THOMAS SCHMIDINGER im Gespräch mit dem Generalsekretär der Irakischen Kommunistischen Partei, Raid Jahid Fahmi.
Der 1934 gegründeten Kommunistischen Partei gelang bei den irakischen Parlamentswahlen im Mai 2018 im Rahmen einer Wahlallianz mit dem schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr die Rückkehr ins Parlament. Diese Allianz für Reform (Saairun) war sehr erfolgreich und bildet nun mit 54 von 329 Abgeordneten die größte Parteienallianz im irakischen Parlament.
Für europäische KommunistInnen wirkt diese Wahlallianz zunächst etwas seltsam. Immerhin hat Muqtada al-Sadr als ziemlich extremistischer schiitischer Prediger begonnen. Auch wenn er sich in den letzten Jahren verändert hat, ist es eher ungewöhnlich, dass KommunistInnen gemeinsam mit religiös-politischen AkteurInnen kandidieren. Was hat die Irakische Kommunistische Partei dazu gebracht, dieses Bündnis einzugehen?
RAID JAHID FAHMI: Das ist eine Folge der Protestbewegung von 2015, die zunächst von säkularen Bewegungen gestartet wurde, seit 2016 beteiligte sich dann auch Muqtada al-Sadr daran. Die Slogans und Inhalte dieser Bewegung wurden zunächst von den Säkularen formuliert. Im Laufe dieser zwei Jahre sind in der ganz konkreten Zusammenarbeit neue Möglichkeiten und ein neues Verständnis füreinander entstanden. Die Initiative zu solch einer engeren Kooperation kam von deren Partei, die uns vor den Wahlen angefragt hatte. Wir hätten diese Wahlallianz gerne mit den gesamten säkularen Kräften gemacht, mit denen wir bereits in einer Allianz zusammengearbeitet hatten, allerdings gab es einige Differenzen in der Organisation. Einige gingen dann mit uns diese Allianz für Reform mit den Sadristen ein, andere nicht. Die inhaltliche Basis der Zusammenarbeit ist jedenfalls, dass wir gemeinsam für einen zivilen Staat und eine entsprechende Sozialpolitik und gegen die Konfessionalisierung der Politik eintreten. Man darf nicht vergessen, dass die Sadristen die stärkste politische Bewegung des Landes bilden und eine soziale Basis besitzen, die unserer nicht unähnlich ist.
Deren soziale Basis ist eher in der ArbeiterInnenklasse.
RAID JAHID FAHMI: Ja, aber auch die noch stärker Marginalisierten. Es gibt im Irak kaum mehr Produktion und einen großen informellen Sektor. Die Organisation dieses informellen Sektors ist sehr verschieden von jenem der ArbeiterInnenklasse. Was bei diesen marginalisierten Klassen funktioniert – und ihr habt das ja auch in Europa – ist ein populistischer Zugang mit einem charismatischen Führer. Das war dann auch die Natur der Bewegung von Muqtada al-Sadr. Aber viele seiner AnhängerInnen kommen aus Familien, deren Eltern zum Beispiel KommunistInnen waren. Sie waren also keine AntikommunistInnen, hatten keinen historischen Hass auf uns KommunistInnen, sondern waren allenfalls religiöse AntikommunistInnen. Wir konnten Anfangs nicht wirklich in dieser Klasse Fuß fassen und konnten uns dort kaum politisch bewegen. Muqtada al-Sadr selbst war ja in seinen Anfängen ziemlich radikal und sektiererisch. Aber es gab hier eine Evolution seiner Person und seiner Bewegung, die eigentlich schon 2010 begonnen hat und sich dann im Zuge der Protestbewegung ab 2015 verstärkt hat. Wir sehen seither eine gewisse Konsistenz in seiner Argumentation für eine nationale Unabhängigkeit des Irak und gegen die Einflussnahme von Nachbarstaaten, gegen den Konfessionalismus und auch in seiner Ablehnung von Korruption. Teile seiner Bewegung sind zwar selbst sehr korrupt, aber er selbst ist hier glaubwürdig dagegen. Wir haben darauf bestanden, eigenständige politische Parteien zu bleiben, aber eben gemeinsam zu kandidieren und zusammenzuarbeiten. Diese Öffnung für unsere Positionen, gerade auch in den Armenvierteln, ist aus unserer Sicht noch wichtiger als die Wahlen selbst. Dass eine islamische politische Bewegung, die früher nicht einmal die Säkularen akzeptiert hatte, nun die Unabhängigkeit und Positionen einer Kommunistischen Partei anerkennt, ist ein enorm wichtiger politischer Schritt, der uns Zugänge in der irakischen Gesellschaft ermöglicht, die wir bisher nicht hatten.
