FRANZ BRAUN 2022 FRANZ BRAUN 2022

Wettern gegen den Kunstbetrieb

von

Kunstproduktion als politisches Handeln, freier Zugang zu Kunstproduktion als Teil einer demokratischen Gesellschaft und die kunstpolitische Positionierung von Künstler:innen als wesentlicher Beitrag zur Emanzipation von marktwirtschaftlichen Interessen – ein Plädoyer von Franz Braun

So wie ich mir Kunst vorstelle, ist sie kein Geschäft. Ich stelle mir Kunst als gesellschaftliches, demokratisches Erlebnis vor, ohne Einfluss marktwirtschaftlicher Interessen, in dem die künstlerische Arbeit aller allen zur Verfügung steht. Als selbstverständlicher, allgegenwärtiger Austausch von Ein- und Ausdrücken persönlicher Kreativkraft. Ich stelle mir eine Gesellschaft vor, in der ideeller und materieller Zugang zur Kunstproduktion allen offen steht.

Ich habe Malerei studiert und arbeite als freischaffender Künstler. Den Galeriebetrieb sehe ich im Widerspruch zur künstlerischen Intention. Kunstwerke will ich nicht als Ware verstanden wissen. Dass sie zum Verkauf stehen, geht nur an, weil wir Künstler:innen darauf angewiesen sind, unsere Existenz innerhalb dieser Gesellschaft materiell abzusichern, um weiter das machen zu können, was uns glücklich macht. Meine Arbeitsweise ist sehr zeitintensiv. Ich produziere vielleicht fünf Bilder im Jahr. Sagen wir, ich verkaufe alle meine Bilder und bekomme im Schnitt 2.500 Euro pro Bild. Das wäre gerade genug, denn abgesehen von der Miete für den Atelierplatz halten sich meine Produktionskosten in Grenzen. Sagen wir, dieselben Arbeiten werden über eine Galerie verkauft. Dann muss sich der Verkaufspreis mehr als verdoppeln, weil die Galerie als Vermittlungsprovision die Hälfte vom Verkaufspreis bekommt, nach Abzug der Steuer und vielleicht einem Rabatt für Stammkund:innen. Der doppelte Preis reduziert die Verkaufschance. Deshalb erhöhe ich den Preis um nur etwa die Hälfte, verdiene dann bei einem Verkauf aber zu wenig. Im Hoffen auf uns versprochene Zeiten des Erfolgs sehen wir uns Künstler:innen auf der Verkaufsplattform Galerie mit der Entscheidung konfrontiert, entweder nicht zu verdienen oder zu wenig zu verdienen. Berechtigterweise erkennen Galerien die Gefahr, dass ihre Kund:innen nach einer Ausstellung direkt bei den Künstler:innen kaufen könnten, wenn sie ihre Arbeiten privat unter dem Galeriepreis anbieten. Deshalb verlangen Galerien oft auch dann eine Vermittlungsprovision, wenn gar nicht durch sie vermittelt wurde. Im Wissen über die prekäre Lebenssituation vieler Künstler:innen nutzen Galerien deren systembedingte Abhängigkeit vom Galeriebetrieb als Hebel, zugunsten ihrer Profitinteressen die künstlerische Produktion in kommerzielle Vermarktungsmechanismen zu zwingen.

