Anne Imhof, Maria 2002, Installationsansicht, Kunsthaus Bregenz, 2024 Anne Imhof, Maria 2002, Installationsansicht, Kunsthaus Bregenz, 2024 Foto: Markus Tretter
29 Juli

Zur Sprache der Kunstszene

von

In den letzten – von neoliberalen Wirtschaftsinteressen geprägten – Jahrzehnten hat sich die Sprache der Kunstszene signifikant verändert; sowohl was Ankündigungstexte als auch Kunsterklärungsversuche und kritische Stimmen betrifft.

Eindrücke von Eva Brenner.

Die Diskurse der Mainstream-Institutionen haben sich von ihrem Gegenstand, dem sogenannten Kunstprodukt, entfernt. Diese Distanz hat eine spürbare Entfremdung zwischen Produzierenden und Konsumierenden eingeleitet, die bisweilen so weit geht, dass ein für das breite Publikum nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen Signifikat und Signifikant, der verwendeten Sprache, nur marginal auszumachen ist. In dem Zwischenraum nisten sich Hypertrophie, Missverständnis, Verzerrung ein, die – in Dramaturgie-und PR-Stuben entworfen – Marketingstrategien für eine sogenannte bildungsnahe Klientel im Blick haben, wobei sich die Oberflächendiskurse u. a. der Sprache der Social Media verdanken.

Dennoch strömen die Massen in Museen, bevölkern populäre Festivals, und nimmt auch die bessere Gesellschaft bzw. jene, die sich dafür hält, weite Strecken in Kauf, um sich auf sommerlichen Theaterevents den Kameras der Seitenblicke-Gesellschaft zu zeigen; Publikumsgespräche und Weinverkostungen inklusive. Längst geht es weniger um Kunst als um Business – die berühmte Quote – und billiges Entertainment, an das die Sprache sich anzupassen hat. Der Konsument, die Konsumentin ist König bzw. Königin. Die Entfremdung von Sprache und Kunst gilt zu unterschiedlichen Graden für alle künstlerischen Branchen, von Theater über Oper und Konzert bis zu Ausstellungen und Performances, vom Boulevard bis zur Avantgarde. Letztere zeichnet sich in ihren PR-, Broschüren- und Katalogtexten durch besonders intellektualisierte Diskurse aus, die ihre Exklusivität gar nicht verbergen wollen. Es dominieren die Dynamiken des Marktes, der Standortpolitik und des Tourismus. Bespaßung statt Auseinandersetzung. Die oft beschworene »Begegnung« zwischen Produzierenden und Konsumierenden findet de facto nicht mehr statt, sie wird von smarten Kuratoren und Kuratorinnen kontrolliert, die ihre immer schrilleren Programmatiken mit leiser Hand zu lenken wissen, Quantität geht vor Qualität. Drei aktuelle Projekte belegen mit ihrer abgehobenen Kunstsprache ein Phänomen, das gegenwärtig die europäische sowie die anglo-amerikanische Kunstszene überwuchert: die affektierte Revolutionsrhetorik der Wiener Festwochen 2024, eine Großausstellung des Kunsthauses Bregenz und die wortgewaltige Programmankündigung des Steirischen Herbstes. Drei repräsentative Beispiele, die stellvertretend für die Loslösung sprachlicher Codes von allgemein verständlichen Inhalten stehen und prototypisch sind für die Marktgängigkeit neoliberaler Kunstpolitik, wo die Verpackung die angebotenen Inhalte verdrängt hat.

