Von 5. bis 7. Oktober 2018 fand unter dem Motto »Sich selbst verändern. Die Welt verändern!« die nunmehr 3. Marxismus-Feminismus-Konferenz in Lund in Schweden statt. Etwa 250 Teilnehmer_innen, Theoretiker_innen und Aktivist_innen aus allen Teilen der Welt fanden sich ein, um die im Jahr 2015 mit der 1. MF-Konferenz (damals in Berlin) von Frigga Haug und ihren Mitstreiterinnen im Institut für kritische Theorie begründete Tradition weiterzutragen. Als Hauptrednerinnen konnte die Konferenz, neben Frigga Haug selbst, mit Gayatri Spivak, Heidi Hartmann und Nikita Dhawan aufwarten. Außerdem wurde eine Fülle an interessanten Workshops – viele davon parallel – geboten. Der Bericht von HILDE GRAMMEL kann freilich nur eine Auswahl davon näher besprechen.
Neben dem Motto der Konferenz »Sich selbst verändern. Die Welt verändern!« waren die Workshops den Themen »Soziale Reproduktion und Care«, »Alternativen«, »Feministische Kämpfe und Solidarität«, »Orte der Unterdrückung und Mittel zur Emanzipation«, »Frauenbewegungen, -organisationen und Widerstand«, »Vergeschlechtlichte und rassifizierte Körper bei der Arbeit« sowie »Sozialer Reproduktionsfeminismus: die Verbindungen zwischen Unterdrückung und Ausbeutung« gewidmet. Gesponsert und organisiert wurde die Konferenz von transform! europe, der Rosa Luxemburg-Stiftung, der Universität Lund, der dortigen Genderabteilung und durch eine Privatspende von Gayatri Spivak.
Gleich vorweg: Was die schwedische Konferenz von den bisherigen unterschied, ist das große Augenmerk, das auf partizipative didaktische Methoden (zum Beispiel Weltcafé, Fischbowl, Erinnerungsarbeit, kollektives Mapping, Kleingruppendiskussion) bei der Workshop-Gestaltung gelegt wurde, sodass es leicht fiel, sich einzubringen. Ein Unterschied zu den vorherigen Konferenzen war außerdem, dass die Vorträge nicht aufgezeichnet wurden, weshalb sie auch nicht online zur Verfügung stehen.
Gayatri Spivak, Verkörperung der kritischen Weltbürgerin par excellence, sprach unter anderem die Empfehlung aus, dass Migration im Zusammenhang mit Umverteilung diskutiert werden muss und nicht wie bisher in der EU üblich, unter den Aspekten von Kultur und Rassismus. Man kann nicht über Menschenwürde sprechen, wenn es keine soziale Sicherheit gibt. Während das echte Problem der Subalternität darin besteht, dass die Betroffenen meinen, ihr Elend sei »normal«, gilt es ihren Willen zu sozialer Gerechtigkeit zu entzünden, was nur durch Bildung und intellektuelle Anstrengung geschehen kann. Sonst würden Menschen bloß als Stimmvieh missbraucht, was ein echtes Problem von Demokratie darstellt, wobei Spivak die Vorenthaltung von Bildung (für Arbeitende, für Frauen) als Herrschaftsstrategie identifiziert.
Heidi Hartmann, vor 32 Jahren Mitbegründerin des »Institute for Women’s Policy Research« in Washington, D.C. (www.iwpr.org), einer Einrichtung, die die ökonomische Situation von Frauen untersucht, berichtete über die Anfänge ihrer Institution und den Einfluss von dort gefertigten Studien (etwa zur Erwerbsarbeit von Frauen) auf konkrete Politik. Beispielsweise würde es in den USA ohne eine bahnbrechende Studie des IWPR keinen bezahlten Elternurlaub geben. Interessant auch, dass US-amerikanische Frauen, oftmals mit höherer Bildung, weniger Stunden lohnarbeiten, damit sie nicht mehr verdienen als ihre Ehemänner, was deren Männlichkeit unterminieren würde. Bereits 1979 hatte Hartmann mit ihrem Essay »The Unhappy Marriage between Marxism and Feminism: Towards a More Progressive Union« auf die blinden Flecken beider Analyseinstrumentarien hingewiesen.
