ZUR DEBATTE UM DIE NOBELPREISVERLEIHUNG
Vorweg: Die kollektive Zielperson der inneren und äußeren Aggression gegen Jugoslawien war nicht nur der Selbstverwaltungssozialismus dieses Staates mit allen seinen inneren Beschränkungen und Entwicklungsmöglichkeiten, sondern auch eine im Krieg gegen die Nazis und ihre Kollaborateure errungene, für diese Balkanregion historisch einmalige friedenspolitische, national eingehegtes Denken überschreitende Konstruktion – mit allen ihren Beschränkungen und Entwicklungsmöglichkeiten. Den jugoslawischen Staat zu zerstören hieß, diese Konstruktion zu zerstören, und mit ihr die darin eingebundene Wirtschaft und Alltagskultur (Tuđman selbst formulierte messerscharf bezüglich Bosnien, dieses sei das Jugoslawien im Kleinen, und könnte nur im Staat Jugoslawien existieren – was zu beweisen war) und damit einen materiell und seelisch verwüsteten Raum zu schaffen, viele zu töten, um Platz zu machen für die Untoten aus dem Krieg der Vergangenheit, die smarten Businessmen-Patrioten und ihresgleichen bzw. Paten in den Konzernen, Banken und Militärs mit europäischem, US-amerikanischem und anderem Migrationshintergrund.
Die meisten, bzw. wenn ich mich richtig erinnere, so gut wie alle deutschen und österreichischen Mainstream-Medien haben bereits zur Zeit der sich anbahnenden Sezessionskriege Jugoslawien ausschließlich als Diskurs über seine Auflösung bzw. unter der Überschrift des Rechts auf nationale, sprich staatliche Selbstbestimmung(en) geführt; dass dieses bzw. diese unter jugoslawischen Umständen der vielfältigen Verflechtungen nur in einem jugoslawischen Konsens friedlich umzusetzen wären, dafür waren ihre Propagandisten nicht nur blind, sondern wollten es sein – und ignorierten, missachteten, dass es in allen Teilen Jugoslawiens Menschen gab, die sich gegen den Widerstand der nationalistischen Medien und Lautsprecher für das Recht auf Zusammenleben der Nationalitäten engagierten (nicht nur verbal, denn es wurde praktiziert – ökonomisch, familiär, zwischen den Geschlechtern, kulturell). Im Fahrwasser der Zerschlagungspropaganda tummelten sich so ziemlich alle, die glaubten, auch ein weltpolitisches Wörtchen mitreden zu müssen. Halbtaube Monarchen wurden wieder hellhörig, deutschen und österreichischen Soldatengeistern dämmerte ein später Sinn in ihrem einstigen Herumwildern am Balkan, manche ihrer Söhne und Töchter waren plötzlich geneigt, ihnen im Nachhinein des Zweiten Weltkriegs die Absolution zu erteilen, der öster reich i sche Mock, die deutschen Bürgerlichen sowie Grünen usw. machten die Sezessions bestrebungen zu ihren eigenen, unzählige Experten & Expertinnen bemühten sich in Schichtarbeit, unter Zuhilfenahme ausgefeilter ethno-archäologischer Instrumente auseinanderzu dividieren, was sich an Zusammenleben in Jugoslawien entwickelt hatte – bis hin zur genialen Festlegung nicht nur im Uni-Betrieb, statt von serbokroatischer Sprache von Kroatisch, Serbisch, Bosnisch und – wenn man schon dabei ist – von Montenegrinisch zu sprechen. Alles hinlänglich bekannt, auch die jämmerliche Beflissenheit deutscher und österreichischer Ex-Diplomaten sowie Volksgruppen-Experten und Expertinnen, die den ex-jugoslawischen Menschen mithilfe von EU-Projekten beibringen wollen, wie denn das geht, gleichberechtigtes Zusammenleben und gegenseitige Akzeptanz und so. Und für die Lautesten in dieser ideologischen und politischen Gemengelage war und ist bis auf den heutigen Tag eines klar: die Schuld »der Serben« bzw. ihrer Repräsentanten am Zerfall Jugoslawiens (zu dessen Zerstörung man soeben Beihilfe leistete) und an allem, was dem folgen sollte.
Handke hat in seiner Kärntner Umgebung, in seiner Familie, das Slowenische, und dasselbe im Jugoslawischen entdeckt (oder war es umgekehrt?). Als das Jugoslawische zerbrach, solidarisierte er sich in einer Art Gegenläufigkeit oder weiß der Teufel, vielleicht aus Trotz mit der serbischen Seite, die formell noch längere Zeit »Jugoslawien« repräsentierte – aber es mit Milošević nicht mehr war.
Als Handke dann »Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina« antrat, ging es ihm um »Gerechtigkeit für Serbien«, und zwar »... gegen die Rotten der Fernfuchtler, welche ihren Schreiberberuf mit dem eines Richters oder gar mit der Rolle eines Demagogen verwechseln und, über die Jahre immer in dieselbe Wort- und Bildkerbe dreschend, von ihrem Auslandshochsitz aus auf ihre Weise genauso arge Kriegshunde sind wie jene im Kampfgebiet.«
Das hat vielen der hiesigen Schreiber gereicht, um über ihn herzufallen. Dann wurde & wird ihm noch Sympathie für das Massaker in Srebrenica unterstellt, das er zwar als monströses Verbrechen bezeichnet hat, aber egal, hier ging bzw. geht es um Rache an einem Unbotmäßigen. Handke hat die Weltsicht der Transatlantiker und der in Sachen »nationaler Selbstbestimmung« im Osten und Süden Europas schon aus historischen Gründen unglaublich qualifizierten, am Leid anderer geprüften österreichischen und deutschen Politik und ihrer krausen Journaille konterkariert. Das nehmen ihm die Gemeinten übel. Differenzierungen, Kontextualisierung und Nachdenklichkeit? Keine Spur. Obwohl heute die Verwobenheit des jugoslawisch-internen Desasters mit dem europäisch verkleideten deutschen & österreichischen Revanchismus sowie transkontinentalen Interessen jedem, der hinschaut, erkennbar ist (so wie die Bomben der NATO als durchschlagender Propagandafeldzug für die späteren »humanitären« Kriege in anderen Welt regionen).
Handke in der Winterlichen Reise: »Und wird die Geschichte der Zerschlagungskriege jetzt nicht vielleicht einmal ziemlich anders geschrieben werden als in den heutigen Voraus-Schuldzuweisungen? Aber ist sie durch diese nicht schon längst für alle Zukunft festgeschrieben? Festgeschrieben? Nicht eher starrgestellt?, wie nach 1914, wie nach 1941 – starrgestellt und starrgezurrt auch im Bewusstsein der jugoslawischen Nachbarvölker, Österreichs vor allem und Deutschlands, und so bereit zum nächsten Losbrechen, zum nächsten 1991?«.
Beide Zitate aus: Peter Handke, Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien. Suhrkamp 1996.