Filmtipp: Widerstandsmomente Jasmin Trabichler
12 Mai

Filmtipp: Widerstandsmomente

von

Von Silvia Köchl

Nachdem pandemiebedingt alle Vorführtermine abgesagt werden mussten, kann die Doku nun endlich gezeigt werden. Sylvia Köchl konnte sie bereits sehen: Das Gemeinsame in Widerständen macht den Film zeitlos und aktuell

Arbeiter betreten eine Baustelle, verteilen sich, fangen an, Verschalungen zu bauen, Beton zu gießen, Material zu schlichten. Dazu hören wir verschiedene Frauen*stimmen aus dem Off. Eine sagt: Ich bin in die Welt gekommen, um sie mit anderen gemeinsam zu gestalten. Spätestens jetzt, nach ein paar Minuten etwaigem Stirnrunzeln darüber, was die Filmaufnahme mit den gesprochenen Worten zu tun hat, entsteht im Kopf der Zuseher_innen eine erste Idee davon.

Die Dokumentation Widerstandsmomente von Jo Schmeiser ist eine einzige fließende Montage aus Videos, Texten, Tonbändern, Interviews und Gegenständen, die als Angebot zum eigenen aktiven Mit- und Zusammendenken zu verstehen ist. Konkret geht es nämlich um Inhalte, die sonst eher nur hinter vorgehaltener Hand miteinander verknüpft werden: Was hat der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Östereich mit dem Widerstand gegen lateinamerikanische Diktaturen mit dem Widerstand gegen Abschiebungen heute zu tun? »Darf« er damit etwas zu tun haben? Sind das nicht genau jene »unzulässigen Vergleiche«, vor denen in Österreich zurückgeschreckt wird in der Annahme, damit einer Verharmlosung der Nazi-Verbrechen das Wort zu reden?

Im Film wird an exakt dieser diskursiven Stelle eine Intervention gemacht: Die (keinesfalls zufälligerweise) ausschließlich weiblichen Interview-Protagonistinnen aus Organisationen wie maiz, LEFOE oder das kollektiv verfügen hier nämlich über eine große Klarheit. Für sie ist das Schweigen über die Zusammenhänge von österreichischer Vergangenheit und Gegenwart nutzlos und unproduktiv.

Jo Schmeiser lässt ihre Interviewpartnerinnen deshalb zum Beispiel über die Erzählung einer Leobener Kommunistin zu deren NS-Verfolgung nachdenken oder über die Erzählung einer polnischen Zwangsarbeiterin. Dabei kommen dann auch eigene Gefängnis- und Foltererfahrungen in Argentinien, Rassismuserfahrungen im heutigen Wien, der Tod von Marcus Omofuma oder feministische Organisierung vor und nach dem Exil zur Sprache.

Der Film wechselt sanft, aber mit starkem Sog von einem Thema zum nächsten. Zunächst ganz grundsätzlich: Was ist Widerstand? Wie entsteht er eigentlich? Dann: Arbeitsbegriffe und Zwangsarbeit; Gewaltanwendung und Selbstverteidigung; Sicherheitsbegriffe; Bildungs- und Sprachpolitiken; Rassismus und Sexismus. Am Ende auch: Was sind Heldinnen?

Ein assoziativer Film, der, obwohl Hunderte Aspekte von Widerstand in Geschichte und Gegenwart vorzukommen scheinen, genug Raum fürs eigene Nachdenken lässt. Und ein nach allen Seiten hin respektvoller Film: Er schafft Bewusstsein dafür, dass historischer und heutiger Widerstand miteinander verbunden sind, wird dabei aber nie platt und vereinfacht nichts, überhöht aber auch nichts. Ein Film, der bestärkt: Im kollektiven Kampf gegen Ungerechtigkeit verliert sich die individuelle Angst vor den Folgen dieses Kampfes, stellt eine junge Aktivistin gegen Ende fest.

Widerstandsmomente. Buch und Regie: Jo Schmeiser, 98 Min, A 2019

Die Premiere findet am 17.05. im Filmcasino Wien statt. Weitere Aufführungen können unter www.widerstandsmomente.at in Erfahrung gebracht werden.

Sylvia Köchl ist Journalistin und Politik wissenschaftlerin. 2016 erschien ihr Buch über »Berufsverbrecherinnen« im Frauen-KZ Ravensbrück, jetzt forscht sie zu nicht-ärztlichen Abtreibungen in Wien in der Illegalität bis 1975.

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