Erfreuliche Nachrichten über die Situation im Sudan waren in den letzten Wochen auch in den großen Medien zu finden. Die seit August 2019 im Amt befindliche Übergangsregierung hat die Genitalverstümmelung und die öffentlichen Auspeitschungen verboten sowie das Apostasiegesetz, das vom Islam Abgefallene mit der Todesstrafe bedroht, abgeschafft. Wie es dazu gekommen und wie komplex und widersprüchlich der Sturz des Langzeitdiktators Umar al-Bashir verlaufen ist, darüber informiert das soeben erschienen Buch des Nahostkenners Thomas Schmidinger Sudan – Unvollendete Revolution in einem brüchigen Land.
Thomas Schmidinger ist mit Sudan – Unvollendete Revolution in einem brüchigen Land zweifellos ein Standardwerk gelungen. Das Buch informiert grundlegend über Geographie und Geschichte dieses an Sprachen, Ethnien und Kulturen so vielfältigen Landes. Das Hauptaugenmerk liegt auf der sozialen und politischen Entwicklung, über die der Autor kenntnisreich und der arabischen Sprache mächtig berichtet. Der Gegensatz zwischen den arabisierten und nicht arabisierten Bevölkerungsgruppen prägt seit der Unabhängigkeit im Jahre 1956 das Land. In wechselnden Koalitionen bekämpften sich die unterschiedlichsten bewaffneten Gruppen, wobei der Gegensatz zwischen dem Norden und dem Süden stets eine bedeutende Rolle spielte.
2011 spaltete sich der Südsudan ab und ist seit damals ein eigenständiges international anerkanntes Land. Im Gegensatz zum Norden ist der Südsudan bis heute von sich bekämpfenden Warlords (Kriegsfürsten) gezeichnet. Im Norden begannen im Dezember 2018 Proteste und Kämpfe gegen den diktatorisch herrschenden Machthaber Umar al-Bashir, der im April 2019 zum Rücktritt gezwungen und danach inhaftiert wurde. Die Protestbewegung musste allerdings auch verschiedene Rückschläge hinnehmen, vor allem das Massaker in einem Stadtteil der Hauptstadt Karthum im Juni 2019, hinter dem der damals starke Mann der provisorischen Übergangsregierung, Hemeti, stand, dessen blutjunge Söldnertruppe seit Monaten die Bevölkerung, allen voran die Frauen, drangsaliert. Streiks und nicht zuletzt Proteste der Frauen führten den Sudan wieder auf den Pfad der Revolution, wie zahlreiche Graffiti bezeugen. Ein neues Gremium, der Souveränitätsrat, wurde im August 2019 eingerichtet und stellte einen erneuten Kompromiss zwischen den Militärs und zivilen Kräften dar. Aktuell scheinen die linken, zivilen Kräfte erneut Punktesiege erringen zu können. Der Autor verweist auch auf die problematische Rolle ausländischer Interventionen, allen voran der USA, den konservativen und reaktionären arabischen Regimen und auch der Türkei, die unter Erdoğan zu einer regionalen imperialistischen Macht aufgestiegen ist.
Abschließend möchte ich auf zwei Lehren verwiesen, die ich der Lektüre dieses Buches entnehmen konnte: Wie unterschiedlich sich die verschiedenen Interpretationen des Islam auf die Lebenswirklichkeit der Menschen auswirken und wie dumm und ungebildet es ist, von dem Islam zu schwadronieren. Und wie schwierig und von Rückschlägen und Kompromissen gekennzeichnet revolutionäre Prozesse in der Realität tatsächlich sind. In diesem Sinne kann das Buch sowohl als Werk über den Sudan als auch als Reflexion revolutionärer Prozesse mit Gewinn gelesen werden.
Thomas Schmidinger: Sudan – Unvollendete Revolution in einem brüchigen Land; Bahoe books, 2020, 274 Seiten, 24,– Euro