft nehmen würden. VertreterInnen der katholischen Kirche finden hier Gemeinsamkeiten mit AfD und FPÖ, in Deutschland haben sich auch Pegida und »Besorgte Eltern« dem Kampf gegen den Genderismus und progressiver Sexualaufklärung verschrieben. Selbst der Papst meldet sich immer wieder zu Wort und wettert gegen eine »Ideologie, die den Unterschied und die natürliche Wechselseitigkeit zwischen Mann und Frau leugnet«. Der Schaum vor dem Mund rechter und erzkatholischer Kreise macht die politische Sprengkraft von Gender und Queer Theorie eindrücklich deutlich: So hat Papst Franziskus wohl verstanden, dass queer-feministische Denkerinnen die heterosexuelle Kleinfamilie ebenso wie eine unveränderbare Zweigeschlechtlichkeit infrage stellen und gelebte Alternativen längst gesellschaftlich sichtbar sind.
Diversity Kapitalismus
Das revolutionäre Potenzial moderner Gender und Queer Theorien lässt sich somit kaum leugnen – doch heftige Kritik kommt auch von linken Denkerinnen. Gender, die »Flexibilisierung« und Beliebigkeit von Identitäten seien Teil eines neoliberalen Projekts, das auch als »Diversity Kapitalismus« kritisiert wird. So erhielten Frauenförderungseinrichtungen in verschiedenen Institutionen das Label »Gender Mainstreaming«, um schließlich in einer Diversity-Abteilung aufzugehen. Statt fundamentale Kritik an Macht- und Diskriminierungsstrukturen zu üben und die Regeln des Spiels neu zu schreiben, lässt sich das bestehende Spiel auch einfach aufhübschen. So üben sich Unternehmen in der Verwaltung von Vielfalt, zeigen sich stolz auf Pride-Paraden und erklären, dass Frauen oder Menschen mit Migrationsgeschichte in ihren Reihen dieselben Chancen auf Aufstieg hätten. Diskriminierung wird so privatisiert: Sexismus, Rassismus oder Behindertenfeindlichkeit dürfen von den Betroffenen unter dem Stichwort der Selbstverantwortung nicht länger als Hürden wahrgenommen werden – wer sich nur anstrengt!
Klassenkampf
Haben Gender Studies diese neoliberale Entwicklung gefördert – oder mit ihren theoretischen Konzepten erst möglich gemacht? Wohl kaum. Selbst Judith Butler, die vielen europäischen Feministinnen und Gender-Studies-Kritikerinnen als Feindbild dient, übt in der Rolle als Aktivistin immer wieder scharfe Kritik am neoliberalen Kapitalismus. Dessen uneingeschränkte Anpassungsfähigkeit zeigt sich aktuell auch an der Vereinnahmung des Feminismus, den gerade junge Aktivistinnen von Argentinien über die USA bis in die Schweiz wieder populär machen. »Sisterhood« und »The Future is Female« lässt sich ebenso auf T-Shirts drucken wie »Sushi Rollen statt Geschlechterrollen«.
Klar ist aber auch, dass die Analyse ökonomischer Verhältnisse in den vergangenen Jahrzehnten auf der Agenda der Gender Studies keineswegs ganz oben gestanden ist. Klasse, das sei heute angesichts der Diversifizierung der Lebensformen keine relevante Kategorie mehr, hörte ich in der Einführungsveranstaltung meines Master Studiums. Dafür musste die »Billa-Kassiererin« sehr oft herhalten als Symbol der Unterdrückung, von dem man sich als »privilegierte Akademikerin« gerne abgrenzte. Ein elitärer Wissenschaftsbetrieb, der zunehmend durchökonomisiert wird, braucht ganz dringend eine Rückbindung an zivilgesellschaftliche Initiativen, jene DenkerInnen, die an Universitäten relevantes Wissen schaffen, braucht es wiederum dringend als kritische Stimmen in einem gesellschaftspolitischen Diskurs, der immer weiter nach rechts rückt. Kritik an den Gender Studies, sie darf nicht den Rechten und den Zynikern überlassen werden.
Brigitte Theißl ist Redakteurin der feministischen Zeitschrift an.schläge