ARCHITEKTURJUWEL WERKBUNDSIEDLUNG: Ein Dorf in der Stadt

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Das Leben in der Wiener Werkbundsiedlung – ein Gespräch mit der Bewohnerin und Schauspielerin Margot Hruby, aufgezeichnet von Eva Brenner.Kleintier

Die Wiener Werkbundsiedlung am Rand der Stadt ist ein Architekturjuwel der Moderne, das aus Muster-Wohnhäusern ein einzigartiges Beispiel sozialen städtischen Wohnens darstellt. Erbaut nach dem Vorbild der Stuttgarter Weißenhofsiedlung aus 1927, wurde der Siedlung 2020 das Siegel Europäisches Kulturerbe verliehen. In der Liste der 31 international prominenten Architekten des neuen Bauens befinden sich neben dem künstlerischen Leiter Josef Frank auch Adolf Loos, Josef Hoffmann, Richard Neutra oder Geriet Rietveld, und als einzige Frau Margarete Schütte-Lihotzky, von der zwei heute noch bewohnte Häuser stammen.

Die Siedlung – damals die »größte Baustelle Europas« – wurde 1932 zur Weltausstellung eröffnet und von mehr als 100.000 Menschen besucht. Einstmals bestand die Siedlung aus 70 voll eingerichteten Einfamilienhäusern mit kleinen Gärten, von denen 64 erhalten und vermietet sind; ein Teil ist in Privatbesitz. Da die für den Verkauf gedachten Hauser mitten in der Weltwirtschaftskrise nicht gut verkauft werden konnten, übernahm die Stadt Wien die Siedlung vom Bauträger Gesiba (städtische Wohnbaugesellschaft). Bis heute in städtischem Besitz, wurde im Zuge der zweiten Sanierung Mitte der 1980er Jahre die Verwaltung 2012 privat ausgelagert, wodurch u. a. die Mietpreise empfindlich gestiegen sind. Die Anlage folgt der Idee der Gartenstadtbewegung des späten 19. Jahrhunderts, der zufolge Gärten nicht bloß der Erbauung, sondern der eigenen Nutzung durch Anbau von Obst und Gemüse sowie Kleintierhaltung dienen sollten. Während Wiens große trutzburghafte Gemeindebauten für die bis zu Beginn der 1. Republik in Substandard-Wohnungen hausende ArbeiterInnenklasse konzipiert waren, richtete sich die Werkbundsiedlung an die Mittelschicht. Sie bot auf engstem, effizient geplantem Grundriss günstige Mieten und ein gesundes Wohnumfeld mit Dorfcharakter.

Mit ihrer herausragenden modernistischen Bauweise, die ähnlich wie die deutsche Bauhaus-Bewegung eine revolutionäre Vision des »Neuen Wohnens« auf hohem ästhetischem Niveau umsetzte, ist die Siedlung bis heute bewohnt, Studienobjekt internationaler ArchitekturstudentInnen, HistorikerInnen und beliebt bei TouristInnen. Das kann manchmal auch mühsam sein, erzählt Margot Hruby, die seit gut 40 Jahren in einem Adolf Loos Musterhaus zur Miete wohnt. So habe sie auch schon mit der Kamera »zurückgeschossen«, wenn sie und ihr Haus »wieder einmal wie im Zoo fotografiert werden«. Obwohl das einen Eingriff in die Privatsphäre darstellt, ist es eine vernachlässigbare Größe im Vergleich zu den Folgen der missglückten Sanierung 2012–2019 auf das Alltagsleben der SiedlungsbewohnerInnen. Von dieser wie anderen »Katastrophen« – Privatisierung der Verwaltung, Mieterhöhungen, Feuchtigkeit wegen schlechter Sanierung von Fenstern und Türen – sowie ihren jahrelangen fruchtlosen Bittgängen zur Stadt Wien als Trägerin berichtet die streitbare Künstlerin im Gespräch mit der Volksstimme.

Was hat dich bewogen, dieses wunderbare Adolf Loos-Haus zu deinem Zu-Hause zu machen?

