Was die Arbeitsmarktpolitik betrifft, sind ÖVP und FPÖ ohne gröbere Probleme zusammen. Das verwundert aus linker Perspektive nicht, interessant ist jedoch das »Wie?«. Für die Volksstimme analysiert der Soziologe ROLAND ATZMÜLLER von der Johannes Kepler Universität Linz, wie die Umgestaltung der Arbeitsmarktpolitik unter Türkis-Blau funktioniert.
… was zusammengehört
»Die Wirtschaft kann die immer zahlreicheren offenen Stellen nicht aus dem im Inland vorhandenen Arbeitskräftepotenzial besetzen«, so die Diagnose im türkis-blauen Regierungsprogramm zur jüngsten Entwicklung am österreichischen Arbeitsmarkt. Diese ist seit 2017 von einem Aufschwung geprägt, der gegenwärtig zu einer Reduktion der Arbeitslosigkeit führt. Die Regierung betont aber, dass sich der Aufschwung bislang nicht im gleichen Maß auf die Arbeitslosenquote ausgewirkt hat, er also noch nicht vollständig bei der Bevölkerung angekommen sei. Für Tükis-Blau ist klar, dass dies nicht daran liegt, dass das Kapital die Flexibilitäten der österreichischen Arbeitsverhältnisse ausnutzt (zum Beispiel durch Ausdehnung der Mehrarbeit und Überstunden), oder die fortgesetzte Sparpolitik auf Kosten der Beschäftigung geht. Vielmehr sieht sie die Ursache darin, dass »noch immer Arbeitskräfte aus Ostmitteleuropa in den Arbeitsmarkt drängen«. Der eingangs zitierte Satz hat es also in sich. Macht er doch deutlich, dass auch in der Arbeitsmarktpolitik die so genannte Wirtschaftspartei ÖVP und die selbst ernannte »soziale Heimatpartei« FPÖ ohne gröbere Probleme zusammenkommen. Das sollte aus linker Perspektive zwar nicht weiter verwundern – das tut es nur bei liberalen KommentatorInnen in den bürgerlichen Medien – interessant ist aber das »Wie?«.
Sicherstellung passförmiger Arbeitskräfte für das Kapital
Einerseits übernimmt das Regierungsprogramm die FPÖ-Position, wonach an der gestiegenen Arbeitslosigkeit die Öffnung der Arbeitsmärkte in der EU und die in das Sozialsystem drängenden Geflüchteten schuld seien. Andererseits liegt der Teufel im Detail der Feststellung, dass die Wirtschaft die offenen Stellen nicht mit Arbeitssuchenden aus dem Inland besetzen kann.
Damit macht die Regierung die bisherige Regulierung der Arbeitsmärkte und Beschäftigungsverhältnisse zum Ziel ihrer Politik – bei der Durchsetzung des 12-Stunden-Tages hat sie ja bereits gezeigt, woher der Wind weht. Sie nimmt daher die Sozialversicherung und insbesondere die Arbeitslosenversicherung und damit auch das AMS ins Visier. Die Kosten für diese Systeme (Arbeitslosenversicherung, Kranken- und Pensionsversicherung), die den Arbeitskräften immer noch einen gewissen Schutz vor der kapitalistischen Konkurrenz bieten, müssen aus Sicht der Regierung runter – einerseits. Andererseits sollen sie so umgebaut werden, dass die Verfügbarkeit von passförmigen Arbeitskräften für das Kapital sichergestellt wird.
Denn dass die Wirtschaft die offenen Stellen angeblich gegenwärtig nicht mit Arbeitskräften aus dem Inland besetzen kann, liegt nach Ansicht von ÖVP und FPÖ auch an den ineffizienten Managementstrukturen des AMS. Das österreichische System der Sozialleistungen aus der Arbeitslosenversicherung würde außerdem Missbrauch ermöglichen und zu wenige Anreize setzen, dass Arbeitslose Beschäftigungsangebote auch annehmen, wie das im Jargon moderner Arbeitsmarktpolitik heißt.