Genossin Sonne

Einen Höhepunkt verbalradikaler Attitüde erreichte das Festwochen-Marketing über die sintflutartige Pflasterung der Stadt mit pseudorevolutionären Slogans, Aufrufen zum Widerstand (wogegen, wofür?), die Broschüren, Spruchbänder und Plakate prägten, dessen Kalkül aufgegangen ist: mehr als 90 Prozent Auslastung laut Wiener Kulturstadträtin, ein Achtungserfolg für ambitionierte Programmgestalter*innen in wertekonservativer Umgebung. So schreibt der Neointendant Milo Rau mit Emphase: »Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt? Wien ist die Hauptstadt der Moderne, wir rufen nun eine zweite Moderne aus, gemeinsam mit hunderten Intellektuellen, Künstler:innen und Bürger:innen aus Wien, Österreich und der ganzen Welt.«

Mit 46 Produktionen aus Theater, Oper, Musik, Tanz, Performance und bildender Kunst sowie vier Eigen- und 14 Koproduktionen übertraf die bunte Vielfalt die Programme der letzten Jahre. Auszuloten galt es die Schnittstelle zwischen Kunst und Aktivismus, die ausgiebigst besprochen und beworben wurden, nichts Geringeres als umfassende »Revolutionen« in allen Bereichen des Mega- Events mussten es sein (die Volksstimme berichtete im Juni).

Es begann mit der Ausrufung der »Freien Republik Wien«, setzte sich fort mit einem »Rat der Republik «, der dem Festival eine zukünftige Verfassung verpassen sollte, und mit den »Wiener Prozessen« wurde ganz Österreich (Konzerne, Politik, Medien und nicht zuletzt die Kunst selbst) vor das Tribunal einer theatralen Einübung in Demokratie gezerrt. Die Gruppenausstellung Genossin Sonne setzte die Bewegungen der Astronomie zur Bezeichnung der Umdrehung der Himmelskörper in Dialog mit künstlerischen Arbeiten, die den Kosmos und insbesondere die Sonne als Energielieferantin für das Leben auf der Erde mit soziopolitischen Bewegungen in Verbindung brachte. Laut Aussendungen ging es dabei um die »Dezentrierung des Menschen als historisches Subjekt« und die Frage, inwieweit »nicht nur die materielle Umwelt auf der Erde, sondern auch der Kosmos an geschichtlicher Entwicklung Anteil hat. ... Wer sind die zentralen Akteur*innen der Geschichte? Was bewirkt und verändert ein Verständnis von Revolution, das den Menschen als primäre Kraft aus dem Fokus nimmt?

Angesichts so viel »Revolution« – eine Beobachterin sprach scherzend von »MCvolution« oder »Fastfood-Revolution« – ist die Frage angebracht, ob die angestrengte Flut rebellischer Signalsätze, die von Büchner über Marx, Che und Mao alle bekannten Kürzel bemühte, nicht eher das historische Verdienst der Zivilgesellschaft und reale sozial-politisch-künstlerische Transformationen nivelliert und banalisiert hatte.

Horror Patriae

Wesentlich theorielastiger, jedoch mit ähnlicher sprachlicher Akrobatik kündigt die Leiterin des Steirischen Herbstes 2024, die Russin Ekaterina Degot, ihr interdisziplinäres Programm an, das die Alltagskonvention verlässt, um einer selbstverliebten Avantgarde Bahn zu brechen. Die 57. Ausgabe des Traditionsfestivals trägt den signifikanten Titel Horror Patriae und meint damit den Scheideweg zwischen amor patriae, der Liebe zum Vaterland, und horror vacui, der Angst vor der Leere. Untersucht wird, warum »Heimat so etwas Schreckliches« ist: »Es herrscht ein riesiges Vakuum an universalistischem Denken, während der Internationalismus zuweilen als westliche ideologische Waffe verteufelt wird. Die Logik der Viktimisierung und Vergeltung überwiegt gegenüber einer kultur- und ethnienübergreifenden Solidarität, in der Narrative geteilt werden und eine gemeinsame Geschichte auf der Grundlage von universellen Menschenrechten, Konflikttoleranz und Zusammenleben gestrickt wird.« Eine Hauptausstellung erkundet den »paradoxen Kern konstruierter Gemeinschaften und untersucht, wie große imperiale Fantasien mit der volkstümlichen Fetischisierung der kleinen Heimat koexistieren.«

