Ein Journalisten-leben Michael Graber Bildarchiv KPÖ

Ein Journalisten-leben

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Der frühere Volksstimme-Redakteur Ernst Fettner feiert seinen 100. Geburtstag.

Von Michael Graber

Nur wenige hundert Meter vom Sitz der Redaktion der Volksstimme entfernt wohnt Ernst Fettner. Der Hundertjährige empfängt den Besucher in seiner Wohnung rüstig und aufgeräumt wie immer. Warum sich mit dem Jubilar befassen? Er ist der ein­zige noch lebende Journalist, der die Anfänge der kommunistischen Presse nach 1945 erlebt und ihre Entwicklung mitgeformt hat. Ernst Fettner ist aber auch kompetenter Zeitzeuge zu den erlebten Katastrophen des 20. Jahrhunderts.

Dieses Leben begann in einer armen jüdi­schen Familie in Wien – die meisten Juden und Jüdinnen in Wien waren arm – und setzte sich früh in einem jüdischen Waisen­haus fort, da die Mutter gestorben war. Als Ernst wieder zur Familie seines Vaters zurückkehrte, wohnten neun Personen in der Zweizimmerwohnung. Von diesen über­lebten nur zwei den Holocaust.

Wie Ernst Fettner mit KommunistInnen in Berührung kam? Er erzählt diese Geschichte nicht das erste Mal. Als jüdischer Jugend ­licher wurde er nach dem Einmarsch der Nazis in eine der »Reibpartien« gezwungen. Nachdem sich die jüdischen Beschäftigten der Schneiderwerkstatt, in der Fettner beschäftigt war, während des Pogroms am 10. November 1938 in einem Keller verbarri­kadiert hatten, glaubten die Nazis, dies sei eine kommunistische Zelle. Fettner war zu dieser Zeit, so sagt er, völlig unpolitisch. Die Leute wurden verhaftet, und einer nach dem anderen wurde während des Verhörs geschlagen und gefoltert, weil sie leugneten, »Kommunisten« zu sein. Fettner versuchte es umgekehrt und gab zu, Kommunist zu sein. Er unterschrieb ein Geständnis, ver­pflichtete sich, das Land binnen eines Monats zu verlassen, und ersparte sich die Schläge. Seither ist er »dabei«.

In der Emigration und einer der Befreier

Eine jüdische Jugendorganisation ermög­lichte Fettner im März 1939 die Flucht nach England. Er landete in Schottland, wo er einem landwirtschaftlichen Betrieb zugeteilt wurde. Später ging er nach Glasgow und stieß dort auf »Young Austria« und das »Aus­trian Center«, das sich – geführt von Kom­munistInnen – um die österreichischen Flüchtlinge kümmerte und für ein Wiederer­stehen eines unabhängigen, demokratischen Österreich einsetzte. In diesem Umfeld ent­standen auch Fettners erste journalistische Versuche. Er erstellte Wandzeitungen und verfasste Beiträge für den Zeitspiegel, die wichtigste Publikation der österreichischen Emigration in England und darüber hinaus.

Seine kommunistische Schulung erhielt er während der Internierung als »feindli­cher Ausländer« auf der Isle of Man durch die dort inhaftierten Kommunisten. 1943 durften die Antifaschisten in die britische Armee eintreten, wozu »Young Austria« aufgerufen hatte, und Ernst Fettner kam als »Austrian Volunteer« zu den »Gordon Highlanders«. Mit dieser Einheit war er an der Befreiung Frankreichs, Belgiens, der Niederlande und Westdeutschlands betei­ligt. Mit viel Glück überlebte er die Kämpfe.

