Protest gegen das Jadar-Projekt in Beograd Juli 2024. Protest gegen das Jadar-Projekt in Beograd Juli 2024. Foto: Svetomir Nikolić
24 November

EU: Die seltsame Jagd nach Lithium

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Das Jadar-Projekt ist eine Initiative des Unternehmens Rio Tinto, die sich auf die Erkundung und den Abbau von Bodenschätzen in Serbien, insbesondere von Lithium, konzentriert. Dieses Projekt soll in der Nähe der Stadt Loznica im Jadar-Tal durchgeführt werden, wo eine der größten Lithiumreserven Europas vermutet wird.

Svetomir Nikolić zum Stand der Dinge.

Lithium ist ein entscheidender Rohstoff für die Herstellung von Batterien, insbesondere für Elektrofahrzeuge, und ist daher im Zusammenhang mit dem weltweiten Übergang zu nachhaltigen Energiequellen von großer Bedeutung. Das Jadar- Projekt hat angesichts der potenziellen ökologischen und sozialen Auswirkungen des Abbaus sowie der Folgen für die örtlichen Gemeinden erhebliche Aufmerksamkeit und Kontroversen hervorgerufen. Es wird insbesondere befürchtet, dass der Lithiumabbau zu Boden-, Wasser- und Luftverschmutzung führen könnte, was langfristige Folgen für das lokale Ökosystem und potenzielle Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung hätte. Viele Bewohner:innen dieses überwiegend ländlichen Gebiets in Serbien befürchten, dass das Projekt ihre Häuser, ihre landwirtschaftlichen Aktivitäten und ihre Lebensweise gefährden könnte. Es wird eine Zwangsumsiedlung und der Verlust von Land befürchtet. Die mangelnde Transparenz in Bezug auf dieses Projekt und die Pläne von Rio Tinto sowie die potenziellen Risiken haben zu Zweifeln an der Nachhaltigkeit des Jadar-Projekts geführt, insbesondere im Hinblick auf die Einhaltung der Umweltschutzauflagen.

Petition für ein Referendum im serbischen Parlament »verschwunden«

Darüber hinaus hat die anhaltende Vertrauenskrise der lokalen Bevölkerung gegenüber den serbischen Behörden, die das Jadar-Projekt unterstützen, zu einer Reihe von Protesten und Blockaden durch Umwelt- und politische Aktivist:innen in Loznica und anderen Städten Serbiens geführt. Eine gesetzliche Volksinitiative mit einer Petition für ein Referendum zu diesem Thema ist auf mysteriöse Weise im serbischen Parlament verschwunden, was nur eine der vielen Fragen darstellt, die vom herrschenden Regime nie beantwortet wurden (dies ist eine sehr häufige Situation für die »hybride Stabilokratie«[1] in Serbien). Die serbische Regierung verabschiedete taktisch eine Verordnung zur Aufgabe des Jadar-Projekts, aber nach einer Reihe von Kommunal- und Parlamentswahlen erklärte das serbische Verfassungsgericht zu einem sehr günstigen Zeitpunkt, dass diese Verordnung nicht mit der Verfassung vereinbar sei. Kurz darauf, während des Besuchs des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), erhielten die serbischen Behörden offene Unterstützung für die Wiederbelebung des Jadar-Projekts. Dies brachte die Mitglieder der so genannten Pro- EU-Opposition in Serbien in eine sehr unangenehme Lage, insbesondere die Partner der europäischen Grünen, da die serbischen Medien den unterstützenden Erklärungen für das Jadar-Projekt von Franziska Brantner, einer prominenten Vertreterin der deutschen Grünen, die zusammen mit Scholz nach Belgrad kam, große Aufmerksamkeit schenkten.

Neue Protestwelle fordert Moratorium

Es folgte eine neue Protestwelle mit erklärter Unterstützung der Oppositionsparteien, jedoch ohne deren direkte Beteiligung. Die Behörden reagierten auf die Proteste mit einer Reihe von Festnahmen, Inhaftierungen und massiven Einschüchterungen von lokalen und proökologischen Aktivist: innen, die in regierungsfreundlichen Medien als »Öko-Terroristen« dargestellt wurden. Danach wurde im serbischen Parlament auf Antrag der Opposition über ein Moratorium für die Lithiumexploration und den Bergbau diskutiert, was jedoch aufgrund des Kräfteverhältnisses und der Praxis der Parlamentsmehrheit, alle Vorschläge der Opposition abzulehnen, aussichtslos war. Im Moment scheint es, dass der Pro-EU-Opposition durch die Mehrheit der Partnerparteien aus der EU, auf deren Unterstützung und Hilfe sie angewiesen ist, die Hände gebunden sind, während die Aktivist:innen durch den Druck des Regimes in die Enge getrieben werden. Unterdessen bereiten die Behörden eine Reihe von Gesetzen vor, die die Kriminalisierung von Protesten, Blockaden und anderen Formen des zivilen Ungehorsams erheblich erleichtern werden.

