Reportage von SUSANNE HASLINGER
Viele tausend ErntehelferInnen arbeiten jedes Jahr in Österreich zu niedrigen Löhnen, extrem langen Arbeitszeiten und miserablen Arbeitsbedingungen. SaisonarbeiterInnen in der Landwirtschaft sind eine der am meisten ausgebeuteten Gruppen von ArbeitnehmerInnen im Land. Doch anstelle einer Verbesserung ihrer Situation drückt Schwarz-blau auch hier massive arbeitsrechtliche Verschlechterungen durch.
Zugleich tut sich etwas auf Österreichs Feldern: Die LandwirtInnen werden nervös, der Bauernbundpräsident Georg Strasser mischt sich mit hochrotem Kopf live im Parlament in Gewerkschaftsarbeit ein und sogar Peter Turrini weiß neben seiner Abrechnung mit der Kurz-Republik und der Gesellschaft im Herbst 2018 auch Schönes zu berichten, dass ihn für die Zukunft hoffen lässt: Er sei auf junge GewerkschafterInnen gestoßen, die von Feld zu Feld ziehen, um ErntehelferInnen über ihre Rechte aufzuklären.
Von Feld zu Feld für die Rechte der ErntehelferInnen
Seit 2014 versucht ein einzigartiger Zusammenschluss der Ausbeutung in der heimischen Landwirtschaft etwas entgegen zu halten. Die Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) hat gemeinsam mit NGOs und engagierten Einzelpersonen als AktivistInnen die Kampagne »Sezonieri« (zu Deutsch: SaisonarbeiterIn) ins Leben gerufen.
Über eine mehrsprachige Website, Infovideos, Folder und Info-Hotlines werden die Betroffenen informiert und ihnen Unterstützung bei der Rechtsdurchsetzung geboten. Mit Erfolg: 2016 und 2017 wurden mit Hilfe der PRO-GE knapp 70.000 Euro erstritten. Die Kampagne zeigt auch nicht eine andere Wirkung, wenn auch nicht die naheliegendste: »In Österreich fehlen ErntehelferInnen – unser Gemüse bleibt liegen!« So oder so ähnlich lauteten im vergangenen Frühjahr die Schlagzeilen. Die »Ursache« war schnell gefunden: Die Deutschen würden einfach alle abwerben – durch den fiesen Wettbewerbsvorteil höherer Löhne. Umso erstaunlicher jedoch die Reaktion der türkisblauen Bundesregierung: Im Herbst wurde ein Paket vorgelegt, dass das Landarbeitsgesetz (LAG) gleich in mehreren Punkten verschlechtern sollte: Einerseits konnte man es gar nicht eilig genug haben, auch in der Land- und Forstwirtschaft den im Frühsommer überfallsartig eingeführten 12h-Tag und die 60h-Woche »nachzuholen«. Zum anderen wurde – in Österreich bis dato einzigartig – eine gesetzliche Regelung zum Lohndumping exklusiv für ErntehelferInnen geschaffen.
Verschlechterung miserabler Ausgangsbedingungen
Nun ist in der Anbau- und Erntehilfe eine Tagesarbeitszeit von bis zu 17 Stunden nichts Seltenes – das trotz Sonntagsarbeitsverbot sieben Tage die Woche. Das liegt weit über der gesetzlich erlaubten Höchstarbeitszeit. Die Bedingungen, unter denen diese Arbeit geleistet wird, sind miserabel: Kälte Hitze, schwere körperliche und mitunter auch gefährliche Arbeit. Die Bezahlung ist ebenso miserabel, die (ohnehin nicht sehr hohen) kollektivvertraglichen Mindestlöhne werden selten eingehalten, Überstundenzuschläge noch seltener bezahlt. Beste Voraussetzungen also, um die Arbeitszeit zu erweitern?
In der Erntezeit kommt es in der Landwirtschaft zu massiven Arbeitsspitzen – doch durchhalten kann man das nicht lange. Aus gutem Grund hat der Gesetzgeber diesen Zeitraum auf 13 Wochen im Jahr begrenzt. Und genau da setzt Schwarz-blau an: 12 Stunden sind nun immer dann zulässig, wenn »Arbeit anfällt«, 52 Wochen im Jahr. Um die heftig diskutierte Freiwilligkeit hat man sich in der Landwirtschaft gar nicht erst bemüht. Während bisher Überstunden nur in den nachvollziehbaren Situationen drohender Wetterumschläge oder Verderben der Ernte nicht verweigert werden durften, müssen die ArbeitnehmerInnen nun vorweisen, dass sie »berücksichtigungswürdige Interessen« für die Ablehnung haben, wie bspw. Kinderbetreuungspflichten oder einen Arztbesuch. Bei den ErntehelferInnen, die keinen anderen Bezugspunkt und Kontakt haben als Hof und Feld, vielleicht mal der Greißler im Dorf, eher praxisfremd.
