Das Institut für Theologie und Politik war auf Besuch in Wien. Ein Bericht von Martin Birkner und Rainer Hackauf.
Vom 3. bis 6. Oktober waren Mitglieder des Instituts für Theologie und Politik (ITP) aus Münster in Wien zu Besuch. Eingeladen wurde das Institut von den Wiener Resurrektionist:innen, einer bunten Gruppe von an einer zeitgemäßen Befreiungstheologie interessierten Menschen. Die Idee zu einem solchen Austausch entstand bei einer internationalen Tagung anlässlich des 30- jährigen Jubiläums des Instituts in Frankfurt 2023. Teilnehmende Aktivist:innen aus Wien starteten daraufhin eine Initiative, um sowohl die theoretisch- theologischen als auch die politisch praktischen Ansätze des ITP in Österreich stärker bekanntzumachen.
Befreiungstheologie auf die Höhe der Zeit heben
Bemerkenswert am ITP ist, dass es versucht, die Befreiungstheologie auf die Höhe der Zeit zu heben. Es geht dabei gerade nicht darum, Traditionsbestände aus einer vermeintlich besseren Vergangenheit in die Gegenwart herüberzuretten, sondern im Denken und Handeln Antworten auf die Frage zu geben, wie ein sich als revolutionär verstehendes Christentum heute aussehen kann, um »die Mächtigen vom Thron zu stürzen und die Niedrigen zu erhöhen« (in Anlehnung an Lk 1,52) oder auch »alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (MEW 1: 385).
Dabei stellt das Institut angesichts der verheerenden Vielfachkrise des gegenwärtigen Kapitalismus durch seine theoretische wie auch praktische Arbeit viele liebgewonnene Gewohnheiten einer marxistischen wie auch christlichen Tradition radikal infrage. Können wir so weitermachen, wie wir es gewohnt sind, oder verlangt die Erfahrung der großen gesellschaftlichen Krisen der letzten Zeit – von Klimakrise über neokoloniale Ausbeutung, von der staatlichen Corona-Politik bis zu den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine und in Palästina – einen radikalen Bruch hinsichtlich dessen, was linke Politik heute bedeuten kann? Das zum Auftakt der Reise im Kulturzentrum Amerlinghaus in Wien präsentierte Buch des ITP heißt dementsprechend auch – nach einem Zitat von Walter Benjamin: »›Warum die Theologie nicht klein und hässlich sein muss‹: Politisch- Theologische Anfragen an die Zeitenwende und Rückfragen aus unserem messianischen Erbe«.
Theologie in und mit Bewegungen entwickeln
Das ITP ist eine nicht-staatliche und nicht-kirchliche Institution. Gründungsimpuls war, Theologie in und mit Bewegungen gemeinsam um die Frage herum zu entwickeln, was uns die Theologie heute noch zu sagen hat, wenn es etwa um die Überwindung des Kapitalismus geht, der unsere Lebensgrundlage immer weiter zerstört. Dementsprechend ging es bei der Gründung nicht nur um eine theoretische Debatte, sondern auch eine Theologie der Praxis, die in unterschiedlichsten Bereichen interveniert und aktiv ist: in antirassistischen Initiativen genauso wie in der Weiterbildung von Religionslehrer:innen, im Bereich politisch-theologischer Theorieentwicklung – nicht zuletzt auch einer feministischen Theologie, oder im internationalen Austausch befreiungstheologischer Akteur:innen.
In Wien konnten wir dementsprechend viele unterschiedliche Einblicke in die breiten Tätigkeitsfelder der Theolog:innen aus Münster bekommen.
Neben der Buchpräsentation standen auch ein Besuch beim Protest-Acker gegen die geplante Zerstörung der Fischa-Au bei Wr. Neustadt durch eine Straße, sowie ein gut besuchtes Seminar am Institut für katholische Theologie an der Universität Wien zum Leben und Denken von Clara und Franz von Assisi und deren mögliche Bedeutung für zeitgemäße Klassenpolitik heute auf dem Programm. In einem politischen Nachtgebet zur Frage des Kirchen- Asyls wurde nach einer profunden Kritik der mörderischen Festung Europa und ihren tausenden Toten an den EU-Außengrenzen die Praxis des Kirchen-Asyls als Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat vorgestellt. In der Umgebung von Münster gab und gibt es mehrere hundert Fälle pro Jahr, wo Schutzsuchende in kirchlichen Räumen Schutz vor staatlicher Verfolgung und Abschiebung fanden und finden. Gemeinsam mit österreichischen Aktivist:innen wurde im Anschluss daran bei einer Agape diskutiert, wie das Kirchen-Asyl auch in Österreich zu einer gelebten Praxis christlicher Solidarität werden kann.
Gerahmt wurde der inhaltliche Austausch von informellen Programmpunkten wie einem alternativen Stadtspaziergang durch Wien. Dabei ging es nicht nur zu dem Haus, an dem das Wort »Kommunismus « vom Jakobiner Franz von Hebenstreit zum ersten Mal in unserem heutigen Sinne erfunden wurde, sondern auch zu zentralen Orten des Roten Wien, wie Karl-Marx-Hof und Vorwärts- Haus. Auf den Spuren des kommunistischen Bildhauers Alfred Hrdlicka besuchten wir das Denkmal gegen Krieg und Faschismus vor der Albertina wie auch das von ihm geschaffene Denkmal in Erinnerung an die Antifaschistin Schwester Restituta-Kafka und die mit ihr hingerichteten Kommunisten im Wiener Stephansdom.
Weiterer Befreiungstheologischer Dialog in Österreich geplant
Die österreichischen Teilnehmer:innen der Programmpunkte sind zum Teil in nicht-religiösen linken Zusammenhängen aktiv, es waren aber auch zahlreiche Aktive aus christlichen Organisationen, von der Katholischen Arbeitenehmer: innenbewegung über den Orden der Steyler Missionare und universitäre Theolog: innen bis hin zur Fokularbewegung dabei. In dieser Bandbreite stellte die Reise sicher ein einmaliges Ereignis dar. Als Wiener Resurrektionist:innen hoffen wir dementsprechend, dass der Besuch des ITP der Auftakt zu einer produktiven Vernetzung zwischen christlichen und nicht-religiösen Linken ist, denn gerade das »messianische Erbe« einer linken politischen Theologie kann auch agnostischen oder atheistischen Linken helfen, politische Perspektiven für eine radikale Transformation der Gesellschaft zu entwickeln. Wir verstehen die Reise des ITP jedenfalls als Auftakt eines produktiven Austauschs – sowohl mit den Genoss:innen in Münster als auch mit Interessierten hierzulande.
Mehr Informationen und Kontaktdaten finden sich unter https://resurrektion.ablogs.at. Darüber hinaus ist der regelmäßig versendete Rundbrief des Instituts in Münster eine Empfehlung. Informationen dazu finden sich unter www.itpol.de.