Der Historiker MANFRED MUGRAUER hat einen Bildband zur 100-jährigen Geschichte der KPÖ vor gelegt. BÄRBEL DANNEBERG fragt nach, wie es dazu gekommen ist.
Der Bildband »Partei in Bewegung. 100 Jahre KPÖ in Bildern« wiegt über zwei Kilo und bildet rund 2.300 Fotos einer bewegten Geschichte ab. Was hat dich bewogen, ein solches Mammutwerk in Angriff zu nehmen?
MANFRED MUGRAUER: Erste Überlegungen, welchen publizistischen Beitrag die KPÖ zu ihrem 100. Geburtstag vorlegen könnte, habe ich schon vor mehreren Jahren angestellt. Dabei war klar, dass wir heute nicht dazu in der Lage sind, eine neue »Parteigeschichte« auszuarbeiten, die jene aus dem Jahr 1987 unserem erneuerten Geschichtsbild anpasst. Es sind auch die Zeiten vorbei, in denen die KPÖ eine »parteioffizielle« Sicht auf die eigene Geschichte vorgeben könnte. Vor diesem Hintergrund erschien es mir sinnvoll, mit einem Bildband neue Wege zu beschreiten. Interessant ist, dass bereits Ende der 1980er Jahre in der damaligen »Historischen Kommission der KPÖ« beschlossen wurde, im Jahr 1993, zum 75. Geburtstag der KPÖ, eine Bilddokumentation herauszubringen. Es war dies aber nicht das erste ambitionierte Projekt, das letztlich nicht realisiert werden konnte.
Als ich den Bildband durchgeblättert habe, zeigte sich mir ein ganz anderes, lebendigeres Gesicht kommunistischer Bewegung als im öffentlichen Bewusstsein vorhanden ist. Wolltest du bei der Zusammenstellung gängige Klischees durchbrechen?
MANFRED MUGRAUER: Ja, das war in der Tat meine Hauptmotivation, diesen Bildband zu veröffentlichen. Kommunismusgeschichte bedeutet vor allem Politik-, Organisations- und Ideologiegeschichte. Viele Darstellungen konzentrieren sich auf die Analyse von Programmen und auf Auseinandersetzungen in der Parteiführung. Auch die KPÖ-Geschichte ist für viele nur eine Abfolge parteiinterner Krisen in den Jahren 1956, 1968/69 und 1990/91. Demgegenüber wollte ich die Sozial- und Kulturgeschichte der Partei, also die Aktivitäten der Parteimitglieder in den verschiedenen Politikfeldern – etwa Antifaschismus, Betriebe und Gemeinden, Internationalismus, Frauenpolitik, Kulturarbeit usw. – in den Mittelpunkt rücken. Mir ging es darum, den Blick auf die KPÖ als »radikale soziale Bewegung« zu schärfen. Eine Zukunftsaufgabe wird sein, die Politik- und Organisationsgeschichte der Partei mit ihrer Sozial- und Kulturgeschichte zusammenzuführen.
Ich stelle mir das so vor: Aus einem Heuhaufen die Stecknadeln mit den Glasperlen rauszusuchen. Wie lange hast du daran gearbeitet? Und hattest du Hilfe dabei? Woher kommen überhaupt die vielen Fotos?
MANFRED MUGRAUER: Würde ich mich nicht seit vielen Jahren mit der KPÖ-Geschichte beschäftigen und im Zuge dessen auch Fotos sammeln und scannen, so wäre es in diesem Jahr nicht möglich gewesen, im Zeitraum einer mehrmonatigen »Intensivphase« den Bildband zu realisieren. Am Ende habe ich aus 20.000 Scans etwa 2.300 Bilder ausgewählt. Gesichtet habe ich dafür gewiss Fotos in hoher fünfstelliger Anzahl. Die meisten Fotos sind natürlich aus dem Parteiarchiv der KPÖ, allerdings darf man sich die Sache nicht so vorstellen, als gäbe es dort ein gut aufgearbeitetes historisches Fotoarchiv, das nach chronologischen und systematischen Gesichtspunkten geordnet ist. Eine solche Ordnung herzustellen, war ein »Kollateralnutzen« meiner Recherchearbeit.
Der geringere Teil der Fotos wiederum stammt aus anderen Archiven, wie etwa dem DÖW, oder aus privaten Quellen. Zu diesem Zweck habe ich im Umfeld der KPÖ im letzten Jahr einige Aufrufe lanciert, damit GenossInnen und FreundInnen ihre Fotos zur Verfügung stellen. Besonders gefreut hat mich, dass auch zahlreiche Menschen außerhalb der KPÖ und solche, die die Partei in Folge der Auseinandersetzungen der Jahre 1968/69 und 1990/91 verlassen haben, wichtige Bilder beigesteuert haben. Dutzende GenossInnen haben von mir teilweise mehrmals täglich Fotos per Mail erhalten, um sie zeitlich einzuordnen und die abgebildeten Personen zu entschlüsseln. Insofern ist der Bildband das Produkt einer kollektiven Anstrengung. Hervorzuheben ist das Engagement der beiden Grafiker Matthäus Zinner und Raimund Schöftner. Ohne deren Einsatz wäre der Band nicht zu finalisieren gewesen.