Allerdings gibt es einige historische Beispiele bei denen solche Kooperationen zwischen KommunistInnen und politisch-islamischen Bewegungen für die KommunistInnen fatal endeten. In eurem Nachbarland Iran hat die moskautreue Tudeh-Partei den Weg für die Islamische Republik bereitet und das Regime Khomeinis gestützt, um dann ab 1982 selbst von den einstigen BündnispartnerInnen verfolgt und 1983 verboten zu werden.
RAID JAHID FAHMI: Das war ein völlig anderer Kontext. Die islamische Bewegung im Iran war ja damals schon an der Macht, das sind die Sadristen nicht. Und die Bewegung Muqtada al-Sadrs unterscheidet sich stark von den anderen politisch-islamischen Bewegungen, indem sie eben einen konfessionellen Staat ablehnen.
Nach 2003 haben wir Muqtada al-Sadr aber als konfessionellen Führer kennen gelernt. Was hat sich da geändert?
RAID JAHID FAHMI: Die politisch-islamischen Parteien haben sich an der Macht als korrupt und unfähig erwiesen. Die Konfessionalisierung hat zehn Jahre lang funktioniert, aber sie haben ihren WählerInnen nichts gebracht. Deshalb haben auch frühere AnhängerInnen dieser Parteien 2015 unsere Protestbewegung unterstützt. Muqtada al-Sadr hat sich aber auch selbst verändert. Es gab nach 2003 natürlich auch schwere Verbrechen aus dieser Bewegung, aber es gibt in der Familie al-Sadr grundsätzlich eine eher irakistische und arabische Position als eine konfessionelle. Seine Familie war definitiv nie vom Iran abhängig und er selbst wollte eher ein nationaler als ein konfessioneller Führer sein. Für uns bietet sich damit die Möglichkeit, wieder einen Kontakt zu den Massen bekommen, von denen uns das Regime Saddam Husseins abgeschnitten hatte.
Sie versuchen damit sozusagen die Partei wieder aufzubauen?
RAID JAHID FAHMI: Ja, es geht uns aber auch darum, diese gesamte Bewegung für die Reform des Irak zu verwenden. Diese Bewegung hat negative Aspekte. Sie ist eine populistische Bewegung. Aber diese Leute sind immer im Irak geblieben, durch all die Jahre der Repression unter Saddam Hussein. Sie sind vereint durch die charismatische Führerschaft von Muqtada al-Sadr. Sie haben kein wirkliches Programm, aber sehr wohl Milizen und eine AnhängerInnenschaft. Letztlich ist das eine ähnliche Struktur wie wir sie in faschistischen Bewegungen finden. So eine Bewegung kann sich in verschiedene Richtungen entwickeln, entweder sie geht in die extreme Rechte oder eben nach links. Und wir wollten eben etwas dazu beitragen, dass sie sich nach links bewegt. Wir haben keine Massen hinter uns, aber wir wissen, wohin wir wollen. Früher wurden wir als AtheistInnen beschimpft und verdrängt. Nun können wir plötzlich im ganzen Land arbeiten und sind willkommen.
Aber können Sie mit diesen Leuten dann über heikle Themen wie Frauenrechte oder gar die Rechte von Lesben und Schwulen sprechen?
RAID JAHID FAHMI: Es gibt natürlich Grenzen der Zusammenarbeit und der Themen, die wir besprechen können. Unser Fokus ist derzeit auf soziale Rechte gelegt und darüber können wir uns einigen. Zudem arbeiten wir weiter mit anderen säkularen Bewegungen zusammen.
