06 Mai

FutureLeaks Escapes Patriarchy!

von

FutureLeaks Escapes Patriarchy!

Bericht von Diana Leah Mosser -
Fotos: Flo Rath

Ein Escape Game ist eine Art Indoor-Schnitzeljagd, bei der die Teilnehmer* innen oft in Gruppen eine Anzahl an Rät­seln (z. B. in Form von Detektivspielen) lösen müssen, um sich am Ende aus einem oder mehreren Räumen zu befreien. Dieses Spielprinzip hat sich das diverCITYLAB unter der künstlerischen Leitung von Aslı Kışlal und Anna Schober mit der Produk­tion FutureLeaks »Escape Patriarchy« zu Eigen gemacht. Regie führt Anna de Carlo. Diana Leah Mosser erhielt eine Vorladung ins Hauptquartier .

Die Agentur

FutureLeaks ist der Geheimdienst der Zukunft und möchte Menschen vor der selbstverursachten Zukunft bewahren. FutureLeaks sammelt Informationen im Dienste einer positiven Lenkung der Geschichte. Mit geschichtsträchtigen Operationen wird dabei in die Gegenwart ein­gegriffen, um ein für alle Mal dem Patriar­chat zu entkommen. Anders als bei derartigen Spezial-Operationen üblich, versucht FutureLeaks die Kollateralschäden möglichst klein zu halten. Ein gewisses Risiko für die Beteiligten kann allerdings nicht ausgeschlossen werden. Man bedenke die Folgen, die Bertold Brecht dem Marx-Studium zugeschrieben hat. Ähnliches gilt für die Auseinandersetzung mit Privilegien in einem androzentristischen System.

FutureLeaks zitiert das Publikum an einen streng geheimen Ort im Jahr 2039, wo der zerstörerische Eingriff und die Dominanz toxischer Patriarchen nicht mehr zu leugnen sind. Die Welt steht dort kurz vor dem Kollaps. Für Zeitgenoss*innen des Jahres 2022 klingt das wie Urlaub.

»Immerhin hätten wir bis 2039 noch 17 Jahre Zeit«, bemerke ich zynisch, als mir per Kurznachrichtendienst eine Vorladung ins Handy flattert.

Die Hauptverantwortlichen von Future ­Leaks – ein Projekt von diverCITYLAB –, Aslı Kışlal und Anna de Carlo, bestellen mich zum Hauptquartier. Ich weiß nicht ganz, was mich dort erwartet und nehme meinen Fotografen mit. Er ist cis Mann und schlimmstenfalls kann ich alles auf ihn schieben, denke ich mir. Nach einem Brunch mit Genoss*innen begebe ich mich zum vereinbarten Treffpunkt.

Ort der erhöhten Sicherheit

Dort angekommen, winke ich den Fotografen zu mir und wir verschaffen uns Zutritt durch das Überspringen eines Grabens (hier wird anscheinend eine neue Leitung verlegt). Aslı und Anna warten schon auf uns – sie stehen vor einem Haus, das einen aufgeräumten, soliden Eindruck macht. Die sengende Aprilsonne heizt uns auf den Rücken. »Dabei befinden wir uns noch gar nicht im Jahr 2039«. Aslı und Anna erklären uns, was nach der Zeitreise passieren wird. Sie möchten, dass die Teilnehmer*innen eine körperliche Erfahrung mit dem Patriarchat bzw. mit Androzentrismus machen. Fast schon dialektisch beschreiben sie, dass sie uns eine cis männliche Perspektive vermitteln werden, uns im Folgenden darüber aufklären werden, dass dies zwar die domi nante, aber nicht die einzige Perspektive ist. Und zum Abschluss sollen wir eine Alternative dazu entwickeln. Wir sollen Verantwortung tragen. Die meinen es ernst, das wird hier kein Spiel werden. Aslı bestätigt uns: Wir kommen erst wieder raus, wenn wir durch eine Nachricht an die Außenwelt die Realität verändert haben (ich denke an das zerschundene Adorno-Zitat mit der Flaschenpost, das ich eigentlich gar nicht kenne). »Das Haus werdet ihr in dem Zustand auch nicht mehr lange sehen«, sagt sie.