Arbeitslosenversicherung und Klassenkampf
Die neue Regierung hat also genau erkannt, dass die Arbeitsmarktpolitik ein zentrales Feld des Klassenkampfes ist. Vereinfacht gesprochen wird durch die Sozialversicherung ein Teil des Lohnes vergesellschaftet, was übrigens nicht vom Staat, sondern der frühen ArbeiterInnenbewegung erfunden wurde und heute als Lohnnebenkosten ideologisch vernebelt wird. Durch die Institutionalisierung von Solidarität setzte sich der Kollektivarbeiter gegen den individualisierten Produktionsfaktor Arbeit, wie er in der liberalen Ökonomie vorgesehen ist, durch. Dieser rang dem Kapital und dem Staat die finanzielle Absicherung bestimmter Formen der zumindest zeitweiligen Nichtteilnahme an Lohnarbeit ab.
Karl Marx zeigte im Kapital, dass die ArbeiterInnenklasse mit dem Lohn jene Güter finanzieren muss, die für ihr Überleben notwendig sind. Dieses Überleben gilt es aber auch bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter usw. zu sichern. Das gelingt durch die Vergesellschaftung eines Teils des Lohnes, was zugleich aus Arbeitslosen, Kranken und Alten (institutionell) Lohnabhängige machte. Der Kampf um höhere Löhne wurde daher zu einem Kampf um die Höhe der Mittel für Sozialleistungen, sodass hier eine Vereinigung verschiedener Interessen möglich wurde. So werden bis heute Arbeitslosengeld- und NotstandshilfebezieherInnen in Österreich Versicherungszeiten für die Pension angerechnet.
Zentrales Kampffeld: Arbeitsmärkte
Doch dieser Erfolg der ArbeiterInnenklasse war immer auch widersprüchlich, da er aus Perspektive des Kapitals eine Rationalisierung der Arbeitsmärkte und der Vermittlung von Arbeitskräften erforderte. Staat und Kapital konnten nicht akzeptieren, dass die Gewerkschaften und ArbeiterInnenbewegung die Vermittlung von Arbeitskräften und den Zugang zu Berufen oder Branchen kontrollierten, sodass es zur Einführung staatlicher Arbeitsvermittlungen kam. Damit wurde die Frage der Passförmigkeit der ArbeiterInnen und wie diese hergestellt oder aufrecht erhalten werden kann, zum Gegenstand des Klassenkampfes.
Es geht dabei etwa darum, die Arbeitsdisziplin durch Sanktionen für »Arbeitsunwillige« zu erhalten; darum, mögliche Beschäftigte ausreichend zu qualifizieren; aber auch darum, Arbeitskräfte aufgrund gewisser als natürlich angenommener Eigenschaften in bestimmte Tätigkeiten (zum Beispiel so genannte »Frauenberufe«) zu kanalisieren. Außerdem geht es darum, Personen, die als dauerhaft nicht integrierbar in den Arbeitsmarkt gelten, aus diesem und dem Sozialsystem zu verdrängen. Diese Tendenzen lassen sich daher mit sexistischen und rassistischen Vorstellungen leicht verbinden. Die Vermittlung passförmiger Arbeitskräfte wird daher nicht allein über die Höhe die Arbeitslosengeldansprüche gesteuert, sondern auch über die Fähigkeiten und Einstellungen der Arbeitskräfte wie jüngst durch »Aktivierung« und »Workfare« in den Vordergrund trat.
Die letztgenannten Aufgaben werden aus Perspektive der Regierung vom AMS aber nicht ausreichend erfüllt – und zwar, weil dem die Reste der von der ArbeiterInnenklasse durchgesetzten Einschränkung des Kapitals entgegenstehen. Drei Dimensionen der geplanten Veränderungen lassen sich daher gegenwärtig unterscheiden. Diese betreffen erstens die Organisationsstruktur des AMS, zweitens die Erhöhung des Drucks auf die Arbeitslosen und drittens die institutionelle Verfestigung einer Segmentierung der Arbeitslosen, die Teile letzterer aktiv vom Eintritt in eine Lohnarbeit in Österreich ausschließen will.
