Wien(er)wald MabelAmber/pixabay

Wien(er)wald

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Abwegige Gedanken von Max Schlesinger

 

Zeitung lesen oder Nachrichten schauen kann langweilig oder deprimierend sein: So viele miese Meldungen, so viele Krisen. Das Erdgas wird so teuer, und alles andere auch. Es laufen Pandemie und Krieg in der Ukraine rauf und runter. Und dann gibt es auch noch die Klimakatastrophe, die derzeit für uns alle so spürbar an Fahrt aufnimmt.

Viele* wollen schon gar nicht mehr teilnehmen an dieser Nachrichtenlage. Und wer* möchte, dem* steht nicht selten der Sinn nach Aufheiterung. Oft trinkt man* aber nicht so viel, wie man* speiben möchte.

Abstinentere Aufheiterung böte das Spiel Bullshit-Bingo: Typische Politiker*innen-Phrasen werden zufällig in ein Bingo-Feld eingetragen. Gewonnen hat, wer* am schnellsten ein Bingo abstreichen kann.

Gute Phrasen für den schnellen Gewinn würden sein: »Eigenverantwortung« und »Es darf keine Denkverbote geben!«

Es gab auch schon Politiker*innen-Aussagen, die sicherlich niemand* auf ein Bingo-Feld geschrieben hätte. Denken wir zurück an Trumps abwegigen Bullshit von den Waldstädten in Österreich. Das war ein so abwegiger Gedanke, dass trotz des hohen Bullshit-Gehalts keine*r auf die Idee gekommen wäre, dass irgendjemand* auf diese Idee käme.

Wahrscheinlich war das die beste Idee, die er je hatte: Waldstädte. Städte voller Wald. Wien möchte immer als Weltstadt gelten, nie aber als Waldstadt, obwohl statistisch 23 Prozent – fast ein Viertel der Stadtfläche – bewaldet sind. Aber der Wald konzentriert sich auf die Ränder. Innerhalb des Gürtels gibt es in Wien keinen Wald.

Dabei wäre es so schön: Schon der Gürtel könnte Wald sein anstatt Autostraße. Ein Waldgürtel. Über die Ausfallstraßen setzte er sich bis in die Innenstadt fort. Hier und da wächst er vertikal die Häuser hoch in Form begrünter Fassaden. Zugängliche Dachgärten bilden eine zweite Grünebene, zum Spazieren oder was man* im Grünen eben so macht.

Und inmitten dieses ganzen Waldes die Stadt. Das wäre jedenfalls eine sehr grüne Stadt. Wäre es auch Wald?

Wald pflanzen

Der jetzige Maßstab für Wald findet sich im »Gesetz, mit dem das Forstwesen geregelt wird«. Dazu muss Baum und Strauch aber auf Waldboden wachsen. Waldboden hat laut Gesetz mindestens 1000 Quadratmeter groß zu sein und mindestens zu 30 Prozent »beschirmt« und noch vieles mehr.

Ein richtiger Wald mit seinen gesetzlichen und ökologischen Funktionen wird in Wien sicher nicht etabliert werden können – viel mehr Bäume und Sträucher, viel mehr Grün hingegen schon.

Das kann ganz und gar bürgerlich angegangen werden. Es gibt zum Beispiel die Kölner Grün-Stiftung, die Spenden generiert und dafür Bäume pflanzt. Der Bezirk oder Magistrat können um Alleepflanzungen gebeten werden. All das setzt profunde Kenntnisse von Bürokratie und Buchhaltung und vor allem sehr geduldige Baumfreund*innen voraus. Vom Pflanzen eines Setzlings bis zum Genuss des ersten Schattens gehen gut und gerne 30 Jahre ins Land.

Bürokratie »pflanzen«

Was unkomplizierter, aber nicht schneller – der Baum wächst ja nicht schneller, weil er nicht von der MA Strauch&Baum gepflanzt wurde – zu Wald wird: Eigenverantwortung stärken, Denkverbote beseitigen. Brach- und Leerflächen finden sich auch in dicht verbauten Städten. Wahrscheinlich werden es in Zukunft mehr, auch Baumaterialien werden ja immer teurer und so manch ambitioniertes Bauprojekt versandet nach dem Abriss des Altbaus. Bis die Arbeiten wieder aufgenommen werden, kann nicht nur Gras, sondern Wald über die Sache wachsen. Irgendwann verfallen auch Baugenehmigungen, hier wird dann Bürokratie zur Freundin des Waldes. Es ist nicht alles schlecht im Magistrat.

Spaten und Setzlinge sind schnell besorgt. Oder Samen. Da müssen nicht

unbedingt klassische Bäume sprie­ßen, sondern zum Beispiel schnell wachsende, wehrhafte Pflanzen wie Brombeeren. Wer hat, dem wird gegeben. Das gilt insbesondere für Flächen, die überwuchern. Eine Brombeerhecke zieht sowohl Vögel als auch Kleinsäuger an. Viele Pflan­zen nutzen Tiere, um ihre Samen zu verbreiten, in deren Fell- oder Feder­kleid, oder in deren Verdauungstrakt. Und es putzt sich doch so schön in einer dornenbewährten Brombeerhe­cke, die die Nachbarskatze auf Abstand hält. Da fällt der eine oder andere Samen auf den Boden und ein neuer Baum fängt an, Wald zu machen. So würde Wald aufgelassene Siedlungen oder andere Betonwüsten überwachsen.

Doch Vorsicht: Wer* Wald auf Boden säht, der ihr*ihm nicht gehört, der kann Protest oder Anzeigen ern­ten.

Besondere Sorgfalt bei der Auswahl der Pflanzen zahlt sich aus: Je schnel­ler die jungen Pflanzen wachsen, desto besser. Wenn sie gut schme­cken oder hübsch blühen, mögen sie alle*. Da geht’s den Büschen wie den Menschen.

Sind alle Bestimmungen des Forst­gesetzes erfüllt, und die zuständige Behörde wird aufmerksam gemacht, dann steht fest: Hier ist Wald.

Und einmal Wald heißt fast für immer Wald. Auf jeden Fall sehr viel länger Wald als eine zu verwertende Brache.

Leider wachsen Brachen nicht auf Bäumen, schon gar nicht in Innen­städten. Und schon gar nicht Bra­chen, die lange ungenutzt herum»brachen«, sondern da wird planiert und betoniert und das Brut­tosozialprodukt gesteigert, dass einer*m die Luft wegbleibt.

Pflanzgefäße gäbe es in Hülle und Fülle. Wenn nun jede*r jede Nacht einen Topf mit einer Pflanze in der Stadt aufstellte, dann hätten wir in nur einem Monat den größten Topf­garten der Welt. Wir müssten nur noch gießen. Und genießen.

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Gelesen 2001 mal Letzte Änderung am Freitag, 02 September 2022 11:59
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