2015 ist 2022 FOTO: ARTUR VERKHOVETSKIY, KYIV / DESPOSITPHOTOS
10 April

2015 ist 2022

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Die Flüchtenden aus der Ukraine legen offen, wie rassistisch die europäischen Regierungen bei der Aufnahme von Flüchtenden unterscheiden.

Von Sigrid Spenger

Es herrschen wieder chaotische Zustände an Bahnhöfen und in Erstaufnahme- und Registrierzentren, die von Montag bis Freitag von 8:00 bis 18:00 Uhr geöffnet sind, so als würde die Not der Frauen, Kinder und Männer um 8:00 Uhr in der Früh begin­nen und um 18:00 Uhr abends enden. Und am Wochenende hat es keine Not zu geben, denn da muss einmal Schluss sein mit dem Krieg!

Dazu kommt, dass die Situation in den Notquartieren und Erstaufnahmezentren unübersichtlich und chaotisch ist. Die Registrierung der Ankommenden geht, trotz aller Bemühungen, schleppend voran und auf die Fragen der vielen Menschen, die hier in Österreich bleiben wollen, wie es weitergeht, bekommt man unzureichende Antworten. Wir Freiwilligen, die wir jetzt wieder willkommen sind und nicht mehr nur geduldet, wie in den letzten Jahren, werden angehalten, keine »Beratungsge­spräche« mit den Menschen zu führen, das sei nicht erwünscht. Hilfreich für die Geflüchteten wäre dabei schon eine Aus­kunft über die weiteren nächsten Schritte, aber man hat als Helfende das Gefühl, die Menschen werden hin- und hertranspor­tiert. Im Kopf bleiben die verzweifelten, ratlosen und erschöpften Gesichter der Menschen und das flaue Gefühl im Magen: Das hatten wir doch alles schon.

Kein*e weiße*r Christ*in? Keine Chance!

Gratis-Fahrkarten, gratis Parkplätze, sowie die blaue Karte für den freien Zugang zum Arbeitsmarkt für ukrainische Flüchtende. Plötzlich ist alles das möglich, was wir seit Jahren einfordern für geflüchtete Men­schen aus Syrien, Afghanistan, Kurdistan und den afrikanischen Ländern.

In Europa ist Krieg. Und dieser Krieg in Europa ist uns offenbar näher als jeder andere Krieg. Wie schon in den 90er Jahren die bosnischen Flüchtenden bekommen unsere ukrainischen »Nachbarn« den Schutz, der für alle flüchtenden Menschen laut Genfer Flüchtlingskonvention in Europa gelten sollte. Wie geht es dabei den unzähligen Menschen mit Kriegserfahrung in unserem Land, die nicht so selbstver­ständlich willkommen geheißen worden sind?

Während wir hier die Solidarität – auf zutiefst rassistischen Fundamenten – gerade neu erfinden, harren nach wie vor tausende flüchtende Menschen an den EU-Außengrenzen aus: in Belarus, in Griechen­land, in Bosnien, in Serbien. Für sie gibt es keine großangelegte Hilfe aus Österreich oder der EU. Im Gegenteil: Helfer*innen vor Ort versuchen diese Menschen seit drei Jahren über die Winter zu bringen, unter­stützt von Organisationen wie SOS Balkan­route. Zudem werden die Flüchtenden von Grenzpolizist*innen Österreichs und der EU beim Versuch, Asyl zu beantragen, zurück­gepusht. Immer wieder hören wir auch von Flüchtenden aus der Ukraine, dass sie an den Grenzen festgehalten werden. Das betrifft Flüchtende, die keine cis Frauen, keine Kinder und nicht weiß und nicht christlich sind.

