Das unwiderstehliche Spektakel der nackten Gier

von

Über den Abgang von Donald Trump schreibt Joe Grim Feinberg

Nach dem bizarrsten Wahlkampf und der verrücktesten Nachwahlzeit in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika hat Joe Biden Donald Trump im Weißen Haus abgelöst. Manchmal sind die bizarrsten Momente in der Geschichte eines Systems jene, die offenbaren, wie verrückt das System seit jeher war und was es – in weniger spektakulärer Form – bereits hervorgebracht hat. Aber dennoch, wenn es schließlich nach langer Trächtigkeit ein Monster zur Welt bringt, ist nichts mehr so wie vorher.

Der Trumpismus und seine republikanischen Zutaten

Donald Trump ist zweifellos einzigartig, ein Mensch, so seltsam, dass alle Vergleiche versagen. Und doch waren alle Elemente, die den Trumpismus ausmachen, schon vorhanden, bevor Trump sie aufgriff und zusammenfügte. Der Trumpismus kombiniert Hassreden, Respektlosigkeit gegenüber demokratischen Verfahren und eine religionsähnliche Anbetung von Männern mit Geld. Die Republikanische Partei ist mindestens seit dem späten neunzehnten Jahrhundert die Partei der Wirtschaftseliten, sie mobilisiert seit Jahrzehnten Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Sie hat eine lange Geschichte der Erschwerung des Wahlrechts für People of Color und kann mit der Demokratischen Partei überhaupt nur aufgrund eines Wahlsystems konkurrieren, das weiße ländliche Gemeinden der Mittelschicht überrepräsentiert. Trump also nahm alle rhetorischen Standardpositionen seiner Partei und sprach jene nur ein bisschen lauter aus, mit weniger Nuancen und mehr Idiotie. In einem politischen Theater, das an geschmeidiges Marketing, sorgfältige Vorbereitung und eine strenge Ökonomie der Verbote und Anspielungen gewöhnt ist, kann allerdings auch schon der kleinste Mangel an Nuancen viel Aufmerksamkeit generieren. Trumps Idiotie durchbrach das respektable Furnier eines Systems, das das Publikum bereits müde war, zu respektieren. Für Zuschauer, die noch nie in ihrem Leben die Worte »fuck« und »shit« gehört oder, trotz einer ständigen Flut von mit Bikinis gefüllten Werbespots, eine entblößte Brust im Fernsehen gesehen haben, war Trump wie ein Film mit Altersfreigabe, der endlich das bietet, was so lange unterdrückt und durch Unterdrückung begehrenswert gemacht wurde. Es war, als würde sich das gesamte politische System vor uns entkleiden. Das war nicht schön, aber wir konnten unsere Augen nicht davon abwenden. Trump konnte eine Allianz zwischen den spektakulär Reichen und der bedrohten Mitte beschwören, gegen die alten bescheidenen Eliten, die, weniger sichtbar in ihrem Reichtum als Trump und seine Hintermänner, ihren Erfolg versteckten Kräften zu verdanken schienen. Ihre Appelle zu Mäßigung und mildem Teilen klangen unaufrichtig neben Trumps stolzer Feier von Gier und Bestechung, die Trump zu einem verallgemeinerten Programm machte: Jeder Trumpianer konnte seinen Anteil an der Beute von Trumps »Deals« bekommen. Diese versprachen den Rest der Welt und die nichts besseres verdienenden Armen und Minderheiten im eigenen Land zu schröpfen und alle »zahlen« zu lassen – alle außer dem großen Banditen selbst, der mit seiner eigenen Steuerhinterziehung und seiner Weigerung, seinen Teil der Verträge einzuhalten, prahlte. Auf einer symbolischen Ebene ist die Vorstellung, von einem gierigen Arschloch vertreten zu werden, eine mächtige Sache. Vor allem, wenn es scheint, dass seit Jahren alle Arschlöcher sowieso gegen dich sind. Die Unterstützung für Trump war ein symbolischer Anspruch auf ein Stück der Beute in Trumps Banditenkreuzzug. Es war der Anspruch darauf, zu jenen Leuten zu gehören, die clever genug sind, das System zu schröpfen, das gegen sie aufgestellt zu sein scheint. »America First« weltweit, ich zuerst in Amerika. Als die Sowjetunion fiel und der Kampf gegen die Gleichheit sich nicht mehr als Kampf für die Demokratie gegen den Kommunismus darstellen konnte, löste sich die Gier von der Demokratie und wurde zu einem eigenen Programm. Der Trumpismus konnte sich als eine Bewegung präsentieren, die Privatinitiative, egoistisches Vergnügen und Ansprüche auf ethnische Privilegien von all dem demokratischen Ballast befreit, der sie noch zurückhielt. Aber freilich hatte die Republikanische Partei bereits vor Trump dieses Programm der antidemokratischen Gier entwickelt. Nur unterhaltsam war sie dabei nie. Die Partei hatte ihren Kult der privaten Macht und Gier nie in ein Spektakel verwandelt, welches so schwer nicht zu beachten war.

