FRAUENARBEIT: Klare Botschaft, trübe Aussicht

von

Corona – ein Virus, das auch die Umverteilungspandemie von Arbeit und Reichtum beschleunigt.

VON HEIDI AMBROSCH

Ich schreibe diesen Text Anfang Novem­ber. Im Kopf die mich beunruhigenden, steigenden Infektionszahlen, die nächtli­chen Bilder zweier durchgeknallter Amok­läufer, einer in Wien und einer im Weißen Haus, trotz Bidens Sieg.

Dass ich zwei Redaktionsmitgliedern ver­sprochen habe, diesen Artikel zu schreiben, hilft mir, alles im Kopf zu sortieren, und ich beginne mit dem Blick zurück auf »Über«-Lebensbedingungen aller in Österreich Arbeitenden vor der Corona-Zeit.

Aus meinen Lebenserfahrungen habe ich den Weg des Widerstandes gegen Unge­rechtigkeiten gewählt. Prekarität weibli­cher Lebenszusammenhänge konnte ich erst in den 1980er Jahren begrifflich fassen. In dieser Zeit meine ich auch, Peter Weiss verstanden zu haben: »Wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne Fol­gen.«

Die Prekarisierung der Lebensverhältnisse

… hat längst auch männliche Biographien erfasst, und nur deswegen ist diese Beschreibung auch in männliche Theorie­produktion eingeflossen als wesentlicher Teil neoliberaler Politik und konzernge­steuerter Strategie. Sie wird durch die Corona-Pandemie eine weitere Zuspitzung erfahren, nicht zuletzt auch hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse.

Geschlechtsneutral fasse ich hier vorerst zusammen:

Prekarisierung bedeutet: die Zurichtung von Märkten und Menschen für den globa­lisierten Kapitalismus mit den Zielen dere­gulierter Erwerbsmärkte mit flexibilisier­ter, verbilligter Lohnarbeit, Entkoppelung sozialer Sicherheit von Lohnarbeit, Abbau und Privatisierung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen. Diese Gleichzeitigkeit von ungeschützter, kurzfristiger, nicht exis­tenzsichernder Beschäftigung oder tempo­rärer Erwerbslosigkeit und die Segmentie­rung oder der Zerfall sozialer Rückfallposi­tionen, Auffangnetze und öffentlicher Güter erzeugen Verunsicherung und Ver­einzelung und führen zur weiteren Diszipli­nierung der Menschen hin zur »Ich-AG« – »Eigenverantwortung« und Selbstmanage­ment.

Prekarisierung bedeutet Individualisie­rung und Konkurrenz, mangelnde Ressour­cen wie Zeit oder Geld, Scham und vor allem auch das Fehlen gemeinsamer Orte jenseits der traditionellen Räume kollekti­ver Interessensvertretung. Angesichts der Zunahme von Homeoffice sollten wir das stärker im Blick haben. Auch wenn sich die Situation der Entsicherung von Arbeit und Leben für immer mehr Menschen gleicht, wird sie von jedem und jeder anders wahr­genommen. Gefühle der Wut und der Ohn­macht ebenso wie die Bewältigungsstrate­gien verbleiben auf der individuellen Ebene.

Wessen Interessen werden damit bedient oder: »Wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich«

Auch wenn es Versprechen von Banken und Versicherungen gibt, »lass dein Geld arbeiten«, sollten wir spätestens durch die Finanzkrisen gelernt haben, dass die damit verbundenen Spekulationen ganz schnell auch als Blasen zerplatzen können, weil Geld nicht arbeitet! Die Einkommen von Frauen lassen hier wenig »Spiel«raum.

Medial vermittelt wird die Botschaft: Ret­ten wir »die Wirtschaft«, die »Arbeit schafft«.

Mit »die Wirtschaft« sind Kapitalunterneh­men gemeint, die sich Arbeitskraft und -zeit privat aneignen und nur einen Teil ihrer Profite, des erzeugten Mehrwertes davon als Lohn auszahlen, der andere immer größer werdende Teil fließt in die Taschen der Manager und Aktionäre und deren Finanzspekulationen. (Auch wenn Frauen hier mitgemeint sind, will ich sie als Minderheit der Profiteure im patriarchalen Kapitalismus nicht anführen). Die private Aneignung von Mehrwert erfolgt aber auch über die gesellschaftlich notwendige, aber nicht entlohnte Reproduktionsarbeit insbe­sondere von Frauen und Migrantinnen.