Erstens: Umbau der AMS-Struktur
Die türkis-blaue Regierung will unter dem Vorwand mangelnder Effizienz und inadäquater Managementstrukturen das AMS umkrempeln. Wie ist noch nicht klar, es scheint aber naheliegend, dass der Einfluss der Sozialpartner, also vor allem der Gewerkschaften zurückgedrängt werden soll. VertreterInnen von Gewerkschaften und Arbeiterkammer verfügen gegenwärtig über ein Drittel Stimmanteile im Verwaltungsrat des AMS. Die Pläne werden einerseits in der Manier neoliberaler Bürokratiekritik formuliert. Die Aktivitäten des AMS werden als wenig effizient und schwerfällig dargestellt. Dies verbindet sich einerseits mit Angriffen auf den angeblich zu verständnisvollen Umgang mit Langzeitarbeitslosen, die aus öffentlichen Mittel durchgetragen würden. Andererseits werden Geflüchtete und andere Zuwanderer – insbesondere muslimischer Religion – und der Umgang mit diesen Gruppen als Problem inadäquater Abläufe im AMS dargestellt.
Zweitens: Steigender Druck auf Arbeitslose
Zweitens plant die Regierung, den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen. Dazu gehört erstens eine forcierte Anwendung der gesetzlich möglichen Sanktionen, zu der die Dienststellen des AMS bereits angewiesen wurden. Insbesondere soll der §10 des ALVG, der einen Verlust des Arbeitslosengeldes von mindestens sechs Wochen vorsieht und die Verweigerung oder Vereitelung einer Arbeitsaufnahme sanktioniert, möglichst rigoros angewendet werden. Es ist zu erwarten, dass die Regierung spätestens im nächsten Jahr, wenn die diesjährigen Zahlen mit den Jahren davor verglichen werden können, den Anstieg der Sperren für ihre Agenda breittreten wird. Man kann sich die Argumente leicht vorstellen. Endlich werde im AMS mit dem nachsichtigen Umgang mit Arbeitslosen aufgeräumt. Oder: Die Zunahme an Sanktionen aufgrund von Arbeitsverweigerung zeige, dass unter den Zuwanderern viele arbeitsscheue Personen zu finden sind. Die Vorhersehbarkeit dieser Argumente wäre zum Lachen, stellte es für die betroffenen Personen keine existenzielle Bedrohung dar.
Weitere Umbauaktivitäten, die im Regierungsprogramm angekündigt wurden, müssen zwar erst in Gesetzesform gegossen werden. Doch es ist nichts Gutes zu erwarten. So soll das »Arbeitslosengeld neu« in Zukunft degressiv gestaffelt werden. Die Begründung dafür ist, dass sich die Arbeitsaufnahmen, wenn Arbeitslose in eine andere Stufe im Transferleistungssystem eintreten, erhöhen würden. Zu erwarten ist, dass in den ersten Monaten der Arbeitslosigkeit damit sogar eine leichte Erhöhung der Nettoersatzrate für das Arbeitslosengeld, das im internationalen Vergleich sehr niedrig ist, verknüpft sein wird. Da eine derartige Maßnahme aber zumindest kostenneutral ausfallen muss, sind massive Einschnitte bei längerfristig arbeitslosen Personen zu erwarten.
Das degressive Arbeitslosengeld ist nämlich mit der geplanten Abschaffung der Notstandshilfe, die als Versicherungsleistung gegenwärtig theoretisch unbegrenzt lange ausbezahlt werden kann, und der Zusammenführung dieser Leistung mit der Mindestsicherung verbunden. Da bei der Mindestsicherung eine Bindung an das Vermögen der BezieherInnen gegeben ist, ist die Nähe dieser Reformen zu Hartz IV mehr als offensichtlich. Auch wenn noch zur Diskussion steht, inwiefern Langzeitarbeitslose hier erfasst werden sollen. Zwar erreichen gegenwärtig etwa zwei Drittel der NotstandshilfebezieherInnen ein Leistungsniveau, das unter der Mindestsicherung liegt, sodass sie auf diese aufstocken könn(t)en. Doch die geplanten Veränderungen bei der Mindestsicherung (Deckelung und Kürzung der Leistungen) zeigen, dass für Langzeitarbeitslose insgesamt massive Kürzungen zu erwarten sind.
