Nebelgranaten über der Balkanroute Foto: SOS Balkanroute
29 Juli

Nebelgranaten über der Balkanroute

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Die Volksstimme hat Petar Rosandić (39), einen Aktivisten der SOS Balkanroute, getroffen und ihn zu seiner Arbeit befragt. Das Gespräch führte Jonas Kraft.

Petar, du bist bei SOS Balkanroute beteiligt. Was macht ihr alles?

Seit 2019 organisieren wir einerseits Hilfsgüter, finanzieren andererseits lokale Hilfsnetzwerke.Und ich würde sagen, es gibt zwei wichtige Ebenenbei SOS Balkanroute. Das eine ist die humanitäre und die zweite ist die politische. Und zum politischengehört die politische Bekämpfung von diesen Zuständen, die entlang der EU-Außengrenze, wie zum Beispiel an der Grenze Bosnien-Kroatien herrschen. Und politisch gehört auch natürlich die mediale Bewusstseinsarbeit irgendwo dazu, wo wir eben auch aufzeigen konnten, was da passiert an Grenzgewalt, an Rassismus.

Die humanitäre Hilfe besteht hauptsächlich aus Gütern, nehme ich an?

So ist es. Lebensmittel z. B., die kaufen wir vor Ort ein. Und ansonsten natürlich warme Kleidung, Schuhe, Schlafsäcke, Stirnlampen, alles, was du im Wald sozusagen draußen brauchst, um durchzukommen. Und wir haben genaue Listen auch immer bei unseren Sammelaktionen, halten fest, was wir sammeln, wo wir die Leute informieren, was sie uns bringen sollen. Und das geht dann von Schuhen bis Hosen, von T-Shirts bis Jacken etc.

Wie verteilt ihr das?

Einen Großteil haben wir mobil versorgt, haben aber eine Zeit lang auch in Krisensituationen, z. B. wo das Camp Lipa abgebrannt ist im Dez. 2020, auch tagtäglich stationäre Verteilungen organisiert. Die Dynamik verändert sich immer wieder. Manchmal führen die Schmugglerrouten über Serbien, manchmal über Bosnien. In einem Moment sind fünftausend Leute im Grenzgebiet, in einem anderen ein paar hundert. Also das ist schwer vorherzusehen und hängt halt von so vielen Faktoren ab, wie sehr die Grenze bewacht wird, wie viele Pushbacks kursieren etc.

Was macht ihr noch außer materieller Hilfe?

Wir haben Rechtsberatungen finanziert, die unter anderem von einem Tageszentrum in Sarajevo gemacht wurden, wo wir vier Jahre lang die Miete finanziert haben. Und ansonsten wird auch psychotherapeutische Hilfe bezahlt. Und einige Fälle haben wir auch bis nach hier verfolgt, beziehungsweise hier dann auch mit Rechtsberatung, mit Anwälten, Finanzierung von Anwälten geholfen.

Das klingt bedeutsam.

Ja, ich denke es ist extrem wichtig, dass es Organisationen wie unsere gibt. Das hat sich auch bei diesem illegalen Gefängnis gezeigt, das wir gemeinsam mit dem bosnischen Menschenrechtsminister aufgedeckt haben, und das ja in Wien geplant wurde, in der Gonzagagasse 1 im ICMPD (Internationales Zentrum für Migrationspolitikentwicklung). Dann haben wir noch mal vor Gericht die Richtigkeit aller vorgelegten Fakten bewiesen. Was wichtig ist, es werden viele Nebelgranaten in Österreich geschmissen in punkto Balkanroute. Camps in Serbien seien zum Bersten voll und diese Menschen würden bald nach Österreich kommen. Diese Behauptung, ausgesprochen im Februar 2024, ist eigentlich seit Ende Oktober 2023 völlig unrichtig. Also in Serbien hat im Wahlkampf der Staatspräsident Vučić mit seiner Regierung die Camps komplett räumen lassen. Er hat mit dem Militär die Leute vertrieben, zuerst in den Süden des Landes, und daraufhin sind diese um die siebentausend Leute alle über Bosnien gezogen. Also alle haben den Weg über Bosnien genommen, weil sie über Serbien, Ungarn, Österreich nicht mehr konnten. Und die Route ist in diesem Moment, also aktuell seit Monaten, eigentlich tot. Hier werden völlig falsche Panikszenarien und Bedrohungsszenarien an die Wand gemalt und insofern ist es wichtig, immer wieder richtigzustellen und zu korrigieren. Wir wissen ja, dass eine Partei vor Jahren die Wahl auch zum Teil gewonnen hat, weil sie behauptet hat, sie hätte die Balkanroute geschlossen. Aber die Balkanroute zu schließen ist eine Illusion. Und letztendlich sind hunderttausende Menschen durchgekommen. Jeder und jede kommt früher oder später durch. Nur das, was die Menschen dort durchleben müssen, ist halt ein extremes Trauma wegen Polizeigewalt, Rassismus, Entrechtung, Entmenschlichung etc.

Dann vielleicht eine mehr persönliche Frage, wie bist du dazu gekommen?

Ich war in der Votivkirchenbewegung aktiv, im Refugee Protest Camp Vienna 2013, habe damals die Geflüchteten, die da protestiert haben, gegen die unmenschlichen Zustände in Traiskirchen unterstützt. Damals eher als musikalischer Teil der Bewegung. 2015 bin ich auch nach Röszke gefahren, also zur ungarisch-serbischen Grenze. Und 2019, als ich dann mit eigenen Augen gesehen habe, was sich auf der Balkanroute abspielt, nach der sogenannten Schließung, hat es mich dann so gepackt, dass ich eigentlich nicht mehr aufgehört habe zu sammeln, zu publizieren, zu informieren und an diesem Thema dranzubleiben.