»Erleichterung« Lohndumping
Anstatt sich für faire Löhne und menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft einzusetzen, hat Schwarz-blau einen simplen Mechanismus gefunden, den vermeintlichen »Wettbewerbsvorteil« zum deutschen Nachbarn auszugleichen: eine gesetzliche Erlaubnis zum Lohndumping. Zur »Erleichterung« der Beschäftigung von ErntehelferInnen dürfen die landwirtschaftlichen Kollektivverträge – derer gibt es neun, da verfassungsmäßig die Landarbeit noch immer Ländermaterie ist – eine Pauschalierung der Sonderzahlungen, sprich Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld vorsehen. Was zunächst wie eine Vereinfachung im Dschungel der Lohnverrechnung wirkt – schließlich sind die betroffenen LandwirtInnen ja keine ExpertInnen in dieser Materie – heißt übersetzt: In Zukunft darf in einem Kollektivvertrag geregelt werden, dass ErntehelferInnen – bei gleicher Dauer des Arbeitsverhältnisses – schlicht weniger an Urlaubs- und Weihnachtsgeld zusteht.
Wenn die ÖVP mit der ÖVP … Landwirtschaft, halt
Äußerst unrühmlich in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Landarbeiterkammer, das ist die gesetzliche Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen in der Land- und Forstwirtschaft. Nicht nur, dass man dem vorgelegten Entwurf bedingungslos zugestimmt hat, nein, mittels Presseaussendung rühmte sich die Landarbeiterkammer auch noch, diesen ausgehandelt zu haben. Am Tisch mit Bauernbund (dessen Präsident Georg Strasser praktischerweise Nationalratsabgeordneter ist) und Landwirtschaftskammer eine beschauliche, harmonische Runde aus ÖVPlerInnen. Vielleicht zeigt uns auch, oder besser gerade, dieses Beispiel, warum es wichtig ist, bei der Wahl der eigenen Interessenvertretung nicht zu Hause zu bleiben.
Institutionalisierter Rassismus
Die arbeitsrechtlichen Verschlechterungen für ErntehelferInnen stellen jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar. Der Großteil der ErntehelferInnen kommt aus EU-Staaten wie Ungarn, Slowenien, Rumänien und Bulgarien. Ihre Kinder haben sie zu Hause bei den Großeltern gelassen, ganze Dörfer sind verwaist. Man kann ohne weitere Umschweife sagen, dass Teil der Einkommenserwartung und -notwendigkeit die Aufstockung mithilfe der Familienbeihilfe für ihre zuhause gebliebenen Kinder ist – das ist gleichzeitig Teil des Arrangements, für die ArbeitgeberInnen (und die KonsumentInnen) die Kosten niedrig zu halten. Doch der flächendeckende Rassismus, die Triebkraft des »Erneuerungsprogramms« von Schwarz-blau, hat die Familienbeihilfe für WanderarbeitnehmerInnen gleich ganz zu Beginn der Regierungsperiode ins Auge gefasst: Mit Wirkung ab 1.1.2019 wurde ihnen die Familienbeihilfe drastisch zusammengestrichen, bei RumänInnen z. B. auf die Hälfte. Auch das spricht sich herum. Vielleicht werden die ErntehelferInnen auch deswegen ausbleiben. Vielleicht haben die ErntehelferInnen es einfach satt, in einem zutiefst rassistischen Land zu schuften?
Die jungen AktivistInnen und GewerkschafterInen werden jedenfalls auch in den nächsten Jahren über die Felder ziehen und die ArbeiterInnen über ihre Rechte aufklären. Wer mitmachen oder unterstützen möchte, kann sich ganz einfach auf der Webseite sezonieri.at eintragen oder im Frühjahr die Infoveranstaltung im Amerlinghaus besuchen (Termin wird auch auf der Homepage veröffentlicht).
Link: www.sezonieri.at
Susanne Haslinger ist in der Produktionsgewerkschaft PRO-GE für den Bereich Sozialpolitik zuständig und koordiniert – mit anderen – die sezonieri Kampagne.