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte – du hast das konsequent durchgehalten, indem du knappe Bildtexte zu den Fotos, Einleitungstexte vor die sieben Kapitel Parteigeschichte und kurze Leadtexte vor die etwa 100 Unterkapitel stellst. War dir diese Struktur von Beginn an vor Augen?
MANFRED MUGRAUER: Ja, die Struktur mit diesen 100 thematischen Kapiteln in sieben Perioden der Parteigeschichte habe ich bereits im ersten Konzept festgelegt und im Herbst 2016 in einer Arbeitsgruppe zur Diskussion gestellt. Mir war auch von Beginn an klar, dass angesichts des begrenzten Umfangs jede Textlastigkeit vermieden werden müsse. Nichtsdestoweniger waren die ersten Bildtexte, die ich geschrieben habe, Kurzbiografien im Umfang von 15 Zeilen und Beschreibungen im Stile eines Lexikonartikels. Angesichts der insgesamt 2.300 zu bewältigen - den Bildtexte habe ich aber schnell die Notbremse gezogen und mich auf das Notwendigste beschränkt. Für alle weitergehenden Fragen und Probleme gibt es die geschichtswissenschaftliche und politische Literatur über die KPÖ. Ungeachtet der Tatsache, dass natürlich jeder noch so knappe Einleitungstext und jeder Bildtext eine gewisse Wertung beinhaltet, war es mir wichtig, jeden Unterton zu vermeiden und den LeserInnen keinen Beipackzettel mitzuliefern, wie sie die Dinge zu interpretieren hätten.
Welche öffentliche Reaktion gibt es bisher? Was sagen HistorikerkollegInnen zu dem Band, was die Medienwelt oder politische Parteien? Wird Notiz davon genommen oder, wie üblich, totgeschwiegen?
MANFRED MUGRAUER: Gewiss gibt es allgemein eine gewisse Entspannung, aber Publikationen über die Geschichte der KPÖ, die von kommunistischer Seite vorgelegt werden, haben es nach wie vor schwer, in breiteren Kreisen wahrgenommen zu werden. In einigen Zeitungen erschienen zwar Notizen über den Bildband, aber welche Neuerscheinungen medial groß angekündigt werden, hängt weniger von der Qualität der Werke denn von der Vernetzung mit den JournalistInnen ab. Hier hat die KPÖ natürlich einen Startnachteil. In Summe ist der 100. Jahrestag der KPÖ-Gründung im allgemeinen Jubiläumstrubel des November 1918 doch untergegangen.
Befreundete HistorikerInnen haben bisher durchwegs positiv reagiert, nicht zuletzt aufgrund des Umfangs und offensichtlichen Aufwands. Ob die Fachwelt sich intensiver mit dem Band auseinandersetzen wird, wage ich zu bezweifeln, zumal in der österreichischen Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren jede Rezensionskultur völlig ausgestorben ist.
Auf der 100-Jahr-Feier der KPÖ hast du viel Anerkennung bekommen und der Bildband ist wie warme Semmeln weggegangen. Hast du eine Vorstellung, wie ein Fotoband »150 Jahre KPÖ« aussehen könnte? Die Fülle an Bildern im Digitalkamera-Zeitalter würde eine Auswahl ja noch viel schwieriger machen.
MANFRED MUGRAUER: Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Die aus meiner Sicht schönsten Fotos sind jene der »Volksstimme«-Fotografen aus den 1970er und 1980er Jahren. In den letzten 20 Jahren gibt es zwar eine digitale Bilderflut, die Qualität der Bilder hat dadurch aber nicht zugenommen. Es war auch viel schwieriger, an digitale Fotos auf den diversen privaten Festplatten heranzukommen als an Dias und analoge Fotos etwa aus den 1970er-Jahren.
Das nächste Problem ist die digitale Langzeitarchivierung. Auch große Archive haben noch keinen wirklichen Plan, wie sie mit den riesigen Datenmengen umgehen sollen. Ein Bildband zum 150. Jahrestag der KPÖ wird hoffentlich viele prächtige Abbildungen beinhalten, auf denen zu sehen sein wird, wie wir gemeinsam mit anderen eine bessere Zukunft erkämpft haben.
Danke für das Gespräch.
Manfred Mugrauer (Hg.): Partei in Bewegung. 100 Jahre KPÖ in Bildern. Globus-Verlag 2018
448 Seiten, 33 x 23 cm, mit ca. 2.300 Abbildungen, 39,90 Euro.
Erhältlich beim Bundesvorstand der KPÖ (bundesvorstand@ kpoe.at) oder im Buchhandel.