Warum ist Lithium so notwendig?

Lassen wir diese dunkle Atmosphäre des serbischen politischen Sumpfes beiseite und kehren wir an den Anfang zurück. Warum ist Lithium so notwendig für die moderne Welt und die EU? In erster Linie, weil Lithium die Herstellung von Batterien ermöglicht, die eine größere Menge an Energie in einer relativ kompakten Form speichern können. Je höher die Energiedichte in der Batterie ist, desto größer ist die Reichweite, die ein Elektrofahrzeug mit einer einzigen Ladung erreichen kann. Solche Autos sind angeblich unverzichtbar, um herkömmliche Autos zu ersetzen und die weltweiten CO2-Emissionen zu verringern, die den Treibhauseffekt, die Erhöhung der globalen Temperaturen und den Klimawandel mit seinen zahlreichen negativen Folgen verursachen. Aber ist es überhaupt möglich, genügend Lithium zu produzieren, um alle Privatfahrzeuge durch Elektroautos zu ersetzen und so den Klimawandel wirtschaftliaufzuhalten?

Die weltweite Lithiumproduktion beläuft sich auf etwa 50.000 Tonnen reines Lithium pro Jahr. Wenn man davon ausgeht, dass 10 bis 15 Millionen Tonnen Lithium erforderlich wären, um alle Autos auf der Welt zu ersetzen, würde die derzeitige Jahresproduktion 200 bis 300 Jahre benötigen, um dieses Ziel zu erreichen, ohne dass die Kapazität erheblich gesteigert werden müsste. Bei einer Steigerung der Produktionskapazität um 20% pro Jahr (eine sehr ehrgeizige Schätzung) könnte das benötigte Lithium in etwa 40 bis 50 Jahren gewonnen werden, wenn die Produktion kontinuierlich gesteigert, neue Minen erschlossen und das gesamte in diesem Zeitraum bereits geförderte und verbrauchte Lithium kontinuierlich recycelt würde. Es steht außer Zweifel, dass diese Dynamik völlig unzureichend ist, um die Ziele des Pariser Abkommens zur globalen CO2-Emissionsreduktion zu erreichen. Dafür ist einfach keine Zeit.

Eine andere Perspektive ist, dass die CO2-Emissionen im Verkehrssektor allein durch ein gut organisiertes öffentliches Verkehrssystem deutlich schneller reduziert werden könnten als durch die Aufrechterhaltung des Individualverkehrs, auch ohne Umstellung auf erneuerbare Energiequellen. Das ist genau der Grund, warum das Konkurrenzrennen um Elektroautos und Lithium so merkwürdig erscheint.

»Greenwashing« und Jobverlust-Panik

Schauen wir uns diese Besessenheit von individuellen Elektrofahrzeugen und Lithiumabbau einmal genauer an: Die Verringerung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs wäre wahrscheinlich fast so groß wie die Gewinneinbußen der Hersteller von Privatfahrzeugen. Es ist vorstellbar, dass viele von ihnen unter diesen Umständen die Produktion von PKWs dauerhaft einstellen würden. Der Verlust von Arbeitsplätzen ist oft die erste Sorge, die mit der Einstellung der Massenproduktion in einer Branche verbunden ist, aber die Wahrheit ist, dass dieser Sektor seit Jahrzehnten aufgrund von Automatisierung und Robotisierung Arbeitsplätze verliert, und die Teilumstellung auf Elektrofahrzeuge durch einige Hersteller hat diesen Prozess nur beschleunigt. Unabhängig von den Krokodilstränen, die von Politiker: innen und Aktionär:innen vergossen werden, ist es schwer zu glauben, dass sie wirklich um das Schicksal der Arbeiter:innen besorgt sind, die aufgrund dieser Veränderungen ihren Job verlieren werden. Auf der anderen Seite verdeutlicht diese Situation das Wesen des »Greenwashings«, das als eine Art Fassade dient, hinter der das globale wirtschaftli che und politische System stur auf ein technologisches Wunder wartet, um sich zu retten. Genauso wenig wie das Recycling von Flaschendeckeln oder die Verwendung von Stoffbeuteln den Planeten retten wird, werden dies Elektrofahrzeuge und Lithium erreichen. Es ist Beschäftigungstherapie, während die Konzernherren dieser Welt darauf warten, dass die Wissenschaft zwei kritische Fragen in der gewünschten Weise beantwortet. Erstens: »Mit welcher anderen, gleichermaßen zugänglichen Ressource können wir fossile Brennstoffe ersetzen?« Zweitens: »Wie können wir effektiv und schnell CO2 aus der Atmosphäre entfernen?« Die Antworten der wissenschaftlichen Gemeinschaft auf diese Fragen lauten seit über 30 Jahren: »Es gibt keine solche Ressource« und »Wir können es nicht.« Ohne eine völlig andere Antwort auf diese beiden Fragen werden Umwälzungen im Verkehrssektor eines unserer kleineren Probleme sein.