Nikita Dhawans Vortrag, sowohl in performativer als auch inhaltlicher Hinsicht ein Höhepunkt der Konferenz, befasste sich mit der Frage, wie unter den neuen globalen Gegebenheiten und vor dem Hintergrund von »Empathie-Erschöpfung« so etwas wie feministische Solidarität entstehen könnte. Schließlich gibt es ja inzwischen eine, wenngleich noch immer aus höchst selektiv präsentierten Nachrichten bestehende »globale Öffentlichkeit« und frau sollte meinen, dass eine Verletzung von Grundrechten in einem Teil der Welt die ganze Welt betrifft. Unsere Komplizenschaft mit den Strukturen anzuerkennen, die wir bekämpfen, ist ein erster Schritt, ein nächster aber, den Staat und seine Institutionen für die eigene Politik der Veränderung zu besetzen und nutzbar zu machen, damit der Staat zur »Medizin« für die Gesellschaft werden kann und nicht wie jetzt, weiterhin ein »Gift« ist.
Der Vortrag von Frigga Haug erläuterte die drei ersten ihrer insgesamt 13 Thesen des Marxismus-Feminismus, die sie bereits in den früheren Konferenzen vorgelegt hatte. Das betreffende Papier soll weiter geschrieben und zu einem Grundlagentext des MF verdichtet werden. Zentral für Haug ist die Weiterentwicklung des Marxschen Begriffs der Produktionsverhältnisse, wobei die »Produktion des Lebens« mit der »Produktion der Lebensmittel« als zusammenwirkend gedacht werden muss (im Gegensatz zur traditionell einseitigen Gewichtung auf die Produktion der Lebensmittel durch die Arbeiterbewegung). Eingehend untersuchte sie, unter Bezugnahme auf Brecht und Christa Wolf, die Frage, ob aus den sorgenden und Leben bewahrenden Praxen von Frauen, Schritte für eine neue Gesellschaft gewonnen werden können, oder ob Frauen sich nicht von diesen Praxen verabschieden müssen, wollen sie ihr Subjekt entwickeln, finanziell auf eigenen Füßen stehen oder sich gleichberechtigt am revolutionären Kampf beteiligen. Die Methode der Erinnerungsarbeit machte Frauen als an ihrer eigenen Unterwerfung Mit wirkende sichtbar, die schöne Literatur bietet Frauen Formen für ihre Subjektbildung an, die auf ihre Tauglichkeit für Emanzipation hin untersucht werden müssen. Voraussetzung für jeden Prozess der Neukonstruktion des Subjekts ist die schmerzhafte Zerstörung des Alten, die Verabschiedung von Liebgewonnenem und Vertrautem, Krise als Chance. Für die notwendige Humanisierung der Gesellschaft braucht es eine Verkürzung der Lohn arbeitszeit und eine Aufteilung der Sorgearbeit auf alle Geschlechter.
In einem eigenen Workshop wurde die Methode der Erinnerungsarbeit vorgestellt, deren zugrundeliegende Annahme ist, dass wir ein Ensemble aus gesellschaftlichen Beziehungen sind. Frau zu werden ist eine Tätigkeit, nicht nur Folge einer Viktimisierung, weil wir selbst es sind, die sowohl die Gesellschaft als auch (Vorstellungen von) uns selbst re/produzieren. Es geht darum, im Kollektiv Inventare von sich selbst zu erstellen, um sich selbst und die eigene Geschichte zu erkennen, die mit der Geschichte der Gesellschaft verbunden ist, in der wir leben.
Nennenswert auch der Workshop zu Präfiguration, zur Vor-Stellung dessen, was sein könnte im Sinne einer gesellschaftlichen Utopie und von einzelnen Gemeinschaften auch realisiert wird. Jede Vorstellung von Zukunft wurde dabei als eine in der Gegenwart verankerte gesehen, aber nicht bloß im Sinne einer einfachen Negation des Gegebenen.
Im Workshop über Verletzlichkeit und Empathie wurde der Frage nachgegangen, ob es eine feministische Vorstellung von Empathie gibt, die es wert ist, bewahrt zu werden – im Gegensatz zu Brechts Mitleid mit den Leidenden, das, laut ihm, in das produktive Gefühl von Wut über die das Leid produzierenden Verhältnisse transformiert werden soll. Wie Wut ist auch Empathie leidenschaftlich, meinte hingegen Audre Lorde. Andererseits wurde Verletzlichkeit als Teil der conditio humana konstatiert und die Frage aufgeworfen, wie Gesellschaften und die Menschengesellschaft global heute damit umgehen.
Diese Konferenz hat, wie ihre beiden Vorgängerinnen, einmal mehr deutlich gezeigt hat, welch kräftiges und umfassendes Analyseinstrument der Marixismus-Feminismus ist, da er die Untersuchung von Geschlechter-, Rassen- und Klassenverhältnissen miteinander verbindet und beides in historisch gewordenen Verhältnissen, mittlerweile einer Weltgesellschaft, verankert. Und das ist gut so, denn Frauen können für linke und feministische Politik nicht gewonnen werden, wenn sie und ihre Lebensverhältnisse und -erfahrungen in der politischen Theorie nicht vorkommen.