Wie weit könnt Ihr derzeit mit der Sadr-Bewegung konkret gehen?
RAID JAHID FAHMI: Wir sprechen derzeit über soziale Rechte und die Reform des Staates und kämpfen gemeinsam gegen Korruption. Insgesamt ist das derzeitige Regierungsprogramm progressiver als in der Vergangenheit. Wir versuchen aber weitere Brücken zwischen der säkularen Bewegung und der Sadr-Bewegung zu schaffen, um auch weitere Themen gemeinsam behandeln zu können.
Eines der großen Themen der letzten Jahre war aber zum Beispiel das Eherecht, wo es darum ging ab welchem Alter Mädchen verheiratet werden dürfen. Das irakische Personenstandsrecht sah bislang 18 Jahre als Mindestalter für Eheschließungen vor und manche schiitische Parteien versuchten, dieses Alter auf neun Jahre herabzusenken. Das war ja 2017 ein wichtiger politischer Konflikt.
RAID JAHID FAHMI: Genau dazu haben wir mit der Sadr-Bewegung gearbeitet, damit sie diesen Gesetzesvorschlägen nicht zustimmen und darin waren wir erfolgreich. Sie haben das natürlich nicht herausgestrichen, aber es war ein Erfolg unserer Zusammenarbeit, dass die Sadristen diesem Gesetzesvorschlag nicht zugestimmt hatten und heute Mädchen nicht mit neun Jahren verheiratet werden können.
Das ist allerdings tatsächlich ein sehr konkreter Erfolg.
RAID JAHID FAHMI: Ich möchte kein rosa Bild malen. Diese Zusammenarbeit ist nicht problemlos und der Erfolg ist nicht garantiert. Jeder von uns trifft seine eigenen Entscheidungen und wir haben oft auch andere Positionen, aber in den großen Fragen stimmen wir derzeit vielfach überein. Wir werden mit den Sadristen versuchen, so lange wie möglich zu kooperieren. Aber das ist ein politischer Kampf und dafür reicht es nicht aus, einfach nur die bestehende Situation zu verurteilen. Wir wollen diese ja verändern und dabei können wir auch scheitern.
Die Irakische KP ist die älteste noch existierende Kommunistische Partei der arabischen Welt, die KPÖ ist eine der ältesten der Welt und feierte heuer ihren hundertsten Geburtstag. In diesen hundert Jahren hat sich die kommunistische Bewegung stark verändert. Es gibt heute keine KOM INTERN mehr, sondern eine sehr viel pluralistischere Bewegung. Welches sind Ihre politischen Referenzen in der globalen Linken?
RAID JAHID FAHMI: Wir sind immer noch eine marxistische Partei, die aber versucht, die aktuellen Möglichkeiten für marxistische Politik in der derzeitigen Situation des Irak zu analysieren. Wir haben politische Beziehungen zu verschiedenen kommunistischen Parteien in der Region und in Europa. Wir haben gute Beziehungen zur Sudanesischen KP, zur Marokkanischen Partei des Fortschritts und des Sozialismus und sogar zur Syrischen KP.
Zu welcher der Syrischen KPs?
RAID JAHID FAHMI: Zur vereinigten KP unter Hanin Nimir.
… die mit dem Regime zusammen arbeitet.
RAID JAHID FAHMI: Ja, das tut die andere aber auch.
Die stalinistischen Bakdash-AnhängerInnen schon, aber es gibt ja auch die Oppositionellen Kommunist Innen um Riad al-Turk.
RAID JAHID FAHMI: Die nennen sich jetzt aber nur noch Volkspartei. Wir betrachten uns jedenfalls immer noch als Kommunistische Partei und versuchen mit verschiedenen Kommunistischen Parteien weltweit zusammenzuarbeiten. Wir sind gegen eine zentralistische kommunistische Bewegung, aber wir suchen die Kooperation mit GenossInnen weltweit, weil viele Kämpfe heute global geführt werden müssen und wir dafür eine Zusammenarbeit progressiver Kräfte benötigen.