Gesellschaftskritik vs. Kommerz

Als Vermittler zwischen Produktion und Markt nimmt der Galeriebetrieb Einfluss auf Nachfrage und Angebot, sagt den Künstler:innen, was sie produzieren und den Käufer:innen, was sie kaufen sollen. Er ist bemüht, den Eindruck zu vermitteln, er sei unentbehrlich. Als gäbe es ohne ihn keinerlei Berührungen zwischen Kunstinteressierten und Künstler:innen, obwohl gerade die Galerien von diesem Nichtkontakt profitieren und ihn aufrechterhalten und den Konsum von Kunst einer zahlungskräftigen Elite vorbehalten. Ich will den Galerist:innen keine Böswilligkeit unterstellen. In einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung spielen sie aber zwangsläufig diese Rolle. Immer wieder sehe ich mich mit Ratschlägen konfrontiert, was die Verkaufsfähigkeit meiner Motive betrifft. Wenn ich schon Portraits male, müssen unbedingt auch Gegenstände in den Bildern vorkommen, aber keinesfalls auch noch der Name der portraitierten Person. Oder: Selbstportraits kauft doch niemand. Und: Vielleicht noch eine Landschaftsmalerei. Klar, das ist alles Blödsinn. Ich habe schon die unterschiedlichsten Bilder verkauft und kann nicht erkennen, welche besser gehen. Es wird aber trotzdem direkt oder indirekt von mir verlangt, andere Bilder zu malen oder sie zumindest an den Geschmack der jeweiligen Kundschaft dieser und jener Galerie anzupassen. Darüber denkt man dann auch nach, es stört den kreativen Fluss und es braucht unnötig Energie, diese Worte wieder aus dem Kopf zu bekommen. Ginge ich auf diese Ratschläge ein, produzierte ich dann nicht eher teure Interieur Accessoires statt Kunst, weil ich mich vorrangig nicht mit kreativen, sondern mit kommerziellen Prozessen auseinandersetze? Wenn teure Interieur Accessoires zur Kunst gehören, dann ist sie aber durch kommerzielle Prozesse wesentlich in ihrer Fähigkeit zur Gesellschaftskritik eingeschränkt.

Künstlerische Arbeit als gesellschaftliches Eigentum

Die Emanzipierung der Kunst und der Künstler:innen hat ihre Trennung vom Markt zur Voraussetzung. Den ideellen Wert künstlerischer Arbeit betrachte ich als gesellschaftliches Eigentum. Aus bereits genannten Gründen der Existenzsicherung ist ihr materieller Wert bis zum Zeitpunkt des Verkaufs das Eigentum der Künstler:innen. Wir produzieren doch aber weder aus kommerziellem Interesse, noch um zuhause schöne Bilder hängen zu haben. Wir produzieren für die Öffentlichkeit, mit dem Ziel eines ideellen, gesellschaftlichen Gebrauchswerts. Gerne hätte ich, Kunstinstitutionen würden unsere Kunstwerke kaufen und sie für alle zugänglich aufbewahren und zeigen. Noch lieber wäre es mir, wir wüssten unsere menschenwürdige Existenz abgesichert, dann könnten wir unsere Arbeiten auch so zur Verfügung stellen. Der Umgang mit den Gemälden müsste dann aber in jedem Fall mit uns Künstler:innen abgeklärt werden, um sicherzugehen, dass nichts mit ihnen geschieht, das der künstlerischen Intention zuwiderläuft. Ist Kunst frei konsumierbar (gratis öffentliche Museen, Galerien und Artotheken) und ihre Produktion gemeinschaftlich abgesichert durch öffentliche Finanzierung (Grundeinkommen), dann funktioniert sie, unabhängig von kommerziellem Interesse, als gesellschaftliches Kommunikationsmittel, kollektive Reflexion und als Bildungsbaustein. Die dafür notwendigen Umwälzungen beschränken sich nicht auf den Kunstbetrieb, sondern betreffen das ganze Gesellschaftsmodell. Es wird schwer möglich sein, uns als Künstler:innen alternativlos dem Markt zu entziehen. Stattdessen müssen wir Modelle schaffen, in denen wir möglichst unabhängig arbeiten können und zumindest selbst entscheiden, wie die Vermarktung unserer Kreativkraft aussieht.