Trumps Aufmerksamkeitsökonomie

Trump besitzt ein großes Talent: Er weiß, wie man Aufmerksamkeit gewinnt. Ständig unterbricht er und wechselt das Thema zu etwas Neuem, Überraschendem, höchst Skurrilem oder geradezu Verrücktem. Wenn wir ihn zum Beispiel fragen: »Wie sollte die Regierung der aktuellen Pandemie begegnen?« wird Trump antworten: »Welche Pandemie? Wir haben alle genug über die Pandemie gehört. Covid, Covid, Covid ...« Oder wenn wir fragen, ob Trump mit den Vorschlägen seines Rivalen Joe Biden einverstanden ist, würde er sich doch niemals dazu erniedrigen, sich auf eine politische Debatte mit einer so langweiligen Figur wie »Sleepy Joe« einzulassen. Wir könnten Trump fragen, was er tun wird, wenn er die Wahl verliert, und er wird antworten, dass er unmöglich verlieren kann, und wenn er verliert, dann wird der Oberste Gerichtshof das Ergebnis zu seinen Gunsten kippen, und wenn nicht, dann sollten seine Anhänger gegen das Capitol marschieren, damit er gewinnt, und wenn sie es nicht tun, dann wird er sich vielleicht einfach in Florida entspannen, oder vielleicht wird er das Land verlassen, warum nicht? Als Trump-Anhänger das symbolische Zentrum der amerikanischen Legislative stürmten, reagierten die meisten Beobachter – zu Recht – entsetzt. Die Aufständischen wurden beschuldigt, einen Putsch zu planen und Trump, sie dabei zu unterstützen. Andere Beobachter, wie Mike Davis in einem Blog für die New Left Review, taten die ganze Sache als eine Farce ab. Das Problem ist, dass beide Positionen richtig und falsch gleichzeitig sind. Die Aufrührer:innen hatten keinen kohärenten Plan. Aber sie hatten Gewehre und mindestens einen Speer. Sie verprügelten die Polizei mit Hockeyschlägern und einem Feuerlöscher und drohten, gewählte Vertreter:innen zu ermorden. Aber vielleicht trugen sie nur Waffen, weil sie überall Waffen tragen, und vielleicht war der Speer nur ein Scherz, außer dass der Mann, der ihn trug und ein Kojotenfell und Büffelhörner trug, auch ein bekannter Extremist ist, der gedroht hat, den Vizeprä-sidenten »vor Gericht« zu stellen. Aber vielleicht war auch das nur ein Scherz. Das Wort »Coup« impliziert normalerweise eine koordinierte Anstrengung. Aber Trump koordiniert sich nie mit jemandem. Trump hat ihnen gesagt, sie sollen gegen das Kapitol marschieren, aber hat er das wirklich ernst gemeint? Sie – viele von ihnen Mitglieder des Militärs und der Polizei – befolgten seine Befehle. Aber an welchem Punkt haben sie entschieden, dass sie seine Befehle ernst nehmen? Wann hörte es auf, ein großes Spiel zu sein – eine Fortsetzung eines Online-Spiels – und wurde Realität? Die wirkliche Innovation des Trumpismus ist, dass es unmöglich ist diese Frage zu beantworten. Es ist immer Überreaktion zu behaupten, dass die Trumpianer bereit sind, einen Putsch zu starten und immer auch Unterreaktion, zu meinen, dass es sich nur um einen Haufen von Worten handelt. Milan Kundera hat angedeutet, dass eines der Merkmale des Stalinismus war, dass er alles ernst nahm und die Menschen die Bedeutung von Witzen vergaßen. Beim Trumpismus wird nichts, was der Führer sagt, ernst genommen, und alles scheint ein Witz zu sein. Meint Trump, was er sagt? Lügt er uns ins Gesicht? Auf einer gewissen Ebene sind solche Fragen nebensächlich. Ein Clown scherzt, auch wenn er es ernst meint. Ein:e Schauspieler:in lügt auch dann, wenn er:sie aufrichtig ist. Die Politik als einen großen komischen Akt zu behandeln … unerhört!? Ja und nein.