Mit dieser Sprache wird primär eine elitäre Klientel von kunstaffinen Insidern erreicht, die an die Diskurse avantgardistischer Tradition gewöhnt ist, sich an den schicken Zitationen heterogener Provenienz ergötzt und sich im Besitz höherer kultureller Wahrheiten wähnt. Hier wird kein Versuch unternommen, die allgemeine Verständlichkeit zu erhöhen, die kryptischen Textkonvolute kreisen um sich selbst, benennen kaum nachvollziehbare Inhalte und erreichen kein größeres Publikum. Das kann verschmerzt werden, solange der Förderrubel rollt und der internationale Festivalzirkel Einladungen für Gastspiele bereithält, in dem immer dieselben Gruppen und Produktionen international herumgereicht werden.

Postapokalypse

Last but not least sei die Großausstellung Wish You Were Gay des künstlerischen Shootingstars Anne Imhof aus Deutschland im Kunsthaus Bregenz erwähnt. Die Radikalkünstlerin gestaltete für die Biennale in Venedig 2017 den deutschen Pavillon und wurde für ihre Arbeit Faust mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Im Zentrum steht eine neue Werkgruppe, die zentrale Elemente von Imhofs künstlerischem Repertoire aufnimmt und weiterentwickelt. Gezeigt werden Flachreliefs, großformatige Ölgemälde und Skulpturen, aber auch Bühnenelemente und Industrieleuchten sowie neue Videoarbeiten. Dafür griff Imhof auf Archivmaterial aus ihrer Anfangszeit als Künstlerin in der subkulturellen Untergrundszene zurück. So liest man im Programmtext: »Vor dem Hintergrund einer postapokalyptischen Isolation erkundet (Imhof) Vorstellungen von Endlichkeit, von Realität und Künstlichkeit, Zufall und Schicksal, Abwesenheit und Präsenz.«

Anne Imhof holt diese Themen aus dem Underground auf die großen internationalen Kunstbühnen, inszeniert Endzeitstimmungen. Der ehemaligen Hausbesetzerin, Boxerin und Türsteherin in einem Techno-Club spricht man Street-Credibility zu, sie gilt zudem als Erneuerin der Performancekunst, als Zeremonienmeisterin des kollektiven Unbehagens. »Aus der harten Techno-Ästhetik dröhnt das ganz große Spektrum der verzagten Gefühle. Das brennende Drama der Gegenwart beinhaltet Isolation, Wut, Trauer, Lethargie, Angst, Außenseitertum. « ... »Die Apokalypse kann kommen «, attestierte der Schau Der Standard (8. 6. 2024).

Kursorisch lässt sich feststellen, dass politisch-kulturelle Transformation in aufständische Gestik und Sprache gerutscht ist und als Realitätsersatz im Sinne einer marktgängigen Propaganda fungiert, die sich aus der Mottenkiste vergangener Revolutionen und realer Sehnsüchte sowie Ängste eines verschreckten Publikums speist, das nach echter gesellschaftlicher Veränderung lechzt. Im Kontext des lautstarken Hypes bleibt in den Mainstream- Institutionen der Hoch- und Avantgarde- Kunst alles beim Alten, gesteigert haben sich allenfalls die Auslastungszahlen und die Verführbarkeit der Jugend mit Mitteln einer uneigentlichen Kunstsprache, mit der man sie in die Zukunft gezähmter Revolutionen zu führen gedenkt.

Apokalypse Revolution? Die gehypte Rhetorik der neuerdings praktizierten Kunstsprachen lässt die Mehrheit der Bevölkerung unberührt, sie adressiert eine elitäre Bildungsschicht, die – von emsigen Kulturbeamten verwaltet – die Eigentlichkeit der Kunst in Großevents verpulvert, ohne die Negativfolgen für demokratische Entwicklungen zu reflektieren. Dass nämlich – nach Antonio Gramsci – jede gesellschaftliche Transformation der Hegemonie von Kunst und Kultur bedarf; wo aber der Dialog zwischen Volk und Kunst/Kultur verfehlt oder gar nicht mehr angestrebt wird, droht der Verlust von Authentizität, Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

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