Seit 2015 bringe ich in Wien gemeinsam mit anderen Künstler:innen das gratis Faltblatt Pirol mit Inhalten aus der bildenden Kunst und Literatur heraus. In der Regel bietet das Magazin zwei Mal im Jahr Künstler:innen, aus unserem, sich eben durch diese Publikationen ständig erweiterndem Umfeld, die Möglichkeit, ihre Positionen zu veröffentlichen. Nach einigen Ausgaben begannen wir auch mit der Organisation von gemeinschaftlichen Ausstellungen. Heute steht die Gründung eines gemeinnützigen Vereins an, der sich mit den sozialen und politischen Aspekten von Kunst auseinandersetzt und eine gemeinschaftliche, solidarische Kunst praxis fördert1. Weil wir die Präsentation unserer Kunstwerke als wichtigen Teil der künstlerischen Arbeit verstehen, überlassen wir sie nicht kommerziellen Betrieben, die nicht an der Produktion beteiligt sind, sondern setzen uns als Künstler:innen damit auseinander. Weil so ein Verein nicht gewinnorientiert funktioniert, bietet er gemeinschaftliche Strukturen, die nicht nur das Kollektiv, sondern auch jede:n einzelne:n Künstler:in stützen, ohne den Zwang der kapitalistischen Marktwirtschaft einen Gewinn zu erzielen. Erwirtschaftetes Plus kommt den Künstler:innen zu Gute. Entstehen genug von diesen kleinen Kollektiven, wachsen sie und beginnen sich untereinander zu vernetzen, sprich, organisieren sich die Künstler:in nen, erhöht sich durch kunstbetriebliche Aktivitäten abseits des Marktes der Druck auf kommerzielle Marktmechanismen.

Ich fände es gerecht, wenn Galerien den Künstler:innen, ganz unabhängig vom Verkauf, ein Ausstellungshonorar bezahlen, wie es etwa die IG Bildende Kunst fordert2. Gibt eine Ausstellung doch Anlass, durch Vernissagen und andere mit der Ausstellung verbundene Veranstaltungen, Stamm- und neue Kundschaft in ihre Räumlichkeiten einzuladen, um auch Kunstwerke aus ihrem Bestand zu verkaufen. Außerdem vertritt sie auch andere Künstler:innen und ist nicht allein von einer Ausstellung abhängig, Künstler:innen oft aber schon. Darüber hinaus bedeutet jede Ausstellung einen gewissen Aufwand und birgt das Risiko einer Beschädigung der Kunstwerke, sei es durch den Transport oder auch durch unsanfte Berührungen, zum Beispiel während des Verpackens. Faire Bezahlung und damit bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu fordern und weil wir sie nicht bekommen, permanent nach Förder- und Preisgeldern haschen zu müssen, hält uns von der Arbeit ab.

Auch wenn es wichtig ist, zu versuchen, unsere momentane Situation zu verbessern, indem wir um unsere gerechte Entlohnung als Künstler:innen und damit unsere Stellung innerhalb dieser Gesellschaft ringen, bleibt der Wert der Kunst weiterhin vom Markt und der unserer Arbeit von Zahlen abhängig. Kreative Arbeit muss anders gedacht werden, beziehungsweise so, wie sie ist und nicht wie sie das System haben will. Umgekehrt muss ein System gedacht werden, das kreativer Arbeit den nötigen Raum lässt und Kreativkraft als menschliches Potenzial und dessen Ausdruck als menschliches Bedürfnis versteht. Luxus kann die Produktion und Konsumation von Kunst nur in einer Gesellschaft mit stark ungleichen ökonomischen Verhältnissen sein, in der alles und jede:r zur Ware gemacht wird. Der Zugänglichkeit jener entzogen, die um ihre materielle Absicherung kämpfen, dient Kunst auf der anderen Seite den elitären Schichten, ihre gesellschaftliche Position zu festigen. Manche Kunst wird zu diesem Zweck korrumpiert, andere gerade dafür produziert.

