DISTRIBUTION: Ohne Netz

von

Überlegungen zum Kunstmarkt und einer Alternative von FRANZ BRAUN.

Ich studierte vier oder fünf Jahre Malerei und hatte mir vorgestellt, dort – an der Kunstuni – endlich Leute zu treffen, die eine ähnliche Gedankenwelt mit mir teilen, die ähnliche Ziele, Anschauungen und ein ähnliches Kunstverständnis haben. Ich musste erkennen, dass ich unter den am Rand der öffentlichen Aufmerksamkeit stehenden Kunstschaffenden (denn – ernsthaft – wer interessiert sich schon für Kunst) Teil einer Minderheit war und bin, jedenfalls was das Verständnis von Kunst betrifft. Das ist so, glaube ich, weil aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Zugehörigkeiten jeweils andere Dringlichkeiten von gesellschaftsrelevanter Kunst beziehungsweise gesellschaftsgestalterischer Kraft von Kunst resultieren. Man könnte auch von unterschiedlicher Klassenzugehörigkeit sprechen.

Vom Privileg, Kunst zu studieren

Kunststudierende leben nicht alle unter prekären Verhältnissen. Ich glaube, es ist sogar eher umgekehrt. Jene, die Kunst studieren, kommen in der Mehrheit aus wohlhabenden Familien. Diese haben tendenziell auch einen höheren Bildungsstandard. Aus diesen beiden Faktoren, finanzielle Sorgenlosigkeit und höherer Bildungsstandard, entspringt erst die Option Kunst zu studieren. Junge Menschen aus einer finanziell schwachen Schicht haben es schon schwer genug, sich zur Entscheidung durchzuringen, überhaupt zu studieren. Hier liegt, meiner Auffassung nach, unglaublich großes künstlerisch-gesellschaftliches Potenzial brach.

Wenn man es aber doch aus finanziell schwierigen Verhältnissen heraus an die (Kunst-)Uni schafft, dann ist es nicht gesagt, dass man institutionelle und kollegiale Anerkennung erfährt und obendrein noch finanziellen Erfolg verbuchen kann. Und da reden wir darüber, die Grundkosten decken zu können. Ohne Integritätsverlust, also ohne sich anzubiedern, haben am Kunstmarkt nur jene Aussicht auf Erfolg, die schon Kontakt zu ihm hatten, bevor sie Kunst produzierten. Das heißt, dass die Kunst in ihrem Alltag bereits einen gewissen Stellenwert gehabt hatte.

Erstrebenswerter Erfolg am Kunstmarkt?

Eine Frage wird viel zu selten gestellt: Ist es als Künstlerin oder Künstler überhaupt erstrebenswert, Erfolg am Kunstmarkt zu haben? Er bringt eine bestimmte Art und Weise, mit Kunst umzugehen, begründet durch geschichtlich etablierte Konventionen, die un- oder überreflektiert bis hin zum Ritual wiederholt werden, institutionell abgesegnet sind und die Kunstwerke zur Staffage für diesen Ritus verkommen lässt. Den Kunstwerken wird dadurch ihr Kunstcharakter entzogen. Das ist für mich der Kunstmarkt. Aber so erleben viele die Kunst. Und es wird ihnen gesagt, so muss man sie erleben. Etikettiert.

Wenn man Kunst so begreift, dass sie dem Etablierten entgegentritt, also die Konventionen hinterfragt und die gewohnten Wertvorstellungen zu sprengen versucht, ohne (!) institutionelle Rückendeckung, dann kann sie kein Teil des Kunstmarktes sein. Dann muss sie befreit sein vom Druck des finanziellen »Erfolgs«.

There is an Alternative

Für mich ist der Kunstmarkt keine Alternative. Vor allem aber ist er nicht alternativlos. Und ich kann mir vorstellen, dass es anderen genauso geht. Zum Beispiel dieser kleinen Gruppe von Kunstschaffenden, die Ende 2014 die Idee ausarbeitete, ein Faltblatt mit künstlerischem und kunstkritischem Inhalt mit Bild und Text auf acht Seiten herauszugeben. Seit 2015 erscheint in der Regel zwei Mal jährlich eine farbige Ausgabe PIROL mit Beiträgen aus den Bereichen Bildende Kunst und Literatur in unterschiedlichen Städten Deutschlands und Österreichs. Dazu kommen Sonder- und Spezialausgaben zu entsprechenden Ausstellungen, die gemeinschaftlich organisiert werden. Von der ersten Ausgabe in Schwarz und Weiß mit einer Auflage von 105 Stück bewegte sich PIROL bis zu 1.000 Stück der zehnten und elften Ausgabe. Finanziert wird das Projekt durch freiwillige Druckkostenbeiträge der in einer Ausgabe publizierenden Künstlerinnen und Künstler, je nach selbst eingeschätzten finanziellen Möglichkeiten. Bislang kamen 22 Menschen dazu, im Faltblatt ihre Werke zu veröffentlichen. Manche von ihnen gehören bereits zum PIROL-Kern.

»Ohne Netz«

PIROL versteht sich als Beitrag zur Belebung des Kunstdiskurses und soll eine Möglichkeit darstellen, aus freiem Geisteswillen erzeugte Kunst vorurteilsfrei zugänglich zu machen. Es ist ein Gegenentwurf zu marktorientierten Kunstausstellungen in kommerziellen Galerien und selektiven Publikationen in etablierten Kunstzeitschriften. Es war ein logischer Schritt, zusätzlich zum Printmedium, Ausstellungen zu organisieren, indem mit Vereinen, öffentlichen Galerien und anderen Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet wurde. Nach etlichen Gruppen-, Doppel- und Einzelausstellungen mit Positionen, die im Heft vertreten waren und sind, steht jetzt die PIROL-Jubiläumsveranstaltung mit Namen »Ohne Netz« zu fünf Jahren und zehn Ausgaben PIROL vor der Tür (siehe unten).

Im Zuge der Vorbereitungen auf »Ohne Netz« ist es mir wieder besonders klar geworden, dass Pirol – neben vielen anderen, ähnlichen Unternehmungen – eine unbedingte Notwendigkeit für nicht wenige Kunstschaffende ist, die es schwer haben, eine Möglichkeit der Präsentation zu finden, abseits der Zerreißprobe, zwischen integrer Kunstproduktion und finanziellen Erfolg versprechenden Prestige-Events.

PIROL »Ohne Netz«

5 Jahre / 10 Ausgaben Pirol

Eröffnung am 1. August 2020 ab 17 Uhr mit Comic-Lesung von Janne Marie Dauer und PUBIC live in concert

Ausstellung mit Franz Braun, Janne Marie Dauer, Xenia Fumbarev, Johannes Grammel, Manuel Gruber, Jasmin Rehrmbacher, Gert Resinger, Stefanie Salzburger, Thomas Schrenk, Jonathan Seiffert, Anny Wass, Stefan Wirnsperger, David Zeller.

Finissage am 7. August 2020 ab 18 Uhr mit Comic-Lesung von Jasmin Rehrmbacher

»Dessous«, Anton-Scharff-Gasse 4, 1120 Wien Besichtigung der Ausstellung nach Vereinbarung: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

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Gelesen 4439 mal Letzte Änderung am Dienstag, 14 Juli 2020 12:41

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