Pharaonen, Kaiser, Superreiche und sonst noch wer träum(t)en von Unsterblichkeit. Kräuter und magisches Zeug, neuerdings auch Kühlschränke soll(t)en das möglich machen. Alle nichts im Vergleich zu den Träumen des Transhumanismus. Von Hideo Snes
Seit den anfänglich skeptizistischen Gedankenexperimenten in Form von Descartes’s »bösem Geist« und Gilbert Harman’s »brain in a vat« hat sich im Feld des Humanismus einiges getan. In den 1990er Jahren hat sich besonders Harman’s Idee in der Populärkultur des Kinos insofern verselbstständigt, dass die Rolle der Technologie und ihr Einfluss auf den Menschen in den Vordergrund gerückt wurden. So zum Beispiel in Strange Days (1995), ein Film von Kathryn Bigelow, der eine dystopische Zukunft in Los Angeles erkundet, in der Menschen die Erinnerungen und Emotionen anderer durch eine Technologie namens »SQUID« erleben können. Der Film behandelt transhumanistische Themen, indem er Fragen nach den ethischen und psychologischen Folgen des Zugangs zu intimen Erfahrungen durch Technologie aufwirft und traditionelle Vorstellungen von Identität und Empathie herausfordert. Oder Abre los Ojos (1997) unter der Regie von Alejandro Amenábar. Der Thriller schildert die Erlebnisse eines entstellten Mannes nach einem traumatischen Unfall und beschäftigt sich mit posthumanistischen Konzepten, da er die Grenze zwischen reiner und virtueller Realität verschwimmen lässt und die Natur von Identität, Bewusstsein und den Grenzen des Selbst in einer von Technologie und menschlichem Geist geprägten Welt hinterfragt.
Diese Überbetonungen technologischer Kapazitäten und Utopien finden sich auch in zeitgenössischen, transhumanistischen Diskursen wieder und werden darin teilweise weiter verstärkt. Offensichtlich werden diese Überbetonungen, wenn man die Arbeiten des transhumanistischen Vordenkers, Biologen und Eugenikers Julian Huxley mit denen des Philosophen und Futuristen Max More vergleicht. Im 1957 erschienenen Buch New Bottles for New Wine schreibt Huxley: »Die menschliche Spezies kann, wenn sie es möchte, über sich selbst hinauswachsen – nicht nur sporadisch, ein Einzelner mal so, ein Anderer mal so, sondern als Ganzes, als Menschheit«. Huxley definiert dabei »Entwicklung« (noch) als rein biologistische Disziplin. Während hingegen More in seinem 1990 erschienenen Buch Transhumanismus vom »[...] Erkennen und Antizipieren der radikalen Änderungen in Natur und Möglichkeiten unseres Lebens durch verschiedenste wissenschaftliche und technologische Disziplinen […]« schreibt. Die durch More angedeutete Hypothese des technologischen Determinismus konnte zwar u. a. durch die Soziologin Nina Degele (2002) widerlegt werden – wir sind also nicht gezwungen, radikale Änderungen bezüglich der neuen Möglichkeiten unseres Lebens auch umzusetzen. Dennoch prägt diese Hypothese auch weiterhin populäre Konzepte von technischer Entwicklung, insbesondere im Feld des Trans-humanismus.
Problematisch wird technologischer Determinismus, also die Vorstellung, dass technischer Fortschritt soziale, politische und kulturelle Anpassung hervorruft, wenn dieser mit quasi-religiösen Vorhersagen für die Technologien der Zukunft in Verbindung gebracht wird. So wird der Dokumentarfilm Transcendent Man (2009) von Barry Ptolemy, in dem der Futurist und Autor Ray Kurzweil porträtiert wird, durch die Beantwortung einer rhetorischen Frage durch diesen beendet: »Does God exist? I would say, ›Not yet‹.« Der Frage geht der Glaube Kurzweil’s voraus, dass es Technologie der Menschheit innerhalb weniger Jahrzehnte ermöglichen wird, die körperlichen und geistigen Grenzen der eigenen Biologie zu überwinden. Aufbauend auf seinem Manifest The Singularity Is Near (2005) vertritt er die Ansicht, dass bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts eine »technologische Singularität« erreicht werde: ein Wendepunkt, an dem u. a. künstliche Intelligenz die Kontrolle übernehmen und eine Art irdisches Nirwana einleiten wird. Genetik, Nanotechnologie und Robotik würden der Menschheit und ihren empfindungsfähigen Schöpfungen Unsterblichkeit, unendliche Ressourcen und grenzenlose Intelligenz zur Verfügung stellen. Kurzweil verschleiert dadurch seine eigene Ablehnung der Sterblichkeit und betrachtet diese als einzige, angemessene Antwort auf die Frage, wohin technischer Fortschritt führen sollte. Ob wissentlich oder nicht, bewegt er sich damit aber sehr nah an der Gedankenwelt des eingangs erwähnten Eugenikers Julian Huxley.
