Weiblicher Umsturz in der Kunst

von

Der Dokumentarfilm »Sie ist der andere Blick« kommt ins Kino.

Eva Brenner

 

Anfang November hatte der beein­druckende feministische Kunstfilm der jungen Cineastin Christiana Per­schon über ein unterbelichtetes Kapitel der jüngeren Kunstgeschichte bei der Viennale 2018 Premiere. Unaufdringlich und in kontrastreichem Schwarz-weiß ereignete sich ein kleines Filmwunder

BRENNERmit hoch-ästhetischen, langsamen, minimalistischen Bildern abseits großer Inszenierungen. Fünf arrivierte Künstle­rinnen hat Perschon zum Gespräch ins Atelier geladen: die Revolutionärinnen der österreichischen Avantgarde Renate Bertlmann, Linda Christanell, Lore Heu­ermann, Karin Mack und Margot Pilz. Neben den weitaus bekannteren männli­chen Aktionisten der Zeit werden sie allzu oft vergessen – und haben dennoch die Kunstgeschichte nachhaltig beein­flusst. Mühelos schafft es der Film, der weitgehende Unsichtbarkeit und dem Mangel an Anerkennung vom Kunstbe­trieb entgegen zu wirken.

»Die Siebziger Jahre waren für mich eine Zeit der Veränderung.« – Lore Heuermann

Vor stummen 16mm-Sequenzen, begin­nend mit einer stillen Anfangseinstel­lung, in der bedächtig eine leere Lein­wand weiß grundiert wird, erzählen die fünf Frauen aus dem Off von ihren künstlerischen Anfängen, ihrem Werde­gang, ihren kulturpolitischen Kämpfen und der Normalität des Sexismus jener 60er und frühen 70er Jahre, in denen die eigene Befreiung und Grenzüberschrei­tung Voraussetzung jeglicher weiblicher Kreativität und Kunstausübung war, in der ohne Utopie, Experiment und Tabu­bruch nichts ging. Empört, dann wieder lakonisch schildern sie die Szenerien multipler Abhängigkeiten – von Ehe, Familie, Mann, Arbeitgeber, Kunstinsti­tutionen – und davon, wie sie mit Ein­satz aller Kräfte zu ihrer eigenen Kunst/Form fanden, die im zweiten, digital in Farbe gefilmten Teil präsen­tiert wird. Sie werden plastisch durch das Aufzeigen ihrer Arbeitsweisen, in denen je neues künstlerisches Terrain erobert wurde. So experimentiert Renate Bertlmann, die als erste Frau den österreichischen Pavillon der Biennale in Venedig 2019 alleine bespielen wird, mit Latex-Skulpturen, um die Porno ­industrie zu desavouieren, filmt Linda Christanell in penibler Collegearbeit sur­reale Fantasiewelten am Reißbrett ab, und setzt Lore Heuermann lange asiati­sche Reispapierrollen mit behutsamen Tuschezeichnungen von Menschen in Bewegung.

»Eine Frau in einem Jahrzehnt reicht anscheinend.« – Lore Heuermann

Mit dieser Ansage steigt Perschon in die Thematik der jahrhundertelangen und bis heute andauernden Ungleichbehand­lung von Frauen in der Kunst ein. Dass es neben VALIE EXPORT oder Maria Lassnig andere weibliche Künstlerinnen gab und gibt, davon spricht eingangs die 81-jährige Künstlerin, Malerin und Grafi­kerin Lore Heuermann, mit der ich in den letzten Jahrzehnten mehrfach bei Theater­projekten kooperieren durfte und die ich auch zu dem Film befragte.

»Immer ist alles noch fest in der Hand der alten Männer.« – Lore Heuermann

Die Gespräche über Vorbilder und Bilder, Visionen und Selbstentwürfe, über Femi­nismus damals und heute bleiben lange in Erinnerung. In einer Zeit der Stagnation und Regression in Kunst und Kultur – mit immer bombastischeren Großevents, Retrospektiven und Happenings – erschei­nen im empathischen Rückblick die bescheidenen, aber kunstgeschichtlich von gewaltigen Durchbrüchen geprägten Ges­ten dieser Vorreiterinnen geradezu revo­lutionär.

Für viele jüngere Künstlerinnen, die mit neuen Hindernissen wie wachsender Pre­karisierung zu kämpfen haben, ist die radi­kale Aufbruchszeit der 70er Jahre bereits Geschichte; für die meisten ist der hohe Preis, den Frauen damals für ihr Kunst-Machen zahlen mussten, nicht mehr vor­stellbar. Die künstlerischen Strategien, die sie anregten, gelten heute als selbstver­ständlich: Interdisziplinarität und Perfor­mativität, die schonungslose Ausstellung von Körper und Sexualität, die Kritik an Patriarchat und Kunstbetrieb, die Erfor­schung neuer Wahrnehmungsmuster, das Überschreiten von Genres.

Perschon gelingt, was vielen Dokumen­tationen fehlt: herausragende Vertreterin­nen einer Gattung werden porträtiert und gleichzeitig schließt sich eine Lücke in der Entwicklung der (Kunst)Geschichte – ein überfälliger Nachholvorgang! Am Ende verlässt man den übervollen Kinosaal mit dem Gefühl, den Frauen ein stückweit näher gekommen zu sein – und erhält ganz nebenbei und leichtfüßig einen fundierten Einblick in das reiche feministische Kunst­schaffen der ersten avantgardistischen Generation von Künstlerinnen nach 1945. y

Frauenfilmtage / Vienna International Womens Film Festival: 28. Februar bis 7. März; Kinostart: Mai 2019, Weltpremiere: VIENNALE ‘18

Gelesen 8154 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 27 März 2019 16:08
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