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23 März

Das Patriarchat rüstet zum Kampf

von

Von Gabriele Michalitsch

Waffenbrüder: Neoliberalismus, Militarisierung und Maskulinismus forcieren die Retraditionalisierung von Geschlechterverhältnissen.

»Ich bin seit 30 Jahren Soldat«, bekannte Bundeskanzler Karl Nehammer anlässlich des letztjährigen Nationalfeiertages. Wer den Kanzler bis dato eher für einen neoliberal-konservativen Berufspolitiker hielt, mag erstaunt aufgehorcht haben. Doch auch der französische Präsident Emmanuel Macron, deklarierter Neoliberaler, beschwor bei seinem letzten Besuch in Washington an der Seite des US-Präsidenten »Standhaftigkeit, Vertrauen, Stärke und Unerschrockenheit« der »Waffenbrüder«.

Die in diesen Bekenntnissen artikulierte Verbindung von Neoliberalismus und Militarismus ist keineswegs bloß dem Krieg in der Ukraine geschuldet. Neoliberalismus, aktuelle politische Orientierung am Freund-Feind-Dualismus und Militarisierung sind vielmehr in materieller, ideologischer und emotionaler Hinsicht eng ineinander verflochten – und scheinbar »nebenbei« forcieren sie die Retraditionalisierung von Geschlechterverhältnissen.

Materielle Spaltungen

Neoliberale Politiken von Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung führten, wie eine Vielzahl ökonomischer Indikatoren zeigt, zu sozialer Polarisierung und tiefen gesellschaftlichen Spaltungen. Die Reallöhne sanken in Österreich vor allem seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 beträchtlich, stagnierten dann weitgehend, ehe sie im Zuge der aktuell hohen Inflation erneut einbrachen. Dabei sank das unterste Viertel der Lohneinkommen jedoch weit stärker als das Medianein kommen. Das Viertel der höchsten und das der niedrigsten Einkommen klaffen immer weiter auseinander, die Spaltung der Erwerbstätigen verschärft sich. So bezogen die Vorstände der börsennotierten Unternehmen 2018 beispielsweise das 64fache des Medianeinkommens, 2003 war es »nur« das 24fache. Während sich die Einkommen der ATX-Vorstände in diesem Zeitraum um 266 % erhöhten, lag der Anstieg der Medianeinkommen bei etwa 34 %. Die Lohnquote, die den Anteil der Löhne am Volkseinkommen ausdrückt, zeigt zudem, wie sich die Asymmetrie von Arbeit und Kapital in den letzten Jahrzehnten verstärkte. Entfielen in Österreich Mitte der 1970er Jahre noch rund 78 % des Volkseinkommens auf Löhne, so waren es zuletzt deutlich weniger als 70 %. Auch die im internationalen Vergleich besonders ausgeprägte Ungleichheit der Vermögen verstärkt sich. Die Hälfte der österreichischen Bevölkerung verfügt über kein nennenswertes Vermögen, während mehr als 50 Prozent aller Vermögen in den Händen der reichsten zehn Prozent liegen. Entsprechend konzentrieren sich auch Vermögenseinkommen wie Zinserträge, Mieteinnahmen, oder Gewinnausschüttungen aus Unternehmen auf einige Wenige. Damit vertieft sich nicht nur die Kluft zwischen dem wachsenden Reichtum Weniger und der zunehmenden Armut Vieler mehr und mehr, auch die alltägliche Unsicherheit der Existenz nimmt zu, vor allem als Folge von Sozialabbau und Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen. So gaben bei einer Eurobarometer-Umfrage 2022 50 Prozent der Befragten Unsicherheit, knapp 30 Prozent Hilflosigkeit und Angst und ein Viertel Frustration als dominante Gefühlslage an.