Mythos Sterblichkeit?
Als Kritik am Dilemma der Eugenik, welches dem Menschenbild des Transhumanismus nach wie vor anhängt, entwickelte der Posthumanismus eine Alternative. So schreibt die Autorin und Künstlerin Natasha Vita-More in A Talent for Living: Cracking Myths of Mortality (2002), dass der »Posthumanismus fast vollständig augmentiert sein wird: Menschlicher Verstand in künstlichen, ewig aufrüstbaren Körpern.« Indem sie sich eine Zukunft vorstellt, in der die Menschen ihre biologischen Beschränkungen durch technologische Mittel überwinden, plädiert sie für eine radikale Selbsttransformation, wobei fortschrittliche Technologien genutzt werden, um kognitiven Fähigkeiten zu verbessern, die menschliche Lebensspanne quasi unbegrenzt zu verlängern, sowie körperliche und geistige Zustände beliebig zu verändern. Während Kurzweil’s Konzept der technologischen Singularität in humanistischen Debatten oftmals als »vulgär-hegelianisch« oder sogar »faschistoid« bezeichnet wurde, entwickelte der Posthumanismus eine Form der radikal-optimistischen Maschinenethik. In ihrem Konzept Primo Posthuman (1996) skizzierte Vita-More eine Figur, die frei von »Korrosion durch Reizbarkeit, Neid und Depression« wäre und gleichzeitig über Vorzüge wie austauschbare Gene, geschlechtliche Formbarkeit und einen »turbo-geladenen Optimismus« verfügen würde. Das Wesen dieser »Post humanen Bionischen Frau« würde nicht auf ihrer Fähigkeit basieren, zu kämpfen, sondern zu denken, zu argumentieren, zu verstehen und mitfühlend zu sein. Ihre wichtigsten »Superkräfte« würden sich auf die Eigenschaften einer »Frau« beziehen: Heilen, Liebe, Wissen und Vergebung (Wilson, 2007).
Daran kritisiert die Philosophin Janina Loh (2018), dass die Vorstellung der radikalen Trennung von Körper und Geist im Posthumanismus (wie auch teilweise im Transhumanismus) problematisch sei, da Spekulationen auf Technologien der Zukunft anhand zeitlich-situativer Beobachtungen unzulässig wären. Zu sehr seien im menschlichen Denken die Begriffe »Natur« und »Kultur« miteinander verwo-ben, als dass es möglich sei, das eigene Denken von der eigenen Körperlichkeit loszulösen. Die Kritik Loh’s lässt sich im Poststrukturalismus und dem Butler’schen und Haraway’schen Feminismus verorten, jedoch wurde der Posthumanismus, den Loh kritisiert, durch diese stark inspiriert.
Mindclone
Das zeigt sich bei der Juristin und Unternehmerin Martine Rothblatt, deren Ansatz als konforme Synthese aus Trans- und Posthumanismus gelesen werden kann. Mit dem Konzept des »mindclone« umschifft Rothblatt geschickt den induktiven Fehlschluss, der sich hinter der posthumanistischen Annahme verbirgt, dass Körper und Geist unweigerlich voneinander getrennt werden müssen. In What Are Mindclones? (2009) schreibt sie »[...] ein mindclone ist eine voll funktionsfähige, softwarebasierte Kopie des Geistes, die sich auf einem Computer-Substrat befindet [und] wir werden uns an den Gedanken gewöhnen [müssen], dass Identität replizierbar ist. Eine Person wird in der Lage sein, an zwei Orten gleichzeitig zu sein.« Durch die Vorstellung, dass das Bewusstsein oder die Erinnerungen von Individuen bewahrt, in digitale Formen übertragen, repliziert und gespeichert werden können, spielt sie mit der Idee der »digitalen Unsterblichkeit«. Ohne dabei ethische Bedenken außer Acht zu lassen, die uns als Gesellschaft, mit Blick auf jüngste technische Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz, bereits interessieren sollten: »Wie können wir wirklich wissen, dass unser Mindclone bei Bewusstsein ist, tatsächlich die gleichen Ängste empfindet und die gleichen Träume träumt wie wir selbst? Es ist leicht, sich vorzustellen, dass ein Mindclone unser Bewusstsein auf erstaunliche Weise imitiert, so wie einige Chatbots heute das menschliche Gesprächsverhalten nachahmen. Ist der Mindclone mein wirkliches Leben oder ein fesselnder, zu Tränen rührender ›Film‹ meines Lebens? Diese Fragen des Bewusstseins und des Cyber-Bewusstseins werden [...] wir als Nächstes beantworten müssen.«
Hidéo Snes ist Artist, Designer and Researcher zu den Themen AI, Digital Art und Performance.