MARGOT HRUBY: Meine Mutter hat es 1966/67 angemietet, und ich habe es vor über 40 Jahren übernommen. Meine Kinder sind hier mit mir aufgewachsen, mein Sohn ist sogar im Haus geboren worden. Wir haben hier zur Blütezeit zu fünft gelebt, mit meiner Großmutter, meinem Partner, meinen zwei Kindern.

Was macht die besondere Qualität des Wohnens in der Werkbundsiedlung aus?

MARGOT HRUBY: Gesunde Luft, soziales Wohnen, ein Kleingarten und eine integrierte Community abseits des Zentrums. Für das Aufwachsen von Kindern ist das ein idealer Platz. Aber es wurde ein empfindlicher Keil in diegewachsene Gemeinschaft und ihr Selbstverständnis als Trägerin der Siedlungsidee getrieben, die beschädigt wurde.

Was hat sie verändert?

MARGOT HRUBY: Das frühere Community-Feeling, das der Siedlungsidee entsprach, dass auch die unteren Schichten Anspruch auf gesundes, leistbares und schönes Wohnen in der Stadt haben, ist verschwunden. Als ich aufwuchs, kannten sich alle, wir hatten gemeinsame Straßenfeste, verbannten Autos, machten Ausflüge zusammen, halfen uns bei allerlei Alltagsproblemen aus – Kindererziehung, Lernen, Garteln. Dieses Leben hat sich radikal verändert, während der Sanierung gab’s viele Unsicherheiten und viel Stress. Die Tage waren geprägt von Lärm, Dreck, Angst vor höheren Mieten und Energiekosten. Stress entzweit die Menschen.

Was ist passiert?

MARGOT HRUBY: Die Stadt Wien hat die Verwaltung unter dem sozialdemokratischen Wohnbaustadtrat Dr. Michael Ludwig, heute Bürgermeister von Wien, kurz vor der Sanierung an die Firma Wiseg abgegeben (ein mehrheitlich im Eigentum der Stadt Wien stehendes Immobilienunternehmen). Der Grund verblieb in Gemeindebesitz.

Wie hat sich das ausgewirkt?

MARGOT HRUBY: Es gibt viele offensichtliche Mängel, die wir alle beklagten: Drainage ohne Abfluss, schlecht renovierte Fenster und Türen; die Fenster wurden von Hilfsarbeitern, die man hier beschäftigte und vermutlich keine ausgebildeten Tischler waren, verwechselt und falsch wieder eingebaut. Eine Lachnummer, kunsthistorisch äußerst bedenklich in einer denkmalgeschützten Siedlung, die zum Kulturerbe erhoben wurde. Ich musste vor Jahren meine eigene Zentralheizung einrichten und ich habe seit der Sanierung in kalten Wintern trotz Zentralheizung im Obergeschoß nur mehr 15 Grad und überlege dann auszuziehen, aber in der warmen Jahreszeit überwiegen eben doch wieder die Vorteile.

Gab es keinen allgemeinen Protest in der Siedlung?

MARGOT HRUBY: Nein, die Leute haben Angst, wir wurden in der Presse als dumme »Gartenzwerge« diffamiert. Viele haben mir ganz still und heimlich ihre Klagen mitgeteilt, um danach öffentlich zu schweigen. Ich protestiere seit Jahren, versuche, Solidarität in der Siedlung gegen die undurchsichtigen Konstruktionen der neuen Trägerfirma und die unsachgemäße, überteuerte Sanierung zu organisieren. Man hat hier mit € 3.000/m2 saniert, dafür hätte man neue Häuser bauen können. Aber ich blieb ohne Erfolg, habe mich nur unbeliebt gemacht, bin zum Hassobjekt geworden.

Hat dich niemand unterstützt?