Kunstproduktion ist politisch …

… gewollt oder nicht. Der Umgang mit Inhalten, dem Material und der Ästhetik beschränkt sich nicht auf das Kunstwerk als Produkt. Die Kunstproduktion endet nicht mit seiner Fertigstellung. Das Kunstwerk verhält sich zur Gesellschaft in Kontexten. Als Künstler:innen müssen wir uns die politische Kraft unserer Arbeit vergegenwärtigen und sie bewusst einsetzen, sonst tun es andere, entgegen unserer Intention. Wir müssen verstehen, dass unsere politische Kraft Einfluss auf die Gesellschaft hat, in der wir leben und die durch unsere Arbeit mitgestaltet wird, was durch die Kommerzialisierung der Kunst und ihre Einordnung in kapitalistische Marktprinzipien untergraben wird.

Weil das aber ein systemisches Problem ist, das alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft, kommt uns die Verantwortung zu, durch unsere künstlerische Praxis politisch aktiv an einem gesellschaftlichen Systemwandel zu arbeiten, der letztlich emanzipatorische Auswirkungen auf unsere künstlerische Praxis haben wird.

Für das gemeinschaftliche Leben bedeutet jede kreative Auseinandersetzung Bereicherung. Sie bereichert unser Nachdenken, die Art, wie wir reflektieren, über uns selbst und andere. Sie fördert Empathie und innovative Lösungsstrategien. Sie erhöht unsere Zufriedenheit, weil wir uns durch den kreativen Prozess aus drücken können und lernen. Wir treten dadurch in Kontakt mit der Außenwelt, in Kommunikation und Relation und lernen, durch die Materialisierung unserer manchmal chaotischen Emotionen und Gedanken, genau diese zu konkretisieren, was sich positiv auf unser Selbstwertgefühl auswirkt.

Wenn alle Menschen den ideellen und materiellen Zugang zur Kunstproduktion haben, jede Hierarchie aus dem Kunstgeschehen abgebaut ist und unabhängig von Ausbildung, Lebenslauf, Prestige oder familiärem Hintergrund, die künstlerische Arbeit aller allen zur Verfügung steht, also ein selbstverständlicher, allgegenwärtiger Austausch von persönlichen Ein- und Ausdrücken stattfindet und das alles ohne Einfluss marktwirtschaftlicher Prinzipien, dann sind wir nicht mehr von einer Elite abhängig, die uns sagt, was Kunst ist und wie sie zu sein hat, sondern bestimmen es selbst, jede:r für sich, gemeinschaftlich: Unser gesellschaftlich-demokratisches Kunsterlebnis.

1 multi pull – Verein zur Förderung einer gemeinschaftlichen Kunstpraxis wurde 2022 von kreativ, sozial und politisch aktiven Menschen gegründet. multi pull widmet sich der Förderung einer gemeinschaftlichen Kunstpraxis. Voraussetzung dafür ist das individuelle Tun und seine Erweiterung in einen gesellschaftspolitischen Kontext. Angesichts des Spannungsverhältnisses von kapitalistischen Marktinteressen, der Exklusivität der Kunstbranche und dem erschwerten Zugang zu künstlerischer Produktion für Menschen mit geringen finanziellen Mitteln setzt multi pull die Selbstorganisation und gegenseitige Unterstützung der Akteur:innen in den Mittelpunkt der Aktivitäten. Durch Vermittlungsformate wie Ausstellungen und Publikationen und durch das Zustandekommenlassen von selbstverwalteten Räumen sollen Alternativen zum kommerziellen Galerie- und Kunstbetrieb gefördert, sichtbar gemacht und entwickelt werden. Dem exklusiven Verständnis von Kunst wird die Frage und gleichzeitige Forderung nach einem demokratischen Kunstgeschehen entgegengesetzt. https://multipull.cargo.site

2 IG Bildende Kunst und Tiroler Künstler:innenschaft (Hrsg.) (2008): Leitfaden für faire Bezahlung in der bildenden Kunst. Empfehlungen für Basissätze in der selbstständigen Arbeit. http://igbildendekunst.at

Erstmals erschienen im UND - Heft für Alternativen, Widersprüche und Konkretes, Ausgabe 12 2022. Danke, Jasmin, Charlotte, Claudia und Walter.

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Gelesen 1258 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 14 Dezember 2022 14:55

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