Gibt es irgendwelche Erlebnisse, die du gehabt hast, die dich sehr beeindruckt oder bewegt haben?

Ja, sehr viele. Jedes Treffen mit Menschen in Not ist in gewisser Weise prägend. Und ja, es gab eine Situation, glaube ich 2020, wo mich ein Afghane mit oberösterreichischem Akzent anspricht und sagt, er hätte sich das zweite Mal auf den Weg gemacht. Insbesondere im Sommer 2021 haben wir sehr viele Menschen getroffen, die aus Österreich ausgewiesen wurden, über Slowenien, Kroatien bis nach Bosnien zurück. Dann so Leute zu sehen, die dir zeigen quasi, hey, ich war in Graz oder so und dann zu realisieren, dass diese Menschen jetzt da wieder in Bosnien im Elend sind, ist schon sehr heftig.

Was würdest du ändern, wenn du könntest?

In erster Linie wäre es schon mal gut, wenn man überhaupt den rechtsstaatlichen Status quo einhalten würde. Das heißt, Gesetze, die europäische Menschenrechtskonvention, all das, was eigentlich gilt, nur immer wieder in Frage gestellt wird oder auf der Balkanroute dann in der Praxis ja mit Füßen getreten wird. Auf jeden Fall wäre das Ganze geordneter und nicht sich in diesen hässlichen Bildern manifestierend. Ansonsten würde ich mir wünschen, dass Österreich, das eine dominante Rolle am Balkan, auch aus der Historie, aber auch aus wirtschaftlichen Interessen etc. hat, seine Verantwortung wahrnimmt. Es ist eigentlich kein Zufall, dass z. B. dieses unsägliche Camp Lipa zu zwei Dritteln aus österreichischen Steuergeldern finanziert wurde. 1,1 Millionen österreichische Steuergelder für ein Camp neben einem Minenfeld, isoliert, ohne Straße, 27 km im Umkreis keine soziale Infrastruktur, im Dschungel quasi. Und dann ist ja noch weniger ein Zufall, dass da gerade ein ÖVP-Ex-Vizekanzler (Michael Spindelegger, Direktor des ICMPD) ein illegales Gefängnis hat bauen lassen, was auch rechtskräftig mittlerweile bewiesen ist. Insofern würde ich mir wünschen, dass man statt so einer visionslosen, inhumanen Politik sich zumindest mit der progressiven Zivilgesellschaft am Balkan vereint und schaut, was man vor Ort, aber auch in puncto Verteilung von Geflüchteten im Rahmen der EU machen könnte, was für Allianzen man schließen könnte. Wir sehen und haben die letzten Jahre gesehen, wie die Menschen da verletzt zurückkommen, nach Serbien oder Ungarn zurückgeschoben werden, und wie sehr systematische Gewalt im Spiel ist in diesen Einsätzen. Und dann noch junge österreichische PolizistInnen dorthin zu entsenden, ist, denke ich, aus moralischer, aber auch aus polizeilicher Sicht höchst bedenklich. Die Zustände, die Österreich dort mitverursacht oder hauptsächlich sogar verursacht, werden wir wie einen Bumerang zurückbekommen, weil diese Polizisten ja dann irgendwann hier im Dienst sind und in irgendeiner Situation traumatisiert möglicherweise vollkommen rechtsfrei handeln.

Das stelle ich mir auch nicht einfach vor, wenn man von eurer Seite die ganze Zeit mit sowas konfrontiert ist. Das lastet auch ziemlich auf der Seele, nicht? Wie gehst du damit um?

Ja, natürlich, es lastet. Ich habe auch meine Zeit gebraucht und ich habe auch gesehen, wie viele Leute extrem verbraucht, fertig zurückkommen. Man muss, glaube ich, die Balance halten zwischen Empathie und Aktion. Etwas zu tun und andererseits auch sich damit abzufinden, nicht jeden und jede retten zu können und nicht alles verändern zu können. Aber wir haben es geschafft 2019, dass ein Camp geschlossen wurde. Wir haben 2020 Verantwortung für tausendfünfhundert Menschen mit dem Roten Kreuz übernommen nach dem Brand des Camps Lipa, wo alle internationalen Organisationen, die eigentlich subventioniert sind, abgezogen sind. Und wir haben eben ein illegales Gefängnis von einem ÖVP-Ex-Vizekanzler verhindert. Es gab auch zwei konkrete Gerichtsfälle zum Thema Pushbacks, die gewonnen wurden und wo ganz klar der Verwaltungsgerichtshof Pushbacks für illegal erklärt hat. Seitdem gibt es auch, muss man sagen, in dieser Form diese Pushbacks aus Österreich bis auf die Balkanroute nicht mehr. Und das war jetzt schon etwas. Also das sind schon Erfolge, wo man sagen kann, okay, es gibt ein Meer an Menschenrechtsverletzungen, aber wir haben in diesem Meer zumindest verhindert, dass es noch schlimmer wird.

Erfolge motivieren – wie können wir als Volksstimme- LeserInnen helfen? Was können wir beitragen?

Es gibt zwei Ebenen bei SOS Balkanroute, die uns eigentlich gleich wichtig sind und die zum gleichen Resultat führen. Eines sind Sachspenden. Wir organisieren jeden Herbst und Winter durchgehend Sachspenden-Sammelaktionen. Geldspenden sind enorm wichtig für uns, weil wir eben vollkommen spendenbasiert arbeiten, also nicht öffentlich subventioniert sind. Das ermöglicht politische Unabhängigkeit. Einerseits alles auszusprechen, wie es ist, und andererseits können wir ganz konkret helfen. Die Spende hat einen zweifachen Wert, den politischen und den humanitären.

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