Die politische Sphäre

Politik, wie auch die sie umgebende Unterhaltungsindustrie, basiert auf der Macht der Illusion. Der Begriff der Politik selbst ist historisch entstanden, als der Raum, die Lebenssphäre, die für die Behandlung von Fragen des Staates und des Rechts eingerichtet wurde, im Unterschied zu anderen Sphären, die dem »privaten« und »sozialen« Leben vorbehalten sind. In der sozialen und privaten Sphäre arbeiten wir Beziehungen zwischen Menschen aus. In der politischen Sphäre beschäftigen wir uns mit Beziehungen zu etwas, das wir nicht sehen oder fühlen. Wir sehen den Staat in Form von politischen Repräsentationen, und diese Repräsentationen müssen die soziale Realität nicht genau widerspiegeln, um wirksam zu sein. Trump hat diese grundlegende Trennung der politischen Repräsentation von der sozialen Realität vollzogen, aber diese Autonomie der politischen Sphäre ist nicht einzigartig für den Trumpismus. Sie ist auch eine Säule des Liberalismus, für den Freiheit in der politischen Sphäre gleichbedeutend ist mit dem Widerwillen, gegen Unterdrückung in der privaten und sozialen Sphäre einzuschreiten. Auf andere Weise war die Autonomie des Politischen ein Pfeiler des Faschismus, der grandiose Repräsentationen in der politischen Sphäre und aktive Herrschaft in allen anderen Sphären bot. Der Trumpismus folgt dem Faschismus, indem er Größe als rein politische Repräsentation verspricht, aber er unterscheidet sich vom historischen Faschismus in der Art und Weise, wie er Repräsentationen arrangiert. Wenn Mussolini ein Rhapsode war, der Epen der Starken sang, ist Trump ein Komödiant, der die Schwachen lächerlich macht. Die Leute lachen, um zu beweisen, dass der Witz nicht auf ihre Kosten wirkt. Einige Eliten der Demokratischen Partei machten sich ihrerseits über Trump lustig, weil er nur so tat, als sei er Milliardär. Sie erkannten nicht, dass dies Teil seiner Anziehungskraft war. Ein falscher Milliardär – das übertriebene Spektakel eines Milliardärs, der von Gold, Supermodels und Pornostars umgeben ist, das Bild eines starken weißen Mannes, der tun kann, was er will – ist für die Öffentlichkeit akzeptabler als ein echter Milliardär, der mit unbewegter Mine und rechtschaffenen Worten von der Arbeit anderer lebt. Während traditionelle Mitte-Links-Politik die moderate Umverteilung von echtem Reichtum anbietet, sorgfältig berechnet, rational investiert und langweilig, bietet Trump ein Bild von Reichtum, durch das die Massen indirekt verbotene Vergnügen erleben können, die weit größer sind als jede reale Verteilung, die angeboten wird. Aber wir sollten uns vor Aufrufen hüten, die »Wahrheit« als Gegengift zu Trumps Lügen hochhalten. Soziale Emanzipation kann Wahrheit nicht als bereits gegeben hinnehmen. Die ganze Herausforderung besteht darin, die soziale Realität in all ihrer Mehrdeutigkeit in die Sphäre der poli-tischen Repräsentation zu bringen, die Politik zu zwingen, sich mit ebenjenen Problemen der sozialen Welt zu befassen, die Politiker:innen so sehr zu meiden versuchen. Was Joe Biden bot, war schließlich auch in erster Linie ein Image. Wenn Trumps Wähler:innen sich mit dem Bild eines rücksichtslosen Tyrannen wohlfühlen konnten, konnten sich Bidens Wähler:innen mit dem Bild eines anständigen, verantwortungsbewussten und moralisch aufrechten Staats-mannes identifizieren – und dank Trumps vierjähriger Wahnsinnsherrschaft hat das alte und langweilige Establishment noch nie so attraktiv ausgesehen. Aber das Establishment hat noch keines der Probleme gelöst, die Trumps Revolte so attraktiv gemacht haben. Warten wir mal darauf, zu sehen, was sich hinter dem neuen Image verbirgt.

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Gelesen 5374 mal Letzte Änderung am Montag, 08 Februar 2021 09:09
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