Insbesondere auch in den Debatten um das bedingungslose Grundeinkommen zeigt sich, dass es auch unter Linken noch immer kein gemeinsames Verständnis des Arbeits­begriffes gibt, was den einseitigen Blick auf die Arbeiterklasse, die in ihrer Mehrheit weiblich ist und die Nichtbeachtung femi­nistischer Theorien und Praxen zur Folge hat. Es fehlt der Blick auf alle gesamtgesell­schaftlich notwendige Arbeit als letztend­lich einzige Kraft, die Reichtum im Sinne der Mehrwertproduktion direkt oder indi­rekt schafft.

Als lohnenswerte Lektüre, um den Arbeitsbegriff in unseren Köpfen zu verän­dern, empfehle ich einen Text von Frigga Haug: »Herrschaft als Knoten denken«1. Ich denke, er ist eine treffliche Zusammenfas­sung über die neoliberale Ausprägung des patriarchalen Kapitalismus und zeigt eine Vision möglichen, eingreifenden Handelns.

Drohender Jobverlust und keine Aussicht auf wertende Entlohnung

In den ersten Wochen der Corona-Pande­mie wurde ein Teil der mehrheitlich von Frauen geleisteten Erwerbsarbeit als Ver­käuferinnen, Reinigungskräfte, Kranken­schwestern, als Pflegende beklatscht. Ein­zelne Hunderter wurden einmalig und auch nicht von allen Unternehmen im Handel ausbezahlt, die gewerkschaftliche, herbstli­che Kniebeuge, gerade mal die Inflations­rate an Erhöhung verhandelt zu haben – ein Hohn. Und immer wieder aufs Neue die Warnung vorm Pflegenotstand, eine ent­sprechende Entlohnung und damit Aufwer­tung des Berufes bleibt aus.

In einer Presseaussendung der Arbeiter­kammer wird anhand einer internationalen Studie von ForscherInnen dreier Universi­täten bilanziert:

»Im Gegensatz zur Finanzkrise vor zehn Jahren, bei der mehr Männer als Frauen ihren Arbeitsplatz verloren haben, sind nun besonders typische ›Frauen-Branchen‹ gefährdet, wie etwa die Gastronomie oder der Reisesektor. ›Verlieren Frauen ihren Job, besteht die Gefahr, dass sie die gesamte Haushalts- und Familienarbeit übernehmen und unsere Gesellschaft in Sachen Geschlechtergerechtigkeit wieder zurück­fällt‹, warnt AK-Frauenreferentin Berna­dette Pöcheim. Dann fiele auch der Wieder­einstieg in die Arbeitswelt wieder schwe­rer. Besonders hart trifft die derzeitige Doppelbelastung von reduziertem Kinder­betreuungsangebot und Erwerbsarbeit, aber auch die angespannte Situation am Arbeitsmarkt, die österreichischen Allein­erzieherinnen, von denen jetzt schon 44 Prozent als armutsgefährdet gelten. […] ›Die zuvor weit verbreitete Illusion, dass sich das Homeoffice mit gleichzeitiger Kin­derbetreuung in den eigenen vier Wänden vereinbaren ließe, sollte nach den Erfah­rungen der vergangenen Wochen niemand mehr haben. Aber vielleicht können Pend­lerinnen und Pendler mit regelmäßigen Homeoffice-Tagen so manche Wegstrecke einsparen oder es lassen sich einzelne Arbeitseinheiten auf Tageszeiten verlegen, in denen der Partner die Kinderbetreuung übernimmt‹, so Pöcheims Hoffnung.«

Femme Fiscal hat ein feministisches Kon­junkturpaket auf den Tisch gelegt, in dem es um handfeste Zahlen geht, die Details finden sich hier: Http://zwanzigtausend­frauen.at/ und da kann man es auch unter­schreiben.

Gefordert werden insgesamt zwölf Milli­arden Euro, davon fünf Milliarden für ein Zukunfts- & Bildungspaket u.a. zur Finan zierung einer Erhöhung der Familienbei­hilfe, einer gleichen für alle, unabhängig vom Wohnort der Kinder statt dem Famili­enbonus, der sich als Steuergeschenk für die wohlhabenden Männer entpuppt hat. Vier Milliarden für ein Pflegepaket durch die Verdoppelung der öffentlichen Ausgaben, um u.a. auch die Löhne entsprechend anhe­ben zu können.