Drittens: Weitere Segmentierung der Arbeitslosen
Hier zeigt sich, wie breit der Konsens zwischen Wirtschaftspartei und »sozialer Heimatpartei« ist. Diese Maßnahmen sollen verhindern, dass »Durchschummler« nicht mehr von der Gesellschaft »durchgetragen« würden und der Anreiz, eine Beschäftigung aufzunehmen, wie regierungsnahe Experten wie Wolfgang Mazal argumentieren, erhöht wird. Gleichzeitig soll der Zuwanderung in die Sozialsysteme durch Geflüchtete aber auch von Personen aus dem EU-Ausland, die erst nach fünf Jahren Erwerbstätigkeit in Österreich Zugang zu diesen Leistungen bekommen sollen, ein Riegel vorgeschoben werden.
Dass die neoliberale und konservative Arbeitsmarktpolitik in ihrer Koalition mit der äußeren Rechten ihren universalistischen Anspruch aufgibt, alle in das Marktgeschehen zu zwingen, wird auch in den Kürzungen der aktiven/aktivierenden Arbeitsmarkt- und Integrationspolitik sichtbar. So wird von der neuen Regierung die Aktion 20.000, die über 50-jährigen Langzeitarbeitslosen eine dauerhafte Beschäftigung auf dem sogenannten 2. Arbeitsmarkt ermöglichen sollte, abgeschafft. Außerdem werden ab 2019 die Sprachkurse und das Integrationsjahr für Geflüchtete gekürzt und können Unternehmen bei der Einstellung von Asylberechtigten nicht mehr die Eingliederungsbeihilfe, durch die das AMS einen Teil der Lohnkosten übernimmt, lukrieren. Die Kürzungen der Lehrlingsentschädigung in den Überbetrieblichen Lehrwerkstätten forciert die Spaltung zwischen Jugendlichen.
Kritik an AMS verbindet sich mit Angriff auf »Integrationsindustrie«
Die Kritik an der ineffizienten Organisationsstruktur des AMS verbindet sich daher mit dem Angriff auf die so genannte Integrationsindustrie, die als Spielwiese rot-grüner Gutmenschen angesehen wird, die die Betreuung von Arbeitslosen mit Sinnloskursen – was von rechter Seite was anderes bedeutet, als die linke Kritik damit jemals gemeint hat – zum Selbstzweck werden lässt, um für sich und das eigene Milieu Jobs zu schaffen. Das passt gut zu den Interessen der ÖVP nahen Wirtschaftsvertreter, die schon immer gegen experimentelle Arbeitsmarktpolitik und die Finanzierung von zivilgesellschaftlichen und gemeinnützigen oder gar politisch-widerständigen Vereinen auftraten.
Da die arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten schon lange nicht mehr experimentell sind, sondern den neoliberalen Zielsetzungen unterworfen und professionalisiert wurden, wird hier schwer Widerstand organisierbar sein, da wohl von den betroffenen Arbeitslosen aufgrund ihrer Erfahrungen mit der gegenwärtigen Situation wenig Mobilisierungsbereitschaft zu erwarten ist.
Bleibt als Fazit
Die neoliberale Kürzung von Leistungen und die Disziplinierung der Arbeitslosen verbinden sich im Programm der Regierung mit der rassistischen und auch sexistischen Strukturierung der Arbeitsmarktpolitik und der aktiven Abdrängung und Verdrängung bestimmter Gruppen von Arbeitslosen in die Mindestsicherung oder überhaupt aus Österreich hinaus. Die Segmentierung der Arbeitslosen und die aktive Schaffung einer »unproduktiven« Schicht, bindet die Teilhabe an dieser Gesellschaft an Leistungsbereitschaft und kultureller und sozialer Konformität. Sozialpolitik wird renationalisiert, ihre Bedeutung für die Solidarität der ArbeiterInnenklasse wird weiter unterhöhlt. Der Eintritt der FPÖ in die Regierung zeigt die Konsequenz der neoliberalen Individualisierung der Arbeitsmarktpolitik durch Aktivierung und Workfare, die in Ethnisierung und Kulturalisierung umschlägt, – was ihre wechselseitige Legitimation steigert.