Journalistische Anfänge in Kärnten

Nach dem Ende des Krieges, er war in Kärn­ten, rüstete Fettner ab, schloss sich der Freien Österreichischen Jugend (FÖJ) und der KPÖ an und meldete sich bei der Redak­tion des Volkswillen, der damaligen KPÖ-Tageszeitung für Kärnten. »In dieser klei­nen Redaktion musst du alles schreiben, von Chronik bis zur Politik«, fasst er diese Erfahrung zusammen; und Recherche außerhalb Klagenfurts sei nur mit dem Rad möglich gewesen. Damit begann seine jour­nalistische Laufbahn, die nur drei Jahre unterbrochen wurde, als auch in der KPÖ am Höhepunkt des Kalten Krieges das Miss­trauen gegenüber der englischen Emigra­tion grassierte.

Ernst Fettner kehrte mit seiner Frau nach Wien zurück und verdingte sich als Metall­arbeiter bei Steyr, wo er unverzüglich eine Betriebszeitung gründete. Knapp vor der Wahl in den Betriebsrat holte ihn 1955 der damalige Chefredakteur der Volksstimme, Erwin Zucker-Schilling, in die Redaktion des damaligen Zentralorgans der KPÖ.

Innenpolitiker im Zentralorgan

Zunächst wurde ihm die Lokalberichter­stattung über Niederösterreich anvertraut. Später entwickelte sich Ernst Fettner zu einem der kompetentesten innenpoliti­schen Redakteure mit den Schwerpunkten Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sein gewerkschaftliches Engagement brachte ihn bis ins Präsidium der Journalistenge­werkschaft. »Wir haben mit dem Günther Nenning gegen den Willen der SPÖ gepa­ckelt«, resümiert Ernst Fettner diese Epi­sode.

1968 fiel ihm ausnahmsweise die Aus­landsberichterstattung aus der Tschechoslo­wakei nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts zu. Er konnte mit der Adresse eines Kinderheims, in dem sich seine beiden Söhne zwei Jahre zuvor im Sommer aufge­halten hatten, und mit einem Pass, in dem die Berufsbezeichnung »Journalist« durch »Angestellter« ersetzt war, einreisen, was damals auch für einen kommunistischen Journalisten aus der damals zunächst kriti­schen KPÖ nicht so leicht war. Allerdings wurden seine Pro-Dubček-Berichte in der Redaktion immer weniger berücksichtigt, da sich die Linie der KPÖ inzwischen wieder geändert hatte.

»Es gab zu viele Lügen«

Auch nach seiner Pensionierung blieb Ernst Fettner der Redaktion der Volksstimme bis zur Einstellung der Tageszeitung im März 1991 treu. In den Jahrzehnten danach war er ein gefragter Zeitzeuge und gab Interviews in verschiedenen Medien und sprach bei Veranstaltungen. Im Grazer Verlag Clio ist ein Buch über ihn in Vorbereitung. Zu den Fehlern der Vergangenheit in der Partei­presse meint Ernst Fettner: »Es gab zu viele Lügen«, allerdings vermisse er die Parteizei­tungen, denn da wisse man, woran man ist. Der so genannte unabhängige Journalismus sei eine Chimäre, denn jeder, der schreibt, wolle überzeugen.

Sein politisches Credo gab Ernst Fettner 1998 in einem Erinnerungsbuch ehemaliger FÖJler:innen zu Protokoll: »Für die Linken ist die Lage derzeit nicht besonders rosig. Der Kapitalismus scheint zwar zu blühen, aber Blüten sind dazu bestimmt, abzuster­ben. Es wird an den nächsten Generationen liegen, die Welt entsprechend zu verändern und die Fehler der vergangenen Generatio­nen nicht zu wiederholen.« Und später fügte er hinzu: »Dabei bleib ich.« Vor zwei Jahren starb seine zweite Frau, die ebenfalls viele Jahrzehnte in der Redaktion arbeitete.

Die Redaktion der Volksstimme gratuliert dem Jubilar, der seinen Hunderter am 29. Mai im Kreis seiner großen Familie feierte.

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Gelesen 4766 mal Letzte Änderung am Sonntag, 20 Juni 2021 19:27
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