MARGOT HRUBY: Oh ja, die Frauen wollten aufstehen, aber ihre Männern haben sie zurückgehalten. Am Ende stehst du alleine da – aber so kommst du nicht weiter. Weder in der Stadt Wien, wo die rechte Hand von Dr. Ludwig einer der Leiter der Firma Wiseg war, noch in der Mieterschutzvereinigung, die meinte, das Areal sei ausgelagert und nicht mehr Angelegenheit der Stadt, noch innerhalb der Siedlungsgemeinschaft. Du kannst heute, wenn du willst, ein Haus in der Siedlung von der Wiseg kaufen, die im Grundbuch steht – oder dich teuer einmieten.

Was hat sich in der Siedlung geändert? Hat eine Gentrifizierung stattgefunden?

MARGOT HRUBY: Die Machenschaften und Eigentumsverhältnisse sind für mich sehr undurchsichtig geblieben. Man versucht heute eine neue, jüngere, zahlungskräftige Klientel – AkademikerInnen, ArchitektInnen, KünstlerInnen, Menschen mit Bildung anzuziehen. Viele davon sind jung, haben Kinder und sind sehr begeistert, hier im Grünen in Stadtnähe wohnen zu können, obwohl sie manchmal das Doppelte an Miete zahlen als wir älteren MieterInnen. Ich habe Glück, ich komme mit den neuen Nachbarn sehr gut aus – aber das alte Community-Bewusstsein ist perdu.

Warum bist du geblieben? Wie steht es mit deiner Miete?

MARGOT HRUBY: Früher habe ich an Monatsmiete 320 Euro bezahlt, das war sehr günstig für eine hohe Wohnqualität. Jetzt, nach der Sanierung, sind das stolze 735 Euro. Man hat die Wohnfläche der Häuser neu vermessen, statt 57 habe ich nun 89 Quadratmeter, weil man mein Stiegenhaus und die Galerie mitrechnet. Bemerkenswert ist auch, dass seit der letzten Sanierung der Energieverbrauch gestiegen ist.

Was verbindet dich noch heute mit der Werkbundsiedlung?

MARGOT HRUBY: Wenn ich so zurückdenke, früher gab es hier auch einfache Menschen aus der Unterschicht, viele schräge Gestalten, eine wilde Mischung, die beinahe ganz verschwunden ist. Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft, viele Häuser wurden von Generation zu Genration weitergegeben. Ich liebe die Siedlung, ihr grandioses Erbe, die persönlichen Erinnerungen. Einer der Architekten der Siedlung war übrigens der Pariser Kommunist André Lurçat. Er hat nach dem gescheiterten Arbeiteraufstand 1934 aus Wien fliehen müssen und lebte danach bis 1937 in der UdSSR, wo er u. a. einen Krankenhauskomplex baute. In Villejuif, einem Vorort von Paris, der zu dieser Zeit einen kommunistischen Bürgermeister und Förderer hatte, entwarf er einen Schulkomplex, womit er seinen Durchbruch als Architekt begründete. Sein Bau steht in der Werkbundsiedlung links von den Häusern von Josef Hoffmann. Es lebe die Diversität.

Was wird bleiben von der großen Vergangenheit?

MARGOT HRUBY: Die Siedlung ist und bleibt ein lebendiges Zeugnis des revolutionären »neuen Wohnens«, der Idee des sozialen Wohnbaus und der gelebten Gemeinschaft verpflichtet. Ich meine jedoch, diese Idee ist unterwegs verreckt, die Siedlung droht zu einem Museum zu werden, im besten Fall zu einem Refugium für neue Eliten.

Wie würde eine erfolgreiche Solidaritätsaktion für die Rettung der Siedlungsidee aussehen, wenn wir darauf Einfluss hätten?

MARGOT HRUBY: Man müsste sich zusammentun, den Ist-Zustand erheben, die Mängel auflisten, der Diffamierung entgegentreten, selbstbewusst auftreten, sich vernetzen. Wir sind nicht allein im Kampf gegen die Privatisierung von sozialem Eigentum. We are the 99 %!

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Gelesen 5915 mal Letzte Änderung am Mittwoch, 04 November 2020 09:21
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