Von Gabriele Michalitsch
Einem Heimatfilm gleich, dessen Kamera-Blick über die in der Weite verbläuenden Berge schweift, betrachtet das türkis-grüne Regierungsprogramm, geblendet von Schönheit, dies wunderbare Land: Österreich – im Herzen Europas, gerühmt für seine Kunst und Kultur, voll Fleiß und Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger. Zu all dem Wunderbaren, das Österreich ausmacht, zählen neben Verfassung, Rechtsstaat und Demokratie auch unsere Werte und Traditionen. All diese – ausschließlich – positiven Errungenschaften und Eigenschaften bilden letztlich unsere Identität – und machen »uns« einzigartig.
Das weiße »Wir« und die dunklen »Anderen«
Kein Wölkchen verdunkelt die heimische Idylle, kein Schatten dies glorreiche »Wir«. Sorgsam abgespalten, steht das Ausgeschlossene jedoch bedrohlich bereit, die Grenzen des kontrollierten Territoriums zu überschreiten. Umso mehr drängt es, »unser« mühevoll eingerichtetes Heim, dies vermeintlich ideale »Wir«, zu schützen und zu bewahren – und das Verdrängte abzuwehren, die »Anderen«, die all das sind, was »wir« angeblich keinesfalls sind.
Zuwanderung erfolgt daher entlang unseren Erfordernissen und nach von »uns« vorgegebenen klaren Spielregeln – und nicht etwa nach der internationalen Rechtsordnung samt Genfer Flüchtlingskonvention. Zu »unseren« Anforderungen zählen dabei nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache und das rasche Erlangen der Selbsterhaltungs fähigkeit, sondern auch die Akzeptanz unserer österreichischen Rechts- und Werteordnung, die vermeintlich ganz dem imaginierten Ideal entspricht und die Trennung von Religion und Staat, die Gleichstellung der Geschlechter und die Ablehnung jeder Form von Gewalt meint.
Politische Mythen der Gegenwart
Vergessen ist das 1934 ratifizierte Konkordat, das zwar nicht Kruzifixe in den Klassenzimmern, aber katholischen Religionsunterricht in staatlichen Schulen und katholisch-theologische Fakultäten an öffentlichen Universitäten festschreibt. Zugleich beruft sich das Regierungsprogramm mehrfach auf die zur heimeligen Einheit verklärte christlich-jüdische Tradition, die heimischen Antisemitismus, anti-jüdische Pogrome und nationalsozialistische Vernichtung zum Verschwinden bringt.
Negiert wird auch, dass Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen nach wie vor Männern untergeordnet sind, bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen, von bezahlter und unbezahlter Arbeit oder von zentralen Entscheidungspositionen. Ökonomische Unabhängigkeit, die etwa ermöglicht, ohne Armutsgefahr allein zu leben, bleibt Privileg weniger Frauen. Auch die kulturellen Stereotype von »starken Männern« und dem »schönen« oder – je nach Bedarf – »schwachen Geschlecht«, vom männlichen Helden und Eroberer (hetero-) sexualisierter Weiblichkeit erweisen sich als ungebrochen.
Verdrängt wird auch, dass fast ein Drittel der Frauen sexuelle Gewalt im Erwachsenenalter erfährt, etwa 80 Prozent der Männer und Frauen psychische Gewalt und rund 60 Prozent körperliche Gewalt (Gewalt-Prävalenzstudie der Universität Wien 2011). Rund drei Viertel erinnern körperliche und psychische Gewalt in der Kindheit, 28 Prozent der Frauen, 12 Prozent der Männer auch sexuelle Gewalt. Vor allem über die Familie als primärer Hort von Gewalt aber hüllt sich ein Mantel des Schweigens.
Post-Faktum
Gewalt, Patriarchat und Verflechtung von Staat und Religion gibt es offenbar nur bei den »Anderen«. Die Regierung kreiert damit neue politische Mythen, auf deren Grundlage sie nationale Gemeinschaft über ein alle Differenzen eliminierendes »Wir« herstellt und dieses zugleich ebenso homogenisier ten – unschwer als spezifische Migrant* innen erkennbaren – »Anderen« gegenüberstellt. Indem sie ganz und gar post-faktische Erzählungen über »uns« schafft, die »uns« als aufgeklärt, fortgeschritten und zivilisatorisch überlegen erscheinen lassen, die »Anderen« hingegen als rückständig und bedrohlich, avancieren diese »Anderen« zu Feinden, gegen die sich die »Volksgemeinschaft« wappnen müsse. Die Anerkennung zentraler gesellschaftlicher Problemlagen wird zugleich verweigert. So artikuliert sich kapitalistisches Patriarchat derzeit konkret in Österreich/diesem Regierungspro gramm. – Wie aber will eine Regierung Probleme lösen, die sie verleugnet?
Anm.: Die kursiv gesetzten Textstellen sind Originalzitate aus dem Koalitionsabkommen der Bundesregierung.