Ideologische Imperative

Diskurse von Freiheit und Wahl, von Konkurrenz und Leistung legitimieren solch wachsende materielle soziale Spaltung und anti-demokratische gesellschaftliche Hierarchisierung. Als Konkurrenzverhältnisse definiert, lösen sie nach und nach soziale Beziehungen, die Gemeinsamkeit der Individuen besteht dann primär im Kampf aller gegen alle. Von den Einzelnen wird folglich Wettbewerbsfähigkeit, gepaart mit Selbstverantwortung und Unternehmergeist gefordert. Die eigene Verwertbarkeit

setzt dabei nicht nur möglichst optimale Anpassung an Kapitalbedingungen, sondern auch Aggressivität in Form von Durchsetzungsfähigkeit voraus. Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen und Solidarität mit anderen schließt sie geradezu selbstverständlich aus. Im Gegenteil, mutiert die Marktförmigkeit des Subjekts zur Existenzfrage, fördert dies, dem Psychoanalytiker Klaus Ottomeyer folgend, systematisch »sadistische Formen der eigenen Angstbewältigung und Befriedigung«. Denndie Wahrnehmung größerer Leistungsfähigkeit anderer löst den Impuls aus, diese zur Verbesserung eigener Marktchancen auszuschalten. Leid und Niedergang der anderen verheißen denn eine »optimierte« Marktposition und eigene Stärke. So wird Empathielosigkeit zum Imperativ. Dabei wird aber nicht nur der Schmerz der anderen ausgeblendet, sondern auch der eigene Schmerz verdrängt. »Palliativgesellschaft« nennt der deutsch-koreanische Philosoph Byung Chul Han diese auf Verleugnung des Schmerzes gerichtete soziale Konstellation. Gesellschaftliche Marginalisierung und Exklusion mutieren schließlich zu persönlichem Versagen. Wer sich der allgemeinen Selbst-Vermarktung nicht einzupassen vermag, schließlich auch auf dem Kampffeld des Konsums nicht mithalten kann, ist dennnicht nur zu Recht arm, sondern auch schwach und minderwertig. Als Zeichen der Unterlegenheit wird Armut dann mit Scham besetzt, tabuisiert, versteckt, sonst schwindet auch die allerletzte Chance im Wettbewerb.

Emotionale Nöte

Da Wettbewerb aber per definitionem nur wenige »Sieger« kennt, materielle Enge Druck und Stress erzeugt, mehren sich Frustration und Aggression, die sich an Objekte der Projektion heften. Rechte Führer bieten solch angestauten destruktiven Affekten Ventile: die sozial Schwächeren, stets abgewerteten »Anderen«, die – auf der Suche nach emotionaler Entlastung – rasch zu »Feinden« mutieren. In seltener europäischer Einigkeit kreiert der zum Mainstream avancierte »rechtspopulistische« Diskurs ein homogenes, kulturell überlegenes »Wir« und ebenso entdifferenzierte rückständige wie gefährliche »Andere«, die es erlauben, sich scheinbar ganz zu Recht zu erheben und die eigene Überlegenheit zu beschwören – zumal im Wir-Gefühl der nationalen Gemeinschaft –, die nicht nur den vor Krieg und ökologisch-ökonomischer Zerstörung Schutz Suchenden, sondern auch den »Feinden derDemokratie« in den »Autokratien des Ostens « entgegengehalten wird.

»Beschützer« der »eigenen« Frauen

Dabei gilt es, das »Eigene«, zu dem freilichauch die »eigenen« Frauen zählen, vor »bedrohlichen Eindringlingen« zu »schützen«.Während Neoliberalismus Gleichstellung der vermeintlich längst emanzipierten einzelnenFrau überlässt, die ohnehin »Karrierefrau« sein könne, wenn sie nur wolle, und so Feminismus für überflüssig erklärt, impliziert der Rekurs auf Heimat und Tradition nun eine offensiv eingeforderte Retraditionalisierung von Geschlechterverhältnissen mit dem expliziten Anspruch der »natürlichen« Überlegenheit des männlichen »Beschützers«.