Die Lithium-Illusion

In der Zwischenzeit beschleunigt sich der Klimawandel, und seine Folgen werden für alle Bewohner: innen dieses Planeten mehr als deutlich. Gleichzeitig werden Flaschenverschlüsse, Lithium und andere Greenwashing-Illusionen immer unglaubwürdiger. Diejenigen, die Risiken ausgesetzt sind und möglicherweise ihr Eigentum, ihr Leben und ihre Gesundheit opfern müssen (wie die Menschen im Jadar-Tal), damit ein wohlhabender EUBürger ein Elektroauto fahren und auf diese Weise angeblich »den Planeten« vor dem Klimawandel retten kann, können von der aktuellen Vorgangsweise kaum überzeugt werden. Dies erinnert unweigerlich an die bekannten kolonialen und neokolonialen Dynamiken, die überall auf der Welt zu beobachten sind. Doch selbst wenn Serbien alle möglichen EU-Umweltstandards beim Abbau von Lithium anwendet und eine Batteriefabrik für Elektroautos auf seinem eigenen Territorium errichten würde und mit der Produktion von PKWs beginnen würde (die einige wohlhabende serbische Einwohner:innen kaufen könnten): Das Projekt wäre immer noch falsch, weil wir immer noch jedes Jahr Dürren, Überschwemmungen, extreme Hitzewellen und alle anderen zahlreichen negativen Auswirkungen des Klimawandels befürchten müssten. Angesichts der Tatsache, dass die Balkanregion eine der anfälligsten für die Auswirkungen des Klimawandels in Europa ist, wäre es weitaus vorteilhafter, wenn die EU dabei helfen würde, die Widerstandsfähigkeit gegen die Auswirkungen des Klimawandels in dieser Region zu stärken, anstatt uns zu überreden, Lithium abzubauen. Wenn es etwas Schrecklicheres und Sinnloseres gibt als die koloniale Beziehung größerer und mächtigerer Länder zu kleineren und schwächeren, die die Natur und das soziale Gefüge der Gesellschaft zerstören, um durch die Ausnutzung des Machtgefälles große materielle Vorteile zu erlangen, dann ist es dieselbe verheerende koloniale Beziehung - ohne dass sie nennenswerte materielle Vorteile für die Mehrheit der Menschen mit sich bringt. Lithium ist weder das neue Gold noch das neue Öl und wird es auch nie sein, noch wird es die Welt vor dem Klimawandel retten, aber seine Ausbeutung wird in den Gebieten, die das Pech haben, in der Nähe seiner Vorkommen zu liegen, eine Menge irreparabler Schäden anrichten.

SVETOMIR NIKOLIĆ ist Linux-Spezialist mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Anwendung von Open-Source-Technologien in Unternehmen und KMUs, Permakultur-Praktiker und -Designer, Klimaaktivist und Koordinator des »Climate-Fresk« für Serbien, Mitglied der Politischen Plattform Solidarnost und Ratsmitglied in der Gemeindeversammlung von Rakovica in Belgrad.

[1] Anmerkung: Der montenegrinische Historiker Srđa Pavlović versteht unter dem Begriff »Stabilokratien" halb-autoritäre Regime am Balkan, die Stabilität und eine EU-Integration versprechen und daher von der Union gefördert werden. Zugleich verletzen solche Regime jedoch demokratische Prinzipien und untergraben den Rechtsstaat und die Pressefreiheit.

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