VON BÄRBEL DANNEBERG
Die »Neue Welt« ist eine historische europäische Bezeichnung für das von den Spaniern unter Christoph Kolumbus im Jahr 1492 wiederentdeckte Amerika. Diese koloniale gewaltsame Eroberung schönend in den Herzen zu verankern, galt neben Antonín Dvořáks 9. Sinfonie »Aus der Neuen Welt« auch Walt Disneys Zeichentrickfilm Pocahontas. Ich frage meine Enkeltochter heute, was sie von damals Ende der 1990er Jahre in Erinnerung hat. Die schöne Pocahontas, sagt sie, Großmutter Weide mit ihren Herzensratschlägen und John, der gute Weiße, der weiterzieht und das Indianermädchen trotz herzerfüllender Liebe auf dem Felsen zurücklässt.
Alle hatten gute Absichten, erinnert sie, und das Böse wurde besiegt. Wir waren damals in einer Nachmittagsvorstellung im heute nicht mehr existierenden Eos Kino auf der Landstraßer Hauptstraße, der Die Premiere fand am 15. Juni 1995 im Central Park in New York City vor einer Saal war fast leer und das Enkelkind mit dem Abgehen der leeren Sesselreihen beschäftigt. Trotzdem muss Pocahontas, der ab 1995 bei uns gezeigte Zeichentrickfilm, einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. So sehr, dass die Handlung noch heute präsent ist und T-Shirts oder Schulsachen mit dem Pocahontas-Merchandisingzeugs, damals ein Muss, auch jetzt noch auf ausrangierten Kindersachen im Secondhand zu finden sind.
Die Premiere fand am 15. Juni 1995 im Central Park in New York City vor einer geschätzten Menge von 100.000 Menschen statt. Damit hält Pocahontas bis heute den Rekord für die größte Filmpremiere überhaupt. Laut Wikipedia war der Film zwar finanziell erfolgreich und spielte etwa das Fünffache seiner Produktionskosten ein, blieb jedoch entgegen den Erwartungen der Macher weit hinter den Einspielergebnissen seines Vorgängers Der König der Löwen zurück, die etwa doppelt so hoch waren. 1998 produzierte Disney die Fortsetzung Pocahontas 2 – Die Reise in eine neue Welt für den Videoverkauf.
Im ersten Teil, den mein Enkelkind und ich damals sahen, geht es sowohl um die Eroberung der Indianergebiete im frühen Amerika als auch um die der Herzen der ZuseherInnen. Regisseur Mike Gabriel war nach eigenen Worten »auf der Suche nach einer Liebesgeschichte mit Herz und Humor«. Der »gute weiße Mann« kann vom Indianermädchen Pocahontas viel Wissenswertes vom Umgang mit der Natur und den Weisheiten seines Volkes lernen, zum Beispiel auf das Herz zu hören. Das schöne Mädchen folgt den Ratschlägen seiner Mentorin Großmutter Weide und schenkt sein Herz dem Eroberer Smith. Der Häuptlingsvater Powhatan verspricht dem größten Krieger seines Volkes die Pocahontas-Tochter, den aber will das Mädchen nicht, denn ihre Liebe gilt dem Engländer Smith. Im zweiten Teil zieht Pocahontas als Botschafterin ihres Stammes nach London, um den Frieden zwischen ihrem Stamm und den Eroberern zu sichern. Sie heiratet den Engländer John Rolfe und gibt dem Herzensbrecher John Smith den Weisel.
Mythen, Musik und Märchen, die an folgende Generationen weitergegeben werden, festigen Ideologien und Überzeugungen. Bei Walt Disneys Pocahontas, einer Figur aus dem amerikanischen 16. Jahrhundert, ist es die Überzeugung, dass dem rückständigen Indianervolk westliche Kultur gebracht wird. Dem sympathisierenden »Indianerkult« bis in unsere Breiten dieser Tage, der erwachenden Umwelt- und der wachsenden weiblichen Emanzipationsbewegungen geschuldet, wird Pocahontas als eine der wenigen Indianerinnen gezeichnet, die ein friedliches Nebeneinanderleben der UreinwohnerInnen und den englischen Siedlern befürwortet und sich für die Vermittlung zwischen den Gruppen einsetzt. Aber: America first.