Krieg ist immer eine Sache der herrschenden Klasse

Die Kriegstreiber*innen dieser Welt machen es wieder mal unter sich aus. Sie bestimmen, wo und wie Krieg geführt wird. Sie bestimmen, wem geholfen wird und wem nicht. Sie verkaufen uns ihre Schein­heiligkeit des Helfens und setzen gleichzei­tig Aufenthaltsfristen, Embargos und Waf­fen ein. Sie sprechen von Schutzkorridoren, die niemandem helfen, sondern Flüchtende noch angreifbarer machen. Alles schon gesehen im Syrienkrieg und auch gesehen im Bosnien-Krieg. Ich denke an den Völker­mord von Srebrenica, an die ethnischen Säuberungen, die unter der Duldung der ganzen Welt mitten in Europa stattgefun­den haben.

Hier in Österreich lassen Bundeskanzler Karl Nehammer und die Integrationsminis­terin Susanne Raab keine Gelegenheit aus, Geflüchtete aus der Ukraine mit Geflüchte­ten aus Afghanistan und Syrien zu verglei­chen. Natürlich mit dem Ziel, dass dabei ausgerechnet die vulnerabelste Gruppe der Geflüchteten, aus der Nehammer und Raab regelmäßig politisches Kapital schlagen und Wahlen als »Balkanrouten-Schließer« gewinnen, am schlechtesten aussteigt. Diese Doppelmaßstäbe, diese Ungleichheit und diese Ungerechtigkeit haben einen Namen: Rassismus. Daran ändern auch die sprachli­chen Wohlfühlphrasen wie »Nachbar­schaftshilfe für Vertriebene« nichts. Wenn es Nachbarschaftshilfe wirklich gäbe, wür­den nicht Menschen drei Autostunden von Spielfeld entfernt auf der Balkanroute frie­ren und ums Überleben kämpfen. Und es ist kein Zufall, dass gerade diese Menschen von Europa im Stich gelassen werden: Denn es sind hauptsächlich junge Männer, oft Mus­lime, Menschen mit dunkler Hautfarbe. Sie werden von kroatischen Polizist*innen aus der EU mit Schlagstöcken ins Nicht-EU-Land Bosnien-Herzegowina geprügelt und illegal abgeschoben. Täglich werden hier Men­schenrechtsverletzungen und Gesetzesbrü­che im Namen »des Schutzes der Außen­grenzen der EU« begangen.

Die Waffen nieder!

Die Politik nimmt den Ukraine-Krieg zum Anlass, erneut das alte Muster eines rech­ten, faschistischen Systems zu benutzen und spielt Armut gegen Armut und Krieg gegen Krieg aus. Genau das dürfen wir aber nicht zulassen. Es ist völlig klar und selbst­verständlich, dass wir den Ukrainer*innen Schutz gewähren. Wir brauchen keine heuchlerischen und pathetisch aufgeblase­nen Wohlfühl-PR-Shows, um solidarisch mit flüchtenden Menschen zu sein. Wir, die Zivilgesellschaft, haben es 2015 gezeigt und wir zeigen es 2022 wieder: Wir schaffen das! Wir nehmen flüchtende Menschen auf, tausende aus der Ukraine und tausende Gestrandete, von den Kriegen der Welt gezeichnete Menschen von den EU-Außen­grenzen.

Lassen wir nicht zu, dass flüchtende Men­schen unterschiedlich behandelt werden! Kriegsflüchtlinge sind Kriegsflüchtlinge, egal woher sie kommen! Ob aus der Ukraine, aus Afghanistan, aus Syrien oder aus Afrika. Sie alle haben das Recht in Österreich und der EU um Schutz anzusu­chen.

Die Geschichte wiederholt sich. Die Parallelen zu den Kriegen in Syrien und Bosnien sind unübersehbar. Der Krieg in Afghani stan findet keine Erwähnung mehr. Die Anteilnahme am Krieg in der Ukraine ist laut. Die Antwort darauf kann nur hei­ßen: Die Waffen nieder! Überall und für immer! Wenn wir diese Welt noch retten wollen.

Sigrid Spenger ist als Menschenrechtsaktivistin Obfrau von »ankommeninwien« und Vorstands ­mitglied bei SOS Balkanroute.

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