Wir werden gerade über die Sicherheits­vorkehrungen beim Zeitreisen in Kenntnis gesetzt, Flo versucht den Eingang zu fotografieren, als das Wetter – oder war es das Klima? – umschwingt. Ich bin mir nicht sicher, was passiert, aber als ich meinen Blick wieder dem Haus zuwende, steht da kein solides, aufgeräumtes Haus. Es sieht eher aus, als hätte sich 15 Jahre lang niemand darum gekümmert. Vielleicht erfindet das mein Kopf auch gerade nur. Oder er hat das solide Haus erfunden.

Körper im Raum

Wir sollen jetzt endlich ins Haus gehen. Der verwahrloste Eindruck bestätigt sich. Alles ist staubig, ausgetretenere Stiegen habe ich selten gesehen. Wir werden in den ersten Stock gebracht. Erhalten Passierscheine. Der Übertritt ereignet sich in einem eigens dafür vorbereiteten Raum. Technischer Schnickschnack, eine unmögliche hologra­fische Installation. Zap. Der Übertritt ist geglückt.

Uns wird erklärt, dass die Teilnehmer* innen innerhalb von zwei Stunden eine Art Assessment durchlaufen. Einen Screeningprozess, in dem Privilegien – also gesellschaftliche Vorteile – ermittelt werden. Dabei liegt der Fokus auf medizinischen, emotionellen, rechtlichen und finanziellen Aspekten.

Wir sind gar nicht wirklich Teil des Programms, wir erhalten nur eine Führung. Aber auch diese vermittelte Vorstellung ist auf eine bestimmte Art beanspruchend. Ich bin eine jener trans Frauen, die sich medizinische Prozeduren bezüglich des Geschlechts bisher erspart haben, aber die Räumlichkeiten für medizinisches Screening sind gruseligerweise trotzdem »close to home«: Mir wird allein durch die Raumgestaltung vermittelt, dass mein Körper ein »Objekt des Patriarchats« ist. Ich kenne dieses Stichwort. Aber bewusst spüren kann ich es in diesem Moment.

Anna erklärt uns: »In der Medizin artikuliert sich das Patriarchat absolut.«

Die Räumlichkeiten für emotionelles Screening strapazieren mich, wie das Telefonat mit einem Menschen, mit dem ich eigentlich nicht reden will. Und wie in jedem verlassenem Haus, in dem ich bisher war, frage ich mich auch hier: »Wie verlassen ist dieses Haus wirklich? Wohnt hier jemand?«

Im Raum, der sich dem rechtlichen Assessment widmet, werde ich zum ersten Mal mit dem Trolley-Problem persönlich konfrontiert. Die Frage, auf welches Gleis ich einen außer Kontrolle geratenen Güterwaggon mittels Weiche dirigiere, wenn sich fünf Arbeiter*innen auf Gleis B befinden und zwei Arbeiter*innen auf Gleis A, hat mir bisher noch niemand direkt gestellt. Für mich war »Trolley Problem« immer so eine Worthülse; eine Form der Belustigung über das Konzept des moralischen Dilem­mas. Als wüsste ich nicht, was ein morali­sches Dilemma ist … Weiß ich, was ein moralisches Dilemma ist?

Übungskurs im Geschichte Schreiben

Anna de Carlo beschreibt Escape Patriarchy als Übungsparcours. Sie meint, Geschichte würde von jenen geschrieben, die Kriege führen. Und es ginge darum, zu erlernen, wie man die Geschichtsnarrative ändern kann. Sie legen in ihrer Darstellung Wert auf ein Oszillieren zwischen »Mikrokosmos und Makrokosmos«. Der Verortung der Menschen im Kleinen und der Menschheit im Großen. Wir verlassen das Hauptquartier des Escape Games durch den Ausgang und landen auf einer Art Marktgelände eines lebhaften, alternativen Projektes. Eine Liveband spielt, es ist Stroh ausgestreut, es gibt kleine Portionen mit Essen. Wir verabschieden uns, ich fahre nach Hause.

Und obwohl wir gar nicht wirklich Teil des Programms waren, sondern nur Besucher*innen einer Führung, tippe ich eine gute Nachricht ins Textverarbeitungsprogramm meines Computers.

Der Weg ins Jahr 2039 – DiverCITYLAB

TERMINE: 6. Mai um 18.45, 8. Mai, 11. bis 15. Mai jeweils um 15.45 und 18.45 Uhr

TREFFPUNKT: Bushaltestelle Indigo­weg (16A), 1100 Wien

Bitte tragen Sie feste Kleidung und Schuhe, die schmutzig werden dürfen und kommen Sie mit möglichst wenig Gepäck, Rucksäcken und Taschen.

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