Rückkehr der Helden

Umgeben von Feinden braucht es stets kampfbereite »Männer der Tat«, die »die Anderen« mit heroischer Härte in ihre Schranken weisen – hinter elektrifizierte Zäune, mit Stacheldraht beschlagene Mauern, an die Grenzen eines Territoriums, um schließlich zu markieren, wer die Herren sind. Damit aber kehrt auch der bewaffnete Kämpfer als Inbegriff des Helden auf das Schlachtfeld zurück, während Frauen im »trauten Heim« Schutz suchen mögen.

Die Waffen wieder!

Einmal mehr steigen auch heuer die weltweiten Rüstungsausgaben. Die Militärbudgets der europäischen NATO-Länder erhöhten sich von 236 Milliarden Dollar 2015 auf 375 Milliarden 2023. Nicht nur Deutschland strebt mit hundert zusätzlichen Milliarden für die Bundeswehr wieder nach militärischer Größe, auch im formal »immerwährend neutralen«, de facto jedoch der NATO zuzurechnenden Österreich wird aufgerüstet. Das Militärbudget stieg 2023 um 680 Millionen Euro auf 3,3 Milliarden. Für die kommenden Jahre sind, legistisch durch ein eigenes Finanzierungsgesetz abgesichert, kontinuierlich weitere Erhöhungen geplant, sodass die Militärausgaben ab 2027 zumindest 1,5 Prozent des BIP betragen werden. Dabei erreicht die Zustimmung zum Bundesheer aktuell lichte Höhen. 63 Prozent der Befragten (+ 8 Prozentpunkte gegenüber 2021) sprechen sich in einer aktuellen Umfrage für die Ausweitung der Heeresausgaben aus, 56 Prozent (+ 13 Prozentpunkte gegenüber 2021) – und damit erstmals eine Mehrheit – sogar für eine Erhöhung der Zahl der Soldat*innen.

EU-Militarisierung

Gleichzeitig schreitet die Militarisierung der Europäischen Union rasant voran. Seit 2017 nimmt Österreich bereits an der von 25 EUStaaten begründeten »Permanent Structured Cooperation« (PESCO) teil, die ihre Mitglieder zu regelmäßigen Erhöhungen ihrer Militärbudgets, zu schrittweiser Aufrüstung, wachsenden Ausgaben für militärische Forschung und zur Partizipation an EU-Battlegroups verpflichtet. Doch Österreich trägt auch über diverse EU-Finanztöpfe, deren Anzahl sich in den letzten Jahren beträchtlich erweitert hat, zur Aufrüstung bei. Während die »Europäische Friedensfazilität « etwa der Finanzierung von EU-Militäreinsätzen und der Ausrüstung »befreundeter Akteure « dient, trat, als Mittel der Industriepolitik deklariert, 2023 eine Verordnung zur Förderung der Munitionsproduktion in Kraft, diese soll demnächst um eine »Verteidigungsinvestitionsstrategie « ergänzt werden.

Regierungsrationalität

Ein solches für den militärisch-industriellen Komplex überaus lukratives EU-Militarisierungsprojekt bedarf einer Regierungsrationalität, in der sich – vorzugsweise rassistisch aufgeladene – Feindbilder, Anti-Feminismus und Maskulinismus verbinden, um soziale Ungleichheit, verbreitete Prekarität und ökonomische Konfliktkonstellationen zu verdecken und einen angesichts der Klimakrise mehr denn je fragwürdig gewordenen Kapitalismus zu stützen. Mit ihr aber rüstet das »schützende « Patriarchat zum Kampf.

GABRIELE MICHALITSCH ist Politikwissenschafterin und Ökonomin und lehrt an den Universitäten Wien und Klagenfurt. Sie hatte Professuren u.a. in Peking, Budapest und Istanbul inne. 2002-05 war sie Vorsitzende der Expert*innengruppe des Europarats zu Gender Budgeting. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Politischer Ökonomie, politischer Theorien und feministischer Ökonomik.

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