Ein einmaliger Corona-Lastenausgleich auf hohe Vermögen würde auf fünf Jahre berechnet 70 bis 80 Milliarden Euro einbrin­gen. Allein die Erhöhung des Anteils von vermögensbezogenen Steuern am Bruttoin­landsprodukt auf OECD-Durchschnitt würde rund sechs Milliarden Euro, eine progressive Besteuerung von Unternehmensgewinnen rund 2,4 Milliarden Euro jährlich einbrin­gen, rechnet Femme Fiscal vor.

Aber es geht nicht nur um ein gerechteres Stück vom Kuchen, letztlich muss es um die ganze Bäckerei gehen, sprich um eine grundlegende Kritik am neoliberal und patriarchal geprägten Kapitalismus.

Kehren wir zurück zu Marx und Engels

Die Vision von Marx und Engels war, dass es durch die industrielle Entwicklung möglich sein muss, die notwendige Erwerbsarbeits­zeit zurückzudrängen, sodass insgesamt und in der gesamtgesellschaftlichen Entwick­lung für alle Menschen mehr Zeit für Selbst­erfahrung und dafür bleibt, kulturelle und menschliche Wesenskraft zu entwickeln. Aber kapitalistisch organisiert, führt die »Ökonomie der Zeit«, wie Marx es im Kapi­tal Band 2 nennt, zur Vertiefung der Spal­tung in der Gesellschaft. Nicht »Zeit für menschliche Entwicklung«, sondern »Öko­nomie der Zeit« wird eingesetzt, um damit die Profite zu erhöhen. Alles, was nicht beschleunigbar, automatisierbar, rationali­sierbar ist und eben nicht genug Profit abwirft und dadurch auch nicht marktför­mig bearbeitet werden kann, muss aber den­noch von Menschen erledigt werden oder die Sache geht ein.

Die im kommunistischen Manifest enthal­tene, fundamentale Kritik an der bürgerli­chen Familie wurde in der Folge in der wei­teren marxistischen Auseinandersetzung ausgeblendet bzw. auf die Forderung »Recht auf Arbeit« – gemeint männlich-zentrierte Lohnarbeit – reduziert. Der Blick auf die Reproduktionsverhältnisse, auf alle gesell­schaftlich notwendige Arbeit kam erst durch die feministischen Bewegungen Ende der 1960er Jahre ins Gespräch, bleibt aber bis heute geheimnisvoll. Der Kampf um Arbeitsrechte übersah über hundert Jahre lang auch die Tatsache, dass Frauen um ein Drittel weniger verdienen, obwohl sie zwei Drittel der gesellschaftlich notwendigen Arbeit leisten.

Zeit für menschliche Entwicklung – Fazit – Empört euch – Reden wir darüber

In diesem Sinne ist die Arbeit von Frauen in den Blick zu nehmen. Denn nicht die Arbeit wird weniger, sondern ihre Bezahlung, sofern es überhaupt eine gibt.

Kurzfristige, wie aus dem Nichts entstan­dene, freiwerdende Budgetmittel verzögern individuelle katastrophale Insolvenzen, aber die Flut von Rückzahlungsaufforde­rungen wie bei Mietvereinbarungen, Kredi­ten etc. werden uns schnell einholen.

Mehr denn je müssen Arbeit und Leben zusammengedacht werden, um Handlungs­orientierungen zu entwickeln: Was ist für uns ein »erfülltes Leben«?

Warum steigen Aktienkurse in Coronazei­ten? Warum gibt es keine Regulierung der Finanzmärkte?

Wem nützt das Finanzkapital? Warum können 1 Prozent der Weltbevölkerung ihre Interessen gegen 99 Prozent durchset­zen?

Können wir das Soziale und die Solidari­tät gemeinsam neu erfinden und konstru­ieren? Lassen sich Arbeits- und Lebens­verhältnisse demokratisieren bzw. wieder aneignen, auch jenseits des Lohnarbeits­konzepts? Und müssen wir nicht neue Orte schaffen, soziale Zentren, in denen Arbeitslose und prekär Beschäftigte sich austauschen, gegenseitig stärken, Kon­takte vermitteln und Netzwerke aufbauen können?

Heidi Ambrosch ist die frauenpolitische Spre­cherin der KPÖ, arbei­tet für transform! Europe, engagiert sich auf der Plattform 20000frauen und schreibt regelmäßig in der Volksstimme und anderen Publikationen.

1 www.zeitschrift-luxemburg.de/herrschaft-als-knoten-denken/

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Gelesen 5240 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 03 Dezember 2020 09:07
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